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02-2019
Friederike Eichhorn-RemmelSchützen‘ (עיר) oder ‚in Bewegung bringen‘ (עור)? – Ein neues Missverständnis - Theriomorphe und -pragmatische Darstellungen elterlichen Handelns JHWHs in Deuteronomium 32,11 in de-konstruktiver Perspektive
Abstract:
This article presents the debate about the divine action of YHWH in the metaphor of the נֶשֶׁר (Deuteronomy 32:11). Contrary to the preferred reading (עיר) in exegetical research, this re-vision pleads for עור. For this purpose, a reading, which also recurs to (alleged) ornithological insights, is revealed not as an “old” but as a “new” misunderstanding, rooted in a dualistic construction of gender that finally shortened YHWH. [1]
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Prolog: Von ‚Müttern‘ und ‚Vätern‘
Das Konzept einer ‚weiblichen‘ Moral, die sich vor allem durch eine ‚moral of care‘ auszeichne, während die ‚männliche‘ Moral eher eine ‚moral of justice‘ sei, [2] hat nicht nur in der feministischen Ethik eine nachhaltige Wirkung (gehabt). Besonders in bestimmten differenzfeministischen Auslegungen alttestamentlicher Metaphern für das elterliche Handeln der Gottheit wurde die Ethik der Fürsorge wiedererkannt und als Beleg für eine (vor allem exklusiv bestimmte) ‚weibliche Seite‘ – hier eine ‚mütterliche [3] Seite‘ – der Gottheit herangezogen. [4] Seit einigen Jahren nehmen aber auch – sich selbst so deklarierende – ‚Männerrechtler‘ [5] die Betonung der ‚weiblichen‘ Fürsorglichkeit auf, um sie für ihre Argumentation zu vereinnahmen. Ein solcher Theologe, der von der Zeitschrift ‚Eltern‘ als „Experte“ [6] in Sachen ‚Väterlichkeit‘ deklariert wurde, soll nun selbst zu Wort kommen. Für Matthias Stiehler ist „Väterlichkeit […] eine Summe bestimmter Eigenschaften, die ein Vater haben sollte – Prinzipienfestigkeit, Ehrlichkeit, Konfliktfähigkeit, Strenge zum Beispiel.“ [7] Dieser Bestimmung entspricht – durch strikte Komplementarität – auch seine Deutung von ‚Mütterlichkeit‘:
Vom Prinzip her ist die mütterliche Haltung eine beschützende, versorgende, die aus der einmaligen Verbindung zwischen Mutter und Kind hervorgeht. Die väterliche Haltung ist eher eine begrenzende. Sie steht für Autorität und manchmal auch Härte, deren Aufgabe es ist, das Kind auf das Leben außerhalb des geschützten Raums Familie vorzubereiten. Im Idealfall ergänzen sich beide Prinzipien und halten sich die Waage. [8]
Implizit setzen sowohl bestimmte differenzfeministische wie auch die männerrechtlerischen VertreterInnen solch dichotomer Zuordnungen die Annahme voraus, dass Natur einen maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten hat, dass es also „angeborene Verhaltensmuster [gibt], durch die Männer und Frauen [– und hier Väter und Mütter –] geschlechtsspezifisch determiniert sind“ [9] und entsprechend handeln. Ausgehend von dieser Vorgabe werden soziale Rollenfestschreibungen ‚des Vaters‘ und ‚der Mutter‘ auch auf JHWH übertragen, was nicht nur den Verhaltensspielraum von Frauen und Männern unzulässig einschränkt, sondern auch den biblischen Aussagen über JHWH nicht gerecht wird, ja diese sogar ad absurdum führt. Solches geschieht etwa, wenn ExegetInnen aus einer ungeschlechtlichen (!) Beschreibung des elterlichen Handelns der alttestamentlichen Gottheit einen ‚Vater‘ oder eine ‚Mutter‘ machen, obwohl diese Begriffe nicht explizit zum Textbestand gehören oder aber beide zugleich beschrieben werden, aber nur der Mutter oder nur dem Vater zugeordnet werden.
Wie dies konkret aussieht und welche alternativen Lesarten es gibt, wird im Folgenden exemplarisch dargestellt an der Beschreibung JHWHs als ‚Geiervogel‘ (נֶשֶׁר; Deuteronomium 32,11): Nach einer grundsätzlichen Annäherung an Gottessprachbilder und ihrer potenziellen Gefahr andro- und gynaikozentrischer, aber auch anthropozentrischer Überdeckungen (‚Vom Gott-Entdecken und -Verdecken‘), werden zunächst in einer theoretischen Grundlegung (Revitalisierung ‚mütterlicher‘ Aspekte im biblischen Gottesbild…) zwei exegetische Revitalisierungsversuche ‚mütterlicher‘ Aspekte im Gottesbild aufzeigt: Einerseits die geschlechtliche Differenz hervorhebenden (… mittels Differenz – Hervorhebung des ‚Mütterlichen‘) und andererseits die diese Differenz de-konstruierenden Versuche (… mittels Dekonstruktion – Durchbrechung des ‚Mütterlichen‘). Nach einem Exkurs (Religionsgeschichtliche Revitalisierungsversuche), werden diese beiden Lesarten an der Beschreibung JHWHs im Bild des נֶשֶׁר aufgezeigt (‚Deuteronomium 32,11aα – JHWH als Schützende/r (עיר)‘ und ‚Deuteronomium 32,11 – JHWH als Aufreizende/r (עור)‘).
Vom Gott-Entdecken und -Verdecken
Wird in alttestamentlichen Texten versucht, eine Erfahrung mit der Gottheit JHWH ins Wort zu bringen, so steht eine solche Verbalisierung vor der Herausforderung das Unsagbare sagbar zu machen. Denn als menschliche Rede von, über und mit JHWH ist die biblisch bezeugte Gotteserfahrung ‚Gotteswort in Menschenwort‘ [10] und auf dieser menschlichen Ebene bleibend defizitär. Dennoch drängt das Erlebte auf seine Versprachlichung, weil das als numinos Erfahrene, nämlich JHWHs Beziehung mit ihrer/seiner [11] ganzen Schöpfung, die Angesprochenen zur Erwiderung auffordert. Alttestamentliche AutorInnen [12] bedienen sich für diese literarischen „Annäherungen“ [13] an JHWH vor allem anthropomorpher, -pragmatischer und -pathischer Bilder. [14] Seltenere Gottesdarstellungen dagegen sind Chrematomorphismen [15] oder Theriomorphismen und -pragmatismen. [16]
Solch bildhafter Gottesrede ist die Fähigkeit inhärent „Erfahrungswelt und Sinnwelt miteinander“ so zu vermitteln, dass „sie Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Erfahrungen herstellt und emotionale Tiefendimensionen evoziert“, um „die Gottwirklichkeit mit der Alltagswirklichkeit zu korrelieren.“ [17] Das biblische Gottessprachbild, vor allem als „Metapher ‚schafft‘ die Wirklichkeit von der sie redet – und zwar will sie im Leser bzw. Hörer lebendig werden lassen, nicht was diese Wirklichkeit ist, sondern als was sie ist und wirkt.“ [18] Auch in dem hier beispielhaft herangezogenen Gottesbild נֶשֶׁר (Deuteronomium 32,11) eröffnet sich ein Weg des „Gott-Entdeckens“ [19], der allerdings von dualistischen Kategorisierungen versperrt zu werden droht: In der Auslegung des göttlichen Geiervogels können zwei alltägliche Dualismuskonzeptionen aufgezeigt werden. Einerseits geht es um ein Denken in den binären Oppositionen von ‚Mutter‘ und ‚Vater‘ (Sexismusgefahr). Andererseits birgt die literarische Übertragung menschlicher – und hier dezidiert elterlicher – Eigenschaften auf den Geier bei gleichzeitiger Ausklammerung bestimmter tierlicher Eigenschaften die Gefahr des Speziesismus.
Ein solches Dualismusdenken und vor allem -sprechen, dem eine hegemoniale Definitionsmacht über ‚die Andere‘ (Androzentrismus) [20] oder ‚das andere‘ (Anthropozentrismus) [21] zugrunde liegt, produziert jedoch nicht nur Ausgrenzungen qua Geschlechts- und Artzugehörigkeit. Es beraubt auch, wie das Exempel aus Deuteronomium 32,11 zeigen wird, der metaphorischen Gottesrede ihre kreative Kraft, indem es dieses und andere Sprachbilder zu bloßen „Abbildern von etwas“ degradiert, statt sie als „Bilder für etwas“ [22], als Beziehung stiftendes Gotteswort wirken zu lassen.
Revitalisierung ‚mütterlicher‘ Aspekte im biblischen Gottesbild…
Die Suche nach einer ‚mütterlichen‘ Gottheit wäre bereits beendet, würde lediglich die explizite Anrede JHWHs als ‚Mutter‘ von Bedeutung sein, denn diese begegnet im Alten und Neuen Testament nicht. Zu Recht wurde dieser „biblische Befund und mehr noch die sich darauf stützende Tradition […] als problematisch“ [23] empfunden und darauf aufmerksam gemacht, dass die vor allem menschengestaltigen Gottesbilder des Alten Testaments (wahrscheinlich) [24] ausschließlich von Männern ge- und beschrieben wurden. Entgegen dieser „verhängnisvolle[n] Marginalisierung und Verdrängung spezifisch weiblicher Erfahrungen und Bilder im christlichen Symbolsystem“ wurde versucht „verborgene weibliche Aspekte des biblischen Gottesbildes zu revitalisieren und sichtbar zu machen“. [25]
Eine Hervorhebung ‚mütterlicher‘ Züge in der Gottesbeschreibung will aber, insofern sie nicht exklusivistisch ist, nicht JHWH ‚entmännlichen‘, sondern schlicht darauf aufmerksam machen, dass jede anthropo- oder auch theriomorphe und -pragmatische Gottesbeschreibung JHWH unangemessen sexualisiert, denn jede Gottesrede ist Ausdruck „eine[r] Erfahrung, die alle Worte übersteigt und dennoch zur Sprache drängt. [Sie] […] ist keine Frage der Biologie, sondern der Theologie, der Rede von Gott.“ [26] Es geht also nicht darum aus Gott eine Frau zu machen – ‚sie‘ zur Frau zu sexualisieren – indem ‚mütterliche‘ Aspekte des alttestamentlichen Gottesbildes auf ihre Aussageabsicht befragt werden. Die vorliegende Analyse des als ‚mütterlich‘ oder ‚väterlich‘ deklarierten göttlichen Geiervogels ruft stattdessen zur Achtsamkeit im Umgang mit Lesarten biblischer Texte auf. Sie fordert die „Sensibilisierung gegenüber einer allzu selbstverständlichen Identifizierung dieses Gottes mit dem männlichen, [wie auch dem weiblichen!] Geschlecht“ [27] ein. Die Frage ist demnach nicht die nach dem Geschlecht Gottes, sondern die nach den Implikationen, welche einer (wie auch immer gearteten) geschlechtlichen Gottesrede inhärent sind. Im Folgenden werden hierzu zwei feministische Perspektiven (der differenz- wie der egalitätsfeministische Ansatz), die sich je unterschiedlich mit ‚Differenz‘ auseinandersetzen, anhand ihrer Annäherung an metaphorische Gottesbeschreibung des ‚Mütterlichen‘ skizziert, wobei die Untersuchung sich selbst als egalitätsfeministisch versteht.
