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02-2011

Ausgabe 02/2011
Nadja Boeck Frauen im Matthäusevangelium – revisited

Abstract:

This article tries to rediscover the role women play in the text of the Gospel of Matthew, in dialogue with former works about women in the Gospel. The focus lies on the way women are presented in the narratives and on the question if their performance in the story identifies them as disciples although they are never called disciples explicitly. Whereas the main story of the gospel has to be called androcentric showing women in stereotypical gender roles, this analysis reveals an underlying counter story that shows women in gender roles unexpected for the time the text was written in. This counter story already starts in the genealogy by breaking through the male line of succession referring to five women. Through the main part of the Gospel several other stories show women in unexpected places and roles. The counter story culminates in the passion and resurrection stories where women take over the main acting parts, instead of the male disciples, thus helping the story to continue.

1. Einleitung – Frauen im Blickpunkt der Forschung

Die Frauen im Matthäusevangelium sind in der Forschung immer noch unterrepräsentiert. Die erste Studie, die das Matthäusevangelium aus feministischer Perspektive betrachtet, ist 1983 erschienen: „Matthew: Gender and Reading“ von Janice Capel Anderson. Sie macht in ihrem Artikel zum ersten Mal darauf aufmerksam, dass die Frauengestalten im Matthäusevangelium teilweise ungewohnte Genderrollen einnehmen. Gleichzeitig zeigt sie aber auf, dass die androzentrische Erzählung so dominant ist, dass die Frauen den Jüngern nicht gleichgestellt werden, da ihr Geschlecht verhindert, dass sie zu Jüngerinnen werden.[1] Weitere Untersuchungen zum Matthäusevangelium und der Darstellung von Frauen im Text insgesamt haben Elaine M. Wainwright und Martina S. Gnadt vorgelegt. Elaine Wainwright kommt in „Towards a feminist critical reading of the gospel according to Matthew“ zu dem Schluss, dass in einzelnen Frauengeschichten eine subversive Tendenz gegenüber dem patriarchalen Oikos zu finden ist. Daraus schließt sie auf die Inklusion von Frauen in der narrativen Welt des Matthäus und in der matthäischen Gemeinde.[2] Im Kompendium für feministische Bibelauslegung schlussfolgert Martina S. Gnadt in ihrem Beitrag zum Matthäusevangelium, dass einzelne Frauengestalten zwar als ideale Jüngerinnen dargestellt, aber nicht in den Kreis der 12 männlichen Jünger aufgenommen werden.[3] Anthony Saldarini schreibt 2001, dass sich das Matthäusevangelium nur an die Männer der matthäischen Gemeinde richte.[4] Eine weitere umfassende Untersuchung zur Darstellung der Frauen hat Thomas Longstaff vorgelegt, der in seinem Artikel „From the birth of Jesus to the resurrection: Women in the Gospel of Matthew“ explizit auf Saldarini reagiert. Longstaff kommt dabei ebenfalls zu dem Schluss, dass Frauen in den meisten Erzählungen nur zufällig und nebensächlich erwähnt werden, auch wenn er einige Ausnahmen hervorhebt. Talvikki Mattila stellt sich in ihrem Buch „Citizens of the Kingdom“ ebenfalls auf den Standpunkt, dass Emanzipation in den Texten des Matthäusevangeliums keine Rolle spielt. Die Genderrollen werden laut ihren Untersuchungen im Text nicht neu gedacht. Trotzdem versteht sie die Frauen im Text wegen der Darstellung ihrer Treue zu Jesus als Vorbilder für spätere christliche Generationen.[5] Damit endet die Reihe der Gesamtdarstellungen, die auf das Frauenbild im Matthäusevangelium fokussieren.[6] Daneben sind zahlreiche Artikel zu Einzelerzählungen erschienen, wobei vor allem die Erzählung der kanaanäischen Frau (Matthäus 15,21-28) sowie der Frauen in der Passionsgeschichte (insbes. Matthäus 27,55-56 und Matthäus 28,1-10) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.[7]

Im folgenden Artikel widme ich mich erneut der Darstellung von Frauen im Matthäusevangelium. Mit dieser Gesamtbetrachtung des Evangeliums versuche ich den Zusammenhang der einzelnen Erzählungen als counter story, die schon in der Genealogie beginnt und in den Passions- und Auferstehungsgeschichten zu ihrem Höhepunkt kommt, zur androzentrischen main story des Evangeliums aufzuzeigen.[8] Neben autorenzentrierter Exegese kommen dabei leserInnenorientierte Ansätze zur Anwendung.[9] Dabei gehe ich folgenden Fragen nach: Welches Bild von Frauen wird im Text des Evangeliums gezeichnet? Können sie als Jüngerinnen verstanden werden?

1.1 Frauen im Matthäusevangelium – Textbefund und Übersicht

Frauen kommen im Matthäusevangelium insgesamt an 34 Stellen vor.[10] Ich unterteile diese Stellen in vier Kategorien: 1. Frauen in Zitaten und Gerichtsworten, 2. Frauen in Männerdialogen und stereotypen Rollen, 3. Erwähnungen von Frauen, die den Text unterbrechen oder anderweitig auffällig sind, 4. Frauen in Hauptrollen. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über den Textbefund und die Einordnung in die verschiedenen Kategorien.

2. Frauen im Text des Matthäusevangeliums – ein erster Blick

Anthony Saldarini kommt in seinem Aufsatz „Absent Women in Matthew’s Households“ zu dem Schluss, dass Frauen im Matthäusevangelium mehrheitlich abwesend sind.[11] Thomas Longstaff bestätigt diesen Befund für den Mittelteil des Evangeliums.[12] Ein erster Durchgang durch das gesamte Matthäusevangelium scheint diese Ergebnisse vordergründig zu bestätigen. Das Evangelium ist aus einer androzentrischen Perspektive geschrieben. Der Text enthält patriarchale Anschauungen.[13] Frauen werden entweder als Thema in einem Gespräch von Männern aufgeführt, dabei wird über sie debattiert und entschieden, oder sie werden in traditionellen, stereotypen Rollen dargestellt.

2.1. Die androzentrische main story

Das Evangelium beginnt mit einem für patriarchale Gesellschaften typisch patrilinear gestalteten Geschlechtsregister, aus dem Frauen ausgeschlossen waren.[14] Die Geburtsgeschichte dreht sich hauptsächlich um Josef als gerechten Mann (Matthäus 1,18-25). Der Engel spricht über Maria und gibt Josef Anweisungen, wie er mit seiner Verlobten umgehen soll. Maria kommt nicht zu Wort. Sie wird im Text nicht als Handelnde dargestellt, sondern an ihr wird gehandelt. Es wird über sie bestimmt. In der Kindheitsgeschichte wird sie von der Flucht nach Ägypten an nicht mehr namentlich erwähnt, sondern im Zusammenhang mit ihrem Kind nur noch als Mutter bezeichnet (Matthäus 2,11-14.20-21). Sie wird in der Rolle, die der Frau im Haushalt, der damaligen gesellschaftlichen Norm entsprechend, zusteht, als Mutter erwähnt, jedoch nicht mehr mit ihrem Namen. Ihre außerordentliche Rolle als Mutter Jesu Christi wird sowohl durch eine patrilineare Genealogie, die Jesus wieder in die männliche Herkunftslinie, welche durch das Fehlen eines Vaters gefährdet war, hineinsetzt, als auch durch die Geburtsgeschichte, die Jesus durch die Adoption Josefs zu einem Davididen macht, übertönt.[15]

2.1.1 Frauen in Zitaten und Gerichtsworten

Ferner sind sieben Erwähnungen von Frauen entweder biblische Zitate, stammen aus der Tradition oder sind traditionell formulierte Gerichtsworte: 2,18, 12,42; 15,4-5; 19,19; 21,5; 24,19; 24,41. Sie können für die Rolle von Frauen in der matthäischen Textkonstruktion allerdings wenig austragen.

2.1.2 Frauen in Männerdialogen und stereotypen Rollen

An weiteren neun Stellen, in denen Frauen vorkommen, werden sie ebenfalls entweder in traditionellen Rollen erwähnt oder Männer debattieren über ein Gebot, das Frauen betrifft.
Zu den Rollen, die der damaligen gesellschaftlichen Norm oder stereotypen Frauenrollen entsprechen, gehören die Frau als Mutter (Matthäus 10,34; 19,29), als Gebärende (Matthäus 11,11), als Mahlzeiten-Zubereitende (Matthäus 13,33) sowie als Mutter und Schwester Jesu (Matthäus 13,55). Zu Matthäus 13,33 ist anzumerken, dass hier eine Tätigkeit der Frauen, das Zubereiten von Sauerteig, zu einem Gleichnis vom Himmelreich wird. Insofern erfährt die Tätigkeit immerhin eine Wertschätzung.
Die Frauen sind in diesen Erzählungen, wie aber auch an den meisten anderen, namenlos, werden über ihre familiären Verhältnisse oder über Söhne und Männer identifiziert. Auch das ist wiederum eine Darstellung, die der gesellschaftlichen Norm entspricht, in der Frauen ihren Platz im patriarchalen Haushalt hatten und Männer über Entscheidungen, die das Leben der Frauen betrafen, befanden.[16] So unterschrieb der Vater einer Frau den Ehevertrag mit dem zukünftigen Ehemann, alleinstehende Frauen mit Kindern bekamen häufig einen Vormund, der sie gesellschaftlich vertreten sollte.[17]

In den folgenden Texten wird über Frauen geboten oder debattiert:
- 5,27-32 die zweite und dritte „Antithese“ (Verbot von Ehebruch und Scheidung),
- 18,25 Frau und Kinder werden aufgrund einer Geldschuld des Mannes verkauft,
- 19,3-9 die Pharisäer und Jesus debattieren über das Scheidungsverbot,
- 22,23-33 die Sadduzäer und Jesus diskutieren über die Auferstehung und darüber, welchem Mann die Frau gehört, die sieben Männer hatte.[18]
So wie die Frauen an diesen Stellen dargestellt werden, entspricht es den damaligen Sitten und Normen. Im Text wird für die Frauen kein neuer Platz in der Gesellschaft imaginiert. Besonders deutlich lässt sich das anhand der zweiten und dritten „Antithese“ zeigen, die eine patriarchale Ehepraxis voraussetzen.

2.2 Frauen in den „Antithesen“

Als ausführliche Beispiele für die androzentrische main story werden hier die zweite und dritte „Antithese“ genauer untersucht. Die Wahl fällt auf die „Antithesen“, da sie als Teil der ersten Lehrrede Jesu bedeutend für das gesamte Evangelium sind. In den „Antithesen“ wird Jesus als vollmächtiger Lehrer dargestellt, der die Gültigkeit der Tora bestätigt und eine aktualisierte Auslegung hinzufügt. Auch die Lehre Jesu, wie sie im Matthäusevangelium ausgeführt wird, ist keineswegs frei von Androzentrismen.[19]

2.2.1 Die Funktion der „Antithesen“ und ihr Verhältnis zu Matthäus 5,17-20

Die Antithesen in der Bergpredigt sind nicht als Aufhebung des mosaischen Gesetzes durch das neue Gesetz Jesu zu verstehen.[20] Es finden sich einerseits in der jüdischen Auslegung ebenso Antithesenformeln.[21] Andererseits zeigt sich inhaltlich, dass die „Antithesen“ kaum etwas enthalten, was jüdischer Überlieferung widerspräche oder in ihr nicht auch zu finden wäre.[22] Der matthäische Jesus zeigt in den „Antithesen“, wie das Gesetz Mose erfüllt wird. Christologisch wird hier ein Gottessohn dargestellt, der sein Wort souverän dem Wort des Mose hinzufügt.[23] Es geht nicht um die Abschaffung der Tora Moses, wie das „judenchristliche Programm“[24] des Schreibers des Matthäusevangeliums, das in 5,17-20 festgehalten ist, zeigt. Durch die Position vor den „Antithesen“ dient es gerade als wichtiger Interpretationshinweis für die „Antithesen“. In 5,17-20 heißt es, dass Jesus gekommen ist, das Gesetz zu erfüllen und kein Jota vom Gesetz weggenommen werden darf. Vers 17 setzt mit dem auffälligen „Μὴ νομίσητε” ein. Es klingt, als ob Matthäus einen vorausgegangenen Dialog in sein Werk einfließen lässt.[25] Es ist möglich, dass es von Außenstehenden Anschuldigungen gab, die Lehre Jesu löse die Tora auf.[26] Diesem möglichen Vorwurf werden die Verse 17-19 entgegengesetzt. Νόμος in Vers 17 ist als die Tora zu verstehen.[27] Die Propheten stehen für den Rest der Schriften.[28] Beides zusammen, Gesetz und Propheten, ergeben das gesamte Zeugnis, das es zu halten gilt. Deshalb muss es auch heißen, dass gerade Jesus nicht nur das Gesetz, sondern auch die Propheten erfüllte.[29]Für Matthäus besteht keine Spannung zwischen 5,17-20 und den „Antithesen“. Wahrscheinlich ging es für den Schreiber Matthäus als gläubigen, gebildeten, palästinischen Juden gar nicht um die Frage, Gesetz halten oder nicht.[30] Es war klar, dass das Gesetz gültig ist, deshalb muss sich Matthäus auch so aufwendig verteidigen. Insofern geben die Verse 17-20 nicht nur durch ihre Position, sondern vor allem auch inhaltlich eine Interpretationsvorgabe für die „Antithesen“. Sie lösen das Gesetz in keiner Weise auf, sondern zeigen, wie das Gesetz erfüllt wird.[31]

2.2.2 Das Verbot von Ehebruch (Matthäus 5,27-30)

In 5,27-32 steht das Verbot von Ehebruch und Ehescheidung. Das eröffnende „Ἠκούσατε” spricht die zuhörenden Männer an, da in den folgenden Sätzen die Frau nur als Objekt vorkommt.
Zwar sind nach dem Erzählverlauf der Bergpredigt auch Frauen Zuhörerinnen Jesu[32], aber zumindest diese zwei Gebote Jesu betreffen nur Männer. Es ist möglich, dass Matthäus sich eine Öffentlichkeit mit minimaler weiblicher Präsenz vorstellte. Saldarini geht davon aus, dass Matthäus einen männlichen Hörerkreis imaginierte, nämlich die Männer seiner Gemeinde.[33] Dann wären alle „Antithesen“ an eine männliche Hörerschaft gerichtet. Doch auch wenn sich der Schreiber einen hauptsächlich männlichen Hörerkreis vorgestellt haben mag, der Text selbst verunmöglicht es nicht, in der textinternen zuhörenden Volksmenge auch Frauen anwesend zu sehen. Denn in den Volksmengen, die im Matthäusevangelium beschrieben werden, befinden sich auch Frauen. Das zeigt z.B. die nur bei Matthäus geschriebene Bemerkung, dass bei der Speisung der 5000/4000 die Zählung ohne Frauen und Kinder ist (Matthäus 14,21/15,38).
In der zweiten „Antithese“ wird Männern geboten, keinen Ehebruch[34] zu begehen. Im Vordergrund scheint die Wahrung des Besitzes des Mannes zu stehen.[35] Kein Mann soll fremden Besitz begehren, so wie es schon in Exodus 20,17 gefordert ist. In dieser „Antithese“ wird das Verbot des Ehebruchs aus Exodus 20,13 mit dem Begehren verbunden, das somit als Anfang des Ehebruchs gedeutet wird. In Matthäus 5,28 zeigt die Formulierung πρὸς τό mit einem Infinitiv, dass es nicht nur um die Absicht des Begehrens an sich geht, sondern auch um die damit verbundenen Vorstellungen und Vorhaben. Sexuelle Erregung und die Imaginierung eines Ehebruchs sind in der Formulierung mitgedacht.[36] Die Forderung hätte in der antiken Welt Unterstützung gefunden.[37]
Allerdings kann das Gebot für die Männer auch Frauen zugutekommen. Die „Antithese“ kann auch als Gebot zur Wahrung der Integrität der Frau verstanden werden, die nicht mehr von der Begierde eines Mannes verobjektiviert werden darf.[38] Dabei bleibt die Frau allerdings zweitrangige Adressatin des Gebotes und bekommt keine aktive Rolle im Geschehen. Die Vorstellung der Frau als Begehrende hat keinen Platz. Die „Antithese“ regelt Begehren im Rahmen der gesellschaftlichen Verhältnisse. So wie es Saldarini für Kap. 18 sagte, gilt es auch hier: „[…] women have no role, voice, or visibility“[39] in dieser Angelegenheit der Ehe.
Aus einer leserorientieren Sichtweise ist hier zu fragen, was die ErstrezipientInnen des Matthäusevangeliums an dieser Stelle gehört haben – die Wahrung des Rechtes des Mannes oder den Schutz der Würde der Frau?
Wenn wir von torakundigen HörerInnen ausgehen, kennen sie das Toragebot Exodus 20,13/Deuteronomium 5,17. Sie hören, dass der matthäische Jesus Ehebruch mit dem bloßen Begehren beginnen lässt. In Exodus 20,17 (Septuaginta) bezieht sich das Verbot zu begehren auf den Besitz des Mannes. Es ist deshalb zu vermuten, dass die Besitzwahrung an erster Stelle gehört wurde. Ob HörerInnen das Gebot als Schutz ihrer Würde erfahren haben, ist kaum zu beantworten. Für unwahrscheinlich halte ich es, dass die ErstrezipientInnen an dieser Stelle eine Betonung der Achtung und Liebe zwischen Eheleuten hörten wie Frankemölle es erwägt.[40] Das romantisierende Eheverständnis der Neuzeit ist für die ErstrezipientInnen kaum leitend gewesen.[41]

