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01-2008

Luzia Sutter Rehmann Abgelehnte Tischgemeinschaft in Tobit, Daniel, Ester, Judit. Ein Plädoyer für Differenzierung

Abstract:

Sharing a meal is in no way trivial. It might even be dangerous to refuse to join a meal, because the feelings of other participants might be hurt. What was it, however, that Daniel, Tobit, Ester and Judith refused to eat? In which narrative contexts are their refusals plausible? Most interpreters take recourse to Jewish dietary laws or presuppose a general prohibition of Gentile food as possible background of these refusals.
My paper argues that this line of argumentation is not convincing. A broader exegetical approach is suggested that takes into account the details of the texts, complementing more theoretically oriented approaches, which follow hypothetical outlines that are not necessarily based on the texts in question. Not everything done by women can be reduced to a gender aspect, and not everything done by Jewish persons can be subsumed under Jewish dietary laws. Instead, we should ask for the interpretative clues of the texts. In order to avoid ideological reductionism, a methodological step of ‘loosing oneself to the text’ seems necessary.


An exegesis that breaks with the dualistic tradition of ‘theologically relevant’ and ‘trivial’ (i.e. theologically irrelevant) can be seen as politically resistant and has been developed in feminist liberation theology. Hermeneutically this approach is based on the discovery of the meaningness of daily life as place where all our live, our actions and fights take place.

1 Tischgemeinschaft: mit wem?

Die sog. Diasporanovellen [1] Tobit (Tob), Daniel (Dan), Ester (Est) und Judit (Jdt) sprechen von vielfältigen und zentralen Aspekten gemeinsamer Mahlzeiten. Darunter finden sich auch Aussagen über abgelehnte Tischgemeinschaft. Meist wird diese Ablehnung im Zusammenhang der jüdischen Speise- und Reinheitsgebote interpretiert und auf die Auseinandersetzungen des jüdischen Separatismus im 2. Jh. v. Chr. zurückgeführt. Schon einfache exegetische Untersuchungen zeigen aber, dass diese Interpretation der Distanzierungsaussagen zu kurz greift und eine ideologische Engführung darstellt. Diese ist zudem methodisch problematisch, weil die Komplexität von Tischgemeinschaft zugunsten einer These (Trennung vom Tisch der Völker) außer Acht gelassen wird. Wir müssen uns also auch fragen, welche methodischen Konsequenzen wir aus unserer Untersuchung ziehen.

Gemeinsame Mahlzeiten gehörten in der Antike zu den wichtigsten gemeinschafts-konstituierenden Institutionen. Gruppenidentität wurde bei Mahlzeiten symbolisch kodiert und formiert. [2] So bildeten Tischgemeinschaften ein von kulturellen und religiösen Mustern durchwirktes Agglomorat, in dem es u.a. um Exklusivität, Zugehörigkeit und soziale Positionierung ging und in denen Beziehungen verfestigt wurden. Tischgemeinschaft ist also sowohl im Zusammenhang mit der Identität der Gruppe am Tisch, wie auch mit derjenigen der am Tisch Teilnehmenden zu reflektieren. D.h. die Quellentexte sind daraufhin zu befragen, welche Botschaft die Tischgemeinschaft aussendet und inwiefern die an ihr Teilnehmenden dieser Botschaft zustimmen oder sich in Dissonanz zu ihr bestimmen.

Gemeinsame Mahlzeiten kommen in den Schriften Tob, Dan, Est und Jdt prominent vor:

- Wir sehen Tobit [3] in seinem Haus und an gemeinsamen Wallfahrtsmahlen in Jerusalem essen. Dazu gesellen sich die Schilderungen der Bewirtung des Tobias im Hause Saras, die Hochzeitsmähler in diesem Haus und anschließend wieder im Hause Tobits. Es essen viele verschiedene Personen: Tobit, Witwen, Waisen, Proselyten (1,8); die Brüder und Schwestern Tobits, alle jüdischen Leute und die Völker (1,10); Tobit, Hananja und Natan (5,14); Tobias (6,5); Tobias und Sara und ihre Familie (7,14; 8,1); Tobits Familie, inkl. Sara, Achikar und Nadab (11,19). Als Anlässe für Mahlzeiten werden genannt: Wallfahrt (1,8), Hunger (1,17), das Wochenfest (2,1), Trauer (2,4), Gastmahl bei Verwandten (7,7-8), Hochzeitsfest (8,19; 11,18). Es gibt also zahlreiche Kombinationen von Tischgemeinschaften, die aus unterschiedlichen Gründen eingegangen werden.

- Das Buch Daniel spielt am babylonischen und persischen Hof. [4] Das Festmahl des Belsazzar (Dan 5) ist eine ausführlich beschriebene Mahlzeit-Situation. Die Erwähnung der Belagerung Jerusalems (Dan 1,1) erinnert an den Hunger der eingeschlossenen Bevölkerung. Das Verb „essen” kommt selten vor, wobei auffällt, dass nur Daniel und seine Freunde „essen” (1,12), während Nebukadnezar wie ein Rindvieh „frisst” (Dan 4,22.29), Belsazzar „säuft” (5,1.2.3.4.23) und Darius „fastet” (6,19). Die Weisheitsschüler aus den Reihen der Deportierten erhalten ihren Unterhalt aus der Hand des Königs. Daniel isst aber nicht alles, was aus der Hand des Königs kommt (Dan 1,8), und später erfahren wir, dass er einmal für drei Wochen gefastet hat (Dan 10,2).

- Wir erfahren viel über das Essen am königlichen Hof im Buch Ester (Est). [5] Tischgespräche kommen in den Palastfesten ausführlich vor. Die Mahlzeiten erscheinen als Ort, wo Politik betrieben wird. Allerdings erfahren wir nicht, was gegessen wird. „Essen” kommt nur in 4,16 vor und dort in der Verneinung. Das Buch beginnt mit königlichen Festmählern und mündet in die Festlichkeiten des jüdischen Volkes, in Purim. Dazwischen lädt Ester ihren königlichen Gemahl und den Höfling Haman dreimal zu sich ein.

- Das Buch Judit [6] schildert die Belagerung der Kleinstadt plastisch durch die Erwähnung der verschmachtenden Kinder, Frauen und jungen Männer, die vor Durst ohnmächtig werden (7,21). Durch die Kriegsheere wird die Ernte des Landes aufgefressen wie von Heuschrecken (2,20), die Felder werden abgebrannt und die Herden vernichtet, die Städte geplündert (2,27), schließlich wird Betulia das Wasser abgegraben (7,12.14.19-22). Hunger und Durst werden durch den Krieg evoziert, resp. strategisch erzeugt. Die Einladung Judits in das Zelt des Kriegsherrn wird zur Schlüsselszene des Kampfes. Das köstliche Essen des Holofernes kontrastiert den Hunger der Bevölkerung (Jdt 12,1). Tischgemeinschaft im wahren Sinn des Wortes wird nur einmal gewährt (Achior in Bethulia, 6,21), sonst erzwungen: Das Heer nimmt sich die Vorräte der Bevölkerung, frisst das Land kahl und träumt davon, dass die Stadt ein gefundenes Fressen werden wird (5,24).

Fazit: Die vier Schriften greifen ganz unterschiedliche Aspekte von gemeinsamen Mahlzeiten auf. Die soziale Bedeutung von Gemeinschaft am Tisch ist offensichtlich. In Tob finden wir zahlreiche Tischgemeinschaften zwischen jüdischen Personen neben der Klage Tobits, dass sowohl in Israel wie auch in Ninive vieler seiner Landsleute das ‚Brot der Völker’ essen (Tob 1,10). Die Tischgemeinschaft der jüdischen Weisheitsschüler (Daniel und seine Freunde) am königlichen Hof erscheint fragil, aber existent. [7] Gemeinsame Mahlzeiten werden in Est nicht problematisiert, sie erscheinen als zentrale Orte der Handlung. Ester wurde am Hof ausgebildet und erhielt tägliche Portionen (Est 2,9), sie aß mit ihrem Mann und mit seinem Höfling Haman. [8] In Jdt finden wir die freundschaftliche Aufnahme Achiors in Betulia (Jdt 6,21) und die Bewirtung Judits bei Holofernes, die aber nicht freundschaftlich genannt werden kann, sondern die sexuelle Eroberung Judits zum Ziel hatte.