… mittels Differenz – Hervorhebung des ‚Mütterlichen‘
Der erste Versuch, das ‚Weibliche‘ im biblischen Gottesbild wiederzubeleben, weitet die Untersuchung relevanter Texte aus, indem für ihn nicht bloß die explizite Nennung des Terminus ‚Mutter‘ ausschlaggebend ist. Stattdessen wird nach dem „typischen Verhalten“ [28] einer ‚Mutter‘ gefragt. Dies setzt voraus ‚mütterliche‘ Merkmale und Handlungen von ‚nicht-mütterlichen‘ unterscheiden zu können. Diese von feministischer Theologie untersuchte ‚Differenz‘ kann, muss aber nicht notwendig einem essentialistischen ‚Differenzfeminismus‘ zugeordnet werden, „[d]enn nicht nur die als Differenzfeminismus zusammengefassten, stärker essentialistisch ausgerichteten, die Differenz als wesentlich voraussetzenden Ansätze beschäftigen sich mit der Differenz.“ [29] So können auch (biologische) Väter in dieser Lesart ‚mütterlich‘ sein und handeln, insofern poststrukturalistisch angenommen wird, dass „die Bedeutung eines Wortes nicht […] [festgeschrieben ist], sondern […] sich immer auch über die Differenz zur Bedeutung der Worte, die seinen aktuellen Kontext bilden“ [30], konstituiert.
Demgegenüber versteht eine essentialistische Exegese ‚Mütterlichkeit‘ als ‚naturgegeben‘, [31] sodass vor allem jene Aspekte, die in der Geschlechterdifferenz exklusiv Müttern (als Frauen) zuzuordnen sind (zum Beispiel Schwangerschaft, Gebärfähigkeit, Wehen, Geburt und Stillen), Gegenstände einer Untersuchung des ‚Mütterlich-Göttlichen‘ sind. Teil einer solchen biologistischen Zuordnung sind aber auch jene Lesarten, die „[v]on der physiologischen Ausstattung […] auf ‚entsprechende‘ geschlechtsspezifische psychische Charakteristika sowie auf ‚angemessene‘ Lebensweisen und -vollzüge“ [32] schließen. Im Fall von ‚Mütterlichkeit‘ werden hier zum Beispiel die Aspekte des ‚Ernährens‘ oder ,Beschützens‘ dem exegetischen Forschungsobjekt ‚mütterlicher Gott‘ zugeordnet.
Problematisch werden kann an dieser Hermeneutik das damit konstituierte „dualistische[…] Geschlechtermodell“ [33], das von einer Polarität zwischen Mutter und Vater ausgeht, statt diese Beziehung als eine Korrelation (nämlich ‚Eltern‘) zu denken. Bedenklich an einer solchen „Konstruktion“ [34] dichotomer Lesarten ist auch das Fehlen einer Reflexion über die eigene Hermeneutik: „[Wenn] Vorstellungen über Geschlecht […] kontext- und kulturabhängig sind […] [ist nicht nur] […] der ‚garstige Graben der Geschichte‘ zu beachten […] [, sondern auch] die derzeitigen Vorstellungen […] [und] das Instrumentarium der historischen Forschung.“ [35]
Die Frage an die Hermeneutik ist also: Wer beschreibt JHWH im Konstrukt einer dichotomen Geschlechterkonstellation, schon der/die alttestamentliche Autor/in, erst der/die Ausleger/in dieses Textes, oder beide? Soll der literarische Körper Gottes nicht missverstanden werden, so gilt, „dass heutige Körpererfahrungen keine Brücke in die Vergangenheit darstellen. Für die Rede vom Körper vergangener Zeiten gilt deshalb, dass sie nicht unmittelbar heutigen Erfahrungen entspricht“. [36] Unabhängig vom Geschlecht lässt sich diese historische Inkongruenz gut an der ‚Hand‘ Gottes aufzeigen. Steht diese in alttestamentlichen Texten noch für den bedrohlichen Krieger JHWH, so wird sie dagegen in heutiger Deutung als beschützend verstanden. [37] Gleiches gilt von geschlechtlichen Beschreibungen. Wird nun JHWH in ‚väterlichen‘ oder ‚mütterlichen‘ Bildern beschrieben, so handelt es sich in jedem Fall um ein ‚doing gender‘, eine soziale Konstruktion von Geschlecht [38], denn grundsätzlich gilt, dass der göttlich-literarische Körper im Alten Testament „keine Genitalien“ [39] besitzt.
… mittels Dekonstruktion – Durchbrechung des ‚Mütterlichen‘
Der zweite Versuch ‚mütterliche‘ Momente im Gottesbild sichtbar zu machen geht einen anderen Weg: Nicht durch die Hervorhebung des exklusiv ‚Weiblichen‘, sondern durch die dekonstruktive Durchbrechungen ‚natürlicher‘ Geschlechtsmetaphern in biblischen Texten werden sogenannte ‚mütterliche‘ Eigenschaften oder Handlungen als arbiträre Zuschreibungen deklariert. Diesen gegenüber werden Metaphern, welche die ‚natürliche‘ Geschlechtszuschreibung von Müttern übersteigen, betont. [40] Dekonstruktiv ist dieser Ansatz, insofern er die traditionelle Gestalt und Traditionsstränge eines Textes „destabilisiert und desorganisiert, sie in Unruhe und Bewegung versetzt, dadurch aber auch [eine Hermeneutik ermöglicht, der es daran liegt] […] weiterzutreiben, zu hinterfragen und neu zu formieren“. [41]
Eine dekonstruktive Auslegung ist keine Erfindung feministischer Exegese, sondern einer jeden historisch-kritischen Hermeneutik wesentlich: „Einen Text beispielsweise nicht von seinem Wortlaut, sondern von seinem Kontext, seinen Lücken und dem Nichtgesagten her auszulegen, kann eine Form dekonstruierender Lektüre sein.“ [42] Wenn also „Dekonstruktion (…) selbst eine bestimmte Form der Interpretation, ein Modus des indirekten Verstehens“ [43] ist, dann ist er weniger destruktiv (im wörtlichen Sinne) als vielmehr konstruktiv:
Als hermeneutischer Vollzug ist Dekonstruktion eine Partizipation am Sinngeschehen, die drei unterschiedliche Stoßrichtungen vereinigt: die Dekonstruktion, die Konstruktion und die Rezeption. Sie nimmt Sinngebilde – Traditionen, Texte, Begriffe, Fragestellungen – so auf, daß sie ihre überlieferte Form auflöst, um sie zugleich neu zu gestalten und sie darin in ihrer Bedeutung lesbar zu machen. Sie ist (…) ein Destruieren, das selber ein Konstruieren ist, oder ein Gestalten, das sich im Modus des Auflösens vollzieht. [44]
Wenn historisch-kritische Exegese etwa die überlieferte Terminologie eines Textes hinterfragt, so tut sie dies „um die ‚ursprünglichen Erfahrungen‘, die dieser zugrunde liegen, aufzudecken und eine ‚positive Aneignung der Vergangenheit‘ zu ermöglichen“ [45]. Dekonstruktion ist insofern nicht bloße Zerstörung, sondern „Abbau von Verdeckung“. [46] In diesem Sinne wird auch die kulturbedingte Beschreibung des ‚mütterlichen‘ Körpers JHWHs im Alten Testament und deren ebenso kulturell geprägte Rezeption zum Gegenstand einer dekonstruktiven Hermeneutik.
Exkurs: Religionsgeschichtliche Revitalisierungsversuche
Gestreift werden können an dieser Stelle nur die religionsgeschichtlichen Revitalisierungsversuche ‚weiblicher‘ Aspekte im Gottesbild. Anhand von Ähnlichkeiten mit zeitlich vorausgehenden oder zeitgleich existierenden polytheistischen Religionen wird versucht „die als problematisch empfundene einseitige ‚männliche‘ Ausgestaltung des biblischen Gottesbildes zu korrigieren.“ [47] Diesem Versuch liegt die Unterscheidung zwischen der durch biblische Texte konstituierten und der durch (z.B. archäologische und literarische) [48] Funde rekonstruierten Welt zugrunde. Das Nichtübereinstimmen inner- und außerbiblischer Quellen wird interpretiert als „Verdrängung des Weiblichen im biblischen Gottesbild“ [49]. Die Elimination des Weiblich-Göttlichen habe ihren Grund in der Überwindung des Polytheismus durch den Monotheismus: Im Zuge der Aufgabe der verschiedenen Gottheiten mit ihren je spezifischen Funktionen und Zuständigkeitsbereichen seien deren Wirkungsbereiche und Eigenschaften in das Profil JHWHs integriert worden, so auch die weiblich-nährenden oder schützenden Aspekte von Göttinnen. [50] Die These stützt sich auf die archäologischen Funde Palästinas, die von der Jungsteinzeit bis hin zur mittleren Bronzezeit ein Überwiegen weiblicher Gottheiten belegen. Doch auch mit dem Zurücktreten weiblicher hinter kriegerische männliche Gottheiten in der Spätbronzezeit verschwindet die mütterliche Gottheit nie gänzlich: „Archäologische Forschungen deuten darauf hin, dass noch bis ins 6. Jahrhundert hinein im Südreich Juda die praktizierte Religion polytheistisch war. In ihr spielten selbstverständlich auch weibliche Gottheiten eine Rolle.“ [51] Die Darstellungen weiblicher Gottheiten [52] von Ägypten (z.B. Nechbet, Hathor und Isis) [53], über Palästina (pillar figurines) [54] und Ugarit (z.B. Ànat und Atirat) [55] bis hin nach Mesopotamien (z.B. Ištar) [56] verbindet „der Aspekt des Mütterlich-Nährenden“ [57] und zwar häufig in der theriomorphen Darstellung als Geier. [58]
Im Rahmen der vorliegenden exegetischen Annäherung an den נֶשֶׁר kann auf religionsgeschichtlich begründete Revitalisierungsversuche ‚mütterlicher‘ Aspekte des biblischen Gottesbildes nicht näher eingegangen werden. Dennoch ist auch an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass, trotz der Überfülle des ikonographischen Typus der Dea lactans im antiken Orient (wie auch Okzident [59]), das Motiv der ‚Mütterlichkeit‘ nicht – differenzfeministisch – exklusiv weiblichen Gottheiten zuzuordnen ist. Hier sind vor allem Texte zu beachten, „in denen durch die Anrede der Gottheit als Vater und Mutter zugleich es ganz außer Zweifel steht, daß die angeredete Gottheit, sei sie Gott oder Göttin, männliche oder frauliche Qualitäten in sich vereint“ [60]. In Ägypten hieß es: „Was (…) anderes ist Gott für den Menschen, wenn nicht sein Vater und seine Mutter?“ [61] und in neuassyrischen Prophetensprüchen äußerte (wahrscheinlich [62]) Ištar von Arbela: „Ich bin dein Vater, deine Mutter. / Zwischen meinen Flügeln habe ich dich großgezogen / An dir habe ich etwas. / Fürchte dich nicht, Asarhaddon! / Zwischen meine Arme, meine Unterarme / nehme ich dich mitten im Wehgeschrei.“ [63]
Deuteronomium 32,11 – JHWH ‚mütterlich‘ oder ‚väterlich‘?