2.2.3 Das Scheidungsverbot (Matthäus 5,31-32)

Die dritte „Antithese“ zeigt deutlich die Ehepraxis der Entstehungszeit des Evangeliums. Der Mann kontrolliert die Ehe. Es ist an ihm, über Scheidung oder Nichtscheidung zu befinden. Bei Matthäus klingt das Scheidungsverbot durch seinen Zusatz πορνεία praktikabel. Vielleicht hat es sich hier um eine Ordnung der matthäischen Gemeinde gehandelt, wie Ulrich Luz vermutet.[42]
Dem Autor des Matthäusevangeliums scheint es wichtig gewesen sein, zum Thema Scheidung Stellung zu nehmen, er lässt Jesus zweimal darüber lehren. Das vermutlich jesuanische Scheidungsverbot hat Matthäus aber durch die Ergänzung πορνεία abgeändert (sowohl 5,32 als auch 19,9). Obwohl Scheidung im Falle dieser Ausnahme erlaubt wird, ist das Scheidungsverbot klar eine Abgrenzung zur Position der Schule von Hillel. Dort wurde vertreten, dass Männer ihre Frauen aus den willkürlichsten Gründen entlassen konnten.[43] Davies und Allison halten es für möglich, dass es sich um eine matthäische Formulierung der schammaitischen Position handelt, die eine viel restriktivere Ehescheidungspraxis befürwortete als Hillel.[44] Vered Noam dagegen nimmt eine alte Halakhah für die Zeit des Zweiten Tempels an, in der die restriktive Scheidungsregelung vertreten wurde. Diese sei in den halachischen Regeln von Bet Schammai erhalten geblieben. Ebenso beziehe sich Jesus auf sie, wenn er sein Scheidungsverbot lehrt, genauso wie die „Qumran Sekte“.[45] Ein generelles Scheidungsverbot findet sich auch in Schriften aus Qumran, 11QTempel 57,17-19 und CDC 4,21-5,2.[46]
Πορνεία ist ein allgemeines Wort, Einschränkungen auf Inzest sind bei Matthäus nicht ersichtlich.[47] Es geht um jegliche Art illegitimen Geschlechtsverkehrs wie er im 1. Jahrhundert verstanden wurde.[48] Im Vergleich zur willkürlichen Entlassung von Frauen ist die Position wie sie in Matthäus 5,31 und Matthäus 19,9 beschrieben wird, als Verbesserung zu betrachten. Auffallend ist auch, dass keinerlei Pflichten von Ehefrauen gegenüber ihren Ehemännern beschrieben werden, wie es sonst zum Beispiel in den Haustafeln (Kolosser 3,18; Epheser 5,22-24; 1. Petrus 3,1-6) üblich ist. Die Ehemänner dürfen ihre Frauen nicht aus irgendwelchen trivialen oder selbstsüchtigen Gründen aus dem Oikos entlassen, wo sie nach dem Verständnis der antiken Gesellschaft sozial und ökonomisch versorgt waren.[49] Doch den Frauen wird im Text keine aktive, unabhängige Rolle eingeräumt. Es bleibt der Mann, der über Ehedinge entscheidet. Denn in der markinischen Vorlage zu Matthäus 19,3-12 gibt es, wie es nach römischem Recht möglich war, auch die Umkehrung, dass die Frau den Mann entlässt (Markus 10,12). Matthäus übernimmt diesen Vers nicht. Er bleibt im jüdischen Recht, wo die Scheidung nur dem Mann oblag.[50] Ebenso bleibt die Frage unbeantwortet, was mit Geschiedenen, die nach dem Gebot nicht wieder heiraten dürften, geschehen soll. Für eine Geschiedene konnte das in der damaligen Gesellschaft katastrophale Folgen haben, da sie als solche keinerlei Rechte hatte.[51]

2.2.4 Das Frauenbild in den „Antithesen“

Auch wenn die zweite und dritte „Antithese“ Frauen zugute kommen können, bleiben sie hier völlig unsichtbar. Ihre Bedürfnisse, Rechte und Pflichten werden nicht angesprochen.
Insgesamt ist im Text kein Interesse daran zu erkennen, Frauen in einer neuen Rolle in der Ehe und damit auch im Oikos zu zeigen. Sie werden durch das Verbot der Ehescheidung zwar vor dem sozialen und ökonomischen Absturz geschützt, der entlassenen Frauen in der Gesellschaft, die wenig Platz für selbstständige Frauen hatte, drohte.[52] Die Abhängigkeit vom Ehemann bleibt aber bestehen.
Die Forderungen der „Antithesen“ gehen in eine andere Richtung. Einleuchtend erscheint mir Andrew Overmans Deutung. Er schlägt vor, die „Antithesen“ insgesamt unter dem Thema Gemeinschaft und was Gemeinschaft zerstört zu lesen. Die „Antithesen“ können durchaus von den ErstrezipientInnen als Gebote für die Gemeinschaft gehört worden sein. Es geht darum, wie sie sich nach innen und nach außen verhalten sollen. Ist es in der ersten „Antithese“ der Zorn, der die Gemeinschaft zerstört, so ist es in der zweiten die Begierde und in der dritten Porneia.[53] Im Blickfeld ist hier aber eine Gemeinschaft, in der Männer tonangebend sind. Die Gebote sind an diese Männer gerichtet und sie müssen sich in der Einhaltung dieser Gebote üben. Spätere Exegeten und Kirchenmänner sahen Grund für eine Umdeutung der zweiten und dritten „Antithese“. Die Frau wurde nun zur Begehrenden, ausgelöst durch die Blicke des Mannes; oder die Frau machte den Mann durch ihre Attraktivität zum Opfer von Ehebruch. Diese Ansätze finden sich selbst noch in heutigen Kommentaren, die ebenfalls überwiegend von Männern stammen.[54]
So scheint Anthony Saldarini auf den ersten Blick recht zu behalten, wenn er sagt: „Matthew does not exclude or attack women, but he does not reimagine their place in society either.“[55]

3. Die counter story

Ich stelle diesen Befund trotzdem infrage, denn bei genauerer Betrachtung finden sich immer wieder Brechungen im Text, welche die Rolle der Frau in der damaligen Gesellschaft auf subtile Weise hinterfragen. Auch wenn diese Befunde ebenso wenig von einer Gleichstellung der Geschlechter bei Matthäus sprechen lassen, so bringen sie doch entscheidende Unterbrechungen der dominanten patriarchal geprägten Erzählung mit sich. Diese Textstellen werden im Folgenden genauer untersucht.

3.1 Textunterbrechungen dank Frauen

3.1.1 Fünf Frauen (Matthäus 1,1-17)

In der schon erwähnten Genealogie, besser „Buch des Ursprungs Jesu“ genannt (Matthäus 1,1)[56], zu Beginn des Matthäusevangeliums finden sich die ersten Auffälligkeiten im Text. Sie durchbrechen den Sprachrhythmus der Genealogie durch zusätzliche Angaben.[57] Sie fungieren als „Synkopen“[58], welche die trocken informative Gestalt der Genealogie verändern und Leerstellen schaffen, die von LeserInnen nur gefüllt werden können, wenn sie mit einigen Gestalten und Episoden aus dem Alten Testament vertraut sind.[59] Fünf dieser Synkopen entstehen durch die Erwähnung von Frauen in der sonst patrilinearen Genealogie. Es sind ausdrücklich Tamar (1,3), Rahab (1,5), Ruth (1,5), Bathseba (τῆς τοῦΟὐρίου1,6) und Maria (1,16) erwähnt. Die übliche Satzstruktur A zeugte B wird an diesen Stellen nicht fortgesetzt. Es heißt: ἐκ τῆς Θαμάρ, ἐκ τῆς ‘Ραχαβ, ἐκ τῆς ‘Ρουθ, ἐκ τῆς τοῦ Οὐρίου. Bei Maria steht dann: Μαρίας ἐξ ης- ἐγεννήθη Ἰησους. Hier wird grammatikalisch eine noch größere Unterbrechung erzeugt.[60] Wie Peter-Ben Smit in seinem Artikel „Something about Mary?“ zeigt, muss diese Veränderung nicht als Abgrenzung der Maria von den anderen Frauen verstanden werden: „When the situation is observed more closely, however, one sees that the shift that takes place is theological, and that the grammatical and syntactical means that Matthew uses emphasize continuity much more than discontinuity with the preceding genealogy, as far as the women are concerned.”[61] Die fünf Erwähnungen von Frauen unterbrechen den Text, die Art ihrer Erwähnung zeigt aber eine Kontinuität auf, die sie miteinander verbindet, trotz des grammatikalischen Unterschieds.[62]
Im Vergleich dazu finden Frauen bei Lukas, der ebenfalls eine Genealogie bietet (Lukas 3,23-38), keine Erwähnung. Selbst Maria wird nicht genannt. Dafür erhält sie bei Lukas in den Geburtsgeschichten eine hervorgehobene Rolle.

Bisherige Deutungsversuche für die fünf Frauen

Die Diskussion um die Bedeutung dieser fünf Frauen in der Genealogie des Matthäusevangeliums wird seit langem geführt und hat verschiedenste Thesen hervorgebracht. Hauptsächlich wird versucht, eine Gemeinsamkeit aller fünf Frauen zu finden oder aber eine Eigenschaft, welche die ersten vier Frauen verbindet und durch die schon auf Maria hingewiesen wird. Dieser Ansatz wird m. E. zu Recht von Moisés Mayordomo aus einer leserorientierten Sicht in Frage gestellt.[63] Die Hauptthesen werden der Vollständigkeit halber trotzdem genannt:
1. Die vier Frauen werden als Sünderinnen identifiziert[64]. Diese Interpretation bleibt aber unbefriedigend, da von den Texten her dieses Verständnis nicht unterstützt wird. In der jüdischen Auslegung findet sich ebenfalls kein Hinweis auf eine solche Interpretation.[65] Erst Kommentatoren der frühen Kirche stellten die Frauen in dieses Licht.[66]
2. Sie werden als Ausländerinnen wahrgenommen, also Frauen, die nicht zum JHWH-Glauben gehörten. Diesen Vorschlag hat Martin Luther prominent eingeführt. Allerdings ist auch dieses Motiv nicht eindeutig, denn zumindest Maria fällt mit Sicherheit aus dieser These heraus. Tamars Herkunft bleibt ungeklärt. In den Texten wird aber nie betont, dass sie Nicht-Jüdin war. Für Bathseba wird angeführt: Da ihr Name in der Genealogie nicht genannt, sondern sie über ihren Mann identifiziert (die, des Urija)[67] wird, sei es ein Hinweis dafür, dass sie zumindest in einer Ehe mit einem Nicht-Juden ist[68] oder deshalb sogar zur Nicht-Jüdin geworden sei. Diese Vorschläge sind allerdings der Versuch, den Text an die Deutung anzupassen.
3. Die Frauen werden als Vorgängerinnen Marias verstanden, die ebenso ungewöhnliche, wie zum Teil skandalöse Verbindungen mit ihren Partnern eingegangen waren.[69] Sie hatten selbst aktive Rollen oder insgesamt eine wichtige Rolle im göttlichen Plan und werden somit als Instrumente des göttlichen Vorhabens verstanden. Doch auch hier sind die Parallelen nicht durchgehend. Rahab ist zwar eine Prostituierte, um eine skandalöse Partnerschaft geht es in dem Text jedoch nicht. Ebenso wird in den Texten und in der Tradition weder Tamar noch Ruth ein Vorwurf über ihre Partnerschaft gemacht. Bathseba würde noch am ehesten zu diesem Vorschlag passen, allerdings hat sie keine sonderlich aktive Rolle in der Geschichte des Ehebruchs; im Samuelbuch wird König David die Schuld zugesprochen. Ebenso wird Maria bei Matthäus als völlig passiv beschrieben, im Mittelpunkt steht Josef als der Gerechte. Insofern kann nicht die Rede von einem durchgehenden Motiv aktiver Frauen in skandalösen Partnerschaften sein. In gewisser Weise ist dieser Vorschlag eine Abwandlung der ersten Interpretation. Nun werden die Frauen nicht mehr als Sünderinnen bezeichnet, sondern ihre aktive Rolle in der Heilsgeschichte soll hervorgehoben werden, die in Zusammenhang mit ihren Beziehungen verstanden wird.
4. Ein weiterer Vorschlag ist, dass diese Frauen eine wichtige Rolle in der Heilsgeschichte spielen. Auch hier gibt es wieder die Variante von den passiven Frauen, die als Gefäße des heilsgeschichtlichen Wirkens Gottes dienen, das manchmal unerwartete Wege geht[70] oder die aktive Variante, dass diese Frauen Israel gerettet haben. Gott wirkt durch diese Frauen.[71] Dass nicht alle Frauen einheitlich als aktiv oder passiv verstanden werden können, haben wir unter Punkt drei schon gesehen. Zusätzlich besteht bei dieser Variante das Problem, dass die Erklärung sehr allgemein bleibt. Warum Matthäus gerade diese Frauen nennt und nicht z.B. die Ahnfrauen, kann nicht erklärt werden.[72]
5. Elaine M. Wainwright möchte die Darstellung der Frauen als Infragestellung der patriarchalen Familienstruktur verstehen, da die Geschichten dieser Frauen immer die gewohnte Struktur durchbrächen. Dadurch sind diese Frauen jeweils stark gefährdet, weil sie zumindest für einen Moment außerhalb der traditionellen Familienstruktur stehen.[73] Von Thomas Longstaff und Amy-Jill Levine stammt der Vorschlag, auf die soziale Stellung der Frau zu schauen. In der Genealogie werden die traditionell Mächtigen (Patriarchen, Könige und Reiche) den traditionell Machtlosen gegenübergestellt.[74]
6. Einen weiteren Deutungsversuch bringt Peter-Ben Smit ein. Er wendet das Augenmerk auf das Nächstliegende, der Hauptnenner ist das Geschlecht der fünf Frauen. „From a gender-sensitive perspective the occurrence of the five women strikes one immediately as unusual because of their gender – which agrees with their unusual character in other respects – and they must be seen in relation to one another because of it […]”[75]Die Tatsache des gleichen Geschlechts macht laut Peter-Ben Smit aufmerksam auf die weiteren Gemeinsamkeiten, die sich zwischen den Frauen finden, die aber immer nur auf einige der fünf Frauen zutreffen.

Deutung der fünf Frauen aus einer leserInnenorientieren Sicht

Ich denke, der Ansatz, die Genealogie aus einer leserorientierten Sicht zu verstehen, wie Moisés Mayordomo es tut, ist viel versprechend. Die Unterbrechung der patrilinearen Struktur der Genealogie ist eine Überraschung während des Hörens. Dabei ist die hervorstechendste Gemeinsamkeit in allen fünf Texten die Erwähnung von fünf Frauen, wie Peter-Ben Smit betont.[76] Die HörerInnen werden auf die Präsenz von Frauen in der Geschichte Israels aufmerksam gemacht.[77] Die Frauennamen stehen kaum für eine einzige theologische Deutung. Sie sind theologisch signifikante, typologische Zeichen, die bei den Hörenden, die mit den Erzählungen des Alten Testaments vertraut sind, bestimmte Geschichten aufrufen.[78] Die Namen kreieren eine Leerstelle für narrative Phantasien.[79] Die Hörenden können diese mit ihrem Wissen, ihren Vorstellungen und ihren Deutungen über diese Frauen und ihre Geschichte füllen. So können die Herkunft der Frauen, ihre Beziehungen mit Männern oder ihre Rolle in der Heilsgeschichte in diese Leerstelle gesetzt werden. Diese Deutungen haben jedoch keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit. Die Notwendigkeit, schon in der Genealogie des Matthäus ein gesamtes theologisches Programm zu finden, ist nicht gegeben und sogar überflüssig. Wenn das Ende des Matthäusevangeliums den Hörenden schon bekannt ist und sie es mithören, dann haben sie aber die Möglichkeit, beides zu verknüpfen und zum Missionsauftrag den Anfang des Evangeliums hinzuzudenken, an dem schon von Nicht-Jüdinnen die Rede ist (Rahab und Ruth).
Wichtig für die Evaluierung des matthäischen Frauenbildes ist, dass Matthäus schon zu Beginn des Evangeliums seine Autorität als Schreiber nutzt. Er kann Markierungen im Text setzen, um seine LeserInnen aufmerksam zu machen. Tatsächlich ist zu vermuten, dass die Einfügung der Frauennamen auf Matthäus zurückgeht.[80] Matthäus nutzt Frauennamen als Synkopen in der männerdominierten Genealogie. Dadurch entsteht der Eindruck, Frauen spielen hier eine bedeutende Rolle. Es liegt für mich nahe, die Erwähnung der Frauen in der Genealogie als Markierungszeichen für die Lesenden zu verstehen, die sie auffordern, auch im weiteren Verlauf des Evangeliums auf Frauen und ihre Handlungen zu achten.

