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01-2002
Ausgabe 01/2002
Silvia Schroer Häusliche und außerhäusliche religiöse Kompetenzen israelitischer Frauen – am Beispiel von Totenklage und Totenbefragung
Abstract:
This article discusses the basic question of whether the „home“ can be considered a distinctive feature for the study of religious competencies of women and men in ancient civilizations. Did women have more freedom to follow religious practices in the home than outside it? Using the example of funeral rites, the article shows that death provided occasions for women to act in public and on behalf of the community. This applies to Ancient Greece, as well as to Egypt and the Near East, as not only literary evidence, but also the iconography of these cultures show. For different reasons, the power of women in the domain of mourning and wailing was, however, controlled and restricted. In biblical sources, full female authority can only be found in the case of one single mantic woman consulting the dead in her house. Usually, however, the home is not a fovourable setting for the religious self-determination of women, since here they are under the immediate supervision of the pater familias.
Religiöse Handlungen spielen sich von der Antike bis heute in verschiedenen Sphären ab, in Wohnräumen, im Freien oder in speziellen kultischen Gebäuden. Eine Untersuchung der Arbeitsteilung der Geschlechter im religiösen Bereich stößt früher oder später auf die Frage, ob das „Haus“ eine für ihre Zwecke nützliche analytische Kategorie ist, die zu Klärungen beiträgt.
Wir verbinden mit „Haus“ ganz bestimmte Vorstellungen neuzeitlich-bürgerlicher Prägung. Ein Wohnhaus ist für uns westlich Moderne ein so solides und großes Gebäude, dass man draußen nicht hört und sieht, was drinnen passiert. Das Wohnhaus mit den sprichwörtlichen eigenen vier Wänden ist der Raum des privaten Lebens. My home is my castle. Dem Haus als Privatbereich steht die Öffentlichkeit bzw. die Straße gegenüber. Das Haus hat in unserer kulturellen Tradition, aber beispielsweise auch in arabischen Ländern, [1] ein Gender-Vorzeichen; es ist weiblich, denn das Haus gilt noch immer vor allem als die Domäne der Frau. Sie ist „häuslich“, kümmert sich um Haus und Kinder, während der Mann den Alltag mehrheitlich außer Haus verbringt. Im Haus hat die Frau Pflichten, Verantwortung, aber auch Rechte und Freiheiten. Nun stimmen diese Zuweisungen aus verschiedenen Gründen im Blick auf die orientalische Antike und den Kulturraum, aus dem die biblischen Schriften stammen, nicht.
Das Haus im alten Israel
Im alten Israel bedeutet bet, „Haus“, sehr häufig die Hausgemeinschaft, zu der Familienmitglieder von mindestens zwei Generationen, aber auch SklavInnen und die Haustiere gehören. Daneben bezeichnet bet das Gebäude, das normalerweise recht klein war, mit einem Innenhof, einer Schlafkammer hinten, bei wohlhabenderen Leuten mit einem Obergeschoss, das als Schlafboden, Lagerraum oder auch einmal als Gästezimmer benutzt wurde. Die Mehrzahl (70%) der israelitischen Häuser der frühen Eisenzeit hat beispielsweise einen Grundriss von nur fünfzig bis maximal hundert Quadratmetern und zwar einschließlich des kleinen, manchmal wohl überdachten Innenhofs, in dem sich ein Teil des Alltagslebens abspielte und wo sich nachts noch ein Teil der Haustiere aufhielt. [2] Manche Alltagsarbeiten wurden sicherlich auf den Gassen und freien Plätzen rings um die Häuser verrichtet.
Dem „Haus“ gegenüber steht das „Tor“, die Agora der israelitischen Siedlungen, als der Ort des öffentlichen Lebens und der öffentlichen Institutionen wie Markt und Handel, Gerichtsbarkeit usw. Neben dem Torbereich haben Teile des Palastes sowie außerhalb und innerhalb der Siedlungen liegende Heiligtümer (bamah, Tempel), aber auch Friedhöfe einen öffentlichen Charakter.
Wir müssen uns bewusst sein, dass ein Haus in einer altisraelitischen Siedlung nur eingeschränkt Ort eines privaten Wohnlebens und nur begrenzt Ort der Verborgenheit war. Man hört und sieht auf der Gasse viel zu viel vom Innenleben eines Hauses. Paläste konnten eine größere Schutzzone bieten. Wenn Ahab und Isebel fiktiv miteinander im Schlafzimmer Pläne schmieden (1 Könige 21,4-7), kann das allenfalls geheim bleiben, aber im konkreten Fall hatten sogar die Palastwände Ohren. Die badende Batscheba bleibt, obwohl sie eine Oberschichtsangehörige ist und gewiss in einem großen Haus lebt, den Augen Davids, dessen Palast höher gelegen ist, nicht verborgen (2 Samuel 11,2). Wenn Amnon beabsichtigt, seine Halbschwester Tamar zu vergewaltigen, so muss er sie nicht nur in eine der hinteren Kammern des Palastes locken, sondern auch noch alle Personen hinausschicken, die sich in den Räumen aufhalten (2 Samuel 13,1-22). Das israelitische Gesetz geht davon aus, dass eine Vergewaltigung innerhalb einer Siedlung nicht unbemerkt geschehen kann, weil das Schreien einer Frau überall gehört würde (Deuteronomium 22,23-27). Es gibt wenig Privatraum im alten Israel, weshalb sowohl die Mörder (Genesis 4,8) als auch die Liebenden (1 Samuel 20,35-42) das Feld, d.h. die freie Landschaft außerhalb der Siedlungen, aufsuchen, um ungestört zu sein, und weshalb auch Engel ganz persönliche Botschaften lieber auf dem Feld als im Haus überbringen (Richter 6,11-24; Richter 13). Wenn etwas heimlich geschieht, wie das Aufstellen von Götterbildern (Deuteronomium 27,15), dann sollten wir eher an einen Ort weit draußen als an einen Winkel im Haus denken.
Ein Haus im sozialen Sinn des großfamiliären Verbandes bietet Schutz, als Gebäude ist ein Haus nur begrenzt sicher. Rahab versteckt zwar die Kundschafter in ihrem Haus, aber sie muss schleunigst dafür sorgen, dass sie von dort fliehen können (Josua 2). Ein Zelt oder Haus wird rasch einmal zur Falle, für Sisera (Richter 4,17-24), Eglon (Richter 3,11-30), Holofernes (Judith 13,1-10), für die Töchter Lots (Genesis 19), für die Nebenfrau des Leviten (Richter 19), für den von Saul bedrohten David (1 Samuel 19).
Die Grenzen zwischen Tor/Öffentlichkeit und Haus/Hausgemeinschaft sind durchlässig. Symbolisch ist diese Durchlässigkeit schon in der Erzählung von Sarahs Lachen hinter ihrer Zeltwand beim Besuch der drei Männer in Mamre (Genesis 18,9-16). Kultursymbolisch wird sie, wenn Abigajil als eigenständige Haus- und Betriebsverwalterin die Grenze ihres häuslichen Betriebs zugunsten einer sinnvollen Kooperation mit nicht zu ihrem Haus gehörigen und nicht einmal sesshaften Gruppen der neu entstehenden Gesellschaft durchbricht (1 Samuel 25). [3] Programmatisch wird diese Durchlässigkeit im Buch der Sprüche, wo die Frauenweisheit im Tor und im Haus als Rahmen und Motto das Buch strukturiert. [4]
Die israelitische Hausfrau nach unseren bürgerlichen Konzepten gab es nicht. [5] Frauen arbeiteten auf den Feldern, sie gingen zum Brunnen, um Wasser zu holen und Vieh zu tränken, sie sammelten Holz, bereiteten Nahrung zu, kümmerten sich um Kinder und Verwandte, reisten auf Eseln usw. Manche Texte legen nahe, dass wohlhabende Frauen wie Abigajil, die Frau von Schunem (2 Könige 4,8-37) oder die starke Frau von Sprüche 31 sich um den wirtschaftlichen Betrieb größerer Haushalte kümmerten. Das Haus als Gebäude war für die gewöhnliche Bevölkerung kein besonders bestimmender Faktor im Frauenalltag, wohl aber galten Frauen als konstitutiv für das gute Funktionieren und Gedeihen des sozialen Hauses (vergleiche Psalm 128,3). Erst in der Zeit Jesus Sirachs werden unter hellenistischem Einfluss zweistöckige Häuser, die so groß gewesen sein müssen, dass man darin verweilen und arbeiten konnte, zu potentiellen Gefängnissen für junge Frauen (Sirach 42,11f).
Mit diesen Grenzverrückungen im Hinterkopf wollen wir uns nun der Frage zuwenden, wo Frauen nach den biblischen Texten religiöse Handlungen vornehmen, im Rahmen der Hausgemeinschaft oder auch außerhalb, und ob sich eine deutliche Arbeitsteilung der Geschlechter erkennen lässt. Die Untersuchung wird eingegrenzt auf den Bereich der Totenklage und Totenbefragung. Hier könnte es eine gewisse öffentliche Beauftragung und öffentliche Präsenz von Frauen in Israel gegeben haben.