Noch einmal soll der zu Beginn zitierte Theologe Stiehler zu Wort kommen:
Für das chaotische, anarchische Element ist der Vater zuständig. Für sein Kind verkörpert er die Realität außerhalb der Mutterwelt. Wie viel Realität er seinem Kind zumuten will, muss jeder Vater selbst entscheiden. Aber es ist seine Aufgabe, die Neugier auf die Welt bei seinem Kind lebendig zu halten und ihm zu zeigen, dass es sich lohnen kann, auch Schmerzhaftes zu wagen. […] Mütterlichkeit strebt nach Sicherheit. Väterlichkeit dagegen mutet uns die Wahrheit zu, dass absolute Sicherheit ein lebensferner Wunsch ist. Und auch nicht erstrebenswert, denn ein Mehr an Sicherheit bedeutet immer den Verlust von Lebendigkeit. Wer nur immer nur vorsichtig ist, erlebt nichts. [64]
Folgt man Stiehlers Konstruktion, so ist die Mutter dem Bereich des Schutzes und der Irrationalität zuzuordnen, während der Vater die Aspekte Realität und Rationalität verkörpert. Das entworfene Konzept kann nicht einmal mehr als dichotom verstanden werden, insofern behauptet wird, dass die Mutter mit ihrem ‚lebensfernen Schutzhandeln‘ das Leben selbst verhindert. Wie sich eine solche Perspektive (i.e. die Annahme einer ‚mütterlichen‘ moral of care und einer ‚väterlichen‘ moral of iustice) auf die Exegese auswirken kann, lässt sich gut an Deuteronomium 32,11 veranschaulichen:
Der Vers ist „eingebettet in das Lied des Mose (Deuteronomium 32,1-43)“, in dem „der textinterne Sprecher Mose […] die Geschichte Israels mit seinem Gott JHWH“ [65] reflektiert: Er vergleicht JHWH mit einem Gänsegeier [66] (נֶשֶׁר), dessen ‚elterliche‘ [67] Handlung gegenüber seinem Nest mit dem Verb עיר oder aber עור beschrieben wird (Deuteronomium 32,11aα). Theriopragmatisch wird JHWH-Geier im Vers aber nicht nur mit dieser einen Handlung umschrieben, sondern in insgesamt fünf Bildern: Neben עור/ עיר fliegt JHWH als נֶשֶׁר über der eigenen Brut hin und her (רחף) und breitet über ihr die Flügel (כָּנָף) aus (פרשׂ), nimmt (לקח) und trägt (נשׂא) sie auf diesen.
Die in der zweiten Vershälfte genannten Flügel etwa, die „auf ihre Funktion und Wirkung […] [, nämlich] Schutz und Gefahrenabwehr“ [68] zu befragen sind, können auf eine – folgt man der Geschlechterkonstruktion Stiehlers – ‚mütterliche‘ Charakterisierung JHWHs als Schützende/r hinweisen. Eine solche Lesart legt etwa die alte Einheitsübersetzung nahe: ‚wie der Geier, der sein Nest beschützt [!] und über seinen Jungen schwebt, der seine Schwingen ausbreitet, ein Junges ergreift und es flügelschlagend davonträgt.‘ Doch eine solche Übersetzung, die hier lediglich das Schutzhandeln JHWHs hervorhebt, als Beschreibung einer ‚mütterlichen‘ Gottheit heranzuziehen, birgt theologisch die Gefahr, Gott zu vermenschlichen und anthropologisch eine Frau als Mutter auf eine schützende Funktion zu reduzieren, insofern dichotom angenommen wird, dass das Beschützen der Kinder eine ‚mütterliche‘ Tätigkeit sei. Silvia Schroer polemisiert insofern, dass es nicht ausreicht sich damit zu „begnügen, Gott als große Glucke wiederzuentdecken, da Weiblichkeit allzu lange immer wieder auf die Mütterlichkeit enggeführt wurde.“ [69] Schroer ist es aber auch, die mit Rückbezug auf das ikonographische Material den Vers mit der Tradition der mütterlich-nährenden und schützenden Geiergöttinnen korreliert: „Hier wird JHWHs schützendes Behüten und Sorgen mit dem Brutverhalten von Vögeln verglichen, und zwar […] von Gänsegeiern. […] JHWH wird also in Deuteronomium 32 ausführlich […] mit dem Geier verglichen, der seine Jungen umsorgt“ [70]. Auch wenn Schroer nicht explizit den Geier aus Deuteronomium 32,11 als ‚Mutter‘, sondern dessen Verhalten als „Fürsorge, ja ‚elterliches‘ [!] Verhalten“ [71] deklariert, liegt eine solche Identifizierung aufgrund ihrer Einbettung in das ikonographische Material [72], welches den Geiervogel in den mütterlich-nährenden und schützenden Bildern zeigt, nahe. Darauf lassen auch ihre abschließenden Ausführungen zum Geierbild aus Deuteronomium 32,11 (und Exodus 19,4), mit dem Verweis auf „רחמים […] das Mitgefühl, das in der Gebärmutter (רחם) sitzt und das ursprünglich mit Mutterliebe und den Muttergottheiten verbunden war“ [73], schließen.
Der Ansatz einer ‚väterlichen‘ Zuschreibung findet sich in der Auslegung Klaus Koenens, der hier wohl Samuel R. Driver [74] folgt: Ausgehend von der Aussage des ‚Tragens‘ (נשׂא; Deuteronomium 32,11b) wird JHWHs Handeln über kontextuelle Vorkommen dieses Verbs erläutert: Wie bereits in Deuteronomium 1,31 JHWH Israel auf dem ganzen Weg, also dem Exodus, getragen habe, nämlich „wie ein Vater [75] seinen Sohn trägt“ [76], so trage auch der נֶשֶׁר in Deuteronomium 32,11. Koenen zieht für seine Deutung des ‚väterlichen‘ Handelns in Vers 11 sodann Deuteronomium 32,6 heran, wo tatsächlich JHWH explizit als אָב bezeichnet wird, jedoch ohne damit die Tätigkeit des Tragens als ‚väterlich‘ zu qualifizieren, sondern um JHWHs schöpferische (קנה), machende (עשׂה) und bereitende (כון) Handlungen an Israel zu versprachlichen. Koenen resümiert: „Das Vaterbild, das auch in Deuteronomium 32,6 begegnet, leistet hier das gleiche wie das Adlerbild in Deuteronomium 32,11.“ [77] Zugleich räumt er ein:
Nun kann man die Vorstellung vom Fliegen auf einem Adler natürlich nicht auf das Vaterbild zurückführen [!], man wird jedoch annehmen müssen, daß hier die Sachebene bzw. eine andere Metapher – denn das Tragen ist ja auch eine Metapher – das Adlerbild beeinflußt – ja überlagert. Jahwe hat Israel genommen, getragen und geführt. Dies geschah auf Adlers Flügeln, in Sicherheit und mit großer Fürsorge. Was ornithologisch Unsinn ist, erweist sich als ein Bild, das in seiner theologischen Aussageabsicht durchaus sinnvoll und sachgemäß ist. [78]
Auch wenn das Handeln des נֶשֶׁר eher ‚mütterlich‘ (Schroer) oder ‚väterlich‘ (Koenen) assoziiert wird, so ist beiden Deutungen doch gemein, dass sie nur (!) den Aspekt von Schutz und Fürsorge in Deuteronomium 32,11 erkennen. Nicht zu bestreiten ist, dass in „allen aviären Theriopragmatismen […] der Aspekt des Schutzes deutlich herausgestellt“ [79] wird, so auch im hier vorliegenden Sprachbild der Geiergottheit. Aber kann in dieser elterlichen Beschreibung JHWHs nicht noch mehr entdeckt werden, als nur das beschützende Moment? „Haben „[w]ir […] es in Deuteronomium 32,11 also mit zwei Adlerbildern zu tun […] [, die beide] Jahwes Fürsorge“ [80] zeigen?
Ja und Nein. Richtig ist, dass sämtliche theriopragmatischen und -morphen Aussagen auch im vorliegenden Vers als gemeinsamen Vergleichspunkt JHWHs Fürsorge haben. Fürsorge ist aber mehr als nur Schutz. Elterliches Handeln etwa kann sich gerade dann als fürsorglich erweisen, wenn das Schützen zugunsten einer die Kinder zur Selbstständigkeit bewegenden Handlung in den Hintergrund gerät. Zu fragen ist also, ob die erste theriopragmatische Beschreibung in Deuteronomium 32,11aα auf ein Schutzhandeln beschränkt werden muss (עיר), oder ob nicht auch durch עור das fürsorgliche Handeln des Gott-Geiers beschrieben werden kann? [81]
Deuteronomium 32,11aα – JHWH als Schützende/r (עיר)
Wird eine Lesart mit der Bedeutung von ‚beschützen/bewachen‘ präferiert, so wird angenommen, „dass ein hebräisches Verbum עיר / bewachen, behüten existiere“ [82] mit der „Wurzel ‘ûr/ îr, die wie im Ugar[itischen] […] ‚bewachen‘ bedeutet“ [83]. Zur Bestätigung dieser These wird die LXX-Variante (σκετάσαι) [84], ein „Parallelismus innerhalb der ersten Vershälfte mit רחף pi /schweben“ und vor allem „der weitere Kontext der ‚schützenden Verben‘“ [85] zur Argumentation herangezogen.
Ergänzt werden die genannten Argumente mit dem Hinweis darauf, dass die Lesart ‚עור/aufstören‘ ein „Ornithologenlatein“ [86] produziere: „[N]aturkundliche Gründe“ sprächen vielmehr dafür, „an dieser Stelle von der Wurzel עיר qal mit der Bedeutung ‚beschützen, behüten‘ auszugehen.“ [87]Dieser Argumentation ist Recht zu geben, insofern die wirkungsgeschichtlich breit tradierte [88] Lesart ‚עור/aufstören‘ im Sinne von ‚hinauswerfen‘[89], um das Fliegen zu erlernen, in vielen Kommentaren [90] gekoppelt und begründet wird mit der in der zweiten Vershälfte beschriebenen Handlung des ‚Tragens auf den Schwingen‘:
Wie ein Adler, welcher sein Nest d[as] i[st] seine Jungen (Gen. 15,9) zum Fliegen aufstört, sie aber dabei nicht allein lässt, sondern über ihnen schwebt (Gen 1,2), u[nd] (wie aus dem Correlat zu entnehmen ist) sie, wenn sie ermatten und sinken wollen, auf seinen Schwingen auffängt [!] u[nd] aufwärts trägt, so breitet er (Gott) seine Flügel aus, nimmt es (das Volk) auf, trägt es auf seiner Schwinge, näml[ich] hin zum Nest, zu dem ihm bestimmten Land. […] Der Vergleichspunkt bei diesem Bild ist die ‚fürsorgende Liebe Gottes bei der Hinführung Israels zur Selbstständigkeit‘ [91]
Auch Samuel Rolles Driver begründet seine (‚väterliche‘) [92] Lesart von Deuteronomium 32,11aα mit dem Auffangen der das Fliegen lernenden, dabei aber abstürzenden Brut auf den Flügeln des göttlichen Geiers:
[A]s the bird stirs up its nest, with the object of encouraging its young ones to flight, but at the same time hovers over them so as to be at hand to support them on its wings, in case their strength fails and they are in danger of falling [!], so Jehova (the figure of the bird being still retained) spread out His wings, and bare Israel upon them. Until its powers were matures, and the nation was able to support itself alone. [93]
Er verweist für seine flugpädagogische Auslegung von Deuteronomium 32,11 in seinem Kommentar (1910) [94] auf Naturbeobachtungen Samuel Bocharts [95] und Davy Jumphrys:
I once saw a very fine and interesting sight […]. Two parent eagles were teaching their offspring, – two young birds, the manœuvres of flight. They began by rising from the top of a mountain in the eye of the sun; – it was about midday, and bright for this climate. They at first made small circles, and the young birds imitates them: they paused in their wings [!], waiting till they had made their first flight, and then took a second larger gyration, – always rising towards the sun, and enlarging their circle of flight so as to make a gradually extending spiral. The young ones still slowly follows, apparently flying better as they mounted; and they continued this sublime kind of exercise, always rising, till they became mere points in the air, and the young ones were lost, and afterwards their parents, to our aching sight. [96]
Mag für Borcharts Schilderungen, gelten, dass „[it is] more likely that the in technical respect imprecise observation of these travellers was influenced by their traditional view of the metaphor used in Deuteronomium 32,11“ [97], so kann diese Kritik nicht auch für Jumphrys Beobachtungen geltend gemacht werden, insofern seine Schilderungen nicht biblisch vorgeprägt sind. Dennoch können auch seine Beschreibungen zum Fliegenlernen der Brut nicht für das Tragen auf den Flügeln der Alttiere herangezogen werden: Die entscheidende Aussage (‚they paused in their wings‘) ist keinesfalls auf die Jungvögel zu beziehen, die – wie im biblischen Bild – auf den Flügeln der Eltern getragen werden. Vielmehr beschreibt Jumphry hier – ornithologisch korrekt – [98] das Warten der Altvögel auf die flügge gewordenen Vögel, die ihre ersten Flugversuche abschließen (‚waiting till they had made their first flight, and then took a second larger gyration‘).