3.2. Unerwartete Darstellungen von Frauen

In den folgenden fünf Texten (Matthäus 8,14-15; Matthäus 12,45-50; Matthäus 14,21/15,38; Matthäus 21,31) werden Frauen erwähnt. Thomas Longstaff bezeichnet sie u.a. als zufällige oder belanglose Erwähnungen und hält die Texte dementsprechend für das Frauenbild des Matthäusevangeliums für nebensächlich.[81] Ich plädiere für eine andere Bewertung dieser Erzählungen. Auch wenn die Frauen nur Nebenrollen bekommen, ist ihre Nennung oder Darstellung doch auffällig.

3.2.1 Die Schwiegermutter des Petrus (Matthäus 8,14-15)

Matthäus übernimmt den Text aus seiner markinischen Vorlage (Markus 1,29-34), greift aber wieder markant in den Text ein, sodass die Darstellung der Schwiegermutter verändert wird. Die Heilung der Schwiegermutter ist die dritte von drei Heilungserzählungen. Davor heilte der matthäische Jesus einen Aussätzigen, danach den Sohn/Sklaven des Hauptmanns von Kapernaum, als drittes die Schwiegermutter des Petrus. Elaine Wainwright versucht, eine Gemeinsamkeit von allen drei Figuren herauszuarbeiten. Sie sieht alle drei in einer marginalisierten Position und hält sie für Ausgestoßene.[82] Der Aussätzige ist durch seine Unreinheit tatsächlich am Rand der Gesellschaft. Vom Hauptmann von Kapernaum kann man das aber wohl kaum sagen. Er hat befehlshabende Gewalt in der Stadt und über eine Anzahl von Soldaten. Sicherlich ist er als Nicht-Jude nicht zum Volk Israel gehörig, aber ob das als Marginalisierung lesbar ist, halte ich für fraglich. Ebenso muss Wainwright für die Schwiegermutter neben dem Fieber eine Unreinheit postulieren, um die Marginalisierung hervorzuheben.[83] Der Text selbst gibt keine Andeutung, dass die Schwiegermutter durch ihre Krankheit als unrein zu verstehen ist. Ich denke, die drei Figuren sind gerade durch ihre Unterschiedlichkeit in Herkunft, Status und Geschlecht zu verstehen. Die Texte zeigen, dass Jesus sich allen zuwendet, ungeachtet ihrer Verschiedenheit.
Die Besonderheit an der Heilung der Schwiegermutter ist, dass niemand um die Heilung bittet, weder die Bedürftige selbst, noch ein anderer Mensch stellvertretend für sie.[84] Das kommt im Matthäusevangelium nur in dieser einen Heilungsgeschichte vor und ist auffällig. Im Markustext sprechen die Jünger mit Jesus über die Schwiegermutter und erst daraufhin wendet er sich ihr zu. Wie schon in der Genealogie wird der übliche Erzählverlauf von Heilungen bei dieser Heilung einer Frau durchbrochen.[85] Durch die matthäischen Änderungen am Text werden die Jünger völlig ausgeblendet. Es geht nur noch um das Geschehen zwischen Jesus und der Frau. Jesus wendet sich ihr zu und heilt sie. Die Heilung wird durch ἠγέρθη (sie stand auf) bestätigt.[86] Danach heißt es „καὶ διηκόνει αὐτῷ“ (und sie diente ihm). Auch hier hat Matthäus wieder den Markustext verändert. In Markus 1,31 steht „καὶ διηκόνει αὐτοῖς“ (und sie diente ihnen). Bei Markus (wie auch bei der lukanischen Parallelstelle, vgl. Lukas 4,38-39) wird deutlich der Eindruck erweckt, die Schwiegermutter bedient Jesus und die Jünger am Tisch, sobald sie vom Bett aufgestanden ist. Natürlich kann „dienen“ bei Matthäus dieselbe Assoziation hervorrufen: die Schwiegermutter bedient Jesus bei Tisch.[87] Doch der Text ist so gestaltet, dass er keine eindeutige Zuordnung erzeugt. Da die Jünger unerwähnt bleiben, lenkt der Text den Fokus auf das Dienen für Jesus Christus. In Matthäus 4,11 haben schon die Engel Jesus gedient. Sowohl in Matthäus 4,11 wie auch hier in Matthäus 8,15 steht das Verb im Imperfekt, was nicht auf einmaliges Bedienen hinweisen kann, sondern auf ein fortdauerndes Dienen. Dieses fortdauernde Dienen ruft die Assoziation mit Jüngerschaft und Nachfolge hervor. Von Matthäus 20,28; 25,44 und 27,55 her wird diese Bedeutung von Matthäus 8,15 sogar verstärkt. In Matthäus 20,28 benennt der matthäische Jesus seinen eigenen Auftrag als Dienen und fordert die Jünger zur Nachahmung auf. Allein durch das Dienen kann ein Jünger Größe erlangen. Das Nicht-Dienen wird zum Entscheidungskriterium in Matthäus 25,44, wo es um das Eintreten in die βασιλειά geht. Diejenigen, die Jesus nicht durch die Fürsorge für den geringsten Bruder gedient haben, können in Matthäus 25,45-46 vor dem König nicht bestehen. In Matthäus 27,55 wird zum zweiten Mal von Frauen gesprochen, die Jesus dienen. Hier wird διακονέω durch die Verbindung mit ἀκολουθέω viel deutlicher mit Jüngerschaft in Verbindung gebracht. Ἀκολουθέω ist in den Berufungsgeschichten das Wort, das für die Nachfolge der Jünger verwendet wird.
Die Formulierung und Szenerie in Matthäus 8,14-15, in der die Heilung Anklänge an eine Berufungsgeschichte hat[88], eröffnet andere Deutungsmöglichkeiten von „Dienen“ als nur den reinen Tischdienst. Die Geschichte unterbricht den üblichen Erzählverlauf einer Heilung also nicht nur, weil es keine/n BittstellerIn gibt, sondern auch dadurch, dass die Schwiegermutter des Petrus nicht eindeutig auf ihre Rolle als bedienende Frau festgelegt wird. HörerInnen wird so ermöglicht, sie als Jüngerin Jesu zu verstehen.

3.2.2 Jüngerinnen (Matthäus 12,46-50)

In der Perikope Matthäus 12,46-50, in der es um Jesu Familie geht, wird zuerst die Mutter Jesu erwähnt, die, zusammen mit ihren Söhnen, Jesus sprechen möchte. Die Mutter Jesu wird in einer gesellschaftlich zu erwartenden Rolle gezeigt. Im Gegensatz zu Markus finden sich aber keine harschen Töne zu Beginn des Textes.[89] Weder hält die Mutter ihren Sohn für verrückt, noch will die Familie Jesus mit Gewalt nach Hause holen (Markus 3,21). Die Distanz zwischen Jesu und seiner Familie wird dadurch von Matthäus verringert. Trotzdem bleiben sie auf der Bildebene (sie stehen draußen vor dem Haus) und auf der Sprachebene (ἔξω) diejenigen in der Geschichte, die draußen sind. Dagegen sind die Jünger drinnen, sie gehören dazu. So wird durch Bild und Sprache in Vers 46 schon vorbereitet, was in Vers 49 ausgeführt wird. Die Gemeinde wird als Familie konzipiert, aber nicht mehr als biologische, sondern als soziologische Familie.[90] Ethnische Herkunft oder Geschlecht spielen für die Zugehörigkeit zu dieser Familie keine Rolle. Das erinnert an Matthäus 3,9, wo schon Johannes androht, dass die Berufung auf die Abstammung in Zukunft keinen Wert haben wird. Kriterium der Zugehörigkeit zur Familie Jesu ist allein „das Tun des Willens des Vaters im Himmel“ (Matthäus 12,50). Diesen Willen lehrt der matthäische Jesus in Einzelbelehrungen seinen Jüngern und ebenso öffentlich dem Volk.
Auch das Bild der Mutter wird erweitert von der biologischen Mutter zu einer Mutter, die Jüngerin Jesu ist. In Vers 50 wird noch die Schwester hinzugefügt. Matthäus hat das schon in seiner Vorlage so formuliert gefunden. Er verstärkt es, indem er keinen irdischen Vater erwähnt, aber den Vater in den Himmeln in Vers 50 hinzufügt.[91] Die Gruppe der NachfolgerInnen Jesu wird zu einer Familie, in der es Mütter, Brüder und Töchter gibt, die alle unter dem Schutz Jesu stehen. Das wird durch die Geste des Handaustreckens (Matthäus 12,49) angedeutet. Das einzige Oberhaupt der Familie Jesu ist der Vater im Himmel, kein irdischer Vater. Der Text lässt annehmen, dass Matthäus Jüngerinnen im Kreis Jesus sah. Außerdem wird über die Schwestern und Brüder kein irdischer Pater familias gesetzt.[92]
Auch eine sprachliche Schlussfolgerung ist möglich. Der Gebrauch des Begriffes μαθητής, mit dem hier eindeutig auch Frauen benannt werden, weist darauf hin, den Terminus nicht exklusiv männlich zu verstehen, sondern inklusiv.[93] Da im Matthäusevangelium selten von den zwölf Jüngern die Rede ist[94], die explizit aus zwölf Männern bestehen, können an anderen Stellen, wo es generell um „die Jünger“ geht, immer auch Frauen mitgedacht werden.

3.2.3 Frauen beim Mahl (Matthäus 14,21/Matthäus 15,38)

In den beiden Speisungsgeschichten findet sich im Matthäusevangelium der Zusatz, dass neben den 5000 bzw. 4000 Männern auch Frauen und Kinder dabei waren. Wenige Exegeten erwähnen diesen Zusatz. Das Interesse der Exegeten dreht sich bei den Speisungen mehr um die Frage nach den Abendmahlskonnotationen der Speisungsgeschichten. Kathleen Corley hat die Darstellung von Frauen in diesen zwei Erzählungen im Zusammenhang mit antiken Mahlgemeinschaften genauer untersucht.[95] Markus schreibt von einem Symposion (Markus 6,39).[96] Ein Symposion ist ein Männeranlass. Frauen durften in der griechisch-römischen Antike nur beim Sättigungsmahl (δείπνον) anwesend sein. Frauen, die an einem Symposion teilnahmen, standen sofort im Verdacht, Hetären zu sein.[97] Durch die Wortwahl bei Matthäus wird eher das Bild einer großen Familie evoziert, die gemeinsam zu Tisch liegt (ἀνακλίνω). Es ist kein Mahl, bei dem Frauen ausgeschlossen sind. Das Verhalten von Frauen wird nicht als unangebracht beschrieben. Sie gehören zur Speisung dazu, wie auch die Kinder.

3.2.4 Prostituierte im Himmelreich (Matthäus 21,31)

Werden Frauen in Matthäus 14,21 und Matthäus 15,38 nicht in den Ruf von Hetären gebracht, obwohl sie mit Männern zu Tisch liegen, werden in Matthäus 21,31-32 sogar Prostituierte in die βασιλεία aufgenommen. Selbst die als unrein geltenden und außerhalb des Gesetzes stehenden Prostituierten werden nicht ausgeschlossen. Matthäus ist der einzige Synoptiker, der πόρναι zusammen mit den Zöllnern erwähnt. Außerdem spricht Matthäus nur in dieser einen Perikope über Prostituierte. Die Erzählung ist matthäisches Sondergut und könnte ganz und gar aus seiner Feder stammen.[98] In den Versen vor Matthäus 21,31 wird Jesus in einer Diskussion mit den Hohepriestern und Ältesten des Volkes beschrieben. Zum Abschluss dieser Auseinandersetzung sagt Jesus: „Wahrlich, ich sage euch, dass die Zöllner und die Huren euch vorangehen in das Reich Gottes.“[99] Zöllner und Prostituierte stehen hier für Menschen, die ganz am Rand der Gesellschaft angesiedelt sind, denn ihre Tätigkeiten machen sie unrein. Trotzdem spricht Jesus ihnen das Himmelreich zu und zwar noch vor den Hohepriestern und Ältesten. Dadurch werden diese Frauen aus der Randstellung herausgenommen und als Menschen wahrgenommen, die den Willen Gottes erfüllen können, so wie es im vorangegangenen Gleichnis der Sohn macht, der zuerst dem Willen des Vaters nicht folgen will und es dann doch tut (Matthäus 21,28-30). Die Bemerkung des matthäischen Jesus gehört zur matthäischen Polemik gegen die Führenden des jüdischen Volkes und sagt auch etwas über Hohepriester und Älteste in der matthäischen Erzählung aus. Sie werden zum Bild des nicht-glaubenden Israels, wogegen die Prostituierten und Zöllner das glaubende Israel verkörpern.[100] Das Thema „glauben – nicht glauben“ taucht schon in den Versen vorher wiederholt auf und gibt die Richtung der Parabel vor. Die Darstellung von Prostituierten und Zöllnern vs. Hohepriester und Älteste kann auch als Illustration der Aussage „Erste werden Letzte und Letzte werden Erste sein“ verstanden werden, die in Matthäus 19,30 und Matthäus 20,16 vorkommt.[101]
Einige Exegeten drücken in ihren Kommentaren Schockierung über Vers 31 aus. Vermutlich wird deshalb häufig vorgeschlagen, den Vers als sekundär zu verstehen.[102] Andere Exegeten sehen die Applikation der Parabel durch die Verse 31-32 misslungen.[103] Hubert Frankemölle versucht die Aussage abzumildern, in dem er Zöllner und Dirnen für unwichtig erklärt und den Wert des Textes nur bei den Aussagen über die jüdischen Obrigkeiten sieht.[104] Allerdings funktioniert der Satz in seiner Gegenüberstellung nur, wenn man die Zöllner und Prostituierten hinzunimmt. Vielleicht wollte Matthäus schockieren, hauptsächlich wohl polemisieren. Im Hintergrund ist hier der Konflikt mit der Synagoge zu sehen. Dadurch ist diese Polemik einzuordnen und kann in ihren Kontext verwiesen werden. Allerdings handelt es sich an dieser Stelle um keinen endgültigen Ausschluss der Hohepriester und Ältesten aus der βασιλεία, nur die erwartete Reihenfolge wird auf den Kopf gestellt. Die heute teilweise als schockierend empfundene Aussage im Text, lässt die HörerInnen aufhorchen. Dadurch entsteht wiederum ein unterbrechendes Lesesignal. Feste Erwartungen, wer in die βασιλεία kommt und wer nicht, werden hier durcheinandergeworfen. Die gängige Werteordnung wird durch die Aussage, dass Zöllner und Prostituierte vor den jüdischen Autoritäten in das Himmelreich gehen werden, auf den Kopf gestellt.[105] Frauen, die als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdienen, bekommen in der Werteordnung der verkündeten βασιλεία einen höheren Wert zugesprochen als die führenden Männer.

3.2.5 Zwei Frauen aus der Oberschicht und ein Mädchen

In zwei Perikopen des Matthäusevangeliums treten für einen kurzen Moment zwei Frauen in Erscheinung, die der herrschenden Elite angehören. Zum einen Herodias, die Frau des Herodes und ihre Tochter, zum anderen die Frau des Pilatus. Alle drei haben keinen direkten Kontakt mit Jesus und sind keine Nachfolgerinnen Jesu. Trotzdem ist ihre Darstellung für das matthäische Frauenbild interessant.