Die Totenklage
Die Totenklage ist ein Element der gemeinschaftlichen Bräuche, die sich um Tod und Bestattung eines Menschen gruppieren. Sie steht neben anderen Totenbräuchen, wie z.B. Selbstminderungsriten [6] oder Stärkungs- und Trostritualen. [7] urzelte Affekte, der Umgang mit ihnen ist aber durch gesellschaftliche Konventionen geregelt, die bisweilen mit der auslösenden Emotion nur noch bedingt zu tun haben. Während das deutsche Wort „Trauer“ sowohl das Gefühl als auch den konventionsgesteuerten Umgang mit ihm bezeichnet, wird im Englischen zwischen Traueremotionen (grief, sadness) und Trauerriten (mourning) unterschieden. Im Hebräischen bezeichnet bakah das Weinen und laute Klagen sowie im umfassenderen Sinn den Vollzug der Trauer, das Beweinen und Beklagen eines Verstorbenen, einer Stadt usw. [8]
Die Totenklage war in der Antike stark ritualisiert, sie ist es bis ins letzte Jahrhundert im Mittelmeerraum geblieben (Griechenland [9] und Italien) und ist es bei den muslimischen AraberInnen bis heute. [10]
In der gesamten antiken Bildkunst ist Klage vorrangig „weiblich“
Die Ikonographie bezeugt für die ägyptische, vorderorientalische und griechische Antike, dass Totenklage in hohem Maß, wenn auch nicht ausschließlich, Aufgabe der Frauen ist, und zwar sowohl der weiblichen Familienangehörigen als auch professioneller Klagefrauen. [11] Während männliche Familienangehörige ebenfalls Trauer zeigen und in Ägypten wie Griechenland beim Bestattungszug höchst präsent waren, gibt es kein männliches Pendant zu den Klagefrauen. Die Bildkunst setzt rein quantitativ vor die expressive Trauer das Vorzeichen „weiblich“. Typische Gesten sind das Vornüberfallen, das Haareraufen, die über dem Kopf zusammengeschlagenen Hände, das Bewerfen mit Staub, die Entblößung und das Aufkratzen von Wangen und Brüsten. [12] Neben der familiären Totenklage ist auch die Klage über die bevorstehende Kapitulation und den Untergang von Städten vorrangig Frauensache. Während ägyptische Reliefs von der Eroberung syrisch-palästinischer Stadtstaaten die ganze Bevölkerung flehend und klagend auf der Stadtmauer darstellen, [13] zeigen assyrische Reliefs vornehmlich Frauen im typischen Klagegestus auf den Zinnen der Stadt.
Die Bildzeugnisse aus Palästina/Israel bzw. der Levante sind nicht zahlreich und stammen alle aus der ausgehenden Spätbronze- bzw. frühen Eisenzeit. Die Küstenstädte nahmen in dieser Zeit gleichermaßen ägyptische wie ägäische Einflüsse auf. Der Sarkophag des Königs Ahiram von Byblos, dessen Bildprogramm auf Vorgänger dieses Königs zurückgeht (ca. 1250-1150 v. Chr.), zeigt ägyptische Einflüsse. Klagefrauen mit entblößten Brüsten machen dem thronenden, vergöttlichten Toten neben anderen Prozessionsteilnehmern ihre Aufwartung (Abb. 1). [14] Vom philistäischen Tell cEtun (12.-11. Jh. v. Chr.), aus Azor und vom Tell Jemmeh stammen mehrere Tonfigurinen von Frauen, die klagend ihre Arme auf den Kopf legen (Abb. 2a-b). [15] Ursprünglich waren diese Terrakotten auf einem Gefäßrand angebracht, wie gut erhaltene mykenische Parallelen nahelegen. [16] Auf einem Tonsarkophag aus Lachisch (ca. 1200 v. Chr.) ist eine graffitiartige Ritzerei der beiden göttlichen Klagefrauen Isis und Nephtys nach ägyptischem Vorbild erkennbar (Abb. 3). [17] Die Verbindung von Klagefrau und Göttin [18] verleiht einerseits den Göttinnen ein respektables Image und andererseits der Klage irdischer Frauen Dignität.
Der öffentliche Charakter der weiblichen Totenklage
Welcher Art ist die Arbeitsteilung beim Trauern zwischen Männern und Frauen, welche Funktionen hatte sie? Von heutigen Rollenverteilungen her legt sich nahe, die Zuordnung von Weiblichkeit und Emotionalität als das der antiken Frauentrauer zugrundeliegende Muster zu erkennen. „Männer lassen lieben“ fassen noch Keel/Uehlinger [19] den Befund der philistäischen Klagefrauenfigurinen zusammen. Dahinter stehen mehrere Prämissen, die überprüft werden müssen, z.B. wieviel ritualisierte Klage mit Emotionalität zu tun hat und ob der Ausdruck von Trauer und anderen Gefühlen in Israel überhaupt als weiblich angesehen war und daher als minderwertig, sodass er von Männern nach Möglichkeit delegiert wurde. Letzteres ist eher unwahrscheinlich. Während beispielsweise das hebräische Wort für Mitgefühl (rachamim) ein gut erkennbares weibliches Vorzeichen hat, [20] gilt Klagen und Weinen nicht a priori als Frauensache. Auch israelitische Männer zeigen Gefühle.
Für die griechische Antike hat Karen Stears in einem bemerkenswerten Aufsatz einige Dinge differenziert. [21] Von der Vasenmalerei her ist der Befund eindeutig, dass die weiblichen Angehörigen eines oder einer Verstorbenen für die Prothesis, also die aufgebahrte Leiche im Haus, und für die spätere Grabpflege zuständig waren. Frauen klagen mit starken Gesten, Männer, auch wenn anwesend, verhaltener. Männer sind in diesen Szenen für die Öffentlichkeit in Gestalt der eintreffenden Trauergäste zuständig, die sie begrüßen. Sodann organisieren die Männer die Ekphora, den Grabzug. Stears schließt daraus, dass die Totenklage der Frauen eine öffentliche Bedeutung hatte, ja dass Frauen nirgends so stark in der Öffentlichkeit in Aktion traten wie bei Geburt, Hochzeit und Tod, wo sie zwar im Haus agierten, aber unter Teilnahme der Öffentlichkeit. Es war von höchster Bedeutung, wie die weiblichen Angehörigen sich als Trauernde verhielten, das betraf die Familienehre. Stears vermutet, dass die Familiengeschichte durch die mit der Klage verbundene Erinnerung an den Verstorbenen und an frühere Tote, gerade durch die Frauen konstruiert und auch dargestellt wurde. Auf diesem Hintergrund sind die seit Solon (6. Jh. v. Chr.) bekannten gesetzlichen Restriktionen der Trauerbräuche zu deuten. [22] Nach Plutarch (Solon 12, 8; 21, 6) veranlasste Solon mit seinen Gesetzen die Athener:
„sich bei der Trauer der Mäßigung zu befleißigen [...] und beseitigte die rohen, barbarischen Sitten, denen die meisten Frauen bis dahin huldigten. Bei der Trauer schaffte er das Zerkratzen der Gesichter, das Singen von Klageliedern und den Brauch ab, auch bei den Begräbnissen anderer mitzuklagen. Er erlaubte nicht, ein Rind als Totenopfer zu bringen, mehr als drei Kleider aufzuwenden und fremde Grabmäler zu besuchen außer bei der Bestattungsfeier.“
Über die ursprüngliche Stoßrichtung und Bedeutung der Gesetze gibt es eine kontroverse Fachdiskussion. Wahrscheinlich verhinderten die Vorschriften in Zeiten zunehmenden Einflusses der Polis als Gemeinwesen, dass die adligen Familien sich, ihre Toten und ihren Reichtum allzu sehr selber in Szene setzten. Doch traf diese Maßnahme besonders die Frauen der Aristokratenfamilien, vielleicht auch die berufsmäßigen Klagefrauen und Witwen, und unterminierte so die gesellschaftliche Rolle von Frauen überhaupt. [23] Expressive Trauerriten oder Rituale wie das Beweinen des Adonis könnten im orientalisierenden 7. Jh. v. Chr. in Griechenland aufgekommen sein. Sie scheinen dort von Anfang an genderspezifisch rezipiert worden zu sein, indem nur Frauen der freie Ausdruck von Emotionen zugestanden, den Männern zunehmend die Kontrolle von Emotionen zugewiesen wurde. Diese Rollenverteilung diente zugleich als Beweis für männliche Superiorität und als Herrschaftslegitimation von Männern über Frauen. [24] Die drastische Einschränkung der Trauerriten im 6. Jh. v. Chr. wäre dann das Zeugnis für die Unkontrollierbarkeit der öffentlichen Frauenklage (aus patriarchaler Sicht).
Die Totenklage war also im antiken Griechenland eine sensible öffentliche Angelegenheit. Frauen repräsentierten dabei in besonderer Weise die Familie, sie waren Trägerinnen von Erinnerung, Ehre und Würde. Die ihnen zugewiesene Aufgabe verhalf ihnen zu einer starken, gerade deshalb aber kontrollierten Position in der Öffentlichkeit.