Samuel Rolles Drivers Sohn, Godfrey Rolles Driver, führt zwei weitere Quellen für die Annahme, dass es zum natürlichen Verhalten des נֶשֶׁר gehöre, seine Jungen aus dem Nest zu stoßen, unter es zu fliegen und wieder aufzufangen, um ihm auf diese Weise das Fliegen beizubringen, an. Allerdings handelt es sich bei diesen beiden Quellen je um Berichte aus dritter Hand, sodass deren Beweiskraft als eher gering einzustufen ist. [99]
Ausgehend von der ornithologischen Einsicht, dass „ein Huckepacktragen aus physikalischen bzw. areodynamischen Gründen unmöglich“ [100] ist, unterscheiden die meisten ExegetInnen in Deuteronomium 32,11 zwischen der biologischen und der theologischen Aussage: „Was ornithologisch Unsinn ist, erweist sich als ein Bild, das in seiner theologischen Aussageabsicht durchaus sinnvoll und sachgemäß ist.“ [101] Aus der Einsicht, dass der/die AutorIn des Sprachbildes in Deuteronomium 32,11 kein biologisches Lehrbuch verfasst, sondern eine Gotteserfahrung in theriopragmatischen und -morphen Bildern beschreibt, muss aber nicht notwendig auch gefolgert werden, dass „Deuteronomium 32:11 does not deal with a divine flyinginstruction, an exercitium pietatis for beginners, but with the specialissima providentia dei.“ [102] Warum sollte JHWHs elterliches Handeln an Israel – also die göttliche Fürsorge – auf ‚schützende‘ Tätigkeiten hin reduziert werden und „eine [so erst deklarierte!] vermeintliche [!] ‚pädagogische‘ Ermunterung der Geier- / Adler-Eltern zum Fliegenlernen“ [103] ausgeschlossen sein? Mit anderen Worten: Warum werden die ‚schützenden‘ Aussagen in Deuteronomium 32,11 dualistisch gegen עור im Sinne von ‚Aufregen/Anregen/in Bewegung bringen‘ ausgespielt, statt sie als komplementäre elterliche Tätigkeiten der literarischen Geiergottheit zu deuten? Birgt die Lesart ‚עיר/bewachen/beschützen‘ – obwohl sie sich selbst als eine dem Tierverhalten gerechter werdende Argumentation präsentiert – nicht vielmehr die Gefahr einer Vereinseitigung sowohl der theologischen, als auch der biologischen Aussage von Deuteronomium 32,11, indem sozial konstruierte und damit anthropologische Deutungskategorien auf diese übertragen werden?
Deuteronomium 32,11 – JHWH als Aufreizende/r (עור)
Die Bedeutungen von „wecken, erwecken[,] […] erregen, reizen, aufstacheln, entfachen“ [104], die das Verb עור trägt, beschreiben JHWHs elterliches Handlungen in Deuteronomium 32,11a ebenso wie die ‚schützenden‘ Aussagen der zweiten Vershälfte. JHWH als ein „aufstören[der], in Bewegung bringen[der]“[105] Geiervogel entspricht – wenn nicht die Metapher des ‚Tragens‘ aus der zweiten Vershälfte für ein Rettungshandeln an der abstürzenden Brut herangezogen wird – auch dem biologischen Geschehen: Die Geiereltern ‚bringen die Jungvögel in Bewegung‘, indem sie – und das läuft der sozial konstruierten anthropologischen Kategorie des ‚Schützens‘ nur vermeintlich zuwider – ihre Brut hungern lassen, denn diese ist „faul und fett“ [106] geworden und muss, um überhaupt fliegen zu können, Gewicht verlieren. ‚Faul und fett‘ geworden ist auch das undankbare Volk Israel, das JHWH in der Wüste nährte: ‚Und Jakob aß und wurde satt, Jeschurun wurde fett und bockte. Ja, fett und voll und feist bist du geworden. Er stieß den Gott, der ihn geformt hatte, von sich und hielt den Fels für dumm, der ihn gerettet hatte‘ (Deuteronomium 32,15).
Indem der biologische Geiervogel das Junge nicht [!] nährt, zwingt er es geradezu – um im Sprachspiel Stiehlers zu bleiben – „die Neugier auf die Welt […] lebendig zu halten und ihm zu zeigen, dass es sich lohnen kann, auch Schmerzhaftes zu wagen“ [107], also zu fliegen. Biblisch könnte das beschriebene biologische Bild in diesem Sinne also sehr wohl herangezogen werden, um eine Flugpädagogik JHWHs an Israel zu beschreiben und zwar ohne ‚ornithologenlateinisch‘ zu behaupten, dass JHWH-Geier die Brut Israel aus dem Nest stoße, aber wieder auffange. Aus dem Nest stößt der Gyps fulvus seine Jungen jedenfalls nicht, zumindest nicht absichtlich, damit sie fliegen lernen. Stürzt ein Jungvogel ab, dann rettet diesen keines der Elterntiere, sondern er muss aus eigener Kraft zum Horst zurückkehren. [108]
Auch die zweite literarische Handlungsumschreibung JHWHs durch ‚Hin- und Herfliegen‘ (רחף; V 11aβ) muss nicht der Kategorie des ‚Schutzes‘ [109] zugeordnet werden. Keineswegs notwendig ist das ‚Hin- und Herfliegen‘ des נֶשֶׁר als ein „beschützende[s] [!] Fliegen“ [110] zu interpretieren, sondern kann auch als inhaltliche Weiterführung von עור gedeutet werden. Hier erweist sich die ornithologische Analyse ebenfalls als hilfreich: Die Geiereltern motivieren durch ihr eigenes Fliegen und ihr Rufen die Jungvögel dazu, es ihnen gleich zu tun. Sie ‚locken‘ durch ihr Handeln aus dem schützenden Nest heraus [111] und ‚setzen die Jungvögel so in Bewegung‘.
Wenn dem theriopragmatischen Bild JHWHs hier diese Naturbeobachtung zugrunde liegt, dann macht es die Textvariante עור wahrscheinlicher. Ornithologische Argumente können jedenfalls nicht gegen עור und für עיר herangezogen werden. Gegen letztere Lesart spricht auch, dass die Herleitung [112] „ein[es] hebräische[n] Verbum[s]עיר /bewachen, behüten“ von einem „entsprechenden ugaritischen Verb[…] ġyr“, „heute umstritten“ [113] ist und nicht überzeugt. [114]
Für die Variante עור – und zwar ohne die fragwürdige Eisegese eines ‚rettenden Geiersturzflugs‘ aufgrund der Rückbindung an נשׂא – [115] in der Bedeutung von ‚in Bewegung bringen‘ [116] spricht neben den hier dargestellten ornithologischen Beobachtungen theologisch (!) vor allem die inhaltliche Weiterführung von עור durch רחף. Statt dieses Verb als ‚beschützendes Fliegen‘ zu deuten, kann intertextuell auch „eine theologische Verbindung zur Geistkraft Gottes in Gen 1,2 hergestellt (werden), so dass Gottheit und Vogel hier aufs Engste miteinander verwoben sind“ [117], denn „[d]ie einzige andere Textstelle, an der die Wurzel רחף im Piel erscheint, ist Gen 1,2“ [118]. Auf die Frage, warum in Deuteronomium 32,11 ausgerechnet „das seltene רחף aus Gen 1,2 eingespielt wird“ [119], obwohl auch andere Lexeme (דאה; עוף; סושׂ) [120] als „Alternative zur Bezeichnung des fliegenden נֶשֶׁר“ [121] verfügbar gewesen wären, bietet der Verweis auf das Dynamische/in-Dynamik-Versetzende der Gottheit, das je durch das Hin- und Herfliegen verbalisiert wird, eine überzeugende Antwort: „[D]ie Geistkraft (רוּחַ) Gottes ist das Subjekt der Bewegung [!] über dem Wasser, die – in Hinblick auf die Tätigkeit des Geiers in Beziehung zu seinen Kindern im Nest als schweben, brüten oder flattern übersetzt werden kann. In diesem Schweben bzw. Flattern Gottes schwingt die Konnotation von Beweglichkeit [!] und Allgegenwart der Vögel mit.“ [122]
Steht רחף im Piel in Genesis 1,2 für das dynamisierende Handeln der Gottheit, dann liegt diese Konnotation auch für die Theriopragmatik in Deuteronomium 32,11a nahe, und damit für die Lesart עור, denn „der Schutzaspekt, der in Deuteronomium 32[,11a] mit רחף verbunden“ wird, spielt „in Gen 1 keine Rolle“ [123]. Vielmehr ist für die mit רחףin Deuteronomium 32,11 referierteרוּחַ אֱלׄחׅ֔ים (Genesis 1,2) „die Lesart als ‚Wind/Geist Gottes‘ wahrscheinlich, so dass Gott als Initiator dieses Windes/Geistes anzusehen ist. Durch das Partizip מְרַחֶפֶת (רחף pi) wird der Geist/Wind Gottes näher definiert. מְרַחֶפֶת drückt als Schweben oder Hin- und Herfliegen Aktivität und Bewegung aus.“ [124]
Es wird in Deuteronomium 32,11 also auf JHWH als רוּחַ/Wind [125] verwiesen, um sein Handeln als Dynamisierung Israels auszuweisen. Ornithologisch könnte auch hier eine Entsprechung in der Angewiesenheit des „thermikabhängige[n] Segelflieger[s]“ [126] auf „Aufwindströmungen“ [127] erkannt werden, so auch der Jungtiere, die „[m]it 70 Tagen und weitgehend abgeschlossenen Konturfederwachstum […] ungleich aktiver [werden], […] häufig mit den Flügeln [schlagen] und springen an [sic!] Ort“ [128], damit der Wind ihre Flügel erfasst. Ob eine solche Beobachtung auch das Verfassen des Sprachbildes in Deuteronomium 32,11 beeinflusst hat, lässt sich weder bejahen noch verneinen. Zumindest aber lässt sich eine ornithologische Beobachtung, entgegen der oben dargestellten Argumentation für עיר, nicht gegen, sondern vielmehr für die Lesart von עור anführen: Wenn der Geier – in der literarischen wie der biologischen Situation – seine Kinder aus dem Nest ‚lockt‘, über ihnen hin- und herfliegt und sie so sie ‚in Bewegung versetzt‘ (Deuteronomium 32,11a), dann stellt sich die Frage, inwiefern mit diesen in Bewegung bringenden, aber auch den schützenden Tätigkeiten in Deuteronomium 32,11b, nämlich „tragen und [!] aufreizen […] [,] typische Handlungen Gottes“ [129] beschrieben werden. JHWH in der Rolle des Geiers schützt und [!] fordert sein Kind Israel. Beide elterlichen Tätigkeiten stehen einander weder dualistisch noch dichotom geschlechtlich gegenüber, sondern fließen ineinander über. Gleichzeitig, und nicht gegensätzlich (!), ist es JHWH als Geier, der sein Junges Israel zum Fliegen bewegt (עור/ (רחף und [!] „absolute Sicherheit“ [130] (כָּנָף/פרשׂ/לקח/נשׂא) gewährt. Sozial konstruierte Kategorien ‚mütterlichen‘ oder ‚väterlichen‘ Handelns gehen in der literarischen (!) Beschreibung Gottes als נֶשֶׁר aber auch insofern ineinander über, als dass die Schutz und Geborgenheit erst ermöglichenden scharfen Krallen, der kräftige Schnabel und der tödliche Flügelschlag des Raubvogels „Instrumente seiner Mütterlichkeit“ [131] sind. Generisch eindeutige Zuordnungen des göttlichen Handelns sind hier, wie auch in allen anderen Sprachbildern, nicht möglich. Darüber hinaus verdeckt eine exklusive Engführung der göttlichen Tätigkeit in Deuteronomium 32,11 auf schützende Handlungen JHWHs elterliche Fürsorge, insofern Fürsorglichkeit auch beinhaltet, Eigenständigkeit zu ermöglichen.