3.2.5.1 Herodias (Matthäus 14,3-12)

In der Auslegung von Matthäus 14,3-12 wurde bisher hauptsächlich die Relevanz der Geschichte für Jesus diskutiert. Die Erzählung von der Tötung des Täufers wird als dunkle Vorbotschaft verstanden. Es wird das gewaltsame Geschick der Propheten beschrieben und damit zugleich die Gefahr für Jesus verdeutlicht.[106] Erwähnt, aber selten hinterfragt, wird die im Vergleich zu Markus veränderte Darstellung von Herodes’ Frau. Im Matthäusevangelium ist es Herodes selbst, der Johannes töten will (Matthäus 14,5), nicht seine Frau Herodias wie in Markus 6,19. Elaine Wainwright versteht diese Veränderung als Versuch Matthäus’, die Rolle von Herodias zu minimieren.[107] Hier sind zwei Richtungen zu überlegen. Erstens bleiben Herodias und ihre Tochter nicht passiv, obwohl Matthäus den Text verändert. Sie greifen in das Geschehen bei Hofe ein und versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Zweitens wird die Verantwortung für den Tod des Johannes im Text klar in Herodes’ Hände gelegt. Er will Johannes töten. Er legt den leichtsinnigen Schwur ab, der an das Schwurverbot der Bergpredigt erinnert (Matthäus 5,33-37). Auch wenn der Text in Matthäus 14,9 berichtet, Herodes bereue seinen Schwur doch, ist klar, dass er den Befehl zur Tötung gibt, um sein Ansehen und seine Macht zu wahren. Es gibt keine Andeutung, dass Herodes die johanneische Verkündigung in irgendeiner Weise positiv gesehen hat.[108] Bei Matthäus wird ein Herrscher dargestellt, der seinen Status durch die Verurteilung seiner Ehe durch Johannes gefährdet sieht und deshalb seine Macht nutzt, den Täufer verhaften zu lassen. Herodes ist ebenso ein Herrscher, der seine Macht leichtsinnig einsetzt und dadurch einen Mord zu verantworten hat. Herodes wird hier zum Bild des willkürlichen Herrschers (vgl. Matthäus 20,25), vor dem der matthäische Jesus warnt. Er verhält sich genau entgegensetzt zur Lehre Jesu, in der es heißt: „Der wird groß sein, der anderen dient“ (Matthäus 20,26).
Die Darstellung des Herrschers, wie schon in den Geburtsgeschichten, kann dazu dienen, ein Vorverständnis für Matthäus 20,25 zu liefern. Wenn dieser Vers gelesen wird, kommen den ErstrezipientInnen wohl einerseits die Herrschenden ihrer Zeit in den Sinn. Ebenso wird die Erinnerung an die Herrscher in der Erzählung und an ihre Missbräuche geweckt: an Herodes, der den Kindesmord befahl und an Herodes Antipas, der den Täufer aufgrund eines leichtsinnigen Eides ermorden ließ.
Mir scheint, Matthäus hat besser als Markus die Verantwortlichkeiten in diesem Text festgehalten. Selbst, wenn es historisch sein sollte, dass Herodias ein Interesse an Johannes’ Tod hatte und tatsächlich durch Intrigen in diese Richtung wirkte, war es Herodes, der die Macht besaß, Johannes umbringen zu lassen. Elaine Wainwright vermutet, die Darstellung der Herodias bei Matthäus deute darauf hin, dass die Einmischung von Frauen in die Politik generell als negatives Verhalten verstanden wurde[109]. Doch die matthäische Erzählung deutet keine Verurteilung von Frauen in der Politik an. Vielleicht hat Matthäus eine Version der Erzählung bewahrt, die noch um die Schuld des Herodes weiß und nicht die Schuld auf Herodias und ihre Tochter abschiebt, wie es dann in der Wirkungsgeschichte der Fall war.[110] Dafür spricht auch, dass die zweite Elitefrau nicht negativ und ihre Einmischung in das politische Geschehen zwar erfolglos, aber positiv dargestellt wird.

3.2.5.2 Die Frau des Pilatus (Matthäus 27,19)

Sie ist eine Randfigur im Evangelium und in der Exegese. Ihr Auftritt währt nur einen einzigen Vers und wir erfahren beinahe nichts über sie. Nur im Matthäusevangelium findet sich dieser Einschub, in dem Pilatus’ Frau das Verfahren gegen Jesus unterbricht. Sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine Römerin und Frau eines römischen Herrschers. Sowohl in römischen Texten, wie auch bei Josephus finden sich Berichte über Frauen, die ihre machthabenden Männer um etwas bitten und ihre Entscheidung beeinflussen wollen.[111] Die Frau des Pilatus unterbricht ihren Mann während er auf dem Richtstuhl sitzt und Gericht hält.

Καθημένου δὲ αὐτοῦ ἐπὶ τοῦ βήματος ἀπέστειλεν πρὸς αὐτὸν ἡ γυνὴ αὐτοῦ λεγοῦσα μηδὲν σοὶ καὶ τῷ δικαίῳ ἐκείνῳ, πολλὰ γὰρ ἔπαθον σήμερον κατ’ ὄναρ δι’ αὐτόν.

Während er aber auf dem Richterstuhl saß, sandte seine Frau zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit jenem Gerechten! Denn im Traum habe ich heute um seinetwillen viel gelitten.

Der Vers wirkt im Verlauf der Geschichte der Verurteilung Jesu wie ein retardierendes Moment. Durch diese römische Frau, die Jesus als δίκαιος erkennt, scheint plötzlich eine Wendung möglich zu sein. Es ist dasselbe Wort, mit dem Josef in der Geburtsgeschichte beschrieben wurde. Pilatus bekommt eine Chance, anders zu handeln.[112] In der Exegese wurde dieser Vers als Entlastung von der römischen Schuld verstanden.[113] Ulrich Luz schreibt, durch die Botschaft der Frau werde die „helle Folie der Heidin gegen die dunkle Schuld der Juden“ gestellt.[114]
Dagegen lässt sich Vers 19 auch anders verstehen. Es ist gerade eine Erinnerung an die Schuld von Pilatus, auch wenn er am Ende der Szene die Schuld an das Volk übergibt (Matthäus 27,24). Pilatus ist der Machthaber und durch die Botschaft seiner Frau hätte er eine ganz andere Möglichkeit der Entscheidung. Aber weder unterbricht er das Verfahren nach der Botschaft seiner Frau, noch lässt er Jesus frei. Laut dem Text hört er zwar, er solle nichts mit dem Jesus zu schaffen haben, aber das δίκαιος versteht er nicht. Pilatus bleibt schuldig, denn er erkennt und versteht die Gerechtigkeit nicht und hilft auch nicht, die Gerechtigkeit zu retten. Damit wird er genauso unverständig dargestellt, wie die jüdischen Autoritäten, die ebenfalls nicht wissen, was gerecht ist (vgl. Matthäus 23 u.a.). In Vers 20 wird über diese jüdischen Autoritäten berichtet, die das Volk gegen Jesus aufhetzen. Die Frau des Pilatus wird im Gegenüber zu ihrem Mann und diesen Autoritäten dargestellt. Im Gegensatz zu den religiösen und politischen Machthabern erkennt die namenlose Frau die Wahrheit über Jesus.[115] Durch den Traum wird sie mit Josef und den Magiern in eine Reihe gestellt.[116]
Ebenso wie in Matthäus 14,3-12 wird in Matthäus 27,19 auf den Machtmissbrauch der Herrschenden hingewiesen (vgl. Matthäus 20,26), von dem sie selbst dann nicht abzubringen sind, wenn sie direkt darauf aufmerksam gemacht werden. Dadurch verfliegt das retardierende Moment von Vers 19 wie in der klassischen Tragödie und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Die Rolle der Frau des Pilatus in der Erzählung ist bedeutend. Wie in der Genealogie unterbricht ihre Erwähnung sowohl den Erzählverlauf als auch die hierarchische Struktur – eine Frau unterbricht den machthabenden Mann beim Richten. Erwartungen werden durchbrochen: Es ist die nicht-jüdische Frau aus der Elite, die besser versteht als die machthabenden römischen und jüdischen Männer, wer Jesus ist. Ihr Auftritt ist auch ein Textsignal für die HörerInnen, dass in dieser Geschichte ganz anderes möglich ist, als unter üblichen Umständen zu erwarten wäre.[117]
Beide Erzählungen zeigen, dass Frauen, die nicht in direkten Kontakt mit Jesus treten und nicht in den Kreis von Nachfolgerinnen gehören, bei Matthäus eine aktive Rolle in der Erzählung bekommen. Herodias bleibt dabei in einer negativen Rolle, aber ihr wird im Text nicht die Hauptschuld am Mord des Täufers zugeschoben. Die Frau des Pilatus erscheint in einem positiven Licht vor der dunklen Folie sowohl der römischen als auch jüdischen Herrscher.

3.3 Frauen in Hauptrollen

In den bisherigen Texten kamen Frauen in aktiven Rollen oder mit unerwarteten Aussagen oder Assoziationen vor. Im Matthäusevangelium finden sich aber auch Frauen in Hauptrollen.[118] Die folgenden Texte geben einen wichtigen Einblick in das Frauenbild des Matthäusevangeliums.

3.3.1 Die blutflüssige Frau und die Tochter des Archon (Matthäus 9,18-26)

In dieser Perikope werden die Tochter eines Archon und eine Frau erwähnt. Thomas Longstaff hebt in der Perikope Matthäus 9,18-26 die Tochter des Archon[119] besonders hervor. Sein Argument für die besondere Stellung der Heilung der Tochter ist, dass hier ein Mann für ein Mädchen bittet, nicht für einen Sohn, der die patriarchale Familienlinie des Vaters fortsetzen könnte.[120] Auch wenn das eine wichtige Entdeckung ist, hat Matthäus sie doch von seiner Vorlage so übernommen und kann deshalb nicht als Besonderheit des Matthäusevangeliums gelten.
Eine Hauptrolle in dieser Geschichte hat eine andere Frau. Es ist das erste Mal im Evangelium, dass wir die Gedanken einer Frau mitgeteilt bekommen (Matthäus 9,21). Die Geschichte der blutflüssigen Frau war bei Markus eine notwendige Verzögerung, um den Verlauf der Geschichte der Tochter des Archon zu dramatisieren. Denn bei Markus stirbt die Tochter, während Jesus von der blutflüssigen Frau aufgehalten wird. Bei Matthäus ist das nicht mehr der Fall. Dort sagt der Archon gleich zu Beginn (Matthäus 9,18): „θυγάτηρ μου ἄρτι ἐτελεύσεν“ (Meine Tochter ist gerade gestorben.). Die Geschichte der blutflüssigen Frau beeinflusst den Verlauf der Geschichte der Tochter nicht. Die Not der namenlosen Frau wird bei Matthäus nicht so ausführlich beschrieben wie bei Markus. Sie ist seit zwölf Jahren krank, dadurch vermutlich auch unrein.[121] Vielleicht wird deshalb beschrieben, dass sie von hinten an Jesus herantritt, denn sie muss als Frau, die evtl. unrein ist, in der Öffentlichkeit vorsichtig sein und möglichst unentdeckt bleiben, vor allem, wenn sie einen Mann berührt.[122] Ihr Verhalten wird in der Geschichte jedoch uneingeschränkt positiv dargestellt.[123] Eine weitere Veränderung am Text gegenüber Markus und Lukas hebt das hervor. In den beiden anderen Evangelien wird ein Moment der Angst beschrieben. Die Frage Jesu, wer ihn berührt habe, wird als bedrohlich dargestellt, denn die Frau reagiert mit einem Zittern. Sie sieht sich gezwungen, die Wahrheit zu gestehen (Markus 5,30-34; Lukas 8,45-48). Auch wenn Jesus sowohl bei Markus als auch bei Lukas der Frau danach keine Verurteilung, sondern Anerkennung des Glaubens ausspricht, war der Ausgang nicht so klar wie bei Matthäus. Bei Matthäus fehlt das bedrohliche Moment. Der matthäische Jesus weiß sofort, wer ihn berührt hat und stellt den Glauben der Frau in den Mittelpunkt. Sie ist ein Vorbild des Glaubens, genau wie der Archon. Sein Glaube wird von Matthäus im Vergleich zu Markus und Lukas noch größer dargestellt, indem im Text die schon erwähnte Veränderung eingefügt wird, dass die Tochter schon zu Beginn der Erzählung tot ist. Der Archon kommt trotzdem zu Jesus und bittet um Heilung.
In dieser Perikope werden zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, als Vorbilder großen Glaubens dargestellt.[124] Kontrastiert werden sie durch diejenigen, die Jesus auslachen, als er sagt, das Mädchen würde nur schlafen, und die dadurch ihr Unverständnis offenlegen. Im Matthäusevangelium werden also sowohl Männer als auch Frauen als Glaubensvorbilder dargestellt. Hinzukommt, dass die Erzählung der blutflüssigen Frau wiederum eine Unterbrechung des Schemas von Heilungsgeschichten ist. Die Frau kommt nicht als Bittstellerin. Sie ergreift die Initiative, sie riskiert das Durchbrechen von religiös-rituellen Grenzen[125] und wird dafür geheilt und gerühmt.

3.3.2 Die kanaanäische Frau – eine Frau sieht über Grenzen hinaus (Matthäus 15,21-28)

Die Aufmerksamkeit, die diese Perikope sowohl in traditionellen exegetischen Kommentaren als auch in der feministischen Exegese erhält, zeigt, dass es sich hier um eine besondere Geschichte handelt. Unterschiede in der Auslegung sind vor allem im Fokus zu finden. Erstere konzentrieren sich auf Jesus und seine Reaktion auf die Frau, ebenso wie auf die Frage, ob Jesus auf nicht-jüdischem Territorium war und die entsprechenden Konnotationen für die Heidenmission. Letztere weisen auf die besondere Rolle der Frau hin. Es ist die erste Frau überhaupt, die eine Sprechrolle im Matthäusevangelium hat.
Laut der Erzählung weicht Jesus mit seinen Jüngern nach der letzten Auseinandersetzung mit jüdischen Autoritäten in das Gebiet von Tyrus und Sidon aus. „Εἰς τὰ μέρη Τύρου καὶ Ζιδῶνος“ ist Anlass zu großen Debatten. Ist hier nun gemeint:

  1. Jesus hat jüdisches Gebiet verlassen[126],
  2. er befindet sich gerade im Grenzgebiet[127],
  3. er hält sich in einem Gebiet auf, das zu Tyrus und Sidon gehört, aber dieses Gebiet streckt sich zu jener Zeit so weit nach Galiläa hinein aus, dass sich Jesus immer noch in jüdisch bewohnten Dörfern befindet[128]?