2 Tischgemeinschaft: mit wem nicht?

Die genannten Schriften sprechen nicht nur von gemeinsamen Mahlzeiten, sondern auch von der bewussten Distanzierung von Gemeinschaft am Tisch: Tob 1,5.10-12; Dan 1,8; grEst 14,7 [9] ; Jdt 12,1-2. Die HeldInnen der Schriften lehnen explizit Tischgemeinschaft ab. Wie ist ihre Ablehnung zu verstehen?

Dennis E. Smith geht davon aus, dass die Helden und Heldinnen dieser Schriften sich von heidnischer Speise distanzieren, um ihre jüdische Identität zu bewahren. Er macht auf die Konfliktsituation in allen vier Schriften aufmerksam und spricht in diesem Zusammenhang von einem generellen Verbot heidnischer Speise, [10] jedoch ohne dieses zu belegen oder zu erklären.

Die Frage ist, ob und inwiefern diese Einweisung der Distanzierung vom gemeinsamen Tisch in jüdisch-heidnische Abgrenzungskonflikte in der Diaspora oder in die nationalen Auseinandersetzungen [11] um die Hellenisierung Palästinas im 2. Jh. v. Chr. zutrifft.

Gemeinsame Mahlzeiten schaffen Tischgemeinschaft, d.h. eine Verbindung zwischen denen, die zusammen essen. Smith spricht denn auch von social obligation und bond between the diners, sozialer Verpflichtung und einer Verbindung zwischen den Essenden. [12] Ist die Ablehnung der Verbindung, die am Tisch entsteht, in den Kontext jüdischer – nichtjüdischer Beziehungen einzuordnen, in die Abgrenzungskonflikte des jüdischen Separatismus des 2. Jh. v. Chr. – oder gibt es andere Möglichkeiten der Interpretation?

Alle vier Schriften erzählen davon, dass Tischgemeinschaft auf dem Hintergrund von Verfolgung (Tob), Deportation (Dan), Pogrom (Est) und Krieg (Jdt) problematisch oder sogar unmöglich ist. Nichtsdestotrotz hatte das der deportierte König Jojachin getan:

„Er zog seine Gefängniskleidung aus und speiste, solange er lebte, immer bei ihm. Sein Unterhalt wurde ihm als ständiger Unterhalt vom König in täglichen Rationen gegeben, solange er lebte.” (Über die Zeit der Königinnen und Könige. Zweites Buch 25,28-29) [13]

Dieser Text macht keine großen Worte über die Demütigung oder den Schmerz des Königs. Ebenso selbstverständlich zeigt er, dass ein jüdischer König am Tisch der Völker gegessen hat. [14] Auch Ester erhält, sobald sie sich in Ausbildung am königlichen Hof befindet, tägliche Portionen von königlicher Hand (Est 2,9), wie auch der Weisheitsschüler Daniel (Dan 1,5). Sogar für Holofernes ist es selbstverständlich, seinen schönen Gast zu bewirten (Jdt 12,1-2). Auch die deportierten jüdischen Familien im fiktiven Ninive scheuen sich nicht, vom Brot der Völker zu essen (Tob 1,10) – ja, sie taten dies auch in Israel. So finden wir einerseits ein selbstverständliches Miteinander von jüdischen und nicht-jüdischen Männern und Frauen zur Zeit des Zweiten Tempels neben einer Problematisierung dieses Miteinanders in den genannten Schriften: [15]

„Da aßen meine Verwandten und alle anderen aus meinem Volk von den Speisen der fremden Völker. Ich aber hütete mich davon zu essen.” (Tob 1,10-11)

„Daniel fasste den Entschluss, sich nicht an der Speise und dem Wein des Königs unrein zu machen.” (Dan 1,8)

„Deine Magd hat nie am Tisch des Haman gegessen und kein königliches Fest mit ihrer Anwesenheit geehrt. Auch habe ich keinen Wein getrunken, der den Götzen geweiht war.” (grEst C 28 [14,7])

„Und er ordnete an, dass ihr von seinen köstlich zubereiteten Speisen vorgesetzt und von seinem Wein zu trinken gegeben werde. Judit aber sagte: ‚Ich werde nichts davon essen, damit kein Anstoß entsteht.’” (Jdt 12,1-2)

Ich gehe davon aus, dass dieses selbstverständliche Miteinander und die bewusste Distanzierung davon mehrschichtig sind und nicht in der plakativen „Trennung vom Tisch der Völker” zu beschreiben ist. Wir müssen uns nämlich auch fragen, wie sich die Menschen aus den Völkern den jüdischen Menschen gegenüber verhalten haben. Es gab offenbar Menschen unter den Völkern, mit denen Juden und Jüdinnen aßen [16] – und solche, mit denen sie nicht essen wollten.

Janos Bolyki hat darauf hingewiesen, dass Tischgemeinschaft im Leben derjenigen, die daran teilnehmen, eine Veränderung bewirken kann. [17] Die Ablehnung einer gemeinschaftlichen Verbindung kann also sehr wohl auf den Wunsch hinweisen, die eigene Identität zu bewahren, sich nicht zu verändern und sich selbst und der eigenen Gemeinschaft treu zu bleiben. Aber die Frage ist, aus welchen Gründen diese Entscheidung getroffen wird und wie weit sie geht.

3 Exegetische Beobachtungen

Im Folgenden werden Aussagen über abgelehnte Tischgemeinschaft durchgegangen, indem ich die bisherigen Auslegungen befrage, die Übersetzungen anschaue und den innerbiblischen Verweisen nachgehe.

Tobit

Tob 1,10-11: Alle meine Geschwister und alle aus meinem Volk aßen von den Broten der Völker. Ich aber hütete mich, vom Brot der Völker zu essen.

Beate Ego bezieht diese Aussage Tobits auf die Speisegebote. Sie verweist insbesondere auf das Essverbot unreiner Tiere (Leviticus 11,1-23.29-46; Deuteronomium 14,3-21) sowie von Blutgenuss (Genesis 9,4; Leviticus 7,26-27). [18] Sie geht davon aus, dass: „Die Bewahrung der Speisegebote spielt in der Diaspora...im Hinblick auf die Wahrung der Identität eine vorrangige Rolle.” [19] Hingegen hat schon Meinrad M. Schumpp darauf hingewiesen, dass in Tob 1,10-11 so etwas wie eine Verschärfung stattfinde, denn dass die Speisen der Heiden allgemein unrein seien, werde im Pentateuch nirgendwo ausgesprochen. Diese Verschärfung würde aber ein Leben außerhalb Israels unmöglich machen. [20] Diese Auslegungen implizieren auch schon für diese frühe Zeit eine Homogenität im Judentum und eine Torainterpretation entsprechend dem orthodoxen Judentum späterer Zeit.

Dagegen spricht, dass der Ausdruck in Tob 1,11 wörtlich ‚von den Broten der Völker’ heißt und nicht ‚von den Speisen der Heiden’. [21] Dieser Ausdruck lässt sich nicht in der Speisegesetzgebung der Tora finden. Die Erzählung nimmt auch sonst keinen Bezug auf die jüdischen Speisegesetze. Sie sind kein Thema. Hingegen finden wir in Tob 1,6-8 einen deutlichen formalen wie inhaltlichen Bezug zu Deuteronomium 14,22-29: Tobit erzählt ausführlich von den Wallfahrtfesten und vom Verzehnten. [22]

Auch im Weiteren geht es Tobit um Solidarität mit Bedürftigen, ganz im Sinne der Armengesetzgebung. [23] Während seine Geschwister ‚von den Broten der Völker’ essen, gibt Tobit Brote den Hungernden und Kleider den Nackten, und wenn ein Toter aus seinem Volk über die Mauer geworfen wurde, dann begrub er ihn (1,17). ‚Brot’ verstehe ich in diesem Zusammenhang als Grundnahrungsmittel (nicht als Köstlichkeit).

So erscheinen nicht das Brot, sondern die Praxis und der Umgang mit Brot in den Augen des Tobit problematisch. Doch ist sichtbar, dass Tobit sich schon in seiner Heimat alleine fühlte mit seiner Praxis, zu Verzehnten und das Essen zu teilen (1,6). Seine Geschwister lebten schon damals wie auch jetzt in der Diaspora nicht nach den Armengesetzen: Sie aßen ihr Brot für sich, unsolidarisch gegenüber den Armen, ohne Verbindung und Verpflichtung den Hungernden gegenüber.