Biblische Texte zur Totenklage
In hervorragender Weise hat schon Hedwig Jahnow in ihrer 1923 erschienenen Arbeit über „Das hebräische Leichenlied“ die alttestamentliche Totenklage und daraus erwachsene Texte im Kontext der Totenrituale alter und moderner Völker erörtert. Da es nur wenige Bildzeugnisse von Klagefrauen aus Palästina/Israel gibt, sind die biblischen Texte bis heute eine – allerdings wegen androzentrischer Entstehungstraditionen nur bedingt zuverlässige – Hauptquelle für unsere Fragen. Die mythologische Variante der weiblichen Klagetradition, wie ihn die Ritzzeichnung der Klagefrauen Isis und Nephtys aus Deir el-Balah dokumentiert, ist auch in den biblischen Texten greifbar. In Richter 11,37-40 wird die Geschichte von der Opferung der Tochter Jiftachs als Aitiologie für ein in Israel übliches Klageritual junger Frauen um ihre Jugend erzählt. In Ezechiel 8,14f wird von Frauen berichtet, die vor dem Exil am Jerusalemer Tempel rite den Tammuz beweinen, ein Brauch, der mit dem mythologischen Sterben und Wiedererstehen von Vegetationsgöttern (Tammuz, Adonis, Osiris) im Zusammenhang steht. Im Folgenden konzentrieren wir uns jedoch auf die nicht-mythologischen Trauerfälle. Die Texte zeichnen bezüglich der Klage ein buntes, aber im Blick auf normale familiäre Trauerfälle nicht lückenloses Bild. Viel häufiger ist von der der Totenklage ähnlichen oder von ihr her übertragenen Klage über kollektive Katastrophen die Rede.
Gewöhnlich sind die Klageriten expressiv, und es wird als Strafe empfunden, nicht expressiv und rite trauern zu können:
„Und sterben werden Große und Kleine in diesem Lande und nicht begraben werden, und niemand wird um sie klagen, niemand sich Einschnitte machen noch sich scheren lassen um ihretwillen. Niemand wird einem Trauernden Brot brechen, ihn zu trösten über einen Toten, niemand ihm den Trostbecher reichen, selbst nicht beim Tod von Vater und Mutter.“ (Jeremia 16,6)
Man klagt in aller Öffentlichkeit laut und gestenreich:
„Am Tage nach der Ermordung Gedaljas nun, als noch niemand etwas erfahren hatte, kamen Männer von Sichem, von Schilo und Samaria, 80 Mann mit geschorenem Bart und zerrissenen Kleidern und selbstgemachten Schnittwunden; die hatten Weihrauch und Opfergaben bei sich, um sie zum Hause JHWHs zu bringen. Da ging ihnen Ismael, der Sohn Nethanjas, von Mizpa aus entgegen, während sie weinend ihre Straße gezogen kamen.“ (Jeremia 41,5f)
Zur Totenklage bei Katastrophen werden alle aufgeboten, u.a. die der Totenklage Kundigen, die aber nicht unbedingt weiblich sein müssen:
„Darum spricht JHWH, der Gott der Heerscharen, also: Auf allen Plätzen erschallt die Totenklage, auf allen Gassen schreit man: Weh, weh! Den Landmann ruft man zur Trauer, die der Klage kundig sind, zur Totenklage. Auch in allen Weinbergen erschallt die Totenklage, wenn ich durch euch hindurchschreite, spricht JHWH.“ (Amos 5,16f)
Zum Klagen werden aber auffällig oft Frauen oder kollektive weibliche Größen wie die Töchter Jerusalems (2 Samuel 1,24; vergleiche Jeremia 6,26; Klagelieder 1; Ezechiel 32,16) oder die Töchter Rabbas, d.h. die Ammoniterinnen aufgerufen:
„Ihr sorglosen Frauen, auf, hört meine Stimme! Vertrauensselige Töchter, vernehmt meine Rede! [...] Erzittert, ihr Sorglosen. Erbebt, Vertrauensselige! Zieht euch aus und entblößt euch und umgürtet die Lenden. Schlagt euch auf die Brust und klagt [...].“ (Jesaja 32,9-12)
„Schreit, ihr Töchter Rabbas, gürtet das Trauergewand um, haltet Totenklage und ritzt euch wund. Denn Milkom muss in die Verbannung [...].“ (Jeremia 49,3)
Einen wichtigen Hinweis auf die Existenz von professionellen Klagefrauen gibt Jeremia 9,17-21:
„So spricht JHWH Zebaot: Ruft die Klagefrauen, sie sollen kommen. Nach den weisen Frauen schickt, dass sie wehklagen. Sie sollen eilen und über uns anheben das Trauerlied, dass unsere Augen von Tränen fließen, unsere Wimpern von Wasserströmen. Horch! Von Zion her hört man Klage: Wie sind wir verwüstet, wie sind wir mit Schmach bedeckt! Denn wir müssen das Land verlassen, unsere Wohnstätten sind zerstört! So hört denn, ihr Frauen, das Wort JHWHs, euer Ohr vernehme das Wort seines Mundes. Lehrt eure Töchter die Klage, eine jede die andere den Trauergesang: Der Tod ist uns durchs Fenster gestiegen, ist eingedrungen in unsere Paläste. Er schlägt das spielende Kind auf der Gasse und den jungen Mann auf dem Markt, und es liegen die Leichen der Menschen wie Mist auf dem Feld, wie Halmbüschel hinter dem Schnitter, die keiner sammelt.“
Die hier erwähnten Frauen konnten, vergleichbar vielleicht den Hebammen bei der Geburt, aus der Nachbarschaft zusammengerufen werden. Sie verfügten über ein Know-How, das nicht alle hatten, weshalb sie als „weise“ galten. [25] Ob sie bezahlt wurden, wissen wir nicht. Es wird aber eine Frage von Einfluss und Status einer Trauerfamilie gewesen sein, wieviele Klagefrauen da kamen, wie laut sie waren und was sie schrien oder sangen. Deutlich wird, dass sie jedenfalls in Jeremia 9, wo es sozusagen um den größten anzunehmenden Trauerfall überhaupt geht, im Auftrag der Öffentlichkeit und als Repräsentantinnen der Öffentlichkeit klagen. Ihre Funktion ist katalysatorisch, sie sollen zum Weinen animieren. Sie lamentieren laut und als Sprecherinnen des Kollektivs: „Wir sind verwüstet!“ Die Ausbildung zur Klagefrau findet wiederum in der Familie statt, sodass die Bereiche Haus und Öffentlichkeit fest miteinander verbunden sind: Die Mutter lehrt die Tochter das Klagen, d.h. die richtigen Gesten, die rechte Kleidung, das richtige Verhalten im Umgang mit den Trauernden, bei der Bestattung, und sie lehrt sie möglicherweise die passenden Gesänge oder Texte der qinah, des Leichenlieds. Wir haben es also mit mündlicher Tradition zu tun, die von einer Generation an die andere weitergegeben wird. [26]
Die Verschriftlichung der Tradition hat jedoch deren Gendervorzeichen ganz drastisch geändert, denn keines der eigentlichen Leichenlieder [27] des Ersten Testaments wird auf eine Frau zurückgeführt, vielmehr werden sie als Männertradition autorisiert, so Davids Lieder auf Saul und Jonatan (2 Samuel 1,19-27) oder Abner (2 Samuel 3,33f). Auf David werden auch manche Klagepsalmen (Psalmen 3; 7; 51; 54; 56f; 59; 63; 142) zurückgeführt, und nach 2 Chronik 35,25 gab es Klagelieder Israels, die Jeremia auf Joschija gedichtet habe. Mit dem Ansatz von Athalya Brenner und Fokkelien van Dijk-Hemmes [28] können wir nach der „female voice“ in den Toten- und anderen Klageliedern [29] des Ersten Testaments suchen. Dass das Buch der Klagelieder als Klagegesang eines Frauenkollektivs komponiert ist, wird heute von einer großen Anzahl von ExegetInnen angenommen. [30] Spätestens an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Israelitinnen nach den biblischen Texten nicht nur im Unglück auf die öffentliche Bühne geholt wurden. Man erwartete von ihnen gleichermaßen, dass sie mit Handtrommel und Siegesliedern die erfolgreich heimgekehrten Krieger feierten (Exodus 15,19-21; Richter 5; 11,34; 1 Samuel 18,7), also auch in diesem Fall die Befindlichkeit des Kollektivs proklamierten. [31]
Die Klage der Frauen war unter Umständen eine brisante Angelegenheit. Totenklage hat von der Antike (vergleiche dazu schon weiter oben) bis in die Gegenwart (Argentinien, Kurdistan, Palästina) eine politische Dimension, die in den biblischen Erzählungen ebenfalls zum Tragen kommt. David geht ostentativ an die Beerdigung Abners (2 Samuel 3,31-39), um zu zeigen, dass er unschuldig an dessen Ermordung ist. Wie politisch auch die Totenklage von Frauen werden konnte, zeigt eindrücklich die Geschichte der Rizpa in 2 Samuel 20,10-14. Diese Frau hält wochenlang Totenwache bei den unbestatteten Leichen ihrer Söhne, die Opfer eines politisches Mordes wurden. Sie erreicht damit, dass der Mörder, kein geringerer als König David, eine anständige Bestattung anordnet und so den Toten wie auch ihren Familiengehörigen, ihrem Haus, wenigstens die menschliche Würde zurückgibt.