Je nachdem, für welche Variante sich die AuslegerIn entscheidet, ist es für die Frage der Heidenmission von Belang. Ist Jesus auf nicht-jüdischem Gebiet, dann wird die Erzählung als Vorzeichen für die kommende Heidenmission verstanden, ist er noch auf jüdischem Gebiet, dann wird sein Auftrag, zu den verlorenen Schafen Israels zu gehen, betont. Spielt die Geschichte im Grenzgebiet, wird die Textstelle als Durchbrechung religiöser Grenzen zwischen Juden und Nicht-Juden gedeutet. Eine weitere Überlegung ist, dass die Frau in V. 22 aus ihrem Gebiet herauskommt und auf jüdischem Gebiet geht. Dann müsste aber „εἰς τὰ μέρη Τύρου καὶ Ζιδῶνος“ mit “in Richtung auf” übersetzt werden, was sprachlich unwahrscheinlich ist.[129]
Der Ansatz aus einer leserorientierten Auslegung scheint mir wiederum hilfreich, Tyrus und Sidon, wie auch die Bezeichnung Kanaanäerin geben den Lesenden bestimmte Signale. Tyrus und Sidon sind in der biblischen Tradition mit negativen Konnotationen verbunden[130], ebenso die Kanaanäer, die zu den Hauptfeinden des Volkes Israel gehören. Allerdings kann die Kanaanäerin die RezipientInnen auch an Rahab erinnern, die Kanaanäerin war und zu Anfang in der Genealogie erwähnt wird. Sie war für den Verlauf der Geschichte Israels sehr wichtig und wurde dafür ins Volk Israel aufgenommen. Die örtlichen Zuordnungen scheinen hier also wieder einen Raum aus theologisch signifikanten Zeichen aufzutun. Die folgende Erzählung spielt vor dem Hintergrund der alten Geschichten, die durch diese Zeichen aufgerufen werden.
Die Perikope ist von Matthäus kunstvoll geformt worden. Die Änderungen im Vergleich zur markinischen Vorlage sind so groß, dass teilweise von einer zweiten Quelle ausgegangen wird, die Matthäus vorgelegen haben könnte.[131] Allerdings können die Änderungen auch durch matthäische Redaktion erklärt werden. Das Vokabular ist deutlich matthäisch. Die Annahme einer zweiten Quelle ist nicht unbedingt notwendig.[132] Der Mittelpunkt der Geschichte ist der Dialog zwischen Jesus und der kanaanäischen Frau. Matthäus zeichnet auch in dieser Geschichte ein Bild von einer Frau, die Initiative im Geschehen ergreift.[133] Sie gibt sich nicht mit der ersten Antwort Jesu zufrieden, sondern argumentiert so lange weiter, bis Jesus ihren Glauben anerkennt. Im Vergleich zu Markus (Markus 7,25-30) hat Matthäus den Dialog zwischen Jesus, der Frau und den Jüngern verlängert und damit auch dramatisiert.[134] Sie muss sich nicht nur gegen eine Äußerung Jesu wehren wie bei Markus (Markus 7,27), sondern ist zuerst mit Schweigen konfrontiert, danach mit der Gefahr des Fortgeschicktwerdens und dann muss sie sich noch zweimal gegen die ablehnenden Antworten Jesu durchsetzen. Insgesamt erzählt Matthäus von einer Frau, die für das Wohlergehen ihrer Tochter nicht nachgibt und alles riskiert. Nicht nur die Darstellung einer Frau, die so öffentlich und lautstark um Hilfe bittet, ist ungewöhnlich. Sie hat auch die ethnischen Grenzen durchbrochen, weil sie einen Juden um Hilfe bittet. Erstaunlich ist ebenfalls, dass sie Jesus mit „Sohn Davids“ anredet.[135] Auch in Vers 25 erinnert das „κύριε, βοήθει μοι“ an jüdische Gebetssprache.[136] Die Geschichte löst auf allen Ebenen Verwunderung aus. Die Einzigen, die in der Geschichte ihren zu erwartenden Handlungsschemen entsprechen, sind die Jünger. Sie fordern Jesus auf, die Frau fortzuschicken, weil sie hinter ihnen her schreit (κράζω). Sie zeigen keinerlei Empfindungen für die Frau. Ihrer Reaktion nach halten sie das Verhalten der Frau für unangemessen. Es ist nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass sie hilfebedürftige Menschen fortschicken wollen (vgl. Matthäus 14,15 und 19,13). Die Frau handelt nicht den gesellschaftlich üblichen Regeln entsprechend, indem sie regelrecht mit Jesus debattiert. Auch Jesus ist in dieser Erzählung überraschend und beunruhigend anders. Es ist das erste Mal, dass er auf eine Bitte mit Schweigen und Nichtbeachtung reagiert. Jesus hat andere Frauen geheilt, ohne dass sie ihn zu bitten brauchten (8,14-15; 9,18-26). Ebenso hat er Nicht-Juden geholfen (8,5-13, evtl. die Gadarener 8,28-34 und die Tochter des Archon 9,18-26 ebenfalls, je nachdem, ob man den Archon als Nicht-Juden versteht). Warum schweigt Jesus hier? Jesus durchbricht sein eigenes Schweigen erst nach der Aufforderung der Jünger, sie fortzuschicken. Er tritt dann in einen Dialog mit der Frau. Allerdings war das Schweigen noch eine harmlose Antwort im Vergleich zum Folgenden. Der Satz in V. 24 ist klar ablehnend. Es ist eine Antwort sowohl auf die Forderung der Jünger als auch auf die Bitte der Frau. Jesus ist nicht beauftragt, ihr zu helfen. Jesus gibt damit der Unfreundlichkeit der Jünger auch noch „heilsgeschichtliche Würde“[137]. Es sieht so aus, als ob der Erfüllung der Bitte kein Raum mehr bleibt. Doch die Frau gibt nicht auf. Die nächste Antwort Jesu auf ihr erneutes Bitten in V. 26 ist zusätzlich noch beleidigend. Auch wenn die Verkleinerungsform von Hunden gebraucht wird, ist keine Verniedlichung zu erkennen. Die Frau wird als Hund bezeichnet – vermutlich ein gängiges Schimpfwort für Nicht-Juden (vgl. Matthäus 7,6).[138] Geschickt nutzt die Frau das Bild der Hunde und wandelt es ab, um ihm zu widersprechen.[139] Sie lässt sich nicht entmutigen. Erst dann wendet sich Jesus ihr positiv zu, erkennt ihren Glauben an und die Tochter ist von dem Moment an geheilt.
Es ist die einzige Heilungsgeschichte, in der eine Bittstellerin dreimal die Bitte wiederholen muss, bevor ihr Wunsch erfüllt wird. Das Verhalten Jesu ist nach der bisherigen Darstellung seiner Heilungen unerwartet und stoßend.[140] Vielleicht liegt Gail O’Day mit ihrer Vermutung am nächsten, dass die Geschichte zeigt, wie Jesus seine Meinung ändern kann. Die Steigerung des Dialogs legt den Schwerpunkt nicht nur darauf, dass hier ein wichtiges Thema verhandelt wird.[141] Der lange Dialog zeigt auch einen Jesus, der durch den Glauben einer Frau überrascht wurde, sodass er seine Meinung änderte.[142] Aus einer leserorientierten Perspektive ist ein Jesus, der seine Meinung ändert und dessen Stimme die höchste Autorität im Text ist, ein starkes Lesesignal. Zuerst lehnt Jesus die Zuwendung zu Nicht-Juden ab, dann entscheidet er sich aufgrund des Glaubens der kanaanäischen Frau anders. Durch dieses Lesesignal kann der Text direkt in eine Diskussion über die Öffnung gegenüber Nicht-Juden, mit der ErstrezipientInnen möglicherweise beschäftigt waren, hineinwirken.
Insgesamt zeigt diese Geschichte eine Frau in einer ganz besonderen Rolle. Es ist von Anfang bis Ende ihre Geschichte. Sie agiert, ergreift die Initiative, sie erträgt das Schweigen, lässt sich nicht fortschicken, sie besteht erfolgreich auf ihrem Anliegen, sie fordert und sie lässt sich nicht verängstigen. Ihr unerschütterlicher Glaube kontrastiert den Glauben Petri, der in Matthäus 16,16 zwar Jesus als Gottessohn erkennt, aber in der Ankündigung des Todes keinen Sinn mehr sieht (Matthäus 16,23), ebenso in Matthäus 14,28-30, wo Petrus zuerst glaubt und dann doch zweifelt. Die Geschichte der Kanaanäerin ist die bisher größte Unterbrechung der von männlichen Figuren geprägten Hauptgeschichte.

3.3.3 Die Mutter der Zebedaiden – sie versteht (Matthäus 20,20-23)

Eine andere Mutter kommt in Kapitel 20,20-23 vor. Es ist die letzte Frau, die im Hauptteil des Evangeliums spricht. Ihre Rolle wird sehr unterschiedlich gedeutet. Eine übliche Erklärung, warum Matthäus an dieser Stelle den Markustext verändert und die Mutter der Zebedaiden reden lässt, lautet, dass Matthäus die Ehre der beiden Jünger wahren wollte und deshalb die Mutter die unangebrachte Bitte um die Plätze im Himmelreich stellen lässt.[143] Eine weitere Erklärung ist, die beiden Söhne wären noch so jung und könnten noch nicht für sich allein sorgen, sodass die Mutter als Vormund für ihre Kinder bittet.[144] Aus diesem Grund haben viele Ausleger ihre falsche Frage entschuldigt, da sie aus elterlicher Liebe heraus kam.[145] Diese Ansätze entschuldigen die Mutter für ihr Nicht-Wissen, legen sie aber auch ausschließlich auf ihre Rolle als Mutter fest.
Dagegen ist Hubert Frankemölle der Meinung, dass die Anfrage gar nicht per se unangebracht, sondern aus dem Kontext heraus passend ist.[146] Er betont, dass die Mutter die Leidensankündigung versteht. Sie ist überzeugt, dass Jesus siegreich sein wird. Die Bedeutung der βασιλεία, in der es nicht um Vorrangstellungen gehen wird, verpasst sie.[147]Jesus macht in Vers 22 genau darauf aufmerksam, was der Mutter der Zebedaiden entgangen zu sein scheint: es geht nicht um Herrschen, sondern das Ertragen von Leiden (vgl. 20,17-19). Die Anfrage der Mutter könnte also als Reaktion auf die Leidensankündigung verstanden werden.[148] Allerdings heißt es in V.17: „παρέλαβεν τοὺς δώδεκα [μαθητὰς] κατ’ ἰδίαν καὶ ἐν τῇ ὁδῷ ει῏πεν αὐτοῖς” Nach dem textinternen Erzählverlauf kann die Mutter der Zebedaiden die Leidensankündigung nicht gehört haben und darauf reagieren. Es waren nur die zwölf Jünger anwesend. In der Rede vom Kelch Matthäus 20,23 wird die Ankündigung Jesu vorausgesetzt. Ist die Mutter in Vers 23 von Jesus ebenfalls angesprochen, dann weiß sie um die Leidensankündigung. Die Mutter traut Jesus zu, dass er ihren Söhnen die gewünschten Plätze zuweisen kann. Damit zeigt sie, dass sie versteht, wer Jesus ist, unabhängig, ob sie die Leidensankündigung kennt oder nicht.
Es wird sehr unterschiedlich gewertet, ob der matthäische Jesus ab Vers 22 noch mit allen dreien[149] spricht oder nur noch mit den beiden Söhnen.[150] Häufig wird entschieden, dass nur noch die zwei Söhne angesprochen sind. Die Mutter verschwindet von der Bildfläche. Vom Bild der Erzählung her, könnte Jesus hier aber auch mit allen dreien sprechen. Die zweite Person Plural lässt es offen.[151] Es macht den Eindruck, als ob es Jesus klar ist, dass die Anfrage von allen dreien gestellt wird.
Erst von Matthäus 27,55-56 her wird die Rolle der Mutter der Zebedaiden verständlich. In Matthäus 20,20-23 bleibt ihre Rolle offen. In Matthäus 27,55 wird sie als Jüngerin dargestellt, die Jesus von Galiläa gefolgt ist.[152] Sie wird durch die Bemerkung in Matthäus 27,55 zur Jüngerin, die Jesus mit ihren Söhnen folgte. Also kann man sie auch als Hörerin der Lehren Jesu imaginieren. Durch ihre Anfrage an Jesus in Matthäus 20,21 zeigt sie, dass sie verstanden hat, wer Jesus ist. Unabhängig davon, ob davon ausgegangen wird, dass nur die beiden Jünger oder auch die Mutter versprechen, den Kelch trinken zu können, verdeutlicht Matthäus 27,55-56, wer Jesus bis zum Ende beisteht. Die Jünger dagegen verleumden Jesus und fliehen. Saldarini schreibt: „She responded to Jesus’ teaching in sharp contrast to her sons and the rest of the twelve, […]“[153]Die Mutter der Zebedaiden stellt sich in Matthäus 27,55-56 als die wahre Jüngerin heraus im Vergleich zu ihren Söhnen. Damit fügt Matthäus eine weitere Frau in seine Erzählung hinzu, die sich nicht nur für ihre Söhne engagiert, sei es nun eine ungehörige Anfrage oder nicht. Sondern sie kann im Zusammenhang mit Matthäus 27,55-56 als Jüngerin gedeutet werden, die versteht wer Jesus ist. Verstehen ist eine Voraussetzung für Jüngerschaft, deshalb lehrt Jesus die Jünger so lange, bis sie alles verstanden haben (vgl. Matthäus 13,13; 15,16-20; 16,9-12; Matthäus 17,13).[154] Denn erst wer Jesu Lehre verstanden hat, kann sie an andere weitergeben. Wenn die Mutter der Zebedaiden versteht, wer Jesus ist, erfüllt sie diese Voraussetzung.

3.3.4 Die zehn Jungfrauen – Frauen als Vorbilder (Matthäus 25,1-13)

Bisher haben wir im Matthäusevangelium Darstellungen von Frauen als glaubende und verstehende Nachfolgerinnen Jesu gefunden. In Gleichnissen können Frauen auch Beispiele für gute und für schlechte Jüngerschaft sein, so in Matthäus 25,1-13, der Erzählung der klugen und törichten Jungfrauen. Durch die Stichworte μωρός und φρόνιμος wird die Erzählung mit dem Ende der Bergpredigt in Verbindung gebracht. Dort thematisiert der matthäische Jesus seine vorausgegangenen Worte, indem er sagt, dass jeder, der diese Worte hört und tut, einem klugen (φρόνιμος) Mann gleicht, dagegen, wer sie hört und nicht tut, einem törichten (μωρός) Mann. Ist in Matthäus 7,24-27 jeweils ein Mann positives und negatives Beispiel, so sind es in Matthäus 25,1-13 jeweils fünf Frauen. Unabhängig davon, wie die schwierige Erzählung der Jungfrauen interpretatorisch gelöst wird[155], nach der Semantik des Textes geht es um zwei Beispiele der Vorbereitung auf das Kommen des Messias, wobei ein Beispiel als vorbildhaft dargestellt wird und das andere nicht. Deutlich wird dadurch, dass Frauen ebenso Vorbilder sein können wie Männer, im guten und im negativen Sinn.

3.3.5 Frauen in der Passions- und Auferstehungsgeschichte – Herausragende Jüngerinnen

Zum Schluss des Evangeliums werden Frauen zu Handlungsträgerinnen der Geschichte. Ohne sie gäbe es die Geschichte vom leeren Grab nicht. Die Handlung wäre nach der Flucht der Jünger unterbrochen. Die Frauen übernehmen in der Passions- und Auferstehungsgeschichten die Hauptrolle. Schon zu Beginn der Passionsgeschichte sticht eine Frau besonders hervor.

3.3.5.1 Eine namenlose Frau salbt Jesus (Matthäus 26,6-13)

Das Geschehen in Bethanien scheint schon anzudeuten, was im weiteren Verlauf der Passionsgeschichte geschehen wird: Eine Frau zeigt durch ihre Handlung tiefes Verständnis für die besondere Situation Jesu, während die Jünger nur mit Unverständnis reagieren.[156] Genauso ist es später, die Jünger fliehen, während die Frauen Jesus zum Kreuz und zum Grab folgen und so zu Zeuginnen werden.[157]
Die wiederum namenlose Frau aus Bethanien salbt Jesus den Kopf. Sie kommt nicht als Bittstellerin, sondern als Handelnde.[158] Sie ist die einzige, die Jesus, genannt der Christus, wie Matthäus schon zu Beginn des Evangeliums schreibt, in der ganzen Erzählung salbt.[159] Sie ehrt Jesus und wird dafür von ihm in höchsten Tönen gepriesen. An ihre Tat soll immer erinnert werden. Die Salbung an sich ist schon außergewöhnlich. Hinzu kommt, dass die Geschichte sprachlich deutlich ein Innen und Außen abbildet, welches die Frau durch ihre Tat durchbricht. Jesus ist im Hause des Simon, die Frau muss erst dieses Haus betreten. Sie gehört nicht zur Gesellschaft. Matthäus lässt offen, ob nur Jesus und seine zwölf Jünger in dem Haus sind oder auch die Frauen, die Jesus gefolgt sind. Der Dialog in der Geschichte ist ein reiner Männerdialog.[160] Dadurch evoziert der Text das Bild von einem Männergelage: Männer die zu Tische liegen und diskutieren. Die Frau aus Bethanien gehört nicht dazu und begibt sich in die Gefahr durch Anwesenheit bei einem Männermahl mit einer Hetäre assoziiert zu werden.[161] Die Frau aus Bethanien muss also sowohl in das Haus eines Mannes eintreten, als auch eine Männerrunde beim Essen unterbrechen, um Jesus salben zu können. Ihre Tat unterbricht das laufende Geschehen. Von den Jüngern, die als Gruppe gezeichnet werden, zu der die Frau nicht dazugehört, wird diese Unterbrechung als Störung empfunden. Sie empören sich über die Tat der Frau. Die Empörung bezieht sich aber nicht auf ihr Eindringen, sondern auf den Zweck der Tat. In den Augen der Jünger ist die Störung völlig überflüssig, da sie keinen Grund für eine Salbung sehen, sondern es als pure Verschwendung empfinden. Das Öl scheint sehr teuer gewesen zu sein.[162] Jesu Antwort macht deutlich, dass den Jüngern das Schicksal Jesu immer noch völlig unklar ist, trotz der drei Leidensankündigungen. Ähnlich wie die Mutter der Zebedaiden, die ihr Versprechen, den Kelch zu trinken, im Gegensatz zu ihren Söhnen einhält, ist es hier die Frau aus Bethanien, die Jesu Situation erfasst. Die Jünger dagegen verstehen nicht, worum es geht. Deshalb werden sie auch von Jesus zurechtgewiesen. Im Text gibt Jesus selbst eine Deutung für die Handlung der Frau. Er deutet die Salbung als vorweggenommene Totensalbung (Matthäus 26,12).[163] Die Frau selbst kommt nicht zu Wort. Was sie bei ihrer Tat gedacht hat, bleibt unbekannt.[164] Dadurch lässt der Text eine Leerstelle für die Deutung der Salbung. Auch wenn Jesus durch seine Worte die Salbung auf seinen Tod bezieht, ruft das Bild dieser Salbung auch andere Assoziationen hervor. Da die Frau den Kopf salbt, kommt das Bild der Königssalbung vor Augen. Es wird betont, dass Jesus der Gesalbte ist.[165] Die Salbung kann als Liebeswerk an Jesu verstanden werden, als eine besondere Ehrung, als eine Berührung des Mitgefühls[166], aber auch als prophetische Handlung.[167] Denn die Frau weist durch ihre Tat auf den Tod Jesu hin und über seinen Tod hinaus. Den Text auf eine einzige Deutung zu verengen, ist m.E. nicht notwendig. Die vielfältigen Deutungsmöglichkeiten schwingen im Verlauf der weiteren Passionsgeschichte mit, da sie die Passionsgeschichte schon andeuten, den nahen Tod, den Christus, die Ehrung.
Obwohl Jesus die Frau aus Bethanien und ihre Tat zum Vorbild für die Jünger und für alle Zeiten erhebt, bleibt die Frau selbst im Hintergrund. Sie wird in das Gespräch nicht einbezogen, wir wissen nichts von ihrer Reaktion. Die Frau wird nicht in den Kreis der Männer aufgenommen, sie bleibt draußen. Es ist eine Gegenüberstellung der Männer und der Frau.[168] Durch den Vergleich wird das Innen und Außen infrage gestellt. Wer gehört in den Jüngerkreis hinein und wer steht draußen? Wer ist nun die wahre JüngerIn in dieser Geschichte?!
In der weiteren Passionsgeschichte setzt sich diese Infragestellung fort. Das Verhalten der Männer wird durch die Taten der Frauen kontrastiert. In Bethanien ist es eine Frau, die sich angemessen verhält, nicht die Jünger. Später in der Passionsgeschichte sind es die Frauen, die sich angemessen verhalten, nicht die zwölf Jünger.[169] Dieser Kontrast wird durch die Veränderungen gegenüber dem Markustext von Matthäus selbst verstärkt, denn bei Markus ist er kaum zu erkennen. Dort sind es nur „einige“ (τινές), die sich über die Frau aufregen, das lässt offen, ob es sich überhaupt um die Jünger handelt. Bei Matthäus heißt es explizit „die Jünger“ (οἱ μαθηταὶ). Durch den Kontrast strahlt die positive Beurteilung der Frau aus Bethanien umso deutlicher vor der Folie des Verhaltens der Jünger. Nicht nur ihre Tat, sondern sie selbst soll immer erinnert werden.