Fazit: Eine Interpretation von Tob 1,10 im Zusammenhang der jüdischen Speisegebote und der Trennung vom Tisch der Völker findet im Text keine Basis. Die Übersetzung ‚Speisen der Heiden’ folgt der Separatismus-Diskussion und einer entsprechenden Übersetzungstradition, ohne den Kontext des Verses zu reflektieren. Dieser besteht aber in der Zehnten-, resp. Armengesetzgebung als Solidarität mit den Besitzlosen und Armen. Tobit ist enttäuscht darüber, dass alle aus seinem Volk das Brot wie die Völker essen: Nämlich ohne an die Gottheit Israels zu denken. Dies drückt sich darin aus, dass sie die Armengesetze nicht beachten und die Hungrigen und Ermordeten in ihrer Mitte nicht versorgen. Das Brot nach der Weise der Völker essen, heißt, es ohne Verbindung mit dem Gott der Armen zu essen, es nicht mit ihnen zu teilen. Diese Analyse zeigt, dass das Thema „Speisegesetze” bei Tob erheblich umfassender als bislang untersucht werden muss.

Daniel

Dan 1,8: Daniel fasste den Entschluss, sich nicht an den Köstlichkeiten und am Wein des Königs unrein zu machen.

Die Köstlichkeiten heißen im hebräischen Text patbag. Dies ist ein Lehnwort aus dem Altpersischen patibaga, das nicht mit Sicherheit erklärt werden kann. [24] In der Bibel kommt es nur in Dan vor (Dan 1,5.8.13.15). Was wir uns genau darunter vorzustellen haben, bleibt offen.

Die griechischen Übersetzungen haben patbag deshalb inhaltlich offengelassen.

Die Septuaginta spricht in Dan 1,8 ganz allgemein vom deipnon, dem Mahl, und Theodotion von trapezes, dem Tisch. Daniel hält sich also vom Tisch, resp. vom Essen des Königs allgemein fern. [25]

Der Entschluss Daniels in 1,8 wird wie Tob 1,10-11 meist im Rahmen der jüdischen Speisegebote interpretiert. Obwohl wir keine Distanzierung bei Jehoiachin finden können, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis am königlichen Tisch aß (2Könige 25:29-30), und auch Ester bereits in der Ausbildung am Hof tägliche Portionen erhalten hat (Est 2,9). Auch Nehemia war Kelchträger des Königs (Nehemia 1,11) und erhielt daher seinen Teil vom Tisch des Königs. [26] Dagegen stellen Daniel und seine Freunde unter den Gefangenen von Judäa eine Ausnahme dar. [27]

Exkurs: Tischgemeinschaften im AT?

John J. Collins stellt zu recht fest, dass im Pentateuch kein Verbot von königlichem Essen und Wein zu finden sei – dennoch hält auch er an einer Interpretation im Rahmen der Reinheitsgesetze fest. [28] Auch er verweist als Bekräftigung auf grEst 14,17; Tob 1,10-11; Jdt 12,1-4 und spricht von einem allgemeinen jüdischen Unbehagen gegenüber beflecktem Essen (defiled food, ebd. 143), das sich während der makkabäischen Krise verschärft habe, was der Zusatz in grEst C 28 zeige. Als Belege für die frühe und allgemeine Ablehnung heidnischer Tischgemeinschaft verweist Collins auf Hosea 9,3 und Ezechiel 4,13.

In Hosea 9,1f kommt Tischgemeinschaft mit NichtisraelitInnen nicht zur Sprache. Vielmehr geht es um die Verfehlung der IsraelitInnen, um den Zorn Gottes und der daraus resultierenden Vertreibung aus dem Land (9,3). Sie dürfen für Adonaj weder Wein ausgießen, noch Schlachtopfer bringen (9,4), am Fest Adonajs können sie sich nicht mehr zum Tempel begeben und wissen daher nicht, was sie tun sollen (9,5). Der Zusammenhang verweist auf das Fehlen des Tempels, die Gemeinschaft mit Gott, die durch Wallfahrten und Opfer möglich war, ist in Assur (9,3) und Ägypten (9,6) nicht mehr zugänglich. Doch erscheint mir der Text überinterpretiert, wenn daraus eine allgemeine Ablehnung heidnischer Tischgemeinschaft geschlossen wird. [29]

In Ezechiel 4,13-14 sagt der Prophet Jerusalem das Gericht an. Der Zorn Gottes lässt das Essen unrein werden: Die Vertriebenen werden ihr Brot als Unreine essen müssen, als solche, auf denen der Zorn Gottes lastet. Sie werden ihr Brot unrein essen unter den Völkern (Ezechiel 4,13) – die Rede ist nicht von dem Brot der Völker, das unrein wäre. Vielmehr bleibt der Blick auf die Vertriebenen gerichtet, die als Unreine, in unreinem Zustand leben müssen – nicht etwa unter Unreinen.

Sowohl Hosea 9,3-4 wie Ezechiel 4,13-14 sagen nichts aus über jüdische Esspraxis unter den Völkern, über ganze oder partielle Tischgemeinschaft oder getrennte Tische. Doch sie sind explizit gegenüber denen, die den Zorn Gottes heraufbeschwören. Diese werden vertrieben aus dem Land, weg vom Tempel und somit von der Tischgemeinschaft mit Gott.

Collins weist desweiteren auf den Zusammenhang mit Blut hin, in den das Verb ‚to defile’ gehöre, und verweist auf Klagelieder 4,14; Jesaja 59,3; 63,3. Alle drei Stellen zeugen wiederum von Gottes Zorn gegenüber denen, die Menschen/ Gerechte ermorden. Es geht also nicht, wie man erwarten könnte, um das Essen von Blut oder blutigem Fleisch, sondern um Gottes Zorn über diejenigen, die Menschenblut vergießen und sich mit Blut beflecken.

Die Septuaginta verwendet das Verb alisgein (sich unrein machen) außer in Dan 1,8 nur noch in Maleachi 1,7.12 und Sirach 40,29. [30] In Maleachi 1,7 finden wir das Verb im Zusammenhang mit Speise: „Indem ihr auf meinen Altar eklige Speise bringt!” Was wird darunter im Kontext verstanden? Aus der Perspektive Gottes sind beschädigte Tiere auf seinem Altar eine Beleidigung der Majestät Gottes – denn solche könnte man auch keinem Vorsteher bringen, er würde sie nicht akzeptieren! Also transportieren solche „billigen” Opfer die Botschaft, dass Gottes Altar nicht wirklich wichtig sei. [31]

In Jesus Sirach 40,29 heißt es: „Das Leben von Menschen, die nach fremden Tischen starren, ist nicht als Leben anzusehen, sie machen sich selbst unrein mit fremder Speise.” Auch hier verunreinigt, entehrt das unangemessene Verhalten: Einer, der darum bettelt, von einem anderen Tisch zu bekommen, benimmt sich unanständig, entehrend, unwürdig. Es geht um das richtige Benehmen eines Weisheitsschülers. Jesus Sirach 40,29 hat nichts mit Speisegesetzen, nicht einmal mit Idolatrie zu tun. „Auf fremde Tische starren” kann sich genau so gut auf jüdische Tische und Speisen beziehen. [32]

Fazit: Das Verb alisgein bezeichnet also entehrendes Verhalten, nicht kultisches Verunreinigen im Sinne der Speisegebote. Daniel und seine Freunde beschließen, sich eines Weisheitsschülers würdig zu verhalten, sich nicht in die sozialen Netze am Hof einspannen zu lassen. Weisheitsschüler lassen sich nicht auf Saufen und Prassen, resp. politisches Fädenziehen und Intrigieren am Hof ein. Von Speisegeboten und kultischer Reinheit ist nichts zu sehen.

Die königliche Tafel wird in Dan 11,26-27 als Ort sichtbar, wo gelogen und intrigiert wird. So scheint der Rückschluss erlaubt, dass am Tisch des Königs gelogen wird und geplant wird, das Blut von Menschen zu vergießen. Daniel möchte sich nicht dadurch besudeln, dass er von der Hand des Königs isst, weil diese Hand Menschen, Gerechte, Mitglieder seiner Familie getötet hat. [33] Er distanziert sich von dem, was des Königs Hand (Dan 1,2) tat/ tut: Deportation, Belagerung, Eroberung und Gewaltgeschichten am Hof.

grEster

grEst C 28 (14,7): „Deine Magd hat nie am Tisch des Haman gegessen und kein königliches Fest mit ihrer Anwesenheit geehrt. Auch habe ich keinen Wein getrunken, der den Götzen geweiht war.”