Die Kritik an Trauerbräuchen, vor allem den Hautritzungen, [32] richtet sich im Ersten Testament nicht ausdrücklich gegen Frauen, kann aber diese und besonders die Gruppe der professionellen Klagefrauen, schwer getroffen haben:
„Ihr sollt den Rand eures Haupthaars nicht rundum abscheren, auch sollst du den Rand deines Bartes nicht stutzen. Ihr sollt euch am Leib nicht Einschnitte machen um eines Toten willen, auch sollt ihr euch nicht Zeichen einritzen, ich bin JHWH [...]. Ihr sollt euch nicht an die Totengeister und an die Wahrsagegeister wenden, ihr sollt sie nicht befragen und euch so an ihnen verunreinigen, ich bin JHWH, euer Gott.“ (Levitikus 19,27f.31) [33]
Wir können festhalten, dass in den Texten des Ersten Testaments die Totenklage Aufgabe aller Angehörigen ist, jedoch beigezogene Klagefrauen die öffentliche Dimension eines Todesfalls durch besondere Klageriten und Gesänge hervorheben und verstärken. Während der Akt der Bestattung wie in Griechenland und Ägypten in der Verantwortung des pater familias (oder politischer Amtsträger) liegt und sich alle Familienangehörigen den Trauerpflichten unterwerfen, haben Frauen einen besonderen Klageauftrag. Sie gestalten den rite de passage, proklamieren die Befindlichkeit des Kollektivs und integrieren die Toten in das Gedächtnis der Gemeinschaft. Die meisten alttestamentlichen Texte verorten Klage und Trauer im öffentlichen Raum (auf den freien Plätzen, der Gasse vor dem Haus, am Grab, auf der Stadtmauer), nicht im Haus. Die Grenze zwischen Hausgemeinschaft und Nachbarschaft, Dorfgemeinschaft, Stadt wird gerade bei Todesfällen in einem lebhaften Hin und Her, z.B. durch das Überbringen des traditionellen Trauerbrotes, ständig überschritten.
Die Totenbefragung (Nekromantie)
Totenkult, Ahnenkult und Nekromantie sind zwar oft eng miteinander verbunden, aber doch sorgfältig zu unterscheiden. Ich übernehme im Folgenden die Definitionen von Tropper. [34]
Nekromantie (griech. nekyomanteia, nekromanteia) bezeichnet Wahrsagung mittels der Verstorbenen. [35] Im engeren Sinn sind damit alle magischen Praktiken der Totenbeschwörung gemeint, die darauf abzielen, von den Toten bestimmte Informationen und Hilfe für die Lebenden zu erhalten. Totenbefragung ist ein Orakelvorgang, der richtungsweisend ist für die Fragenden. Im weiteren Sinn geht es um jede Art von Kontaktaufnahme mit den Toten, damit die Verstorbenen in das Schicksal von Menschen eingreifen. [36] Nekromantie versucht, die positiven Kräfte der Toten den Lebenden nutzbar zu machen. Dabei können SpezialistInnen beigezogen werden. Tropper unterscheidet nekromantische Praktiken ohne [37] und mit [38] Fachperson. Bevorzugter Zeitpunkt der Befragung ist die Nacht. Es wird ein ganz bestimmter Toter evoziert. Die Befragung wird durch Opfer und Verehrungserweise begleitet. Der Anlass einer Nekromantie ist familiäre Not (Krankheit, Kinderlosigkeit, Gefahr).
Nun sind die Hinweise auf eigentlichen Totenkult in Israel/Palästina sehr gering. Es gibt einige Indizien für Totenversorgung in Form von Opferdarbringungen [39] und auf Feierlichkeiten zu Ehren verstorbener Familienangehöriger. [40] Dass das Leben mit dem Tod endet, galt in Israel als unumstößliche Tatsache. Die JHWH-Religion war, wie ja die griechische Religion auch, absolut diesseits- und lebensbezogen. Dennoch hat man an ein schattenhaftes Existieren [41] von Verstorbenen in der Scheol, dem israelitischen Hades, geglaubt. Die möglichen Bezeichnungen für Totengeister im Hebräischen sind refa’im, „Heilende“ [42] , ’obot „Ahnen“, und jedacnim „Wissende“. Hinzu kommt terafim, das nur für gegenständliche Repräsentationen, also „Ahnenbilder“ angewendet wird. Die terafim sind für die Frage der Arbeitsteilung der Geschlechter im religiösen Bereich von Interesse, da auffällig viele biblische Texte diese Ahnenrepräsentationen im Zusammenhang mit Frauen erwähnen.
Totenbefragung ohne Fachpersonal mittels terafim [43]
Das hebräische Wort terafim ist morphologisch ein Plural, bezeichnet aber fast immer [44] ein einzelnes gegenständliches, leicht transportables Objekt, das sowohl im Zusammenhang von Familientradition als auch Orakelerteilung, vielleicht auch kultischen Vorgängen bedeutsam war. Rahel stiehlt den terafim Labans (nach rabbinischer Deutung, damit er Laban das Fluchtziel Jakobs nicht verraten kann!) und versteckt ihn in einem Kamelsattel (Genesis 31,19.34f). In der Erzählung von der Plünderung des Privatheiligtums des Efraimiten Micha (Richter 17,5; 18,14.17f.20) wird er neben einem Kultbild als Teil des kultischen Inventars erwähnt. Michal rettet David vor seinen Verfolgern, indem sie einen ausstaffierten terafim als menschliche Attrappe in Davids Bett legt (1 Samuel 19,13.16). Kürzere Notizen erwähnen den Umgang mit terafim im Zusammenhang von Wahrsagerei, Totenbeschwörung und Orakelbefragung (1 Samuel 15,23; 2 Könige 23,24; Ezechiel 21,26; Sacharja 10,2; Hosea 3,4). Da die Etymologie des Wortes, aber auch Funktion und Aussehen der terafim unsicher sind, ist die Fachdiskussion mit Spekulationen behaftet. Es könnte sich um eine menschenähnliche Statuette oder einen Kopf/Fetisch handeln, deren Größe und Gestalt variiert. [45] Der terafim befindet sich gewöhnlich in den Wohnräumen. Männer und besonders Frauen pflegen einen unkomplizierten Umgang mit ihm. Der Besitz des terafim, der in Genesis 31 mehrmals als ’ælohim, „Gott“, bezeichnet wird, ist für den pater familias wichtig. Diese Hinweise sprechen dafür, dass der terafim einen Familienahnen figürlich repräsentiert. Wahrscheinlich setzt auch Exodus 21,6 die Existenz einer solchen Ahnenfigur voraus. Ein freigelassener Sklave, der im Haus seines Herrn bleiben möchte, wird vor dem ’ælohim des Hauses rituell in die Familie aufgenommen. In besonderen Fragen konnte der terafim um Rat angegangen werden (Ezechiel 21,26) und gab dann Auskunft (Sacharia 10,2). Dass er nicht irgendeine Gottheit, sondern einen verstorbenen Vorfahren repräsentiert, legt die Assoziation mit Totenbeschwörung in 2 Könige 23,34 nahe. [46] Die terafim werden häufig ironisch, polemisch oder abwertend erwähnt. Details über sie finden sich nur in Erzählungen über die „Frühzeit“. Ob der terafim im Haus tägliche Verehrung oder Opferspenden erfuhr, verraten die biblischen Texte nicht. Der pater familias braucht ihn für Befragung des Familienahns und die Beglaubigung familienjuristisch wichtiger Vorgänge. Der terafim wurde sicher nicht durch besondere SpezialistInnen gehandhabt. Die Erzählungen ziehen die terafim auf subtile Art ins Lächerliche. Dass dabei Frauen involviert sind, ohne dass deutlich wird, warum gerade sie mit ihnen so vertraulich umgehen, könnte ein Echo auf mantische Aufgaben von Frauen im familiären Bereich unter patriarchaler Kontrolle sein.
Totenbefragung mit Fachperson
Der wichtigste Text für Nekromantie im alten Israel ist 1 Samuel 28. Er ist zwar in seiner vorliegenden Form stark geprägt vom Kontrast zwischen Totenbefragung und JHWH-Religion, dürfte aber auf eine unpolemische Überlieferung zurückgehen. In dieser wurde vorausgesetzt, dass Totenbefragung ein in allen Kreisen der Gesellschaft verbreitetes Mittel war, zu Gottesoffenbarungen zu kommen. [47] Dazu wurden SpezialistInnen beigezogen. In 1 Samuel 28 wird die Kompetenz der „Herrin des Totengeistes“ nicht in Frage gestellt, auch wird sie durchgehend als starke, souveräne Gestalt gezeichnet. Die Frau von En-Dor bleibt zwar namenlos, aber sie ist über ihren Wirkungsort hinaus bekannt. [48] Sie ist wohlhabend, und sie wird nicht als „Frau von“ oder „Tochter des“ identifiziert. Sie gibt Auskünfte über Leben und Tod, indem sie einen gewünschten Totengeist ruft, wobei der Text ziemlich offen lässt, wie das genau vor sich geht. Sie agiert als Spezialistin in ihrem eigenen Haus, ist Hausherrin und Gastgeberin. [49] In singulärer Weise scheint das Haus hier Schutz und Verborgenheit zu symbolisieren und die Autonomie der Frau zu stärken. Anders als bei der Befragung der terafim, die auch um kleine Auskünfte gebeten werden konnten, geht es bei der nächtlichen Konsultation der „Herrin des Totengeistes“ um Leben und Tod, und zwar eines Häuptlings. Als spezialisiertes Medium scheint sie jeden Toten rufen zu können, es gibt keine Beschränkung auf die Familienahnen.