3.3.5.2 Frauen am Kreuz (Matthäus 27,55-56)

Bis zur Festnahme Jesu sind nur die zwölf Jünger im Fokus, wobei die Erzählungen zwischen Salbung und Festnahme hauptsächlich eine Darstellung ihres Versagens ist.[170] Zuerst begeht Judas Iskariot Verrat (Matthäus 26,14ff), dann wird über die Unfähigkeit der Jünger in Gethsemane mit Jesus zu wachen berichtet (Matthäus 26,36ff), danach folgt die Flucht der Jünger (Matthäus 26,56). Bei Matthäus heißt es explizit, dass alle flohen, wogegen Lukas diesen Vers auslässt. So verschwinden die Jünger mit Ausnahme von Petrus bis Matthäus 28,16 von der Bildfläche. Petrus allerdings steigert die bisherige Unfähigkeit der Jünger noch durch seine Verleugnung. Hatte er gerade noch versprochen, Jesus treu zu bleiben (Matthäus 26,33), ändert sich diese Zusage nach der Festnahme Jesu schnell. Es sind zweimal Frauen, die Petrus nach seiner Zugehörigkeit zu Jesus fragen. Die Frauen haben von der besonderen Bedeutung Jesu gehört, wie aus ihren Fragen deutlich wird.[171] Durch ihr Nachfragen provozieren sie eine Entscheidung von Petrus. Er entscheidet sich, nicht zu seinem Wort zu stehen. Die Fragen der Frauen bringen das beschämende Verhalten von Petrus ans Licht. Im Matthäusevangelium war das der letzte Auftritt von Petrus, in dem er zu Wort kam. Danach wird er nicht noch einmal explizit erwähnt. Er ist in Matthäus 28,16 einer von den 11 Jüngern. Zwar bleibt Petrus ein Jünger trotz der Verleugnung, aber eine hervorgehobene Stellung hat er im Matthäusevangelium danach nicht mehr.
Nun sind die zwölf Jünger alle fort. Es sind im Matthäusevangelium die Frauen, die Jesus bis zu seinem Tod am Kreuz und darüber hinaus begleiten. „Viele Frauen“ (Matthäus 27,55) stehen beim Kreuz. Namentlich genannt werden Maria Magdalena, Maria, Mutter von Jakobus und Josef und die schon erwähnte Mutter der Zebedaiden (Matthäus 27,56).[172] Erwähnt wird ebenso, dass die Frauen Jesus von Galiläa nachgefolgt waren (ἀκολουθέω). Dieses Verb wird auch in der Berufungsgeschichte der ersten vier Jünger gebraucht (Matthäus 4,20.22). Frauen werden in 27,55 deutlich mit Jüngerschaft identifiziert.[173] Sie scheinen von Anfang an kontinuierlich dazugehört zu haben.[174] Aber erst jetzt, als die Männer alle fort sind, werden sie sichtbar. Das bestätigt die Vermutung, dass Frauen inklusiv miterwähnt sind, wenn von μαθηταί die Rede ist.[175] Frauen werden durch das Wort mitbezeichnet. Sie bleiben dadurch aber unsichtbar, bis zu dem Moment, wo die Männer abwesend sind.[176] Allein durch ihre Anwesenheit am Kreuz geben sie ein Bekenntnis zu Jesus ab, das die Jünger ihm im Moment seines Leidens verweigern.[177] Diese Frauen garantieren die Weiterexistenz des jesuanischen Jüngerkreises. Sie tun das, was von JüngerInnen erwartet wird. Kathleen Corley schreibt dazu: „[…] the portrayal of the women at the cross does not necessarily fit the stereotypical gender role given to women in such situations. They are not said to mourn and lament as would have been expected but assume the silent role of male mourners. […] they indeed honor Jesus, the suffering righteous one by being present at his death.”[178]Ebenso sind Frauen bei der Grablegung dabei, überwachen und bezeugen diese durch ihre Anwesenheit (Matthäus 27,61).
Die Frauen sind in der Passionsgeschichte nicht festgelegt auf stereotype Genderrollen. Dieser Teil des Evangeliums stellt die größte Unterbrechung der dominanten Geschichte im Evangelium dar. Nach der Jüngerbelehrung in Matthäus 16,24-26 wäre vom Text her zu erwarten gewesen, dass die Jüngergruppe der 12 Männer Treue bis hin zum Kreuz zeigen würde.[179] Jesus hatte sie belehrt, dass das Kreuz dazugehört. Aber es sind die Frauen, die Jesus bis zum Schluss folgen, die für Kontinuität sorgen und die ebenso Aufgaben der Männer übernehmen, indem sie alles mitverfolgen.[180]

3.3.5.3 Frauen am Grab (Matthäus 28,1-10)

Die Frauen sind nicht nur Zeuginnen von Jesu Tod und Begräbnis, sondern auch von seiner Auferstehung. Im Erzählverlauf des Matthäusevangeliums wird deutlich: ohne die Frauen hätte es kein Ostern gegeben. Sie sorgen für Kontinuität, indem sie am Morgen des ersten Wochentages zum Grab gehen und schauen, ob am Grab alles in Ordnung ist (Matthäus 28,1). Um Salbung geht es den Frauen, anders als im Markus- und Lukasevangelium, nicht.[181] Das lässt die Möglichkeit offen, die Frauen hier als diejenigen zu verstehen, die auf die Auferstehung warten. Die Frauen haben Jesu Verkündigung gehört und verstanden und wollen sehen, was geschieht.[182] Auf die Verkündigung des Engels reagieren sie nicht mit Zweifeln, im Gegensatz zu den Jüngern in Galiläa, die selbst noch beim Anblick des Auferstandenen zweifeln. Sie machen sich prompt auf den Weg. Sie fliehen auch nicht in Furcht und Panik, sondern mit Furcht und großer Freude (Matthäus 28,8). Als Jesus ihnen entgegenkommt, beten sie ihn sofort an. Sie haben keine Zweifel, dass er es ist. Wieder sind es die Frauen, die hier Vorbilder von gläubigen Jüngerinnen sind.[183] Durch das unerwartete Auftauchen des Auferstandenen – der Engel hatte es erst für Galiläa angekündigt – wird die Struktur, die sich bei den Synoptikern findet, unterbrochen: Ein Engel erscheint Frauen, diese werden zu den Männern geschickt, diese Männer sehen dann den Auferstandenen und werden in die Welt hinausgeschickt.[184] Im Gegensatz zu Markus und Lukas sind es bei Matthäus die Frauen, denen der Auferstandene zuerst erscheint. Es bedarf auch keines Mannes, der zuerst die Aussagen der Frauen überprüft, wie bei Lukas. Dort muss erst Petrus die Aussagen der Frauen bestätigen, weil der Bericht der Frauen für Geschwätz gehalten wird (Lukas 24,11). In Matthäus 28,1-10 sind die Frauen Zeuginnen der Auferstehung, obwohl Frauen im frühen Judentum nicht als zeugnisfähig galten. Dagegen sind die Wächter keine Zeugen.[185] Sie sind „wie Tote“ (Matthäus 28,4).
Marianne Bjelland Kartzow macht auf eine weitere Besonderheit in der matthäischen Erzählstruktur aufmerksam. Während bei Lukas die Frauen von den Männern als Geschwätz erzählend und für unglaubwürdig gehalten werden, bekommen im matthäischen Text die Wächter, Hohepriester und Älteste den Part der Gerüchteverbreiter. Sie einigen sich darauf zu erzählen, dass der Leichnam von den Jüngern gestohlen worden sei (Matthäus 28,13).[186] Während die Frauen bei Lukas des Gerüchteverbreitens beschuldigt werden, trifft sie dieser Vorwurf im Matthäusevangelium nicht. Der matthäische Text berichtet nicht darüber, wie die Nachricht der Frauen aufgenommen wird. Die nächste Szene erwähnt dann aber die 11 Jünger in Galiläa. Die Männer haben die Botschaft der Frauen befolgt.
In der Passionsgeschichte bis zur Auferstehung sind die Frauen die Handlungsträgerinnen der Geschichte. Sie werden als wahre Jüngerinnen gezeigt, auch wenn sie nie explizit als μαθηταί bezeichnet werden. Die einzelnen Unterbrechungen der dominanten Geschichte, die ich vorher beobachtet habe, gipfeln am Ende des Evangeliums und zeigen Frauen hier in der Hauptrolle. Doch schon in Matthäus 28,16, sobald die elf Jünger wieder in Erscheinung treten, tauchen die Frauen wieder in der Unsichtbarkeit unter, überlagert von der dominanten androzentrischen Geschichte.[187]

4. Zusammenfassung

Aus diesen Untersuchungen ergibt sich folgendes Frauenbild: Das Matthäusevangelium bleibt seiner Zeit entsprechend ein Text, der aus einer androzentrischen Perspektive geschrieben wurde. In dieser androzentrischen main story kommen Frauen nicht selbst zu Wort. Sie werden in stereotypen Frauenrollen gezeigt oder es wird in Männerdialogen über sie debattiert und entschieden.
Aber es gibt eine counter story, die immer wieder unterbrechend in die dominante Geschichte eingreift. Diese Unterbrechungen sind zuerst nur kleine Farbtupfer im Evangelium. Wie ein Crescendo steigert sich die counter story mit einem ersten Höhepunkt bei der Erzählung der kanaanäischen Frau bis hin zu Passions- und Ostererzählung, in der die Frauengeschichte für einen kurzen Augenblick zur Hauptgeschichte wird. In dieser counter story werden stereotype Frauenrollen aufgebrochen, z.B. werden Frauen nicht nur mit Tischdienst assoziiert (Matthäus 8,14-15), sondern als Jüngerinnen dargestellt (Matthäus 8,14-15; Matthäus 12,46-50; Passions- und Ostergeschichte). Die counter story wird durch die Erwähnung der Frauen in der Genealogie eingeleitet, indem die Frauen dort schon einen Lesehinweis geben, dass in der kommenden Erzählung auf die Handlungen der Frauen geachtet werden soll. Frauen werden in den Texten der counter story in aktiven Rollen gezeigt, sie treten für ihre Belange ein, zum Teil mit Risiko für sich selbst. Am Ende wird ihr Verhalten immer positiv bewertet (Matthäus 9,18-26; Matthäus 15, 21-28, Matthäus 26,6-13, auch Matthäus 27,19). Ebenso wird der große Glauben der Frauen hervorgehoben und sie werden als Glaubensvorbilder dargestellt (Matthäus 9,18-28; Matthäus 15,21-28; Matthäus 25,1-13; Matthäus 26,6-13, ebenso zeigt das Verhalten der Frauen am Kreuz, was von JüngInnen Jesu erwartet wird). Frauen werden in Zusammenhängen von Mahlzeiten nicht als Hetären verunglimpft (Matthäus 14,21/15,38, auch Matthäus 26,6-13) und selbst Prostituierte bekommen eine besondere Stellung zugesprochen (Matthäus 21,31). Frauen erhalten im Text auch Hauptrollen. Allerdings ist das nur der Fall, wenn die Männer abwesend sind. Wenn Frauen in Hauptrollen gezeigt werden, dann stellt der Text sie als die besseren μαθηταί dar als die Männer.[188] Obwohl die main story dominanter ist und wieder zum Haupterzählstrang wird, sobald die Jünger zurück ins Blickfeld kommen, entspricht die Darstellung der Frauen in der counter story nicht den Gendererwartungen des ausgehenden 1. Jh. n.Chr.
Ob Matthäus diese Gegengeschichte bewusst in sein Evangelium eingearbeitet hat, ist kaum zu sagen. Auffällig ist sein häufiger redaktioneller Eingriff, wenn es um Frauen geht. Die Veränderungen bewirken an mehreren Stellen, dass Frauen in ihrer Rolle noch hervorgehoben werden. Es kann zumindest ein Interesse des Schreibers an den Geschichten über die Frauen vermutet werden.
Als abwesend können Frauen im Matthäusevangelium nicht bezeichnet werden, wie es Anthony Saldarini tut. Trotzdem kann nicht von Gleichstellung der Frau gesprochen werden, wie sie in unserer heutigen Gesellschaft verstanden wird. Die Erwartungen, die Saldarini an Matthäus stellt, wenn er kritisiert, dass Matthäus nicht auf Erfahrungen von Frauen, auf ihre Bedürfnisse und Sichtweisen eingeht und sie nicht stärkt, sodass sie ein gleichwertiges Gegenüber des Mannes werden, übersteigen wohl die Möglichkeiten, die der Autor in seinem gesellschaftlichen Kontext und seiner sozialen Prägung hatte. Matthäus ist kein Visionär einer gleichberechtigten Gesellschaft und kann es auch gar nicht sein, da die Idee der Egalität ein Kind der Neuzeit ist.[189] Hierarchiefragen verbindet er an keiner Stelle mit einer Gleichstellung im Sinn von einer Stärkung oder Befreiung der Unterdrückten (weder in Bezug auf Frauen, noch auf Sklaven oder untere soziale Schichten).[190] Für ihn geht es um das Dienen und Niedrigwerden. Er dreht aber die Hierarchiepyramide der Antike auf den Kopf. Er sagt nicht, dass niemand mehr herrschen soll, sondern wer herrschen will, muss sich an die unterste Stelle der Hierarchiepyramide begeben, Sklave und Diener sein. Diese Umkehr der Werte ist in gewisser Weise eine Infragestellung der vorherrschenden Werteordnung, doch sie kann unsere heutigen Erwartungen einer gleichberechtigten Gesellschaft nicht erfüllen. Trotzdem eröffnet die für damalige Normen unerwartete Darstellung von Frauen die Möglichkeit, im Text zumindest eine Andeutung eines „more […] inclusive way of life“[191] zu lesen.

Bibliographie

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[2] Bjelland Kartzow, Marianne, Resurrection as Gossip: Representations of Women in Resurrection Stories of the Gospels, lectio difficilior, 2010 (http://www.lectio.unibe.ch/10_1/kartzow2.html, 04.08.2011)

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[9] Davies, William D./Allison, Dale C., A critical and exegetical commentary on the Gospel according to Saint Matthew, Vol. 2. London, 1991.

[10] Davies, William D./Allison, Dale C., A critical and exegetical commentary on the Gospel according to Saint Matthew, Vol. 3. London, 1997.

[11] Frankemölle, Hubert, Matthäus: Kommentar 1. Düsseldorf, 1994.

[12] Frankemölle, Hubert, Matthäus: Kommentar 2. Düsseldorf, 1997.

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[14] Gnilka, Joachim, Das Matthäusevangelium Band 1. Freiburg i.Br./Basel 1986.

[15] Gnilka, Joachim, Das Matthäusevangelium Band 2. Freiburg i. Br./Basel 1988.

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[20] Levine, Amy-Jill, Matthew. In: Newsom, Carol A./Ringe, Sharon H. (eds) The Women’s Bible Commentary. Westminster 1992, S. 252-262.

[21] Levine, Amy-Jill, Discharging Responsibility: Matthean Jesus, Biblical Law, and Hemorrhaging Woman. In: Levine, Amy-Jill (ed.), A Feminist Companion to Matthew. Sheffield 2001, S. 70-87.

[22] Longstaff, Thomas R.W., What are those women doing at the Tomb of Jesus? Perspectives on Matthew 28,1. In: Levine, Amy-Jill (ed.), A Feminist Companion to Matthew. Sheffield 2001, S.196-204.

[23] Longstaff, Thomas R.W., From the birth of Jesus to the resurrection: Women in the Gospel of Matthew. In: Avery-Peck, Alan J. et. al. (eds), When Judaism and Christianity began. Essays in memory of Anthony J. Saldarini, Vol. 1. Leiden 2004, S. 147-178.

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[25] Luz, Ulrich, Die Jünger im Matthäusevangelium, ZNW 62, 1971, S. 141-171.