Es steht außer Frage, dass im vorliegenden Bild auch und vordergründig das schützende Handeln JHWHs beschrieben wird, insofern dieses aus Deuteronomium 32,10 fortgeschrieben wird. Dennoch darf das Bild JHWHs als Geier nicht aufgrund des vorausgehenden Verses und der Zuordnung der Flügel exklusiv auf eine Schutzfunktion hin enggeführt werden, bzw. die schützende Handlung kann modifiziert werden: Hieß es noch in der alten Einheitsübersetzung, das der Geiervogel sein Nest beschützt, so liest man in der revidierten Einheitsübersetzung, dass JHWH als Geier das eigene Nest ‚ausführt‘, also das eigene Volk Israel auf dem Exodus leitet. Dieses Leiten gilt einem Volk, dass ‚faul und fett‘ geworden ist und (wieder) von JHWH in Bewegung, also auf den Weg gebracht wird: „In dieser nichtpersonalen, aber gleichwohl nicht apersonalen Tiermetapher […] sollen die Angeredeten erinnernd und hoffend […] Wegmetaphern wahrnehmen, die sie zeitlebens der mütterlich-väterlichen Obhut des einen tragfähigen, belastbaren und befreienden Gottes vergewissern.“ [132]
Epilog
Alttestamentliche Charakterisierungen JHWHs als ‚mütterlich‘ oder ‚väterlich‘ sind immer literarische Darstellungen von Körpern. Solche „Körperkonzepte“ [133] werden von Lesern und Leserinnen nicht ‚neutral‘ wahrgenommen, sondern „von eigenen Körperbildern und -erfahrungen gelenkt“ [134]. Auch dann, wenn es sich gar nicht um einen menschlichen Körper, sondern um den Körper eines Tieres handelt, denn
[d]adurch, dass wiederholt typische Gotteshandlungen auf tierliche Figuren und umgekehrt tiertypische Handlungen auf die Figur Gottes übertragen werden, verschmelzen die Grenzen zwischen Gott und Tier – Gott wird theriosiert wie das jeweilige Tier theologisiert wird. Generell ist in vielen alttestamentlichen Texten zu beobachten, dass sich – entgegen der westlichen Denktradition – jenseits einer dichotomen Betrachtungsweise eine enge Verwobenheit von menschlichen und tierlichen Figuren, aber auch zwischen Tieren und Gottheiten feststellen lässt. [135]
Die metaphorische Rede von Gottes ‚elterlichen‘ Handlungen löst „bei heutigen Rezipienten vor dem Hintergrund einer dichotomischen Zwei-Geschlechter-Ordnung andere Assoziationen und Vorstellungen aus[…] als bei der antiken Leserschaft.“ [136] Der alttestamentliche Blick auf den Körper (und hier den menschlich und tierlich handelnden Tierkörper!) hat vor allem den relationalen [137] Gesichtspunkt im Fokus, der mit der jeweiligen Körperdarstellung zum Ausdruck kommt: Wenn im Alten Testament JHWHs Handeln in ‚elterlichen‘ Körperkonzepten beschrieben wird, so geht es nicht um die geschlechtliche Kategorisierung, sondern um das, worüber das konkrete Tun hinaus weist. Es ist von daher nicht verwunderlich, dass der durch körperliches Handeln und „durch Körperbegriffe umschriebene Körper Gottes im Alten Testament geschlechtlich indifferent“ [138] bleibt: JHWH ist zugleich zeugend und gebärend, [139] ist zugleich ‚väterlich‘ und ‚mütterlich‘, ist zugleich schützend und in Bewegung bringend (Deuteronomium 32,11). Weil diese Tätigkeiten oder Eigenschaften heute [!] als ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘, also als geschlechtsspezifisch wahrgenommen werden, darf nicht ein Geschlecht Gottes reprojiziert werden. Wer die formal-semantische Nicht-Identität zwischen Bildspender und -empfänger, also zwischen Mutter oder Vater und Gott missachtet, „der steht in der Gefahr einer vorschnellen oder missverstandenen Identifizierung, die zur ‚Sexualisierung […]‘ [JHWHs] führen muss.“ [140] Eine essentialistische Hervorhebung von Texten, „in denen Gott gynaiko- oder androzentrisch dargestellt wird, reicht [deshalb] für eine genderbewusste Auslegung nicht aus“ [141], denn sie birgt sowohl anthropologisch die „Gefahr des Essentialismus“ [142], als auch theologisch die Gefahr der Anthropologisierung Gottes. Wenn also in alttestamentlichen Körperbeschreibungen Gottes geschlechtliche Grenzen verschwimmen, so liegt das daran, dass sie immer (menschliche) Entwürfe sind und damit unvollständig und offen bleiben. Und dennoch kann der auf den נֶשֶׁר übertragene
Gebrauch anthropomorpher Gottesbilder […] keineswegs nur im Sinne einer Akkommodation an das begrenzte menschliche Erkenntnisvermögen […] [gedeutet werden und] als uneigentliche Rede von Gott abqualifiziert werden. [Denn] […] [e]s ist die Gottbildlichkeit aller Menschen, die uns – christologisch pointiert – allen Grund dazu gibt, von Gott menschengestaltig und menschlich zu reden, ohne Gott darin von vornherein zu nahe zu treten. [143]
Das in Deuteronomium 32,11 vorfindliche bildsprachliche Wortfeld eines schützenden und in Bewegung bringenden göttlichen Geiervogels ermöglicht es vielmehr, eine Balance zwischen den aufgezeigten Herausforderungen der anthropo- wie theriopragmatischen Gottesrede zu finden. Indem JHWH nicht nur auf eine schützende Tätigkeit hin beschränkt wird, wird deutlich, dass hier mehr als nur ein elterliches Sprachbild vorliegt, sodass
Gott und Mensch […] angemessen im Bilde sein [können], [denn] […] jedes Bild [eröffnet] von sich aus den Blick auf ein anderes […] und [lädt] zum Blickwechsel mit diesem ein[..]. Durch verschiedene Sehordnungen und Blickrichtungen, durch Perspektiven- und Standortwechsel kann in jedem Bild eine Mehrzahl von Bildern wahrgenommen werden, die miteinander ins Gespräch zu bringen sind und die sich dabei gegenseitig ins Wort fallen dürfen. [144]
[1] Vgl. die kürzere Version dieses Beitrags: Friederike Eichhorn-Remmel, ‚Schützen‘ oder ‚in Bewegung bringen‘? – Ein neues Missverständnis. Theriomorphe und -pragmatische Darstellungen elterlichen Handelns JHWHs in Deuteronomium 32,11 in (de-)konstruktiver Perspektive, erscheint in: Asmaa El Maaroufi/Sonja Strube/Deborah Williger (Hg.), Jenseits der Grenzen: Dualistische Denkmuster überwinden [Arbeitstitel]. Jahrbuch für Theologische Zoologie Bd. 3, LIT-Verlag: Münster 2020.
[2] Vgl. u.a. Carol Gilligan, Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau, Deutscher Taschenbuchverlag: München 1984.
[3] Die „[s]elbstverständliche Voraussetzung eines geschlechtsspezifischen Redens von Gott“, die in einer ontologisierenden „Identifizierung von Weiblichkeit als Mütterlichkeit und Männlichkeit als Väterlichkeit […] [und] deren typologischen Konkretionen in Gestalt von mütterlicher Nähe und väterlicher Distanz“ (Magdalene L. Frettlöh, Gott Gewicht geben. Bausteine einer geschlechtergerechten Gotteslehre, Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 22009, 198) besteht, analysiert und kritisiert Magdalene L. Frettlöh in dogmatischen Darstellungen, so exemplarisch diejenige Wilfried Härles: „Das weiblich-mütterliche Element kommt dabei zum Ausdruck in Bildern und Aussagen, die körperliche und seelische Nähe, behütende und nährende Fürsorge sowie Lebensbegleitung, Zärtlichkeit und Trost zum Ausdruck bringen. Das männlich-väterliche Element findet Ausdruck in Bildern und Aussagen, die auf großzügige Güte, verläßlichen Schutz, ermutigendes Zutrauen, aber auch auf Strenge verweisen können. Der weiblich-mütterlichen Nähe korrespondiert auf männlich-väterlicher Seite ein Element der Distanz“ (Wilfried Härle, Dogmatik, De Gruyter: Berlin/Boston 22000, 253; Hervorhebung im Original). Frettlöh resümiert: „Nähe und Immanenz den Frauen/Müttern, Distanz und Transzendenz den Männern/Vätern – was hier als biblischer Befund vorgestellt wird, ist faktisch eine Wiederholung überkommener klischeehafter Geschlechtsidentitäten, die der Bibellektüre vorausgehen und die Wahrnehmung der einschlägigen Texte lenken. An die Stelle exegetischer Rekonstruktion ist dogmatische Konstruktion getreten“ (Frettlöh, Gott, 198).