Die engste literaturgeschichtliche Parallele zu 1 Samuel 28 findet sich im Zentrum der 472a aufgeführten Tragödie „Die Perser“ von Aischylos. Nachdem sich die Anzeichen verdichten, dass das persische Heer unter Xerxes bei Salamis eine katastrophale Niederlage erlitten hat, wendet sich die Mutter des Xerxes in großer Verzweiflung für das persische Volk an ihren verstorbenen Gatten, den König Dareios, um Rat zu erlangen. Nach den üblichen Opfern erscheint der Totengeist, wenn auch widerwillig, aus der Unterwelt. Sein Urteil über die Lage und sein Rat haben höchste Autorität. Die Szene ist in manchem der Totenbeschwörung von 1 Samuel 28 ähnlich. Beidemale droht ein Krieg in ein absolutes Desaster und den Tod zu führen, eine Frau wendet sich vermittelnd an einen Totengeist, der für die Gemeinschaft höchste Autorität besitzt und als göttliches Wesen (isodaimon, ’ælohim) angesehen wird. Der Totengeist analysiert die Lage und sagt Entwicklungen voraus, tritt aber nicht als Retter auf. [50]
Innerhalb des Ersten Testaments ist die Erzählung von der Totenbeschwörerin von En-Dor singulär. [51] In Deuteronomium 18,1ff wird Totenbefragung unter die Greuel der Völker gereiht und verboten, nur ein Prophet soll (wie Mose) den Willen Gottes erkunden dürfen. [52] Die damit nur angedeutete Entwicklung bedeutete eine drastische Beschneidung der religiösen Kompetenzen und der Autonomie von Fachfrauen in Israel. [53] 1 Samuel 28 hat als Frühzeiterzählung trotzdem überlebt. Glättend wirkte die wahrscheinlich sekundäre Identifikation des Totengeistes mit Samuel, [54] da dieser ein legitimierter Agent JHWHs ist und ganz ausdrücklich nur das bekräftigt, was JHWH selbst schon beschlossen hat. Unter den harmonisierenden Darstellungen liegt aber die Erinnerung an die Mantikerinnen, auf sich selbst gestellte, angesehene Fachfrauen in religiösen Angelegenheiten, deren Tätigkeit zwar in einem Haus stattfand, die jedoch weit herum öffentlich bekannt waren. Hier ist die Grenze zwischen dem Haus als Gebäude und der Öffentlichkeit (bis hin zum König) einmal mehr durchlässig. [55]
Zwischenergebnisse
Der vorangegangene Überblick über die Bereiche „Totenklage“ und „Totenbefragung“ im alten Israel hat gezeigt, dass das Haus als Gebäude keine genderrelevante Trennlinie darstellt, in seiner sozialen Bedeutung aber zu Klärungen beitragen kann. Das Haus im Sinne der Hausgemeinschaft ist normalerweise nicht der Rahmen, wo die Arbeitsteilung im religiösen Bereich für Frauen günstiger ausfällt, da sie dort vermutlich unmittelbar unter männlicher Vormundschaft standen. [56] Sollten Frauen tatsächlich den häuslichen terafim befragt haben, so fand diese Befragung doch im Interesse des pater familias statt. Wir können hingegen feststellen, dass den Frauen der öffentliche und durchaus brisante Auftrag zur Klage und Totenklage, wenn auch nicht exklusiv, zugewiesen wurde. In diesem Bereich gab es unter höchster Anteilnahme der Gemeinschaft gewisse Freiräume für weibliche Religionsausübung. Die Eindämmung der exzessiven Trauerriten und jeder Art von Totenkult sowie der Transfer der verschriftlichten Klagetraditionen auf männliche Autoritäten legt nahe, dass die Israelitinnen in späterer Zeit, einschneidend wahrscheinlich ab der Exilszeit, auch in diesem Ressort ihrer Aktionsfreiräume zunehmend beraubt wurden. Die Impulse dazu waren wohl kaum dieselben wie in Griechenland. Eher scheint die religiöse Selbständigkeit der IsraelitInnen im Zuge der Dämonisierung von anderen Kulten als dem JHWH-Kult beschnitten worden zu sein. Der Tod und das Totenreich gehörten religionsgeschichtlich nicht zu den Domänen des Gottes JHWH, weshalb sein Name mit den entsprechenden Ritualen offenbar kaum verbunden wurde, während die Geburt, ursprünglich auch kein Ressort für einen kämpferischen Wettergott, allmählich in seine Zuständigkeit übergehen konnte. Religiöse Autonomie von Frauen, wie sie beim spezielleren Fall einer alleinstehenden Mantikerin feststellbar war – und als Frühzeiterzählung weitgehend unangetastet blieb –, dürfte eine besondere Zielscheibe der Gruppen gewesen sein, die alle Bereiche des religiösen Lebens unter die Kontrolle der JHWH-Kultfunktionäre bringen wollten.
Vorläufig unbeantwortet ist die Frage, warum Frauen und nicht (oder weniger) Männer bei Klage und Totenklage die Gemeinschaft vertraten bzw. deren Befindlichkeit proklamierten. Während in Griechenland die Emotionalität tatsächlich ein Faktor bei der Konstruktion von Männer- und Frauenrollen des 7./6. Jh. v. Chr. gespielt haben könnte, Gefühlsausdruck also als „weiblich“, gefährlich und kontrollbedürftig galt, sind solche Zuordnungen für Palästina/Israel nicht nachweisbar. Eine Vermutung sei aber gewagt: Der als Stilfigur bekannte Parallelismus membrorum, aber auch der Chiasmus und andere Kunstformen stehen nicht nur für sprachlichen Ausdruck, sondern auch für eine Denkweise des alten Orient. Frauen begleiten in diesen alten Kulturen den Eingang der Menschen ins Leben. Sie sind die Herrinnen des Geburtsgeschehens, als Hebammen gewohnt, mit Leben und Tod konfrontiert zu werden, Entscheidungen über Leben und Tod zu fällen. Vielleicht ist das der einfache Grund, weshalb sie spiegelbildlich auch den Ausgang aus dem Leben begleiten. Sie gelten als Schwellenwächterinnen des Lebens [57] und als stark genug, klagend dem Tod entgegenzutreten und ihm nicht das letzte Wort zu überlassen. [58]
Haus und Öffentlichkeit – in welchen Sphären bewegen sich Frauen im alten Israel?
Die oben formulierten Erträge sollen nun noch in das Puzzle der Rekonstruktion israelitischer Frauengeschichte eingefügt werden. Die freie israelitische Frau war nicht mit denselben Rechten ausgestattet wie ein Mann. Manche Gesetze und Gebote, aber auch viele Erzählungen zeigen, dass Frauen dem pater familias, also ihrem Vater, oder nach Heirat ihrem Mann, oder nach dessen Tod wiederum dem Ältesten ihrer Herkunftssippe unterstellt waren, und das gilt gerade für den religiösen Bereich. Die Verfügungsmacht dieser Männer über eine Frau konnte im Extremfall die Macht über ihr Leben oder ihren Tod bedeuten. Die Israelitin hatte in Familienangelegenheiten keine Repräsentationsvollmacht, sie konnte beispielsweise nicht für ihre Sippe die Opfer an den Neumonden [59] darbringen. Mit Einverständnis des pater familias durfte sie jedoch an Festtagen wie Sabbat und Neumond aktiv werden und z.B. allein einen Propheten aufsuchen (2 Könige 4,22f), an den Höhenkulten (Hosea 4,13f) teilnehmen, mit Genehmigung Gelübde ablegen (Numeri 30) oder der Himmelskönigin Kuchen backen (Jeremia 44,19). Viele Texte lassen allerdings durchblicken, dass die Frauen entweder in Zeiten, bevor all diese Ordnungen galten oder trotz dieser Verhältnisse häufig ihre eigenen Ziele zu erreichen verstanden (Hanna in 1 Samuel 1-2). Wenn eine Frau beanspruchte, Offenbarungen erhalten oder numinose Erscheinungen gehabt zu haben, gab es – mindestens für die Überlieferung – Probleme, wie die schreckliche Erzählung von der Bestrafung Mirjams in Numeri 12, aber auch die eher frauenfreundlich-satirische Geschichte von Manoach und seiner Frau in Richter 13 anschaulich zeigen.