Die griechische Übersetzung [34] von Ester fügt mit C28 eine Distanz zum Leben Esters am Hof des Königs ein, um die sich die hebräische Erzählung [35] nicht bemüht hatte:

Kai ouk ephagen he doule sou trapezan Aman kai ouk edoxasa symposion basileos oude epion oinon spondon.

Adele Berlin interpretiert diese Einfügung so, dass Ester nur koscher gegessen habe. [36]

Hans Bardtke sieht in ihrem Verhalten eine „strenge Absonderung von allem nichtjüdischen heidnischen Wesen.” [37] Ähnlich klingt es bei Jon D. Levenson, der hier eine Apologie Esters sieht. Ester verteidige sich gegen den möglichen Vorwurf, sie würde den Luxus am Hof und ihren königlichen Status genießen, sowie „that she willingly sleeps with a Gentile, eats forbidden foods, and drinks forbidden wine...” Durch die griechischen Zusätze würde Ester „transformed into a self-consciously loyal Jewess, a woman of prayer, penitence, and religious observance, in bed and at table.” [38]

Die griechischen Zusätze haben einige Forschungsaktivität [39] geweckt, da sie Aussagen darüber machen, wie Est in hellenistischer Zeit verstanden wurde. Gerade darum ist es interessant, dass Josephus mit keinem Wort auf den griechischen Zusatz C 28 eingeht. Hingegen verdeutlicht er das Fasten Esters und ihrer Dienerinnen (Est 4,16) so, dass sie kein Mahl (trophe) und kein Getränk (potos) und keine Freude genossen hätten. [40] (Josephus, Antiquitates 11, 232)

Fazit: C 28 spricht explizit von Wein, der Götzen geweiht wurde. Von diesem distanziert sich Ester. Dies wird in der Auslegung mit Recht gesehen. Doch bleibt Esters Distanz vom Tisch Hamans unkommentiert. Ester behauptet nicht, dass sie sich vom Tisch der ‚Heiden’ oder von demjenigen ihres Mannes ferngehalten habe. Jedoch konstatiert sie, dass sie nicht vom Tisch Hamans aß. Hamans ist der Verräter am Hof, er ist derjenige, der das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung anstiftet. Gerade diese Aufzählung „vom Tisch Hamans und keinen Wein, der Götzen geweiht wurde” macht deutlich, dass es hier nicht einfach um jüdische Reinheitsgesetze geht, sondern auch darum, keine Gemeinschaft mit Verrätern, Mördern und Intriganten einzugehen.

Judit

Jdt 12,1-2: Und er ordnete an, dass ihr von seinen Köstlichkeiten vorgesetzt und von seinem Wein zu trinken gegeben werde. Judit aber sagte: „Ich werde nichts davon essen, dass es ja nicht zur Falle werde.”

Die Auslegung kommentiert Judits Distanzierung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ‚jüdisch-heidnisch,’ resp. der rituellen Reinheit. So sieht Ernst Haag den Grund der Ablehnung nicht in den expliziten Speisegeboten, sondern „in dem Umstand, dass es sich grundsätzlich um Speisen aus heidnischer Hand handelt, die Judith als gesetzestreue Israelitin wie alles Heidnische verabscheut (vgl. Dan 1,8; Tob 1,12).” [41] Morton S. Enslin hingegen spricht von ritueller Reinheit [42] bezügl. Jdt 10,5, weshalb es auch hier in 12,2 eine Sünde wäre, von Holofernes zu essen (ebd. 144). Auch Erich Zenger verweist auf „Daniels Weigerung, sich durch Speisen von der Tafel Nebukadnezars zu verunreinigen (Dan 1,8-21), die in der LXX-Erweiterung des Esterbuches Ester in den Mund gelegte Verabscheuung heidnischer Speisen (Est C 28), die Sorgfalt, mit der Tobit heidnische Speisen vermeidet (Tob 1,10f.), und schließlich die Bereitschaft, eher den Opfertod auf sich zu nehmen, als sich durch unreine Speisen zu versündigen, in 2Makk 6,18-7,2.” [43] Dass Judit in 12,2 eigenen Proviant mit ins Lager des Holofernes nahm, hält er für ihre Absicht, „durch eigenen Proviant der Verunreinigung durch Speisen vom Tisch des Holofernes zu entgehen.” [44]

Diese Aufzählung von Tob, Dan, Est im Dienst der Interpretation von Jdt 12,1-2 lässt die Eigenart und Verschiedenheiten der Texte völlig außer Acht. Wie wir gesehen haben, spricht Ester von ihrer Distanz zu Hamans Tisch – und nicht von einer ‚Verabscheuung heidnischer Speisen’!

... kai synetaxen katastrosai aute apo ton opsopoiematon autou kai tou oinou autou pinein. Kai eipen Joudith Ou phagomai ex aouton, hina me genetai skandalon, all ek ton ekolouthekoton moi choregethesetai. (Jdt 12,1-2)

Judit werden von Holofernes nicht ‚Speisen’, sondern Leckerbissen vorgesetzt: opsopoiema sind Leckereien, die einen Bezug zum Backofen (opsopoieion) haben. Sie bekommt hier also nicht „Brot der Völker” vorgesetzt, auch nicht ein deipon, und kein patbag.Opson finden wir übrigens in Tob 2,2 und 7,9 als Köstlichkeiten auf jüdischen Tischen.

Judit kommt aus der belagerten Stadt Betulia, [45] wo die Menschen vor Durst umkommen. Sie nimmt Proviant mit sich: eine Flasche mit Wein, einen Krug mit Öl, einen Sack mit geröstetem Korn, Feigenkuchen und kultfähigem Brot (10,5). In der Stadt war also noch Essbares, aber die Zisternen waren leer, das Trinkwasser fehlte. Judit nimmt mit, was ihre Leute haben - darum auch kein Wasser. Die trockene Kost gleicht einem Fasten und enthält nur das Allernötigste. In 12,9 heißt es, dass Judit vor seinen Augen gegessen und getrunken hat von dem, was sie mitgenommen hatte. Sie hat also weiterhin kein Wasser zu sich genommen. Damit bleibt Judit in Verbindung mit den Belagerten, sie isst solidarisch [46] und lässt sich nicht auf die Köstlichkeiten im Lager der Feinde ein.

Bemerkenswert ist, dass der Ausdruck skandalon (Jdt 12,2) nicht in den Reinheitsgesetzen des Alten Testaments auftaucht. Skandalon bezeichnet in der LXX stets einen Anstoß, ein Hindernis, eine Falle, die das Gehen erschwert. (Leviticus 19,14: ein Hindernis auf dem Weg eines Blinden; Jos 23,19; Ri 2,3; 8,27; 1Makk 5,4: diese Völker drangsalierten Israel, waren eine Plage für Israel; 1Sam 18,21: Michal wurde David zur Falle: Er konnte sich nur schwer von ihr befreien.)

Fazit: Die Wortwahl macht klar, dass Judit nicht in die Falle gehen will, die Holofernes ihr mit dem Tisch voller Köstlichkeiten gestellt hat. Sie gehört zu den Ausgehungerten und kennt die Macht des Hungers, gegen die sie sich zur Wehr setzt. Sie will sich nicht durch einen vollen Magen von ihrem Plan abbringen lassen. Dieser Plan ist schwer genug, ein Hindernis kann sie nicht brauchen (z.B. einen vollen Magen, der sie träge machen würde oder eine dankbare Sattheit, die sie zögern lassen könnte). Es kann auch sein, dass Judit den mit Köstlichkeiten gedeckten Tisch als Falle durchschaut, die Holofernes ihr aufgestellt hat, um sie sexuell zu erobern. Mit ihrer Konsequenz wahrt Judit auch die Solidarität mit den Belagerten und isst nur, was diese auch haben.

4 Sich verwirren lassen

Die exegetischen Untersuchungen zeigen, vor welcher Schwierigkeit wir stehen: Wir haben es mit verschiedenen alten Sprachen zu tun, mit griechischen Versionen und Übersetzungen aus dem Hebräischen oder Aramäischen, wobei die Originale zuweilen nicht mehr überliefert sind. Wenn die vielfältigen Ausdrücke aber mit dem generellen Begriff ‚Speisen’ übersetzt werden, werden nicht nur die Eigenarten der Texte und ihr sprachlicher Reichtum nivelliert. Diese Übersetzung suggeriert zudem eine Verbindung zu den Speisegesetzen. Sobald diese Linie gezogen ist, scheint es unmöglich, die Texte anders zu verstehen.