[4] Vgl. u.a. Helen Schüngel-Straumann, Gott als Mutter in Hos 11, in: Theologische Quartalschrift 166 (2/1986), 119-134. Berechtigte, aber ebenfalls polemisierende Kritik liefert schon Siegfried Kreuzer, Gott als Mutter in Hos 11?, in: Theologische Quartalschrift 169 (2/1989), 123-132. Bei der Debatte um den semantischen Zusammenhang von רחם und רחמים sollte nicht verkannt werden, dass es in Hosea 11 „weder um Gott als Vater noch um Gott als Mutter, sondern um Israel als Sohn [geht]. Das Vergleichsmoment liegt […] ganz auf dem Verhalten der Söhne“ (Ruth Scoralick, Gottes Güte und Gottes Zorn. Die Gottesprädikation in Ex 34,6f und ihre intertextuellen Beziehungen zum Zwölfprohetenbuch, Herder: Freiburg i. Br. 2002, 262) und nicht auf dem metaphorischen Geschlecht der geschlechtslosen Gottheit. Ein Konnex von Emotionalität und Weiblichkeit bzw. Mütterlichkeit ist also auch hier wohl eher dem dualistischen Geschlechtskonstruktivismus der Rezipierenden geschuldet als den alttestamentlichen Beschreibungen.
[5] Thomas Gesterkamp hat sich in seiner Expertise für die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Phänomen von Männerrechtlern, die ein Familienmatriarchat konstruieren und befürchten, auseinandergesetzt. Er konstatiert, dass ein solches Verhalten dem Bereich der „Opfermythen“ zuzuordnen ist: „Männerrechtler stilisieren ihr Geschlecht pauschal zum Opfer […]. Überall greift nach dieser Lesart ein plattes ‚Winner-Loser-Schema‘: Männer seien verunsichert und steckten in der Identitätskrise, weil sie durch Frauenforderung und einen ‚übertriebenen Feminismus‘ diskriminiert würden“ (Thomas Gesterkamp, Geschlechterkampf von rechts. Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren, Friedrich-Ebert-Stiftung: Berlin 2010, 6).
[6] https://www.eltern.de/familie-und-urlaub/familienleben/vaeterlichkeit.html, letzter Zugriff: 21.08.2019; 13:28 Uhr.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Annemarie Pieper, Einführung in die Ethik, A. Franke Verlag: Tübingen 72017, 257.
[10] Vgl. Tobias Niklas, Das Studium der Schrift ist die Seele der Theologie. Eine Thesenreihe, in: Thomas Söding (Hg.), Die Rolle der Theologie in der Kirche. Die Debatte über das Dokument der Theologenkommission, Herder: Freiburg i. Br. 2015, 92-115, hier 103, Anmerkung 29: „Diese Formulierung taucht zwar in den Konzilsdokumenten [i.e. Dei Verbum 12] […] nie explizit so auf, diese jedoch werden immer wieder […] auf diese Basisformel zurückgeführt.“
[11] Vgl. Gerlinde Baumann, Das Göttliche Geschlecht, JHWHs Körper und die Gender-Frage, in: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer Feministischen Anthropologie, Kohlhammer: Stuttgart 2003, 220-250, hier 221: „Gott ist […] auf der literarischen Ebene nicht mit einem Körper ausgestattet, der aufgrund seiner biologischen Attribute eindeutig als Mann und Frau zu identifizieren wäre.“
[12] Ob auch Frauen biblische Verfasserinnen gewesen sind „ist eine schwierige und derzeit kontrovers diskutierte Frage“ (Erich Zenger, „Wie das Kind bei mir…“. Das weibliche Gottesbild von Ps 131, in: Ilona Riedel-Spangenberger/Erich Zenger (Hg.), „Gott bin ich, kein Mann“. Beiträge zur Hermeneutik der biblischen Gottesrede (Festschrift Schüngel-Straumann), Schöningh: Paderborn 2006, 179-195, hier 186; Literaturverweise zu dieser Kontroverse in Anmerkung 22), die an dieser Stelle nicht behandelt werden kann, auch wenn ein in bestimmten Texten greifbares ‚weibliches‘ Erfahrungswissen darauf hindeutet, dass auch Frauen Autorinnen alttestamentlicher Texte sein könnten.
[13] Klaus Koenen, „Süßes geht vom Starken aus“ (Ri 14,14). Vergleiche zwischen Gott und Tier im Alten Testament, in: Evangelische Theologie 55 (2/1995), 174-197, hier 174: „Wie kann der Mensch von Gott reden, der doch der ganz andere ist? Er kann es – ähnlich wie bei der Liebe – nur in immer neuen Anläufen und Annäherungen, nicht direkt, sondern nur im Tasten, in Vergleichen, Metaphern und Bildern.“
[14] Vgl. Yvonne Thöne, „Wie eine Bärin, der Kinder beraubt…“ Hos 13,8 – Handlungsfelder tierlicher Gottesfiguration, in: Ute E. Eisen/Ilse Müllner (Hg.), Gott als Figur. Narratologische Analysen biblischer Texte und ihrer Adaptionen, Herder: Freiburg i. Br. 2016, 238-266, hier 241, Anmerkung 17; dort auch die entsprechenden Bibelstellen. Thöne zählt zu den menschengestaltigen Gottesdarstellungen die Darstellung JHWHs in Berufen wie dem ‚Hirten‘ und der Ausstattung mit menschlichen Körperteilen wie der ‚Hand‘. Anthropopragmatische Beschreibungen beziehen sich auf „typisch menschliche[r] Tätigkeiten die JHWH zugeschrieben werden. Anthropopathismen liegen vor, wenn Gefühle wie der Zorn Gottes beschrieben wird.
[15] Vgl. Thöne, Bärin, 242, Anmerkung 18: „Chrematomorphismus / Dinggestaltigkeit, liegt überall dort vor, wo Gott als unbelebter Gegenstand, also etwa als Fels und Burg (Ps 18,3) oder Schild (Ps 3,4) erscheint.“ Vgl. Jan Heller, Anthropomorphismen und Chrematomorphismen im Alten Testament, in: ders. (Hg.), An der Quelle des Lebens. Aufsätze zum Alten Testament, Lang: Frankfurt 1988, 129-148.
[16] Thöne zählt zu den „tiergestaltigen Gottesfigurationen […] [folgende] Metaphern und Vergleiche“ (Thöne, Bärin, 242; dort auch die entsprechenden Bibelstellen): Raubtiere wie Löwe, Bär(in) und Leopard; Vogelgestalten und explizit der Geiervogel; gehörnte Gestalten und hier Stier; Motte und Made.
[17] Erich Zenger, „Wie ein Löwe brüllt er…“ (Hos 11,10). Zur Funktion poetischer Metaphorik im Zwölfprophetenbuch, in: Ders. (Hg.), „Wort JHWHs, das geschah…“ (Hos 1,1). Studien zum Zwölfprophetenbuch, Herder: Freiburg i.Br. 2002, 33-45, hier 35.
[18] Ebd., 33 (Hervorhebung im Original).
[19] Jürgen Werbick, Bilder sind Wege. Eine Gotteslehre, Kösel: München 1992, 71.
[20] Vgl. u.a. Hildegund Keul, Wenn Frauen Gott zur Sprache bringen. Die Notwendigkeit weiblicher Metaphern für eine neue Rede von Gott, in: Katechetische Blätter 125 (3/2000), 171-176, hier 174: „Der androzentrische Blick, die androzentrische Sprache und Geschichtsschreibung rücken die Erfahrungen von Männern in den Mittelpunkt und lassen die Erfahrungen von Frauen nicht zu Wort kommen.“
[21] Anthropozentrische Gottesbilder der Menschen hat schon der vorsokratische Xenophanes kritisiert: „Doch wenn Ochsen oder Löwen Hände hätten oder vielmehr malen könnten mit ihren Händen und Kunstwerke herstellen wie die Menschen, dann würden Pferde pferdeähnlich, Ochsen ochsenähnlich der Götter Gestalten malen und solche Körper bilden, wie jeder selbst gestaltet ist“ (Xenophanes, Fragment 15, in: Ders., Die Fragmente (Sammlung Tusculum), hg., übers. u. erl. v. Ernst Heitsch, Artemis-Verlag: Zürich / München 1983, 42-43, hier 43).
[22] Zenger, Löwe, 35 (Hervorhebung im Original); dort weiter: Als ‚Bilder von etwas‘ „konstituieren sie [i.e. die biblischen Gottesbilder] die bildhaft konturierte Wirklichkeit selbst.“
[23] Ludger Schwienhorst-Schönberger, Gott als Mutter?, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 44 (1/2015), 3-21, hier 4.
[24] Vgl. Anmerkung 12.
[25] Schwienhost-Schönberger, Mutter, 4.
[26] Keul, Sprache, 175.
[27] Rainer Kessler, „Söhne habe ich großgezogen und emporgebracht…“. Gott als Mutter in Jes 1,2, in: Ders. (Hg.), „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände!“ (Festschrift Gerstenberger), Lit: Münster 1997, 134-147, hier 147.
[28] Schwienhorst-Schönberger, Mutter, 4.
[29] Maria Häusl, Geschlechterordnung, symbolische Ordnung, Götterordnung. Forschung zur Geschlechterdifferenz in der alttestamentlichen Exegese, in: Bernd Heininger (Hg.), Geschlechterdifferenz in religiösen Symbolsystemen, Lit: Münster 2003, 15-25, hier 15-16.
[30] Andrea Günter, Art. Differenz, in: Elisabeth Gössmann u.a. (Hg.), Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloher Verlags-Haus: Gütersloh 22002, 96-98, hier 96; dort weiter: Die „Möglichkeit, durch konkretes Sprechen neue Bedeutung zu konstituieren, zeigt, dass die Sprache selbst ein Ort von Differenz und Transzendenz ist: Sprache gibt kein statisches Gesetz vor, sondern Sprechende stiften ständig neue Beziehungen zwischen den Worten, aber auch zwischen Worten, Menschen und Dingen, und verschieben damit zugleich vorhandene Bedeutung.“
[31] Vgl. Ina Kerner, Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus, Campus: Frankfurt 2009, 174: „Zentral für die naturalisierende Geschlechterdifferenzierung seit dem späten 18. Jahrhundert ist die Kopplung von Frausein und Mutterschaft. Die zentrale Idee hinter dieser Kopplung läuft darauf hinaus, dass die Gebärfähigkeit Frauen zu einem Leben prädestiniere, das primär der biologischen Reproduktion gewidmet ist.“
[32] Ebd.
[33] Ebd.
[34] Christl M. Maier, Körperliche und emotionale Aspekte JHWHs aus Genderperspektive, in: Andreas Wagner (Hg.), Göttliche Körper – Göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und im Alten Testament?, Academic Press Fribourg/Vandenhoeck & Ruprecht: Fribourg 2014, 171-189, hier 171. Maier zieht für ihre Argumentation den Konsens der Geistes- und Sozialwissenschaften heran, der annimmt, „dass das Menschenbild, also Vorstellungen von Geschlecht, Körper, Person, und Identität, einer bestimmten Gesellschaft und Epoche entscheidend von den kulturellen Vorgaben und Praktiken dieser Epoche geprägt sind“ (ebd., 183). Vgl. auch Maria Häusl, Auf den Leib geschrieben. Körperbilder und -konzepte im Alten Testament, in: Christian Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament, Herder: Freiburg i. Br. 2010, 135-163, hier 135: „Geschlechterforschung [hat] gezeigt, dass der Körper keine vorgeschichtliche, quasi natürliche Konstante ist. […] Der Körper wird dabei als ‚ein sich fortwährend neu konstituierendes Konstrukt aus biologischen, soziokulturellen und psychischen Faktoren‘ verstanden.“
[35] Maier, Genderperspektive, 172f.