Im öffentlichen Leben (Regierung, Verwaltung, Rechtswesen, Kult) sind Frauen gemäß der biblischen Darstellung nach der vorstaatlichen Zeit nur in seltenen Ausnahmefällen in repräsentativen Funktionen anzutreffen (Isebel, Atalja). [60] Tendenziell lassen die biblischen Texte bei Erzählungen oder Berichten über die vorstaatliche Zeit größere Handlungsspielräume von Frauen im außerhäuslichen Leben erkennen als bei Texten über spätere Epochen. Historisch dürfte das teilweise zutreffen. Dennoch ist diese Sicht und Darstellung der Dinge auch kritisch zu beleuchten. Vergleichbar ist der Kontrast zwischen unbeanstandeten Erinnerungen an die Bedeutung von Baumheiligtümern und Baumkult in Erzählungen über die Frühzeit einerseits und der scharfen Polemik gegen die mächtigen Bäume und Kultbäume (Ascheren) in den Texten über die Königszeit. [61] Die Kontrastierung bildet nicht geschichtliche Entwicklungen, sondern die ideologischen Interessen der Verfasser und bestimmter gesellschaftlicher Gruppen ab. Die erzählte Frühzeit betreffend ließen sie so auch ein Frauenbild unangetastet, das ihnen in der Erzählzeit untragbar schien. Wahrscheinlich aber ist in eben den „alten“ oder zurückprojizierten Frauenbildern ebenso verdrängte und (allenfalls erfolglos) bekämpfte Frauenrealität der jeweiligen Erzählzeit enthalten.
Im JHWH-Kult, wie ihn die biblischen Texte darstellen, übernehmen Frauen keine wichtigen Ämter, d.h. sie treten jedenfalls nicht als Priesterinnen und damit Mittlerinnen zwischen Gemeinschaft und Gottheit in Funktion. [62] Israelitinnen wurden, wenn wir das Zeugnis der biblischen Texte in diesem Punkt als zuverlässig gelten lassen, nicht mit der öffentlichen Aufgabe betraut, die im antiken Griechenland den Frauen einen recht großen, wenngleich nicht selbstbestimmten, Bewegungsraum öffnete. [63] Ihr religiöser Handlungsspielraum lag in der Gestaltung des Umgangs mit Geburt und Tod sowie den dazu gehörenden Schwellensituationen im Leben der Einzelnen wie der Gemeinschaft. Es wäre ein dringendes Postulat, die Geschichte der Israelitinnen von diesen Rändern her neu zu schreiben.
Bilder
Abb. 1.
Abb. 2a
Abb. 2b
Abb. 3
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[1] In den Kindheitserinnerungen des syrischen Schriftstellers Rafik Schami (1995: 6f.) sind die Häuser mit ihren Höfen und Dächern Frauenraum, während die Straße den Kindern gehört.
[2] Vergleiche zur Wohnkultur der israelitischen DörflerInnen der frühen Eisenzeit ausführlich Zwingenberger 2001: besonders 205-267. Der Wohnraum wurde größer, wenn sich, wie heute im Orient noch üblich, mehrere Häuser um einen gemeinsamen Innenhof gruppierten. Wieviel Alltagsleben sich allenfalls auf den Dächern der aneinandergebauten Häuser abspielte, ist unklar. Für die frühe Eisenzeit sind keine Treppenaufgänge in Häusern nachweisbar, was die Nutzung des Dachbodens aber nicht ausschließt. In der späteren Eisenzeit sind die Häuser im Schnitt etwas größer, Treppenaufgänge im Innern von Häusern sind in Mizpe und Jerusalem bezeugt.
[3] Vergleiche Staubli 1991: 238-244.
[4] Dazu ausführlich Schroer 1991.
[5] Zur Rekonstruktion der israelitischen Frauengeschichte vergleiche die Skizze bei Schroer 1995.
[6] Dazu gehören Fasten, Kleiderzerreißen, Tragen des Sackgewands, Barfüßig- und Barhäuptigkeit, Verhüllung von Bart und Gesicht, Scheren von Kopf- und Barthaaren, Aufkratzen oder Einschneiden der Haut, sich mit Erde beschmutzen und sich in den Dreck setzen (vergleiche Kutsch 1986; Pham 1999).
[7] Zu diesen gehört z.B. das Reichen von Trauerbrot und -becher und das Leichenmahl.
[8] Mayer I. Gruber 1980: II, 401-479.
[9] Alexiou 1974.
[10] Zu den Bestattungsbräuchen Israels und seiner Umwelt vergleiche schon Jahnow 1923; Quell 1925; Wächter 1967.
[11] In Ägypten scheint es schon seit dem Alten Reich auch Berufsklagefrauen gegeben zu haben (LÄ III, 444-447). Sie geleiten die Leiche vom Sterbehaus, bei der Überfahrt ans Westufer, während des Zuges zur Nekropole bis ans Grab. Typische Gesten sind das Vornüberfallen, das Haareraufen, die über den Kopf erhobenen Arme, das Bewerfen mit Staub und Entblößung. Vergleiche zur ägyptischen Ikonographie der Klagefrauen Werbrouck 1938. Einen hervorragenden Überblick über die griechische Ikonographie der Trauer gibt Huber 2001; vergleiche auch Killet 1996: 8-44; van Wees 1998.
[12] Vergleiche dazu Herodot II, 85: „Totenklage und Begräbnis begeht man bei ihnen in folgender Weise: Wenn in einem Haus ein angesehener Mann stirbt, bestreichen sich sämtliche weibliche Mitbewohner den Kopf und das Gesicht mit Lehm. Sie lassen die Leiche im Haus liegen und laufen aufgeschürzt und mit entblößter Brust durch die Stadt und schlagen sich. Alle weiblichen Verwandten schließen sich ihnen an. Auf der anderen Seite schlagen sich die Männer, ebenfalls aufgeschürzt. Dann bringt man die Leiche zur Einbalsamierung.“
[13] Vergleiche dazu Keel 1975.
[14] Parrot/Chéhab-Moscati 1977: 77, Abb. 77.
[15] Dothan 1982: 239f, fig. 10 A und pl. 23; vergleiche die weiteren Figürchen bei pl. 24-27; Rekonstruktion nach Dothan 1982: 239, fig. 11, 1.
[16] Dothan 1982: fig. 11, 2; vergleiche dazu auch Huber 2001: 56f.
[17] Dothan 1982: 277, fig. 15. Aus späterer Zeit ist noch ein Elfenbeintäfelchen aus Samaria (8. Jh. v. Chr.) anzuführen, das die geflügelten Göttinnen Isis und Nephtys darstellt, die den Djedpfeiler des Osiris flankieren, allerdings nicht im Klagegestus, sondern schützend.
[18] Die beiden Weihen (drtj), die klagenden Priesterinnen, die den Toten zu Häupten und zu Füßen betrauern, wurden sekundär mit Isis und Nephtys identifiziert und so mythologisiert (Seeber 1980).
[19] Keel/Uehlinger 5 2001: 141.
[20] In diesem Wort steckt die Wurzel ræchæm „Mutterschoß“, der als rachamim bezeichnete Affekt wird in diesem weiblichen Organ verortet, kann aber auch auf Männer und auf den Gott Israels bezogen werden. Vergleiche Schroer/Staubli 1998: 79-89.
[21] Vergleiche zum Folgenden Stears 1998.
[22] Im Zwölftafelgesetz (450a) werden in dieser Tradition dann ebenfalls Restriktionen in den Trauerbräuchen festgelegt, die jedoch in der römischen Gesellschaft später nicht zur Geltung kamen. In Tafel 10, 3-8 heißt es:
„Bei eingeschränktem Aufwand also, nämlich drei Kopftüchern, einem kleinen Unterkleid aus Purpurwolle und zehn Flötenspielern beseitigt (das Gesetz) auch die Leichenklage. Die Frauen sollen die Wangen nicht zerkratzen und beim Leichenbegängnis keine Totenklage anstimmen. Von einem Toten soll man nicht die Gebeine sammeln und danach eine besondere Leichenfeier veranstalten. Ausgenommen ist Tod im Krieg oder in der Fremde. [...] Das von Sklaven ausgeführte Salben (der Toten) und jede Art von Trinkgelagen beim Leichenmahl wird aufgehoben. [...] Kein kostspieliges Besprengen (des Grabes), keine langen Kranzgewinde, keine Weihrauchkästchen (Die Beigabe von Myrrhenessenz an einen Toten wird im Gesetz verboten.). Wer einen Kranz selbst oder innerhalb seiner Hausgemeinschaft ehrenhalber oder durch besondere Tüchtigkeit erlangt, dem darf er beigegeben werden. [...] und er soll kein Gold beigeben, auch wenn jemandem Zähne mit Gold befestigt sind. Lässt man ihn aber mit diesem begraben oder verbrennen, soll dies ohne Nachteil sein.“
[23] Es geht wahrscheinlich nicht vorrangig um die Eindämmung weiblicher Emotionalität, sondern um die Reglementierung der Macht von Aristokratenfamilien und die Beschneidung ihres Einflusses zugunsten der Polis. Daraus resultierte jedoch eine Einschränkung der „Bewegungsfreiheit der athenischen Bürgerfrauen“ (Engels 1998: 89). Hingegen meint Stears (1998: 117), dass die Solonischen Gesetze auf die soziale Kontrolle der Frauen gezielt und das Verbot berufsmäßiger Klagefrauen beinhaltet habe.