[26] Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus Band 1, EKK. Zürich/Braunschweig/ Neukirchen-Vlyn, 52002.

[27] Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus Band 2, EKK. Zürich/Braunschweig/ Neukirchen-Vlyn, 1990.

[28] Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus Band 3, EKK. Zürich/Braunschweig/ Neukirchen-Vlyn, 1997.

[29] Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus Band 4, EKK. Zürich/Braunschweig/ Neukirchen-Vlyn, 2002.

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[31] Mayordomo, Moisés, Den Anfang hören: leserorientierte Evangelienexegese am Beispiel von Matthäus 1-2. Göttingen 1998.

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[33] Nolland, John, The Gospel of Matthew: a commentary on the Greek text. Grand Rapids, 2005.

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[35] Osiek, Carolyn/Balch, David L., Families in the New Testament World: Households and House Churches. Louisville KY, 1997.

[36] Osiek, Carolyn, The Women at the Tomb: What Are They Doing There? In: Levine, Amy-Jill (ed.), A Feminist Companion to Matthew. Sheffield 2001, S. 205-220.

[37] Overman, J.Andrew, Church and community in crisis: the gospel according to Matthew. Valley Forge 1996.

[38] Rosenblatt, Marie-Eloise, Got into the Party after all: Women’s Issues and the Five Foolish Virgins. In: Levine, Amy-Jill (ed.), A Feminist Companion to Matthew. Sheffield 2001, S. 171-195.

[39] Saldarini, Anthony J., Absent Women in Matthew’s Households. In: Levine, Amy-Jill (ed.), A Feminist Companion to Matthew. Sheffield 2001, S. 157-170.

[40] Sheffield, Julian, The Father in the Gospel of Matthew. In: Levine, Amy-Jill (ed.), A Feminist Companion to Matthew. Sheffield 2001, S. 52-69.

[41] Smit, Peter-Ben, Something about Mary. Remarks about the five women in the matthean genealogy. NTS 56, 2010, S. 191-207.

[42] Wainrwright, Elaine M., Towards a feminist critical reading of the gospel according to Matthew. Berlin 1991.

 


 

[1] Vgl. Anderson, Matthew, 2001, S. 41.43.

[2] Vgl. Wainwright, Reading, 1991.

[3] Vgl. Gnadt, Matthäus, 1998, S. 496-498.

[4] Vgl. Saldarini, Absent Women, 2001, S. 157-170.

[5] Talvikki Mattila imaginiert durch ihre Darstellung Frauen in unveränderten Genderrollen als Verhaltensvorbilder für neue Frauengenerationen. Dadurch transportiert sie ein bestimmtes Frauenbild, das muss m.E. hinterfragt werden. Vgl. Mattila, Citizens, 2002, S. 140-141.

[6] Als neuste Erscheinung sei noch die Veröffentlichung von Stuart Love erwähnt, der in seinem Buch „Jesus and Marginal Women“ ebenfalls versucht, die Subversivität der matthäischen Frauendarstellung als Infragestellung des antiken Oikos zu deuten. Dabei nimmt er verschiedene sozialwissenschaftliche Modelle zu Hilfe, beschränkt seine Untersuchungen dann aber auf vier Texte: Matthäus 9,18-26; Matthäus 15,21-28; Matthäus 26,6-13; Matthäus 27,55-56/28,1-10. Deshalb kann die Darstellung nicht als Gesamtdarstellung des Frauenbildes des Matthäusevangeliums gewertet werden.

[7] Im Feminist Companion to Matthew finden sich allein 3 Artikel zur kanaanäischen Frau und 2 zu den Frauen im Grab.

[8] Dabei gehe ich im Gegensatz zu Elaine M. Wainwright nicht von einer Inklusion der Frauen aus, sondern verstehe sie als Jüngerinnengruppe, deren Verhältnis zur Gruppe der 12 ungeklärt bleibt. Die Geschichten stehen als irritierende counter story der main story gegenüber. Gegen eine Inklusion spricht auch, dass die Frauen bei Wiedererscheinen der Jünger in Matthäus 28 wieder aus dem Erzählverlauf verschwinden. Deshalb schlage ich vor, von Unterbrechungen des narrativen Erzählverlaufs zu sprechen.

[9] Anders als Elaine Wainwright bin ich dabei nicht an Redaktionsschichten interessiert, die die Frauengeschichten bewahrt haben könnten, sondern verstehe aus rezeptionsästhetischer Sicht die counter story als eine Lesart des Textes.

[10] Je nach Art der Zählung kann man hier auf andere Zahlen kommen. Die Tabelle gibt Aufschluss über meine Zählung.

[11] Vgl. Saldarini, Absent Women, 2001, S. 170.

[12] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 158. Den Gesamtaufriss des Matthäusevangeliums teile ich mit Ulrich Luz in: Prolog (Matthäus 1,2-4,22), Hauptteil des Evangeliums (Matthäus 4,23-25,46) und Passions-und Auferstehungsgeschichten (Matthäus 26-28). Der Hauptteil des Evangeliums kann weiter untergliedert werden. Für die vorliegende Untersuchung ist eine ausführliche Gliederung allerdings nicht ausschlaggebend. Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 32-35.

[13] Vgl. Anderson, Matthew, 2001, S. 29.

[14] Vgl. Mayordomo, Anfang, 1998, S. 244. Zu den Ausnahmen s. 3.1. Weitere Informationen zum Thema Frauen und Genealogien finden sich bei: Wacker, Marie-Theres, Die Bücher der Chronik. Im Vorhof der Frauen. In: Schottroff, Luise / Wacker, Marie-Theres (Hgg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung. 2. korr. Auflage, Gütersloh 1999, S. 146-150; Fischer, Irmtraud, Der Männerstammbaum im Frauenbuch: Überlegungen zum Schluß des Ruthbuches (4,18-22). In: Kessler, Rainer u.a. (Hg.), „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände!“ (FS E. Gerstenberger). Münster 1997, S. 195-213; Labahn, Antje / Zvi, Ehud Ben, Observations on Women in the Genealogies of 1 Chronicles 1-9, Bib. 84, 2003, S. 457-478; und ferner auch Hieke, Thomas, Art. Genealogie (AT). In: wibilex. Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, www.wibilex.de, (13.12.2011).

[15] Vgl. Anderson, Matthew, S. 32.44.

[16] Vgl. Kraemer, Family Dynamics, 2003, S. 147f.

[17] Vgl. Kraemer, Family Dynamics, 2003, S. 138. P.Yadin 12 berichtet über zwei Vormunde, die Babatha und ihren Sohn nach dem Tod des ersten Mannes gesellschaftlich vertreten sollten, S. 141, 148. Ross Kraemer schreibt über Babatha’s Papyri (P. Yadin) und zeigt auf, dass in dem Archiv einer Frau hauptsächlich das familiäre Netzwerk von Vätern, Söhnen und Brüdern sichtbar wird. Vgl. Kraemer, Family Dynamics, 2003, S. 147f.

[18] Es geht an dieser Stelle nicht um eine Beschuldigung der Frau wegen der vielen Männer. Nach dem Recht der Leviratsehe hatte sie alle Männer rechtmäßig geheiratet.

[19] Als Subtext steht unter diesem Artikel auch der Versuch einer antisemitischen Auslegungsweise die Berechtigung zu nehmen. Denn es wird deutlich, dass ein Verständnis, welches das frühe Judentum generell als frauenfeindlich und Jesus und die Evangelien – insbes. deren Scheidungsverbote – als frauenfreundlich beschreibt, keinen Halt hat. Vgl. auch Brooten, Frühchristliche Frauen, 1985, S. 69-70.

[20] Vgl. Luz, Matthäus Bd.1, 52002, S. 333.

[21] Vgl. z.B. Test R 1,7, Test L 16,4; Test B 9,1; Äth Hen 94,1.3.10; 99,13; 102,9 u.a. Weitere Belege vgl. Luz, Matthäus Bd.1, 52002, S. 328.

[22] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 333.

[23] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 333.

[24] Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 319.

[25] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1, 1988, S. 483; Overman, Church, 1996, S. 77, 78-79; Gnilka Bd.1, Matthäus, 1986, S. 142; Carter, Matthew, 2000, S. 140.

[26] Davies und Allison sehen zwei Möglichkeiten, dass entweder jüdische Autoritäten diesen Vorwurf gemacht oder dass frühe Christen die Lehre Jesu als Aufhebung des Gesetzes ausgelegt haben. Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1, 1988, S. 501.

[27]Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1., 1988, S. 495.

[28] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1., 1988, S. 484; Carter, Matthew, 2000, S. 140; Gundry, Matthew, 1982, S. 80.

[29] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1., 1988, S. 484.

[30] Vgl. Overman, Church, 1996, S. 76. Dagegen sieht Gnilka hier eine innerchristliche Debatte um die Bedeutung von Gesetz und Halacha, die im Zusammenhang mit der Ablösung von der Synagoge entstand. Vorrangig ist diese Diskussion m.E. bei Matthäus nicht zu erkennen, denn für Matthäus ist klar: Das Gesetz gilt. Diese Diskussionen sind möglicherweise eher in Auseinandersetzung mit Heidenchristen entstanden. Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 148.

[31]Vgl. Nolland, Matthew, 2005, S. 217. Weiterführend ist hier die Bedeutung von καταλύω und πληρόω. Beide Verben sind im Zusammenhang mit νόμος in der frühjüdischen und griechischen Literatur belegt. Das Bedeutungsfeld von καταλύω bewegt sich zwischen ‚abschaffen’ im Sinn von ‚außer Kraft setzen’ und ‚abschaffen’ im Sinn von ‚nicht halten’, ‚brechen’. (Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 313) Πληρόω bezieht sich mehr auf Taten als auf eine Lehre. Es erinnert an die Erfüllungsformeln im Matthäusevangelium und wird interessanterweise exklusiv christologisch gebraucht. (Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 1, 1994, S. 219; vgl. auch Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 140.) Hier schwingt der Vollmachtsgedanke mit. Wer mit Vollmacht lehrt, kann auch das Gesetz erfüllen. Dabei ist die Erfüllung in Wort und Tat gedacht.

[32] Sie sind bei der Erwähnung des Volkes inklusiv mit erwähnt (5,1).

[33] Vgl. Saldarini, Absent women, 2001, S. 170.

[34] Γυνη bezeichnet hier die Ehefrau. Vgl. Luz, Matthäus Bd.1, 52002, S. 350.

[35] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 161; Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 352.

[36] Vgl. Nolland, Matthew, S. 236, vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 350.

[37] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 351.

[38] Vgl. Overman, Church, 1996, S. 82, vgl. Gnilka, Matthäus, 1986, S. 161, Levine, Matthew, 1992, S. 255.

[39] Saldarini, Absent women, 2001, S. 162.

[40] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar Bd.1, 1994, S. 232.

[41] Die schöpfungstheologische Achtung voreinander leitet Frankemölle aus 19,3-12 ab, wo Bezug auf Genesis 2,24 genommen wird. Doch auch aus dieser Textstelle ist seine Interpretation nicht zu begründen. Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar Bd.1, 1994, S. 232.

[42] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 361-362. Wenn man mit Vered Noam davon ausgeht, dass in der Zweiten Tempelperiode Deuteronomium 24,1 so verstanden wurde, dass Scheidung nur bei Ehebruch erlaubt war, sich die Position der Schule von Hillel, dass der Mann die Frau aus beliebigem Grund entlassen konnte, erst nach und nach in der rabbinischen Zeit als vorherrschende Meinung durchgesetzt habe, dann macht der Zusatz πορνεία Jesus außerdem Tora-konform, was der Intention der Darstellung bei Matthäus entspräche. Vgl, Noam, Divorce, 2005, S. 219.

[43] Vgl. bGittin90a. Vgl. auch Carter, Matthew, 2000, S. 148.

[44] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1, 1988, S. 530.

[45] Vgl. Noam, Divorce, 2005, S. 219. Noam geht von einer Qumransekte aus und bezieht sich auf die als Sektentexte eingeordneten Dokumente in seiner Untersuchung.

[46] Die Bewertung der Qumrantexte ist zur Zeit sehr schwierig, da in der Forschung inzwischen zum Teil ganz in Frage gestellt wird, ob in Qumran eine Sekte lebte und ob die gefundene Bibliothek zu dieser Sekte gehörte. Dementsprechend kann nur noch darauf hingewiesen werden, dass es in Texten aus Qumran ebenso ein generelles Scheidungsverbot gibt. Ebenso finden sich aber auch Texte, die Scheidung zu erlauben scheinen, z.B. CD 13,15-17.

[47] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 362f. Davies und Allison machen diese Einschränkung. Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1, 1988, S. 529.

[48] Vgl. auch Saldarini, Absent Women, 2001, S. 163.

[49] Vgl. Saldarini, Absent Women, 2001, S. 163.

[50] Bernadette Brooten weist darauf hin, dass es im frühen Judentum nicht durchgehend der Fall war, dass die Ehe vom Mann geschieden wurde. Es gab auch seltene Ausnahmen, wenn Frauen in besonderen Machtpositionen waren. Brooten argumentiert vor allem gegen eine antisemitische Auslegungsweise, die die Scheidungspraxis bzw. das gesamte frühe Judentum als generell frauenfeindlich und Jesus und die Evangelien insbes. deren Scheidungsverbote als frauenfreundlich darstellt. Vgl. Brooten, Frühchristliche Frauen, 1985, S. 69-70. Ich stimme Brooten in ihrer Argumentation zu. Die Untersuchung des Matthäusevangeliums zeigt m.E. deutlich, dass eine einseitige Zuordnung von frauenfeindlich und frauenfreundlich nicht möglich ist.

[51] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 365.

[52] Vgl. Saldarini, Absent women, 2001, S. 163.

[53] Vgl. Overman, Church, 1996, S. 82.

[54] Vgl. Nolland, Matthew, 2005, S. 244 und Davies/Allison, Matthew Vol. 1, 1988, S. 523. (Zur Rechtfertigung von Davies und Allison ist zu sagen, dass sie dieser Interpretation nicht folgen. Sie geben sie aber als Möglichkeit an.) Vgl. auch Haackers Deutung der Unzuchtsklausel. Klaus Haacker zieht den Hirt des Hermas zur Interpretation bei und meint, die Unzuchtsklausel als Schutz des Mannes deuten zu müssen, denn ein Mann, der seine Frau nicht entlasse, obwohl sie unablässig Unzucht betriebe, würde selbst der Sünde teilhaftig. Vgl. Haacker, Ehescheidung, 1971, S. 34-35.

[55] Saldarini, Absent Women, 2001, S. 170.

[56] Matthäus 1,1 kann als Titel verstanden werden, der sich philologisch auf das erste Kapitel bezieht, funktional aber auf das gesamte Werk (vgl. Mayordomo, Anfang,1998, S. 213). Die Übersetzung als Buch des Ursprungs Jesu (vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 117) macht die Funktion einer Genealogie als Legitimationsausweis (vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 21989, S. 93/Mayordomo, Anfang, 1998, S. 221) deutlich und als Vorstellung der Identität und Herkunft der Hauptfigur (Frankemölle, Matthäuskommentar, 1994, S. 136/Wainwright, Reading, 1991, S. 61) und damit auch der Identität derjenigen, die sich mit Jesus in Beziehung sehen (Overman, Church, 196, S. 29).

[57] Vgl. Gnadt, Matthäus, S. 498.

[58] Mayordomo, Anfang, 1998, S. 222.

[59] Vgl. Mayordomo, Anfang, 1998, S. 222.

[60] Allerdings ist hinzuzufügen, dass diese letztgenannte Stelle textkritisch umstritten ist. Andere Textzeugen betonen an der Stelle die Jungfräulichkeit Marias und ersetzen das ἐγεννηθήν mit dem aktiven ἐγγένεσον, was dann wieder Josef zugeordnet ist. So Q(ƒ13, und alte lateinische Übersetzungen, ähnlich in Sinaitischen und Curetonischen Übersetzungen. Allerdings sind die Textzeugen für die oben genannte Variante gewichtiger, sowohl das Papyri 1und a, als auch B, C, L und weitere bezeugen diese Variante. Das heißt, der Entscheid für diese Variante ist äußerlich zu treffen aber auch innere Kriterien sprechen dafür, denn Matthäus war theologisch gerade daran gelegen, dass Jesus nicht durch Josef gezeugt, aber dann von ihm adoptiert wurde, damit er in den Stammbaum Abrahams hineingehört.

[61] Smit, Mary, 2010, S. 197.

[62] Peter-Ben Smit erklärt die veränderte Form in 1,16 als ein passivum divinum. Gottes Intervention wird so schon angedeutet, aber Gott nicht direkt erwähnt. Vgl. Smit, Mary, 2010, S. 197.

[63] Vgl. Mayordomo, Anfang, 1998, S. 249.

[64] Schon seit Hieronymus, ebenso Chrysostomos. Heute z.B. Corley, Private Women, 1993, S. 152.

[65] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 133f.

[66] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 150, Vgl. Mayordomo, Anfang, 1998, S. 246.