[36] Häusl, Körperbilder, 137.
[37] Vgl. Baumann, Geschlecht, 243: „Heute wird Gottes Hand dagegen meist als Chiffre für Schutz und Geborgenheit verwendet: ‚He`s got the whole world in his hand.‘“
[38] Vgl. Maier, Genderperspektive, 175: Wenn „Gott im Alten Testament überwiegend als männlich wahrgenommen wird, [dann liegt das] nicht an seiner Körperlichkeit (im Sinne des englischen Begriffs ‚sex‘), sondern an den sozialen Rollen (‚gender‘), in denen er beschrieben wird: Als König […] [,] in den Rollen des Herrschers, Hirten, Kriegers und Richters […] [,] des Ehemannes und Vaters“. Das gilt gleichermaßen für JHWH in ‚weiblich‘ konnotierten sozialen Rollen.
[39] Baumann, Geschlecht, 238.
[40] Vgl. Schwienhost-Schönberger, Mutter, 4. Er nennt als Beispiel einer solchen dekonstruktiven Durchbrechung geschlechtlicher Metaphern in der christlichen Tradition Meister Eckhart: „Der vater gebirt sînen sun in der êwicheit im selber glîch“ (Meister Eckhart: Predigt 6. Iusti vivent in aeternum, übers. v. Kurt Flash, in: Lectura Eckhardi II. Predigten Meister Eckharts von Fachleuten gelesen und gedeutet, hg. v. Georg Steer/Loris Sturlese, Kohlhammer: Stuttgart 2003, 34).
[41] Emil Angehrn, Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik, Velbrück Wissenschaft: Göttingen 22004, 238.
[42] Ebd., 242.
[43] Ebd., 243.
[44] Ebd., 243f.
[45] Ebd., 244.
[46] Ebd., 244.
[47] Schwienhost-Schönberger, Mutter, 5.
[48] Vgl. u.a. Urs Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt, Universitäts-Verlag: Freiburg i. Br. 21987; Othmar Keel/Christoph Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Herder: Freiburg i. Br. 52001.
[49] Keel/Christoph Uehlinger, Göttinnen, 9.
[50] Vgl. Marie-Theres Wacker, Feministisch-theologische Blicke auf die neuere Monotheismus-Diskussion. Anstöße und Fragen, in: Dies./ Erich Zenger (Hg.): Der eine Gott und die Göttin. Gottesvorstellungen des biblischen Israel im Horizont feministischer Theologie, Herder: Freiburg i. Br. 1991, 17-48.
[51] Schwienhost-Schönberger, Mutter, 9.
[52] Vgl. u.a. Othmar Keel/Thomas Staubli, Gott weiblich. Eine verborgene Seite des biblischen Gottes, Gütersloher Verlags-Haus: Gütersloh 2008.
[53] Vgl. u.a. Sylvia Schoske/Dietrich, Wildung, Gott und Götter im alten Ägypten, Verlag Philipp von Zabern: Mainz am Rhein 1992, 56-59; 92-111; 122-136.
[54] Vgl. u.a. Erin, Darby, Interpreting Judean Pillar Figurines. Gender and Empire in Judean Apotropaic Ritual, Mohr Siebeck: Tübingen 2014.
[55] Vgl. u.a. Manfred Hutter, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments I. Babylonier, Syrer, Perser, Kohlhammer: Stuttgart 1996, 133-135.
[56] Vgl. ebd., 44-45.
[57] Marie-Theres Wacker, Figurationen des Weiblichen im Hosea-Buch, Herder: Freiburg i. Br. 1996, 295. Die geographisch und historisch sich stark unterscheidenden ikonographischen Typen sind nicht identisch, wohl aber gibt es „some connection between these […] traditions. The pillard figurines always depict a lone woman, the two other traditions usually show one (in the case of Isis Lactans) or two (in the case of Dea nutrix) children. Despite the fact of this iconographic difference, we can assume that the aspect of nutrition is the common background for our figurines and also for Dea Nutrix and Isis Lactans“ (Miklós Kőszeghy, The Female Body in Israel and Juda before the Exile, in: Géza G. Xeravits (Hg.), Religion and Female Body in Ancient Judaism and Its Environments, De Gruyter: Berlin / Boston 2015, 43-53, hier 50; Hervorhebung im Original).
[58] Vgl. Silvia Schroer, ‚Im Schatten deiner Flügel‘. Religionsgeschichtliche und feministische Blicke auf die Metaphorik der Flügel Gottes in den Psalmen, in Ex 19,4, Deuteronomium 32,11 und in Mal 3,20, in: Reiner Kessler u.a. (Hg.), ‚Ihr Völker alle, klatscht in die Hände!‘ (FS Gerstenberger), Lit: Münster 1997, 296-316, hier 301-304.
[59] Die mythische Erklärung der Entstehung der Milchstraße kennt ebenfalls das Bild der stillenden Göttin: Dort ist es die schlafende Hera, der Athene den Herakles zum Stillen an die Brust legt. Weil dieser aber zu stark saugt, stößt Hera ihn von sich. Die Muttermilch spritzt über den Himmel und bildet die Milchstraße (eindrücklich dargestellt in Rubens ‚Die Geburt der Milchstraße‘). Auch in der christlichen Darstellung ist das Bild der stillenden ‚Gottesmutter‘ Maria (auch wenn sie selbst nicht als Göttin verehrt wird) verbreitet (vgl. u.a. Joachim Kügler, Die himmlische Milch der Gottesmutter. Die Wurzeln des koptischen Marienbilds und seine Nachwirkungen, in: Das Heilige Land 145 (2/2013), 20-25).
[60] Hans-Winfried Jüngling, Bemerkungen zur Wechselwirkung zwischen den Auffassungen von der Frau und der Darstellung von Göttinnen, in: Marie-Theres Wacker/Erich Zenger (Hg.), Der eine Gott und die Göttin. Gottesvorstellungen des biblischen Israel im Horizont feministischer Theologie, Herder: Freiburg i. Br. 1991, 82-105, hier 92 (Hervorhebung im Original).
[61] Karl Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien der 22. und 23. Dynastie, Harrassowitz: Wiesbaden 1985, 50.
[62] „Der Name der Gottheit ist unglücklicherweise nicht erhalten geblieben, aber gewisse stilistische und sprachliche Berührungspunkte mit einer Ištar-Prophetie von Sinqīša-āmur (NAP 1.2) machen es wahrscheinlich, daß es sich auch hier um die Worte der Ištar von Arbela handelt“ (Martti Nissinen, Prophetie, Redaktion und Fortschreibung im Hoseabuch. Studien zum Werdegang eines Prophetenbuches im Licht von Hos 4 und 11, Verlag Butzon & Bercker/Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 1991, 288). In jedem Fall spricht aber eine Göttin oder ein Gott von sich zugleich in zwei Geschlechtern.
[63] Übersetzung der neuassyrischen Prophetensprüche, 2. Keilschrifttafel (Numerierung nach Simo Parpola): NAP 2.5: 27´-32´, in: Manfred Weippert, Die neuassyrischen Prophetensprüche in Übersetzung, in: Ders., Götterwort in Menschenmund. Studien zur Prophetie in Assyrien, Israel und Juda, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2014, 207-226, hier 216.
[64] Vgl. Anmerkung 6.
[65] Thöne, Bärin, 246-247.
[66] Vgl. u.a. Tryggve Kronholm, Art. נֶשֶׁר, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 5, Kohlhammer: Stuttgart 1986, 680-689, hier 682-683 (Hervorhebung im Original): „Bereits ein erster Überblick über die verschiedenen Attribute/Eigenschaften, die dem næšær im a[l]t[testament]lichen Textmaterial zugeschrieben werden, zeigt, daß es sich normalerweise nicht um den ‚Adler‘ handeln kann, sondern um eine Geierart. […] Es ist unmittelbar deutlich, daß einige von den angeführten, fragmentarischen Beschreibungen des næšær-Vogels auf einen Adler überhaupt nicht zutreffen, z[um] B[eispiel] daß er kahl (am Kopf und Hals) ist (Mi 1,16) und daß er sich von Aas ernährt (Ijob 39, 29f.; vgl. noch Spr 30,17). Das ist schon von mittelalterlichen Bibelkommentatoren notiert worden […]. In der heutigen Forschung hat sich die Meinung durchgesetzt, daß das a[l]t[testament]liche næšær normalerweise einen Geier bezeichnet, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach den Gänsegeier (gyps fulvus), die große Geierart mit fast 3 m Flügelspannweite und fahlbraunem Gefieder. Diese Vogelart, die früher in Palästina ziemlich häufig vorkam, ist heute noch im Negev zu sehen. […] Es ist aber festzuhalten, daß næšær als Artbezeichnung den Gänsegeier (gyps fulvus) meint, wogegen der in Palästina viel seltenere und wenig bekannte Adler normalerweise ʽajiṭ genannt wurde (s.u.). Die von den Griechen im alten Orient eingeführte Geringschätzung des Geiers und Hochschätzung des Adlers als königlicher Vogel – ein Vorurteil, das offensichtlich bereits der konsequenten LXX-Wiedergabe zugrunde liegt (ἀετός), die durch [die] V[ulgata] aufgenommen und weitergeführt worden ist (aquila) und bis in die Gegenwart nachwirkt – widerspricht der Umwelt des alten Israels.“
[67] Obwohl נֶשֶׁר ein maskulines Nomen ist und auch die Verben und Suffixe im maskulinen Genus stehen, lässt sich nicht notwendig auf JHWH als ein männliches Subjekt schließen. Denn „unabhängig von der grammatischen Form“ (Kessler, Mutter, 135) können von JHWH auch Tätigkeiten ausgesagt werden, die zugleich rein maskuliner und rein femininer Lebensvollzug sind (vgl. Deuteronomium 32,18). Aus der der Metapher zugrunde liegenden biologischen Situation, ist eine geschlechtliche Eindeutigkeit ebenfalls nicht zu erreichen, insofern sich weibliche und männliche Geier beim Brüten, der Ernährung und der Aufzucht ihrer Küken abwechseln (vgl. Carl Ludwig Hablizl, Art. Gyps fulvus, in: Urs N. Glutz von Blotzheim (Hg.), Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Akademische Verlagsgesellschaft: Frankfurt a. M., 235-259, hier 250).Weil eine generisch eindeutige Zuweisung der literarischen Beschreibung JHWHs als Geier in Deuteronomium 32,11 weder sinnvoll noch möglich ist, wird im Folgenden eine ‚elterliche‘, also eine ‚väterliche‘ und ‚mütterliche‘ Beschreibung der Gottheit angenommen.
[68] Thöne, Bärin, 248.
[69] Schroer, Flügel, 309.
[70] Ebd., 300-301.
[71] Ebd., 301.
[72] Vgl. Anmerkung 58.
[73] Schroer, Flügel, 305.
[74] Vgl. Samuel R. Driver, A Critical and Exegetical Commentary on Deuteronomy, T & T Clark: Edinburgh 1910, 357-358: „The figure of Ex 194 (cf. Dt. I31) is here [i.e. Deuteronomium 32,11] developed, so as to illustrate Jehova’s paternal [!] affection“.
[75] Dort aber nicht explizit אָב, sondern אישׁ.
[76] Koenen, Vergleiche, 181.