Exegetische Arbeit kann Stereotypen und ideologische Engführungen der AuslegerInnen durchbrechen. Dank kulturanthropologischer und kulturwissenschaftlichen Forschungen wissen wir, wie komplex gemeinsame Mahlzeiten sind. Essen verbindet. Essen verpflichtet. Teilnahme an bestimmten Essen kann transformieren, kann Abhängigkeiten schaffen, Geschlechterrollen und soziale Hierarchien fortschreiben oder unterlaufen. Essen hat mit Menschlichkeit zu tun: damit, dass wir Körper sind und angewiesen auf Nahrung und Erfrischung, wie damit, dass wir soziale Wesen sind und angewiesen auf Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Solidarität drückt sich im Essen oder im Nichtessen aus. Hunger ist ein existentielles Thema, wie auch die politischen Dimensionen des strukturell bedingten Hungers. Am Tisch entscheidet sich, wer wir sind, zu wem wir gehören, woher wir kommen. Unsere Identität offenbart sich. Gleichzeitig kann sie transformiert werden.

Dabei ergibt sich als erstes die hermeneutische Schwierigkeit, als selbst in Essen Involvierte über das Essen anderer nachzudenken. Biografische und kulturelle Selbstverständlichkeiten bilden oft einen blinden Fleck, stellen Weichen in der Wahrnehmung und Einordnung gemeinsamer Mahlzeiten. Wir müssen also ganz von vorn anfangen. Es ist nach der Methode zu fragen, wie wir mit den alten Textzeugen umgehen und wie wir die Beobachtungen einordnen können.

Dennis E. Smith diskutiert Mahlzeiten aufgrund einer umfassenden Bankett-Tradition, auf deren Hintergrund ganz verschiedene Formen und Ausgestaltungen von gemeinsamen Mahlzeiten Platz finden. Damit vermeidet er die Trennung von gemeinsamen Mahlzeiten in ‚heilige’ (sacred meals) und gewöhnliche Mahlzeiten (secular meals). [47] Das halte ich für einen grundlegenden Verdienst, hinter den wir nicht zurückgehen können.

Doch zeigt sich methodisch die Notwendigkeit, genauer ins Detail zu gehen, um den verschiedenen Schriften gerecht zu werden und um weitere Aspekte von gemeinsamen Mahlzeiten herausarbeiten zu können. Wir haben es mit den vier untersuchten Schriften sowohl mit Schilderungen von Symposien zu tun (in Est, Dan), wie auch von Mählern in privaten Räumen (Est, Jdt, Tob), von öffentlichen religiösen (Tob, Jdt) und familiären Festmählern (Tob), so wie von der Tischgemeinschaft am königlichen Hof (Est, Dan). Familiäre und politische Interessen sind bei diesen Mahlzeiten auszumachen, Frauen wie Männer sind präsent. [48] Diese Schriften gehören in die jüdische Geschichte hinein. Mahlzeiten erscheinen als Orte des Kampfes, der strategischen Kriegsführung, der diplomatischen Schachzüge, wie auch als Orte der Solidarität, der Gemeinschaft mit Gott, den Armen und Notleidenden. Am Tisch geschehen Inkorporationen, Transformationen und Verbindungen. Die untersuchten Beispiele abgelehnter Tischgemeinschaft erzählen von der Macht gemeinsamer Mahlzeiten, ihren Gefahren und Deformationen.

Wenn wir genauer ins Detail gehen, lassen wir uns durch die Texte verwirren. Klare Thesen geraten in den Hintergrund, müssen der exegetischen Analyse Raum geben.

Dieser methodische Schritt des ‚ins Detail Gehens’ wurde in der Kulturwissenschaft von Clifford Geertz ‚dichte Beschreibung’ genannt. [49] Geertz hat in seinen Tagebüchern der Ethnographie erkannt, dass die ‚dichte Beschreibung’ ein kompliziertes intellektulles Wagnis darstellt. [50] Die Beschreibung dessen, was Menschen tun (z.B. miteinander essen), bleibt immer hinter der vielschichtigen Wirklichkeit zurück, bleibt Auslegung davon, wie andere Menschen ihr eigenes Tun und das ihrer Mitmenschen auslegen. Schon eine ganz elementare Beschreibung ist ‚dicht’, denn sie beruht auf einer geschichteten Hierarchie bedeutungsvoller Strukturen: „Analyse ist also das Herausarbeiten von Bedeutungsstrukturen... die Ethnographie ist dichte Beschreibung.” [51]

Diese methodische Einsicht in die Komplexität und Dichte von Beschreibungen des Kulturellen hat auch hermeneutische Konsequenzen. Die Einteilung der Wirklichkeit in ‚theologisch relevant’ und ‚trivial’ wird damit kritisierbar. Das heißt, Mahlzeiten sind nicht nur dann interessant, wenn sie unter dem Fokus ‘jüdische Reinheitsgesetze’ diskutiert werden können. Mahlzeiten sind Orte der täglichen Praxis und der Erneuerung des Lebens – und damit immer theologisch relevant. Dabei kann an die Entdeckung des Alltäglichen als Ort des Lebens und des Kampfes in feministisch-befreiungstheologischer Diskussion angeknüpft werden. [52]

5 Konsequenzen

1. Die Sichtung von Auslegungen hat gezeigt, wie oft Dan 1,8; Tob 1,10-11; grEst C 28; Jdt 12,1-2 sich gegenseitig erklären müssen. Innerbiblische Wortfelder und der literarische Kontext werden dabei nicht geprüft und die spezifische Wortwahl der Texte wird außer Acht gelassen. Oftmals wird gegen die Evidenz des Textes auf die jüdischen Speisegebote rekurriert, oder es wird ein diffuses Verbot heidnischer Tischgemeinschaft angenommen, ohne dass dafür Belege angeführt werden. So bilden diese Beispiele abgelehnter Tischgemeinschaft in der Auslegung eine Art hermetischen Block. Die Auslegung stützt sich ihrerseits auf die kaschrut (oft nicht antiker Gestalt) oder notfalls auf ein diffuses Verbot heidnischer Speisen, das sich in seiner Ungreifbarkeit jeglicher Kritik gegenüber zu entziehen scheint.

2. Durch Essen entsteht Gemeinschaft. Tobit teilt darum sein Brot mit den Armen. Er will nicht so werden wie seine Geschwister, die diese Gemeinschaft aufkündigen, indem sie ihr Brot, ihre Ernte etc. nicht mehr angemessen verzehnten. Dass in diesem Zusammenhang vom ‚Brot’ als dem Grundnahrungsmittel die Rede ist, erscheint passend und gibt meiner Auslegung Recht.

3. Tischgemeinschaft kann transformieren. Die Texte wissen von der transformierenden Kraft gemeinsamer Mahlzeiten und den sozialen Bindungen, die durch den Tisch entstehen. In diesem Kontext ist die Wortwahl in Dan 1,8 zu beachten. Das Lehnwort aus dem Altpersischen patbag passt treffend an den Hof eines fremden Königs, wo unglaubliche und unbekannte Leckereien aufgetischt wurden. [53] Diese können gar nicht alle mit der eigenen Sprache bezeichnet werden. Daniel und seine Freunde haben durchaus am Hof gegessen, aber sie haben nicht alles Mögliche, z.B. patbag, gegessen. Natürlich gehört dieses Lehnwort nicht in die Speisegesetze. Das Verb alisgein weist zudem daraufhin, dass Daniel und seine Freunde auch als Weisheitsschüler bleiben wollten, wer sie waren und sich vor einer möglichen Transformation zu abhängigen, verstrickten, ihrer Ehre beraubten Höflingen (siehe Dan 11,26) verwahren wollten. Eine solche Verwahrung sollte nicht nur auf die Dualität ‚jüdisch-nichtjüdisch’ reduziert werden. [54]

4. Dagegen zeigt griechEst C 28 mit der pauschalen Distanzierung von Hamans Tisch, dass Ester grundsätzlich Gemeinschaft mit diesem Intriganten ablehnt. Sie war zwar mit einem Nichtjuden verheiratet, sie lebte am Hof und hatte die Gesetze des Hofes zu befolgen. Doch hat sie nie gemeinsame Sache mit Haman gemacht. Dass Ester keinen geweihten Wein getrunken hat, unterstreicht ihre Distanz gegenüber den Trinkgelagen am Hofe, an denen Politk gemacht wurde. Ester definiert sich in C 28 als nüchtern politischen Machtspielen gegenüber. Doch eine kategorische Ablehnung gegenüber nichtjüdischen Mahlzeiten lässt sich damit nicht begründen.