[67] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S. 133.

[68] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 9f.

[69] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 1, 52002, S.134. Diese Position beziehen laut Luz Stendahl und Brown.

[70] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 9, Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 1, 1994, S. 142.

[71] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S.68, Vgl. auch Overman, Church, 1996, S. 35.

[72] Vgl. Mayordomo, Anfang, 1998, S. 249.

[73] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 68.

[74] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 158 und Levine, Dimensions, 1988, S. 62.

[75] Smit, Mary, 2010, S. 207.

[76] Smit, Mary, 2010, S. 207.

[77] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 66-67.

[78] Vgl. Mayordomo, Anfang, 1998, S. 249.

[79] Vgl. Mayordomo, Anfang, 1998, S. 250.

[80] Vgl. Luz,Matthäus Bd. 1, 52002, S. 131.

[81] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S.159-161.

[82] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 84.

[83] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 83. Levine kritisiert diese zusätzliche Festlegung der Frau auf ihre Unreinheit, ohne Anhalt am Text, als doppelte Verurteilung der Frau, die sich durch ihr Geschlecht im Status schon klar von einem Mann unterscheidet. Außerdem weist sie darauf hin, dass eine Auslegung, die das antike Judentum als frauenfeindlich und Jesus bzw. Matthäus als frauenfreundlich zeichnet, antisemitische Züge trägt. Vgl. Levine, Responsibility, 2001, S. 72-75.

[84] Vgl. Wainrwright, Reading, 1991, S. 84.

[85] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 84.

[86] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 1, 1994, S. 303.

[87] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 85. Gnilka und Davies/Allison bestehen darauf, dass διακονέω ausschließlich Tischdienst bedeuten kann. Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 307 und Davies/Allison, Matthew Vol. 2, 1991, S. 35.

[88] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 179-181.

[89] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 470, Carter, Matthew, 2000, S. 278, Davies/Allison, Matthew Vol. 1, 1988; S. 362.

[90] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 1, 1986, S. 470, Overman, Church, 1996, S. 186.

[91] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 1, 1988, S. 365 und Sheffield, Father, 2001, S. 65.

[92] Vgl. Sheffield, Father, 2001, S. 65. Sheffield beobachtet, dass im gesamten Matthäusevangelium irdische Väter kaum eine Rolle spielen. Entweder sind es schlechte Väter, die namentlich erwähnt werden, oder die Bezeichnung Vater wird von Matthäus gestrichen. Sie schlussfolgert daraus, dass die antike Haushaltsstruktur infrage gestellt wird und Frauen eventuell eine aktivere Rolle einnahmen, als auf den ersten Blick denkbar. Vgl. Sheffield, Father, 2001, S. 52-69.

[93] Vgl. Carter, Matthew, 2000, S. 279.

[94] Hauptsächlich in der Aussendungsrede Kapitel 10,1.2.5 und 11,1 als Nachsatz zur Rede, in 19,28; 20,17 und 4x in Kapitel 26 (14.20.47.53).

[95] Vgl. Corley, Private Women, 1993.

[96] Vgl. Corley, Private Women, 1993, S. 161.

[97] Vgl. Corley, Private Women, 1993, S. 30, 33, 37, 41, 44, 60.

[98] Der Text 21,28-32 bietet ein textkritisches Problem. Handschriften überliefern verschiedene Lesarten. Ich denke, die Schlussfolgerungen von Ulrich Luz sind nachvollziehbar, die sich für die erste Lesart entscheiden. Auf eine genauere Diskussion verzichte ich hier, da die unterschiedlichen Lesarten nicht die Verse 31 und 32 betreffen. Vgl. Luz, Matthäus Bd. 3, 1997, S. 205.

[99] Es ist ein sogenannter Eingangsspruch. Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 2, 1988, S. 222.

[100] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3,1997, S. 172.

[101] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 172, auch Overman, Church, 1996, S. 297.

[102] Vgl. Gnilka, Matthäus Teil. 2, 1988, S. 222; Luz, Matthäus Bd. 3, 1997, S. 207.

[103] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 3, 1997, 207.212; Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 2, 1997, S. 325.

[104] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 2, S. 325.

[105] Die Umkehr der Werte- und Hierarchieordnung ist ein Element, das im Matthäusevangelium an mehreren Stellen zu finden ist. Besonders prominent wird es in den Aufforderungen zum Unterordnen und Dienen ausgedrückt (vgl. Matthäus 20,25-28; 23,11-12). Durch die Umkehr der Hierarchie wird die Struktur des antiken Oikos infrage gestellt, ebenso wie die Gesellschaftsstruktur hinterfragt wird, wenn Zöllner und Prostituierte vor die Hohepriester und Schriftgelehrte gestellt werden.

[106] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 2, 1997, S. 193, Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 390.

[107] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 250-251.

[108] Vgl. dagegen Markus 6,20.

[109] Vgl. Levine, Matthew, 1992, S. 258. (Feministischer Bibelkommentar)

[110] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 2, 1988 , S. 5 und Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 392-394.

[111] Tacitus lehnt in Ann. 3,33-35 den Antrag zum Verbot, dass Frauen ihren machthabenden Ehemann begleiten, ab. Außerdem finden sich Beispiele von Frauen, die ihre regierenden Männer überzeugen (Matthäus 14,1-12). Ebenso bei Josephus, Ant 12.204; 15,258; Bell. 2.314. Longstaff nennt als Vergleich die Frau des Cäsar, die ihren Mann am Morgen vor dem Attentat bittet, zu Haus zu bleiben, da sie von einem blutüberströmten Körper geträumt habe. Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 173.)

[112] Vgl. Carter, Matthew, 2000, S. 526.

[113] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 2, 1988, S. 479.

[114] Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 274.

[115] Vgl. Carter, Matthew, 2000, S. 526.

[116] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 587.

[117] Ob die ErstrezipientInnen des Matthäus bei der Erwähnung der Frau des Pilatus noch ganz andere Assoziationen hatten, ist nicht zu sagen. Vielleicht war sie in ihrer Zeit relativ bekannt? Auch spätere Zuordnungen als Gottesfürchtige oder sogar Christin (Origenes) können nicht geklärt werden.

[118] Als Hauptrolle wird hier verstanden, dass die Handlungen der Frauengestalten den Fortgang der Erzählung maßgeblich beeinflussen.

[119] Ob der Archon ein jüdischer Beamter oder ein Nicht-Jude ist, bleibt offen. Bei Markus handelte es sich um einen Synagogenvorsteher. Das hat Matthäus gestrichen. Oft wird vermutet, die Streichung erfolgte aufgrund des Konflikts mit der Synagoge. (Vgl. Overman, Church, 1996, S. 133; Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 52, Frankemölle, Matthäuskommentar 1, 1994, S. 322.) Möglich ist, dass Matthäus aber gerade eine offene Stelle im Text kreieren wollte. LeserInnen können diese Leerstelle selbst durch ihre Imagination füllen. Es ist sowohl möglich, einen Juden, als auch einen Nicht-Juden vor Augen zu haben.

[120] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 164.

[121] Amy-Jill Levine sieht die Verbindung der Krankheit der Frau mit Unreinheit als nicht zwingend, da die Blutung von irgendeiner Stelle des Körpers stammen könnte. Sie vermutet hier eher eine sexistische Auslegung, in der ExegetInnen sofort auf vaginales Blut schließen. Außerdem führt sie Leviticus 15,19-33 an und erklärt, dass die Unreinheit zwar übertragbar ist, aber soziale Kontakte nicht verboten werden. (Vgl. Levine, Responsibility, 2001, S. 75-77.) Trotzdem ist m.E. eine Assoziation mit Unreinheit im Text allein durch die Erwähnung des Blutes hervorgerufen. Auch die Krankheit selbst, unabhängig vom Blut, lässt sie zumindest im pharisäischen Sinn als unvollständig erscheinen. Die vorsichtige Annäherung von hinten kann also auch durch die Krankheit allein erklärt werden. (Vgl. auch Love, Marginal Women, 2010, S. 125.)

[122] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol.2, 1991, S. 128, Wainwright, Reading, 1991, S. 89.

[123] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol.2, 1991, S. 128.

[124] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 164ff.

[125] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 90.

[126] Vgl. Davies/Allison Matthew Vol. 2, 1991, S. 540, Wainwright, Reading, 1991, S. 103, Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 433.

[127] Vgl. Carter, Matthew, 2000, S. 321.

[128] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 433.

[129] Vgl. Overman, Church, 1996, S. 231, Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 433.

[130] Gegen die heidnischen Städte Tyrus und Sidon Vgl. Jesaja 23; Esra 26-28; Joel 4,4; Sacharja 9,2-4.

[131] Vgl. Davies/Allison, Matthew, Vol. 2., 1991, S. 542.

[132] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 430.

[133] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 167.

[134] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 2, 1991, S. 541

[135] Stuart Love glaubt, diese Ansprache zeige, dass die Frau Jesus als heiligen Mann mit magischen Kräften verstehe. Vgl. Love, Marginal Women, 2010, S. 155. Überzeugender ist Luz, der darin ihren großen Glauben sieht. Sie weiß und versteht, wer Jesus ist und weiß ebenso um seinen Auftrag, der auf Israel ausgerichtet ist. Sie bittet ihn aber trotzdem um Hilfe, was die Größe ihres Glaubens zeigt. Vgl. Luz, Matthäus Bd. 2, S. 434.

[136] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 435.

[137] Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 434.

[138] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 2, 1991, S. 553.

[139] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 2, 1990, S. 436.

[140] Vgl. O’Day, Surprised, 2001, S. 114.

[141] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 111.

[142] Vgl. O’Day, Surprised, 2001, S. 125. Der Text deutet aber in keiner Weise eine Verwerfung Israels an. Die deutliche Öffnung für die Heidenmission findet sich dann erst in 28,18-20.

[143] Vgl. Overman, Church, 1996, S. 287, Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 86.

[144] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 86, Gnilka, Matthäus Bd. 2, 1988, S. 187.

[145] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 86.

[146] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 2, 1997, S. 294.

[147] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 119.

[148] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 169.

[149] Vgl. Carter, Matthew, 2000, S. 402, Wainwright, Reading, 1991, S. 120.

[150] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 3, 1997, S. 159, Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 84.

[151] Matthäus wird an dieser Stelle meistens schlechte Redaktion vorgeworfen. Ich halte es aber für recht unwahrscheinlich, dass Matthäus in Vers 20 und 21 über eine Gruppe – die Mutter und zwei Söhne – schreibt und die Mutter danach in 23 schon wieder vergessen hat. Die Mutter übernahm das Stellen der Frage und Jesus reagiert auf alle drei.

[152] Vgl. Saldarini, Absent Women, 2001, S. 169, Vgl. auch Luz, Matthäus Bd. 3, 1997, S. 161.

[153] Saldarini, Absent Women, 2001, S. 169.

[154] Vgl. Luz, Jünger, 1971, S. 149.

[155] Das Gleichnis ist schwierig. Die fünf klugen Jungfrauen scheren sich nicht um das Los der andern fünf. Der unbarmherzige Ausschluss der fünf törichten Jungfrauen ist störend. Die Verspätung des Bräutigams wird nie hinterfragt. Marie-Eloise Rosenblatt schlägt deshalb vor, von ursprünglich zwei Gleichnissen auszugehen. Vgl. Rosenblatt, Party, 2001, S.171-195. Inhaltlich ist diese Trennung zwar möglich, jedoch finden sich keine sprachlichen Hinweise dafür. Das Gleichnis muss vielleicht als anstößig und damit als Herausforderung verstanden werden.

[156] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 133f.

[157] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 444.

[158] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 125.

[159] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 171 und Wainwright, Reading, 1991, S. 124-137.

[160] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 56.

[161] Vgl. siehe 3.2.3 Frauen beim Mahl. Frauen, die an einem Symposion teilnahmen, liefen Gefahr, den Ruf einer Hetäre zu bekommen. Dass in der Auslegungsgeschichte dieser Textstelle oft vermutet wurde, dass die Frau eine Prostituierte sei, könnte dieser Verbindung von Symposion und Hetären geschuldet sein. Denn der Text gibt keinerlei Hinweis darauf, dass die Frau eine Prostituierte ist.

[162] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 59.

[163] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 61.

[164] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 62.

[165] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 444.

[166] Vgl. Carter, Matthew 2000, S. 502.

[167] Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 447, Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 133.

[168] Vgl. Gnilka, Matthäus Bd. 2, 1988, S. 385.388, Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 60.

[169] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar Bd. 2, 1997, S. 441.

[170] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 372.

[171] Vgl. Longstaff, Women, 2004, S. 172. Thomas Longstaff sieht in den Fragen der Frauen sogar den Hinweis, dass sie sich als Jüngerinnen verhalten, weil sie aussprechen, was sie von Jesus wissen. Zwar steht in einer Frage, dass sie Jesus als Nazoräer bezeichnen, aber als Zeichen für Jüngerschaft kann das wohl noch nicht gewertet werden.

[172] In Matthäus 27,56 werden von den vielen Frauen drei namentlich hervorgehoben. Warum Matthäus gerade diese Frauen nennt, ist schwer zu sagen. Vielleicht hatten sie für die ErstrezipientInnen eine besondere Bedeutung. Vielleicht stehen sie auch wiederum als narrative Figuren für bestimmte Geschichten. Sicherlich trifft das auf die Mutter der Zebedaiden zu. An dieser Stelle können sich die LeserInnen an 20,23 zurückerinnern: an das Versprechen den Kelch mitzutrinken. Hier ist zu sehen, wer das Versprechen gehalten hat. Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar Bd.2, 1997, S. 510, vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 142, Carter, Matthew, 2000, S. 538. Sogar Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 638.

[173] Für Carter sogar „clearly disciples”. Carter, Matthew, 2000, S. 538.

[174] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar Bd. 2, 1997, S. 509.

[175] Vgl. oben.

[176] Davies/Allison verstehen das bisherige Ungenanntbleiben der Frauen als Zeichen ihrer geringen Bedeutung, die sie für Matthäus hatten. Am Ende sind nur noch die unwichtigen Frauen übrig. Vgl. Davies/Allison, Matthew Vol. 3, 1997, S. 637. Wenn die Frauen so unwichtig wären, dann ist es m.E. unverständlich, dass sie in der Passionsgeschichte so eine bedeutende Rolle bekommen.

[177] Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar Bd. 2, 1997, S. 509.

[178] Aus einer unveröffentlichten Studie zitiert von Wainwright, Reading, 1991, S. 109.

[179] Vgl. Wainwright, Reading, 1991, S. 142.

[180] Vgl. Saldarini, Absent Women, 2001, S. 169, vgl. auch Longstaff, Women, 2004, S. 175. Er erwähnt den Talmud Sem 8:1, wo es heißt, dass der Tod durch Zeugen bestätigt und ebenso das Begräbnis überwacht werden muss. Diese Rolle übernehmen die Frauen in der Passionsgeschichte.

[181] Vgl. Carter, Matthew, 2000, S. 544.

[182] Vgl. Carter, Matthew, 2000, S. 544. Frankemölle versteht das zum Grab-Gehen dagegen eher als Vergessen der Frauen. Sie wissen nicht mehr, dass Jesus auferstehen wird, sonst würden sie nicht dort nachschauen. Vgl. Frankemölle, Matthäuskommentar 2, 1997, S. 519.

[183] Vgl. Longstaff, Women 2004, S. 175f. und Longstaff, What are those women doing, 2001, S. 204.

[184] Vgl. Osiek, Tomb, 2001, S. 208.

[185] Vgl. Luz, Matthäus Bd. 4, 2002, S. 403.

[186] Vgl. Bjelland Kartzow, Gossip, 2010
(http://www.lectio.unibe.ch/10_1/kartzow2.html, 04.08.2011)

[187] Carolyn Osiek vermutet, dass die Frauengeschichten in den Passions- und Auferstehungserzählungen zuerst sogar nur in Frauenkreisen tradiert wurden und erst nach und nach Eingang in die offizielle Geschichtentradition erlangten. Paulus berichtet noch nicht von Frauen am Ostermorgen (1. Korinther 15,1-8). Wenn diese These zutreffend ist, dann ist das Matthäusevangelium ein Beispiel, in dem die Frauengeschichten sehr ausführlich und in Wahrung der bedeutenden Rolle der Frauen übernommen wurden. Vgl. Osiek, Tomb, 2001, S. 215.

[188] Vgl. Gnadt, Matthäus, S. 497.

[189] Vgl. Love, Marginal Women, 2010, S. 221.

[190] Vgl. Love, Marginal Women, 2010, S. 221. Stuart Love bezieht seine Erkenntnisse auf Jesus selbst. Allerdings würde ich eher vom Schreiber des Matthäusevangeliums sprechen.

[191] Cahill, Mother, 2004, S. 52.

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Nadja Boeck (geb. 1980),

ist Doktorandin an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Sie arbeitet an einem interdisziplinären Dissertationsprojekt zur Konstruktion sozialer Identitäten im Matthäusevangelium.

© Nadja Boeck, 2011, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317

 
 
 
 

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