[24] So van Wees 1998. Wagner-Hasel (2000) sieht in denselben Sachverhalten kein Genderkonstrukt, sondern eine Konvention über die Rollen von Bevölkerungsschichten. Sie hebt hervor, dass Trauer in der griechischen Antike nicht exklusiv Frauen zugestanden wurde. Auch Männer durften weinen und klagen, doch wird beiden Maßhaltung abverlangt, denn nur statusniedrige Menschen haben ihre Gefühle nicht unter Kontrolle.
[25] Jost (1995: 136) weist auf die Auffälligkeit hin, dass die ebenfalls als „weise“ bezeichnete Frau von Tekoa in 2 Samuel 14,1-20 sich als trauernde Witwe verkleidet, um den König in das von Joab angeregte Gespräch zu verwickeln.
[26] Vergleiche die ausdrückliche Erwähnung der klagenden Frauen in Sacharja 12,11-14 und 2 Chronik 35,25.
[27] Vergleiche zu den Leichenliedern schon Jahnow 1923 und zu den Klageliedern Barth 1947.
[28] Brenner/van Dijk (1993: besonders 83-90) lenken die Aufmerksamkeit weg von der historischen Frage nach der weiblichen Autorinnenschaft von Texten und hin zur literaturgeschichtlich relevanten Frage nach männlichen oder weiblichen „Stimmen“ auf der Textebene. Bail (1998) versucht, die alttestamentlichen Klagepsalmen als „female voices“ zu lesen.
[29] Totenlieder beschrieben nach gebührender Anrufung der Verstorbenen (2 Samuel 19,1.5; Jeremia 22,18; 34,5) rühmend ihre Bedeutung für die Lebenden, Klagelieder nach Katastrophen die vergangene Pracht einer Stadt usw. (Ezechiel 19; 27).
[30] Vergleiche zuletzt ausführlich Pham 1999.
[31] Vergleiche dazu Brenner/van Dijk 1993: 32-48; Schroer 1995: 153. Der Inhalt der von Frauen gesungenen und später überlieferten Siegeslieder war nach 1 Samuel 18,6f ebenfalls von höchster politischer Brisanz.
[32] Vergleiche dazu Olyan 2000.
[33] Levitikus 21,5 richtet sich an die Priester: „Sie (die Priester) sollen sich den Kopf nicht kahlscheren noch den Rand des Bartes stutzen noch an ihrem Fleisch Einschnitte schneiden.“ Deuteronomium 14,1 spricht alle JHWH-Verehrer an: „Ihr seid Söhne JHWHs, eures Gottes, ihr sollt euch nicht Einschnitte machen noch kahlscheren zwischen den Augen für einen Toten (?).“
[34] Nach Tropper (1989) bedeutet Totenkult die religiöse Einstellung der Menschen gegenüber den Verstorbenen, die eine Verehrung der (göttlichen) Toten miteinschließt. Diese religiöse Haltung kommt in verschiedenen Riten und Handlungen zum Ausdruck (Trauer, Bestattungsriten, Totenpflege, Magie), die von Pietät und Furcht gekennzeichnet sein können. In Bezug auf die Objekte des Totenkults sind Ahnenkult (d.h. Ahnen und andere verstorbene Familienmitglieder), Kult der verstorbenen Herrscher und Heroenkult zu unterscheiden. Nach Tropper gibt es zwei Klassen von Toten, das Heer der nicht vergöttlichten und die privilegierte Schicht der Ahnen, die über göttliche Kräfte verfügen.
[35] Zur Nekromantie in Israel vergleiche weiter Loretz 1993; Schmidt 1994; Podella 1997; van der Toorn 1997; zur Ahnenverehrung Tsan 1996; zum weiten Feld der nicht auf Totenbefragung beschränkten Divinationspraktiken Cryer 1994; Jeffers 1996.
[36] Totenbeschwörung kann exorzierend oder evozierend sein. Sie muss nicht allein zum Zweck der Nekromantie erfolgen, sondern z.B. auch, damit die Toten an einem Mahl teilnehmen. Nekromantie setzt voraus, dass es eine Existenzweise von Menschen nach dem Tod gibt (1), die Welt der Toten von der der Lebenden nicht absolut getrennt ist (2), die Toten ein Wissen (3), und ein gewisses Interesse an den Lebenden haben (4) und dass sie gewisse Macht haben (5).
[37] 1. Traumorakel; 2. Briefe an Tote; 3. Statuettenkonsultation auf Gräbern oder in den Wohnhäusern; 4. Praktiken an Gräbern und anderen Eingängen zur Unterwelt; 5. Befragung im Rahmen eines Totenfestes.
[38] 1. Weissagung durch ein Medium; 2. Beschwörung des Toten durch Fachmann oder -frau, anschließende Befragung durch die Verwandten.
[39] Die JudäerInnen gaben ihren Toten Speisen und Getränke mit, wahrscheinlich im Umfang einer Wegzehrung (Wenning/Zenger 1990). Die Nahrungsmittel sollten die Toten noch einmal oder für eine gewisse Zeit stärken. Es dürfte sich kaum um besänftigende Opfergaben für Vergöttlichte, eher um eine Versorgung handeln. Rituelle, große und regelmäßige Speiseopfer sind archäologisch nicht nachzuweisen. Biblisch allerdings gibt es Hinweise auf Speisen, die bei Gräbern niedergelegt wurden, und auf Opfer für die Toten (Deuteronomium 26,14). In Psalm 16 scheint ein Priester des JHWH-Tempeldienstes Totenopferpraktiken abzuschwören. Weitere mögliche Hinweise sind die in Psalm 106,28 erwähnten Schlachtopfer für Tote (vergleiche in Exodus 22,19 die Schlachtopfer für ’ælohim sowie noch späte Hinweise aus Tobit 4,17 oder Weisheit 14,15f; vergleiche auch die kritische Bemerkung in Sirach 30,18. Totenopfer für verstorbene Könige dürften in Ezechiel 43,7.9 erwähnt sein. (vergleiche zusammenfassend Schroer 1987: 332-335).
[40] Van der Toorn (1997) schließt aus 1 Samuel 20 und 1 Samuel 9,1-10.16, dass in Israel wie in Babylonien während des Interluniums, der dreitägigen Unsichtbarkeit der Mondsichel vor Neumond, Familienbankette mit Opferriten für die Ahnen veranstaltet wurden. Das Fest, an dem einmal im Jahr alle Familienmitglieder teilnehmen mussten, wurde von den männlichen Familienhäuptern organisiert.
[41] Diese Existenzform hat mit Leben nach israelitischem Verständnis nichts zu tun. Zum Umgang mit Sterben und Tod im alten Israel und im frühen Judentum vergleiche Klein 1908; Quell 1925; Wächter 1967; Wenning/Zenger 1990; Bieberstein 1998; zu den israelitischen Vorstellungen von der Unterwelt vergleiche Healey 1997.
[42] Im Ugaritischen bezeugt als rapi’uma. An die Stelle der etymologisch richtigen Ableitung von rp’ trat später möglicherweise despektierlich die Ableitung von rph, „lahm, schlaff sein“.
[43] Vergleiche zum Folgenden mit ausführlicheren Angaben Schroer 2001.
[44] Nur in 2 Könige 23,24 und Sacharja 10,2 hat das Wort eindeutig pluralische Bedeutung.
[45] Archäologische Hinweise auf Toten- oder Ahnenkult sind in Israel/Palästina schon im Neolithikum (bearbeitete Totenschädel in Wohnräumen) und im Chalkolithikum (Basaltpfeilerfiguren) auszumachen. Anstelle der Schädel wurden im Neolithikum auch maskenartige Kalkstein- oder Lehmgesichter angefertigt, die mittels Schnur im Haus (an der Wand, an einem Pfosten?) aufgehängt werden konnten. Die Löcher für das Anbringen von Bartimitation bei diesen Steingesichtern weisen vielleicht auf die Patrilinearität der Ahnenverehrung hin. Eine größere Zahl altsyrischer Rollsiegel (ca. 1750-1550 v. Chr.) zeigt eine Art Standarte mit einem oder zwei menschlichen Gesichtern oder Köpfen, denen Verehrung bezeugt wird (Angaben bei Schroer 1987: 154, Anm. 383; Bernett-Keel 1998: besonders 22-27 mit Abb. 17-27). Für die Spätbronze- und Eisenzeit sind zahlreiche maskenartig anmutende Gesichtsdarstellungen von verschiedenen Ausgrabungsorten bezeugt (Schroer 1987: 146f).
[46]’abot in 2 Könige 23,34 bezeichnet orakelspendende Ahnengeister oder -statuetten; auch ’ælohim meint gelegentlich Totengeister, so in 1 Samuel 28,13; Jesaja 8,19. Texte aus Nuzi erwähnen im Kontext von Erbregelungen ilanu , Hausgottheiten bzw. deren Figurinen. In Emar ist Hauskult für vergöttlichte Ahnen bezeugt, ebenso in Ugarit für die als ilh/ilhm bezeichneten Ahnen (Loretz 1993). Die außerbiblischen Indizien sprechen dafür, dass der terafim einen Ahnen repräsentierte, der die HausbewohnerInnen schützen und beraten sollte.