5. Jdt 12,2 spricht differenziert von opsopoiema, also Leckereien, gebackene Köstlichkeiten, und kontrastiert damit die einfache Diät, die Holofernes Betulia diktiert (getrocknete Feigen und geröstete Körner). Judit lässt sich nicht auf die Spielchen des Holofernes ein. Er hat es auf sie abgesehen, sie durchschaut die opsopoiema als Falle. Die entscheidende Schlacht wird hier am Tisch geschlagen, und Holofernes wird sie nicht gewinnen.

6. Die exegetische Analyse zeigt die Bedeutung der Ess-Sprache, zu der auch die Ablehnung von bestimmten Speisen, resp. die Distanz zu bestimmten Menschen gehört. Statt dem Erklärungsmodell ‚jüdische Separationsbestrebung im 2. Jhr. v. Chr.’ zu folgen und ihm alle textlichen Besonderheiten unterzuordnen, schlage ich vor, die Ess-Sprache als dichte Beschreibung wahrzunehmen. Damit lassen sich Aspekte von gemeinsamen Mahlzeiten herausarbeiten, die bisher vernachlässigt wurden.

7. Wenn wir gemeinsame Mahlzeiten als Orte der Praxis und der Erneuerung des Lebens verstehen – und auch die Distanzierung vom Tisch auf diesem Hintergrund interpretieren – dann wird die Einteilung der Wirklichkeit in ‚theologisch relevant’ und ‚trivial’, resp. ‚theologisch vernachlässigbar’ obsolet. Dies erscheint mir ein notwendiges Postulat feministischer Hermeneutik: gemeinsame Mahlzeiten sind nicht nur methodisch aufgrund einer gemeinsamen Bankett-Tradition (siehe Smith), sondern auch hermeneutisch aufgrund einer komplexen Wirklichkeitswahrnehmung zu diskutieren, die alltägliche, triviale, allgemein menschliche Dimensionen außer Acht lässt und dafür monolineare Interpretationen überstrapaziert.

 

[1] Die Datierung der Schriften erfolgt trotz großer Unsicherheiten meist zwischen 200 und 100 v. Chr. und in zeitlicher Nähe von einander. Über die Bezeichnung lässt sich streiten: Siehe John J. Collins, Daniel. A Commentary of the Book of Daniel. Formation and interpretation of Old Testament literature 2. Minneapolis 1993, 42-44, wo Dan und Est zu „weisheitliche Lehrerzählung” oder „court tales,” „court legends” oder „tales of court conflict” gezählt werden. Dieser Fokus trennt sie von Jdt und Tob – während Tob, Jdt und Est im Judentum meist gemeinsam überliefert sind. Die in der Diaspora entstandenen, spätbiblischen oder postbiblischen Schriften werden aber zusammengesehen z.B. von Adele Berlin, Ester. The Jewish Publication Society Bible Commentary. Philadelphia 2001, xxxiv: Jdt ist in Samaria angesiedelt, was von Jerusalem aus gesehen, als Diaspora gelten mag.

[2] Die Speiseverbote (kaschrut) nehmen im Judentum diesbezüglich eine wichtige Rolle ein. Die Nahrungsmittel können geradezu als „Code” interpretiert werden, der es ermöglicht, die am Mahl herrschenden Sozialstrukturen zu entziffern (Mary Douglas, „Deciphering a Meal.” In: Clifford Geertz [ed.], Myth, Symbol and Culture. New York 1971, 61-81). Douglas hat insbesondere die kulturellen Codes untersucht, die sich mit dem Verbot des Essens bestimmter Tiere oder der Erlaubnis des Essens anderer in den Toravorschriften verbinden (dies., Implicit Meanings. Essays in Anthropology. London 1993). Die identitätsstiftende Funktion der kaschrut ist unbestritten, auch dass sie den Sozialverkehr zwischen Juden und Nicht-Juden erschwerten (Ed P. Sanders, „Jewish Associations with Gentiles in Galatians 2,11-14,” in: Robert T. Fortna/ Beverly R. Gaventa [ed.], The Conversation Continues. Studies in Paul and John. Nashville 1990, 170-188). Doch hat Harland darauf hingewiesen, dass in der Forschung der Fokus zu sehr auf Spannungen und Konflikte zwischen Gemeinschaften und der polis, resp. dem Imperium, gelegt werde, während jüdische Gemeinden viele Wege zur Interaktion mit der nicht-jüdischen Umwelt fanden (Philip Harland, Associations, Synagogues, and Congregations. Minneapolis 2003).

[3] Das Buch Tobit zeichnet Zweisprachigkeit aus (hebräisch und aramäisch). Welche die Originalsprache war, kann heute nicht mehr ausgemacht werden. Vielmehr ist die Zweisprachigkeit im Palästina des 2. Jh. v. Chr. anzunehmen. Siehe: Beate Ego, Buch Tobit. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Bd. II/6. Gütersloh 1999, 880. Da heute nur die griechische Fassung von Tob vollständig erhalten ist, greife ich auf diese in meinen Ausführungen zurück.

[4] Im Buch kommt – wie in Tob – eine Zweisprachigkeit zum Ausdruck. Dazu liegen zwei griechische Übersetzungen vor: die Septuaginta-Fassung (LXX) aus dem 1. Jh. v. Chr. und die Fassung des Theodotion aus dem 2. Jh. n. Chr.

[5] Hanna Kahana datiert es in das 2. Jh. v. Chr., spätestens bis 114, weil dieses Datum am Ende der LXX Version genannt wird. Sie meint, dass die Übersetzung ins Griechische um 94 v. Chr. vorlag. Siehe: Hanna Kahana, Esther. Juxtaposition of the Septuagint. Translation with the Hebrew Text. Leuven 2005, xxiv. Sie weist auch daraufhin, dass die Komposition und die Translation des Buches nur etwa 100 Jahre auseinanderliegen (ebd. xxvii).

[6] Die hebräische Fassung wird meist in die hasmonäische Zeit datiert, griechische Zusätze liegen bereits um 77 v. Chr. vor. Siehe: Carey A. Moore, Judith. A new Translation with Introduction and Commentary. The Anchor Bible 40. New York 1985; Tal Ilan, Integrating Women into Second Temple History. Tübingen 2001, 137; Morton S. Enslin and Solomon Zeitlin, The Book of Judith. Jewish apocryphal literature 7. Leiden 1972, 181; André LaCocque, The Feminine Unconventional: Four subversive Figures in Israel’s Tradition. Minneapolis 1990, 1-6.

[7] Daniel und seine Freunde essen zumindest Gemüse an der königlichen Tafel.

[8] S.u. zu C 28: Ester betont, nicht vom Tisch des Haman gegessen zu haben. Er aß aber von ihrem Tisch.

[9] Mit C 28 oder grEst 14,7 handelt es sich um einen griechischen Appendix zu Est. Diese prononcierte Distanzierung zum Tisch Hamans findet sich nicht in in der biblischen Version des Buches Ester. Im folgenden wird es deshalb hauptsächlich um diese griechischen Zusätze gehen.

[10] „These texts all idealize Jewish heroes and heroines who abstain from gentile food as a means of maintaining their Jewish identity. In all cases the context is that of conflict with the gentile world, and gentile food in general is proscribed.” In: Dennis E. Smith, From Symposium to Eucharist. The Banquet in the Early Christian World. Minneapolis 2003, 163.

[11] Schwartz spricht von einer „loosely integrated Palestinian Jewish society in the later first millennium” (19), einer Gesellschaft, die sich nach dem Zusammenbruch der stabilen persischen Vorherrschaft im 2. Jh. v. Chr. stark veränderte. Ein wichtiger Faktor habe dabei die Expansionspolitik der Hasmonäer gespielt. Um 130 gehörte zu jüdisch Palästina nur Judäa, aber um 100 beherrschten die Hasmonäer schon das ganze palästinische Hinterland, von den Bergen in Galiläa bis zur Negev-Wüste im Süden, vom Jordan bis zur Küste. Die Menschen innerhalb dieses Gebietes, außer denjenigen Judäas, waren eine gemischte Menge von Edomiten, samaritanischen Israeliten und in Galilläa eine Mischung von Arabern, Griechen und Syriern – alle wurden unter den Hasmonäern zu Juden. Die südlichen Idumäer wurden vor die Wahl gestellt, zu emigrieren oder jüdisch zu werden (37). Griechische Städte wurden zerstört und ihre Einwohner getötet oder versklavt (38). Aristobulos eroberte Galiläa. Auch hier wurden die Araber und Ituräer gezwungen, zum Judentum zu konvertieren und zu beschneiden. Siehe: Seth Schwartz, Imperialism and Jewish Society 200 B.C.E. to 640 C.E. Princeton 2001.

[12] Ebd. 10 und 9. Siehe auch: „The idea that sharing a meal together creates a sense of social bonding appears to be a universal symbol. Yet the nuances of how this is communicated and to what degree will vary from culture to culture.” (ebd. 14).

[13] Im folgenden sind die beiden biblischen Bücher „Über die Zeit der Königinnen und Könige” mit 1 Kön/2 Kön abgekürzt.

[14] Vgl. Jer 52,34. Unter den babylonischen Tonquittungen aus dem Jahre 592 v. Chr. fanden sich vier verschiedene Quittungen über Lebensmittelausgaben, die König Jojachin erwähnten. Zudem hatte der babylonische Verpflegungsintendant in drei Fällen fünf Söhne des Königs aufgeführt, die der Obhut eines Dieners mit dem jüdischen Namen „Kenaiaj” anvertraut waren. Als weitere Rationsempfänger aus Nebukadnezars Magazinen waren acht Personen des Landes Juda vermerkt. Jojachin hatte samt Familie und Gefolge zu Babylon im Palast Nebukadnezars gelebt. Auf den Tontafeln wurde genau dokumentiert, was Jojachin damals verspeiste. Siehe: Ernst F. Weidner, Jojachin, König von Juda, in babylonischen Keilschrifttexten, in: Mélanges syriens offerts à René Dussaud II. Paris 1939, 923-935.

[15] Die folgenden Zitate stammen aus der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache 2006.

[16] So aß Ester mit Ahasveros (aber nicht mit Haman) und die Ältesten von Betulia aßen mit Achior (Jdt 6,21), Judit aber nicht mit Holofernes. Daniel verzichtet am Hof auf feines Essen explizit nur während drei Wochen (Dan 10,3). Tobit erzählt von seinen jüdischen Geschwistern, dass sie vom Brot der Völker gegessen haben (Tob 1,10).

[17] Bolyki hat Tischgemeinschaften Jesu untersucht und dabei sechs Motivgruppen unterschieden, die in unterschiedlichen Gattungen und Unterthemen gemeinsam vorkommen. Diese sind: Situation, Invitation, Sozialisation, Partizipation (behandelt die Speisen und ihren Verzehr), Kommunikation und Transformation (welche Veränderungen die Tischgemeinschaft im Leben derer verursacht, die daran teilnehmen). Er vertritt die These von einer Wandlung der Mahlteilnehmenden (Janos Bolyki, Jesu Tischgemeinschaften. Tübingen 1998, 22-23 u. 54-58).

[18] Beate Ego, Tobit (s. Anm. 3), 923. Ebenso Heinrich Gross: „Manche Speisen der Heiden sind unrein (Ex 4,13; Hosea 9,3), weil sie als Götzenopfer dienten (Ex 34,15), weil sie von unreinen Tieren stammten, z.B. Schweinen, oder weil sie auf verbotene Weise zubereitet worden waren (Ex 23,19).” In: ders., Tobit – Judit. Die neue Echter Bibel. Würzburg 1987, 17.

[19] Beate Ego, Tobit (s. Anm. 3). Im selben Sinn liest auch Helen Schüngel-Straumann, wobei sie die Diaspora-Situation als Erschwerung der Gesetzestreue betont: „Während alle seine Volksgenossen sich an den Speisen der Heiden verunreinigen, hält sich Tobit auch hier streng an das Gesetz, wobei wieder ein anderer Aspekt dieser Gesetzestreue in den Blick kommt, nämlich das Faktum, dass in späterer Zeit, bei dem engen Zusammenleben mit anderen Völkern, die Speisegebote schwer einzuhalten sind.” Helen Schüngel-Straumann, Tobit. Herders Theologischer Kommentar. Freiburg/ Basel/ Wien 2000, 60.

[20] Meinrad M. Schumpp, Das Buch Tobias, übersetzt und erklärt. Exegetisches Handbuch zum Alten Testament 11. Münster 1933, 22.

[21] So bei Beate Ego, Tobit (s. Anm. 3), 922.

[22] Interessant erscheint die Interpretation im Buch Tobit: während in Deuteronomium 14,29 jeder dritte Zehnte für die Leviten, Fremden, Waisen und Witwen hinterlegt werden soll, versteht Tobit unter ‚Fremden’ offenbar ‚Proselyten.’

[23] „Der Zehnte wird in jedem dritten Jahr zur ersten bekannten Sozialsteuer umfunktioniert, von der neben den Leviten auch die Fremden, Waisen und Witwen profitieren können sollen. In den beiden anderen Jahren ist es eine Steuer, die von den Besitzern selber im Gemeinschaftsmahl im Tempel verzehrt wird. In dieser Umfunktionierung widerspiegelt sich die joschijanische Kultreform, die den Tempelbetrieb auf Jerusalem reduzierte. Der dadurch entstehende Überfluss an Steuergütern kommt sinnigerweise den Bedürftigen zugute. Aufgrund der verschiedenen Auffassungen vom Zehnten kommt es später zur Erhebung von zwei Zehnten: der erste ist der Levitenzehnte, der zweite der deuteronomische Zehnte (vgl. Tob 1,6-8; Jub 32,9ff.). Manchmal wird sogar ein dritter, der Armenzehnte, erwähnt.” Thomas Staubli, Die Bücher Levitikus. Numeri. Neuer Stuttgarter Kommentar, Stuttgart 1996, 272.

[24] Gesenius erklärt es als ‚Bissen, Brocken, Leckerbissen, Speise von der königlichen Tafel, den Höflingen zugeteilt.’ In: Wilhelm Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Wörterbuch über das Alte Testament, 18. Aufl. Berlin 1995. Doch ist unklar, woraus dieser Leckerbissen besteht. Im bTalmud lässt sich patat als ‚Brot, Stücke’ finden (Baba Meziah 107b; Abodah Zara 2,6; Yoma 74b). Siehe: Marcus Jastrow, A Dictionary of the Targumin, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature. Jerusalem o.J., 1250.

[25] Hingegen behauptet Smith, dass es hier um Fleisch gehe, was seiner These dienlich ist: „What exactly is defiling about the king’s food is not stated, but since it is wine as well as meat, it would appear that idolatry is the primary motif since wine derived its impurity from its use in idolatrous libations.” (Dennis E. Smith, Symposium [s. Anm. 10], 163.)

[26] Tobit war königlicher Einkäufer (Tob 1,13). „Es handelt sich wohl um eine bedeutende Stellung, die mit ausgedehnten Reisen und gutem Verdienst (vgl. 1,14) sowie mit dem Einkauf der für den königlichen Hof notwendigen Güter verbunden war.” Beate Ego, Tobit (s. Anm. 3), 922-923.

[27] Doch in Dan 10,3 lesen wir: „Ich aß kein begehrenswertes Brot und Fleisch und Wein kam nicht in meinen Mund.” Dieses ausdrückliche Fasten von Daniel dauert drei Wochen. Das bedeutet eine Ausnahmezeit. Folglich aß und trank Daniel sonst begehrenswerte Dinge.

[28] „Daniel’s motivation is quite explicit in the text: ‘that he should not be defiled.’ The verb g-a-l in the sense of ‚defile’ is used most often in connection with blood (Isa 59:3; 63:3; Lam 4:14; 1QM 9:8) but also with impure offerings (Mal 1:7,12) and with disqualification from the priesthood (Ezra 2,62; Neh 7:64). ... Yet, strictly speaking, the royal food and drink are not prohibited by the pentateuchal laws. It has long been observed that there is no biblical prohibition against wine... Daniel’s objection to the royal food is in the spirit of the biblical laws insofar as it is concerned with purity and defilement, even though it goes beyond the specific prohibitions of the Torah.” John J. Collins, Daniel (s. Anm. 1), 142.

[29] Jedoch lässt die Aussage von Hosea 9,4 mit dem Ausdruck das „Brot der Völker” aus Tob 1,10-11 anklingen: das Brot ohne Bezug zur Gottheit Israels essen, in der Weise der Völker, d.h. ohne Verbindung mit dem Tempel (durch Verzehnten und Wallfahrten) und ohne der Armengesetze eingedenk sein.