[47] Andere Mittel sind Prophetie, Träume und Orakel (vergleiche Jesaja 8,19f).
[48] Überregional bedeutend ist auch der Seher in 1 Samuel 9,1-10, zu dem sein Knecht den Saul schickt, um Auskunft über die verlorenen Eselinnen zu erhalten, oder der Gottesmann, zu dem die Frau von Schunem geht (2 Könige 4,23).
[49] Das Mastkalb, das sie schlachtet, gehört anscheinend ihr.
[50] Vergleiche Eitrem 1928; Lawson 1934; Rose 1950; Jouan 1981; Belloni 1988: besonders 182-187.
[51] Es ist allerdings damit zu rechnen, dass auch hinter einer unscheinbaren Notiz wie der in 2 Samuel 12,16, wonach David wegen seines kranken Kindes den ’ælohim (was „Gott“, aber auch „die Ahnen“ bedeuten kann) aufsuchte und befragte, bisweilen der Gang zu einem Medium, eventuell einer Totenbeschwörerin stand (Niehr 1991). David will Auskunft, ob das Kind am Leben bleibt, aber er bekommt keinen positiven Bescheid, trotz mehrfacher Anfrage.
[52] Manche Könige fallen wegen diesbezüglicher Vergehen durch die deuteronomistische Prüfung, besonders Manasse (2 Könige 21,6), während Hiskija und Joschija sich an die Vorschriften halten.
[53] Wie Angelika Berlejung (2001) jüngst sehr überzeugend dargelegt hat, geht es auch bei der rätselhaften Kritik Ezechiels (Ezechiel 13,17-21) an den Prophetinnen, die Prophetinnen ihrer eigenen Gedanken und nicht JHWH-Prophetinnen seien, um Frauen, die mit ihren Praktiken Entscheidungen über Tod und Leben von Menschen fällen. Ezechiel wirft den Mantikerinnen vor, Vitalitäten zu jagen, also Menschen mit ihren Praktiken und Bescheiden zu Tode zu ängstigen oder im Gegenteil zu beruhigen, auch wenn das nicht JHWHs Willen entspricht. Das Binden scheint mir allerdings eher auf Magie denn auf Befragung hinzuweisen.
[54] Zur synchronen und diachronen Analyse der Erzählung vergleiche zuletzt Kleiner 1995.
[55] Das ist bei den approbierten Propheten Israels nicht anders, da diese ihre Wirkung auch von Haus und Wohnort her ausübten und nicht, wie die angestellten Hofpropheten, vom Tempel und Palast her.
[56] Diese sehr wichtige Beobachtung macht im Blick auf die antike griechische Gesellschaft auch Sourvinou-Inwood 1996.
[57] Diese Rolle würde auch erklären, warum sie bei Siegesfeiern gleichermaßen die Stimme des Kollektivs erheben, denn auch diese stellen einen mehr oder weniger starken rite de passage, von der Todesgefahr zu neuem Leben, dar.
[58] Othmar Keel (1986: 245-251) hat auf die mythologische Bedeutung von Hoheslied 8,6 hingewiesen. Hinter dem Bild von der Liebe(sgöttin), die stark ist wie der Tod, steht die Erinnerung an die machtvollen Göttinnen, die Götter dem Tod entrissen haben (Isis-Osiris u.a.), aber auch das Image israelitischer Frauen, sich mit allen Mitteln für das Leben zu wehren.
[59] Solche Anlässe scheinen in 1 Samuel 9,1-10.16; 1 Samuel 20 beschrieben zu werden (van der Toorn 1997).
[60] Einzig die Königinmütter waren öffentliche Personen mit Einfluss als Ratgeberinnen und mit weitreichender Machtausübung in Vertretung von noch unmündigen Regenten. Bei militärischen Aktionen hatten Frauen nur im Notfall bestimmte Aufgaben wie z.B. das Steinewerfen von der Stadtmauer herab (Richter 9,51-54). Gelegentlich treten „weise Frauen“ in die Öffentlichkeit, bezeichnenderweise immer Frauen, die nur durch ihren Herkunftsort näher bezeichnet sind, bei denen also die Bindung an Mann und Sippe nicht in Erscheinung tritt (2 Samuel 14; 2 Samuel 20,14-22).
[61] Vergleiche dazu Keel 1998: 20-57.
[62] Kulte für andere Gottheiten sind in den Überlieferungen des Ersten Testaments massiv polemisch verzerrt dargestellt, doch sind die Indizien ernst zu nehmen, die eine größere Aktivität von Frauen im Kult für die Aschera (1 Könige 15,13; 2 Könige 23,6f), die Himmelskönigin (Jeremia 44) usw. anzeigen. Bei Ausgrabungen in Palästina/Israel wurden mehrere tausend sog. „pillar figurines“ gefunden, die wenigsten in Gräbern, die meisten in Häusern, wo sie wahrscheinlich als Segensfiguren aufgestellt wurden. Ob und welche Rolle sie im Haus und für die Hausgemeinschaft spielten, ist nicht deutlich, wo sie in Gräbern gefunden wurden, handelt es sich gleichermaßen um Männer- wie Frauengräber (vergleiche Keel/Uehlinger 52001: 370-377).
[63] Die Gründe können hier nicht erörtert werden. Von Bedeutung ist sicherlich, dass in Griechenland PriesterInnen von der Polis als KultfunktionärInnen beauftragt wurden, während wir es in Israel mit Priesterkasten zu tun haben. Die Entwicklung hin zur exklusiven Verehrung JHWHs scheint auch – aus großenteils aber ungeklärten Gründen – zur Verdrängung von Frauenämtern aus dem gesamten Kultwesen Israels geführt zu haben. Es gibt allerdings einzelne JHWH-Prophetinnen (2 Könige 22,14-20; Jesaja 8,3; Nehemia 6,14), die jedoch keine Schriften und Schulen hinterlassen haben.
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Silvia Schroer,
ist Professorin für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Christkatholischen und Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bern. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit altorientalischer Kunst und Religionsgeschichte und deren Relevanz für die Exegese, sowie mit Fragen der feministischen Exegese und Hermeneutik. Von ihr erschienen zahlreiche Bücher und Fachartikel zu verschiedensten Themen, zuletzt: Keel, Othmar/Schroer, Silvia, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Freiburg, Schweiz/Göttingen 2002.
Publikationen:
- Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Freiburg, Schweiz/Göttingen 2002.
- Ijob. Anfragen an das Buch vom leidenden Gerechten, in: Schottroff - Wacker, Kompendium feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1998 (zusammen mit Christl Maier).
- Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 1998 (zusammen mit Thomas Staubli).
- Die Weisheit hat ihr Haus gebaut. Studien zur Gestalt der Sophia in den biblischen Schriften, Mainz 1996.
- Der israelitische Monotheismus als Synkretismus. Einblicke in die Religionsgeschichte Israels/Palästinas auf der Basis der neueren Forschung, in: Anton Peter (Hg.), Christlicher Glaube in multireligiöser Gesellschaft. Erfahrungen - Theologische Reflexionen - Missionarische Perspektiven, Immensee 1996, 268-287.
- Die Göttin und der Geier: ZDPV 111 (1995), 60-80.
- Feministische Exegese. Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen (zusammen mit Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker), Darmstadt 1995.
- Von den schmerzlichen Beziehungen zwischen Christentum, Judentum und kanaanäischer Religion: Neue Wege 88 (1994), 71-78 (zusammen mit Othmar Keel).
- The Book of Sophia, in: Elisabeth Schüssler-Fiorenza (ed.), Searching the Scriptures. Vol. II A Feminist Commentary, New York 1994, 17-35.
- Der Vergangenheit auf der Spur. Ein Jahrhundert Archäologie im Land der Bibel, Zürich 1993 (zusammen mit Thomas Staubli).
- Die Samuelbücher (NSK-AT 7), Stuttgart 1992.
- Die Göttin auf den Stempelsiegeln aus Palästina/Israel, in: O.Keel/H.Keel-Leu/S.Schroer, Studien zu den Stempelsiegeln aus Palästina Bd. II (OBO 88), Freiburg, Schweiz/Göttingen 1989, 89-207 (Habilitationsschrift).
- In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament (OBO 74), Freiburg, Schweiz/Göttingen 1987 (Doktorarbeit).
- Der Geist, die Weisheit und die Taube. Feministisch-kritische Exegese eines neutestamentlichen Symbols auf dem Hintergrund seiner altorientalischen und hellenistisch-frühjüdischen Traditionsgeschichte: FZPhTh 33 (1986), 197-225.
- Der Mann im Wulstsaummantel. Ein Motiv der Mittelbronzezeit IIB, in: Studien zu den Stempelsiegeln aus Palästina/Israel Bd. I (OBO 67), Freiburg, Schweiz/Göttingen 1985 (zusammen mit Othmar Keel).
© Silvia Schroer, 2001, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317