[30] Das Verb wird auch im Neuen Testament nicht verwendet.

[31] In Maleachi 1,12 wird sogar der Tisch Gottes ‚eklig’ genannt, weil er durch die billigen Opfer entweiht wird.

[32] Die Bewahrung der Identität ist in Jesus Sirach ein zentrales Thema. Dies geschieht in Auseinandersetzung mit Verhaltensweisen, die anstößig, entehrend, befremdend sind. Allotrios wird daher häufig verwendet. In den gesamten Vorkommen von allotrios in Jesus Sirach ist aber nie eindeutig, dass damit nicht-jüdische Menschen gemeint sind. So geht es in 9,8 um die fremde Schönheit, d.h. einer Frau, die einem Mann nicht gehört und nicht für ihn bestimmt ist, so wie eine verheiratete Frau (9,9), eine Prostituierte (9,6), eine Saitenspielerin (9,4) oder eine Jungfrau (9,5). In 29,21-22 geht es um den Gegensatz „daheim” – „fremd”, im Sinne von Privatsphäre haben oder nicht haben. In 29,18 schillert das Schicksal von Emigranten auf, die unter „fremden Völkern” leben mussten. Jedoch verwendet Jesus Sirach für die nichtjüdischen Völker in der Regel ethnos und nur hier allotrios ethnos. Somit erscheint das Los der Emigranten darum als hart, weil sie fremd herumirren unter den Völkern, d.h. im Blick ist nicht die Nichtjüdischkeit der Völker, sondern das Herumirren in der Fremde.

[33] Nebukadnezar nahm Jerusalem nach einer Belagerung ein, die wegen einer große Hungersnot in der Stadt viele Opfer forderte. Er ließ auch Mitglieder vom Tempelpersonal und der Königsfamilie umbringen (vgl. 2Könige 25,1-3).

[34] Die griechische Übersetzung von Ester wird von Tal Ilan auf 78-77 v. Chr. datiert. Sie sei in Jerusalem gemacht und dann nach Ägypten gebracht worden. Tal Ilan geht davon aus, dass Ester, Judith und Susanna eine literarische Einheit bilden. Möglicherweise hätten sie den hasmonäischen Königinnen als Propagandaliteratur gedient, darunter auch Shelamzion Alexandra. Siehe Tal Ilan, Integrating Women (s. Anm. 6), 136.

[35] Adele Berlin stellt dies im Vergleich mit Dan und Jdt fest: „While Daniel (ch. 1) took pains to observe the rules of kashrut, as did Judith (12,2), no mention of any dietary observance is mentioned here.” Adele Berlin, Esther (s. Anm. 1), 27.

[36] „The Septuagint has made Esther into a pious Jewess of the Hellenistic (early rabbinic) period, who disdains marriage with a non-Jew, eats only kosher food, and does not drink wine used for libations to pagan gods.” Ebd. li.

[37] Hans Bardtke, Historische und legendarische Erzählungen. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. I/1. Gütersloh 1973, 46.

[38] Jon D. Levenson, Esther. A Commentary. Old Testament library. London 1997, 86.

[39] Z.B. David J. Clines, The Esther Scroll: The Story of the Story. Sheffield 1984; M.V. Fox, The Redaction of the Books of Esther. Atlanta 1991.

[40] Dies wird in der Übersetzung von William Whiston allerdings zu: „bidding farwell to meat and drink and all delicacies...” William Whiston, The Works of Josephus. Complete and Unabridged. New updated edition 1995.

[41] Ernst Haag, Studien zum Buch Judith. Seine theologische Bedeutung und literarische Eigenart. (Diss) Trier 1963, 50.

[42] „Judith is careful to avoid ceremonial defilement through eating other than ritually permitted food or through its preparation in foreign dishes and utensils which might well prove ‘unclean’. The same attitude is seen in Daniel’s avoidance of unclean food; Esther, on the contrary, apparently is quite unconcerned about such niceties, but in the later Greek additions she is made to express horror at such violations of ritual purity.” Morton S. Enslin and Solomon Zeitlin, The Book of Judith. Leiden 1972, 128.

[43] Erich Zenger, Das Buch Judit. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Bd. 1/6. Gütersloh 1981, 503.

[44] Ebd. 496.

[45] Betulia lag in Samaria. Die Samaritaner erscheinen auch als die guten Juden (4,4-8; 15,3-5). Die Schrift wurde um 100 v. Chr. auf Hebräisch verfasst, jedoch ist sie nur auf Griechisch überliefert. Carey A. Moore datiert sie in hasmonäische Zeit. (Carey A. Moore, Judith [s. Anm. 6]; so auch Morton S. Enslin and Solomon Zeitlin, Judith [s. Anm. 6], 181. Die hasmonäische Zeit endete 63 v. Chr., dauerte also 105 Jahre lang. Genau so lange lebte Judit (Jdt 16,23).

[46] Es wäre auch zu fragen, ob Daniel und seine Freunde solidarisch mit ihren deportierten Verwandten aßen, indem sie auf die Leckereien am Hof verzichteten und nur osprion – „Gemüse, Hülsenfrüchte” und Wasser nahmen.

[47] „I consider meals to have an integrative function in ancient society in which they combine the sacred and the secular into one ritual event.” (Dennis E. Smith, Symposium [s. Anm. 10], 6).

[48] So hat Angela Standhartinger darauf hingewiesen, dass in der sog. Symposienliteratur die religiöse Festkultur ausgeblendet wird. Da Symposien als Trinkgelage von Männern verstanden werden können, die im Anschluss an eine Mahlzeit gehalten wurden, ist mit ihnen die Präsenz von Frauen per definitionem unwahrscheinlich. Hingegen zeigt Standhartinger, dass Frauen an religiösen und familiären Festen anwesend waren. Angela Standhartinger, Frauen in Mahlgemeinschaften. Diskurs und Wirklichkeit einer antiken, frühjüdischen und frühchristlichen Praxis.In: Lectio difficilior 2/2005.

[49] Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt 1983.

[50] Ebd., 10.

[51] Ebd., 15.

[52] Das Alltägliche ernst zu nehmen als Ort all unserer Entscheidungen und Feste, als Ort des Lebens, der zu gestalten ist, verhindert auch eine Abwertung oder Ignorierung von traditionell Frauen zugeordneten Tätigkeiten, wie Essenszubereitung, Aufräumen, Waschen, Organisieren des Haushaltes etc., sowie des Privaten. Siehe dazu Ivone Gebara, Die dunkle Seite Gottes. Wie Frauen das Böse erfahren. Freiburg u.a. 2000, 12; Ina Praetorius, Zum Ende des Patriarchats. Theologisch-politische Texte im Übergang. Mainz 2000, 39; Luzia Sutter Rehmann, Sabine Bieberstein, Ulrike Metternich (Hg.), Sich dem Leben in die Arme werfen. Auferstehungserfahrungen. Gütersloh 2002, 11.

[53] „The more common picture of Persian eating habits in Greek literature, however, is one of luxury and extravagance....” In: Heleen Sancisi-Weerdenburg, Persian Food. Stereotypes and Political Identity. In: John Wilkins, David Harvey, Mike Dobson (eds.), Food in Antiquity. Exeter 1995, 292. So werden z.B. ganz servierte Schweine, Hirsche und Schafe, ja sogar ein ganzes gegrilltes Kamel bei Antiphanes in Athenaeus 4.130e-f genannt (ebd. 293).

[54] Dabei kann die Verwurzelung in der eigenen Religion, Kultur, Ethnie durchaus helfen, diese Grenzen zu setzen. Doch besteht keine Notwendigkeit, alle möglichen Grenzziehungen als speziell jüdisch anzusehen.

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Dr. Luzia Sutter Rehmann,

ist Titularprofessorin für Neues Testament an der theologischen Fakultät der Universität Basel und Studienleiterin am Arbeitskreis für Zeitfragen, Biel. Sie leitet zur Zeit ein Schweizer Nationalfonds-Projekt zum Thema „Gemeinsame Mahlzeiten. Orte religiöser Praxis und Identität im Judentum des Zweiten Tempels und bis ins frühe Christentum “. Sie hat das Lukasevangelium für die Bibel in gerechter Sprache (Gütersloh 2006) übersetzt.

©Luzia Sutter Rehmann , 2008, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317

 
 
 
 

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