[77] Ebd.
[78] Ebd.
[79] Thöne, Bärin, 250.
[80] Koenen, Vergleiche, 181-182.
[81] Vgl. u.a. Josef Schreiner, Art. עור in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 5, Kohlhammer: Stuttgart 1986, 1184-1190, hier 1188 (Hervorhebung im Original): „Die Wurzel ‘wr ist in den semit[ischen] Sprachen reich bezeugt […] [und] kommt im AT nach der Konkordanz 77- bzw. 78 mal vor, […]. Jedoch sind 3 Vorkommen, die meist ‘wr ‚aufwachen‘ zugeschrieben werden, problematisch: Deuteronomium 32, 11: ‚Wie ein Adler, der sein Nest aufstört (jā‘îr), über seinen Jungen schwebt‘. […]. Auch MT (hiph von ‘wr) ist nicht unsinnig: Wenn der Adler zum Horst kommt, versetzt er die Jungen, die Futter erwarten, in Aufregung.“ Vgl. zur Debatte um die Herleitung auch die bis zur Veröffentlichung des vorliegenden Artikels noch unveröffentlichte Dissertationsschrift von Evelyne Martin, Von Flügeln und Hörnern. Gottes Tiergestaltigkeit im Alten Testement, 147, Anmerkung 933.
[82] Christiane Wüste, Fels – Geier – Eltern. Untersuchungen zum Gottesbild des Moseliedes (Deuteronomium 32), Verlag V&R unipress GmbH: Göttingen 2018, 181; mit Rückverweis auf H. Louis Ginsberg, Two North-Canaanite Letters from Ugarit, in: Bulletin of the American Schools of Oriental Research 72 (12/1938), 18-19, hier 19, Anmerkung 11.
[83] Schreiner, עור, 1188.
[84] Vgl. u.a. ebd.: „LXX übersetzt was im Parallelismus einen guten Sinn ergibt: JHWH hütet und bewacht Israel (v. 10) wie ein Adler sein Nest und seine Jungen.“
[85] Wüste, Gottesbild, 181.
[86] Koenen, Vergleiche, 180.
[87] Wüste, Gottesbild, 181 (Hervorhebung im Original).
[88] Vgl. u.a. die Vulgata: „sicut aquila provocans ad volandum [!] pullos suos et super eos volitans expandit alas suas et adsumpsit eum atque portavit in umeris suis“; aber auch Luther (WA 14, 734): „‚Sicut aquila provocat nidum suum super pullos suos volitans, Expandit alas suas et accepit eum et tulit eum super scapulas suas‘. His verbis significat, quomodo eos in deserto foverit, mores eorum tulerit atque tentaverit ac benefecerit, ut discerent volare [!], idest, fidere in eum, ut cap. 8 vidimus.“
[89] Die ‚ornithologenlateinische‘ Auslegung JHWHs als נֶשֶׁר, der sein Kind – flugpädagogisch motiviert – aus dem Nest ‚stürzt‘ [!], verdankt sich wahrscheinlich der Heranziehung anderer Geieraussagen im Alten Testament, wie Jeremia 49,16; Obadja 1,4 und Habakuk 2,9. Dort aber erscheint nicht JHWH in der Rolle des Geiers, sondern, im Vergleich zu Deuteronomium 32,11, sind die Rollen vertauscht: Das hochmütige Israel ist der נֶשֶׁר, der sich vor JHWH, trotz seiner sicheren Nester in unerreichbarer Höhe nicht schützen kann: ‚Deine Furchtbarkeit, der Übermut deines Herzens haben dich getäuscht, dich, der in den Schlupfwinkeln der Felsen wohnt, den Gipfel des Hügels besetzt hält. Wenn du dein Nest hoch baust wie der Geier, ich werde dich von dort hinabstürzen (ירד), spricht JHWH‘ (Jeremia 49,16). Diese Sprachbilder aber für die Auslegung von Deuteronomium 32,11 heranzuziehen, verbietet sich, weil einerseits je andere Personen, nämlich JHWH (Deuteronomium 32,11) oder [!] Israel (Jeremia 49,16; Obadja 1,4; Habakuk 2,9), mit dem Sprachbild נֶשֶׁר bezeichnet werden. Und obwohl in allen Stellen das hochmütig gewordene Israel von JHWH bestraft werden soll, so liegt der Fokus in Deuteronomium 32 andererseits auf der Fürsorge (und nicht nur auf dem Schutz!) Gottes, während die prophetischen Aussagen nur das Strafhandeln JHWHs betonen.
[90] Vgl. auch Carl Steuernagel, Das Deuteronomium, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 21923, 116; Gerhard von Rad, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 41983, 137; Georg Braulick erkennt hier flugpädagogische Handlungen JHWHs und erklärt, ohne aber Belege zu nennen, dass „[d]iese Vorstellung […] durch naturwissenschaftliche Beobachtungen gedeckt“ (Georg Braulick, Deuteronomium II 16,18 – 34, 12, Echter: Würzburg 1992, 230) sei. Martin Rose verortet das in Deuteronomium 32,11 Geschilderte „zu den ersten Flugversuchen (Martin Rose, 5. Mose, Teilband 2: 5. Mose 1 – 11 und 26 – 34. Rahmenstücke zum Gesetzeskorpus, Theologischer Verlag Zürich: Zürich 1994, 568), ohne aber überhaupt eine (naturwissenschaftliche) Begründung zu liefern. Schroer verneint den ornithologischen Beleg, weist aber – ebenfalls ohne Beleg – auf „Laienbeobachtungen“ (Schroer, Flügel, 301, Anmerkung 10) hin.
[91] August Dillmann, Die Bücher Numeri, Deuteronomium und Josua, Verlag S. Hirzel Leipzig 21886, 399-400 (Hervorhebung im Original).
[92] Vgl. Anmerkung 74.
[93] Driver, Deuteronomy, 357-358.
[94] Ebd., 358.
[95] Samuel Bochart, Hierozoicon sive bipertitum opus de animalibus s. scripturae, cuius pars prior libris 4. De animalibus in genere & de quadrupedibus, viviparis & oviparis pars posterior libris 6. De avibus, serpentibus, insectis, aquaticis, & fabulosis animalibus agit. Cum indice septuplici, Zunner: Frankfurt a.M. 1675, 176-184.
[96] Davy Jumphry, Salmonia. Days of fly-fishing, Verlag John Murray: London 1840, 87-88.
[97] Hendrik G.L. Peels, On the Wings of the Eagle (Deuteronomium 32,11) – An Old Misunderstanding, in: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 106 (2/1994), 300-303, hier 300.
[98] Vgl. Hablizl, Gyps fulvus, 254: Eine wartende Haltung mancher Gänsegeier ist die „Ruhestellung mit halb ausgebreitet hängenden bzw. mit dem Handflügel auf den Boden gestützten Flügeln“. Vermutlich beschreibt Jumphry eben diese Haltung (vgl. Hablizl, Gyps fulvus, 255, Abbildung 40A), wenn er davon schreibt, dass die elterlichen Geier ‚paused in their wings‘.
[99] Arthur Cleveland Bent bezieht sich auf Aussagen der Studentin S. E. Shuman, die dem Zoologen Loye H. Miller Folgendes berichtete: „The mother started from the nest in the crags and, roughly handling the youngster, she allowed him to drop, I should say, about ninety feet; then she would swoop down under him, wings spread, and he would alight on her back. She would soar to the top of the range with him and repeat the process. Once perhaps she waited fifteen minutes between flights. I should say the farthest she let him fall was a hundred and fifty feet. My father and I watched him, spellbound, for over an hour“ (Arthur Cleveland Bent, Life Histories of North American Birds of Prey. Order Falconiformes (Part I), Smithsonian Institution Press: Washington 1937, 302). William Beach Thomas bezieht sich auf einen Führer, der „could support the belief that the parent bird, after urging and sometimes shoving the youngster into the air, will swoop underneath and rest the struggler for an moment in their wings and back. … Our guide, when questioned, said that every phrase of the verse (Deut. xxii, II) (which was new to him) was accurate, save the first; he had seen it all exept the stirring up of the nest“ (William Beach Thomas, Yeoman’s England, Maclehose: London 1934, 135-136). Inwiefern es sich bei den genannten Berichten nicht vielmehr um etwas Ähnliches wie eine self-fulfilling prophecy handelt, bleibt zu fragen. Rezipiert in der exegetischen Literatur werden die beide Berichte von: Godfrey Rolles Driver, Once again: Birds in the bible, in: Palestine Exploration Quarterly 90 (1/1958), 56-58, hier 56; Duane L. Christensen, Deuteronomy 21: 10-34:12, Zondervan: Grand Rapids/Michigan 1997, 797.
[100] Koenen, Vergleiche, 180, Anmerkung 27, dort weiter: „da Adler [und dies gilt auch für Geier] […] wegen der Entwicklung des Gefieders erst fliegen lernen können, wenn sie fast ausgewachsen sind und damit praktisch das gleiche Gewicht haben wie ein Elterntier. Dieses […] aber [ist] nicht in der Lage ein derartiges Gewicht zu befördern.“ Vgl. Peels, Misunderstanding, 300: „No ornithologist has ever been able to verify the above mentioned behavior of the eagle or the vulture“.
[101] Koenen, Vergleiche, 181; vgl. Thöne, Bärin, 247 (Hervorhebung im Original): „Unter aerodynamischen Gesichtspunkten ist das Tragen von Jungvögeln auf den Flügeln zwar auszuschließen, doch geht es an dieser Stelle nicht um das physikalisch Mögliche.“
[102] Vgl. Peels, Misunderstanding, 302.
[103] Wüste, Gottesbild, 181.
[104] Wilhelm Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Springer: Heidelberg 182013, 939.
[105] Ebd.
[106] Auch ich habe, angeregt von Koenen, Vergleiche, 180, Anmerkung 27, den fachlichen Rat aus der Ornithologie eingeholt zur Frage nach dem Fliegen-Lernen von Gänsegeiern und danke an dieser Stelle dem Zoologen Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann und Rolf Nessing, der u.a. in Israel und Palästina in Vogelberingungsprojekten tätig war, für ihre Expertisen. Das wörtliche Zitat stammt von Nessing.
[107] Vgl. Anmerkung 6.
[108] Hablizl, Gyps fulvus, 257: „Mit etwa 110-120 Tagen steigert sich die Aktivität der Jungen. Die ersten Flüge wirken sehr unsicher und erfolgen erst nach tagelangen scheinbar ernsthaften Flugversuchen; die Vögel landen bei der nächstbesten Gelegenheit und schaffen die Rückkehr zum Horst erst nach mehrfachen Versuchen. Bei Brutplätzen an der Küste (Kvarner, Cypern) fallen sie bei diesen ersten Flügen manchmal ins Meer. Ein dabei beobachteter Jungvogel schwamm, Hals über Kopf hochgereckt, mit paddelnden Flügelbewegungen ans Ufer“.
[109] Vgl. Wüste, Gottesbild, 184: „In Deuteronomium 32,11 bewacht und beschützt der נֶשֶׁר seine Jungen im Nest (V.11aα), indem er darüber schwebt (V. 11aβ).“
[110] Ebd., 184.
[111] Dies entspricht den oben genannten Beobachtungen Jumphrys und der Tatsache des Fernbleibens vom Horst: „Die Altvögel ruhen und schlafen jetzt auf ihren bevorzugten Plätzen in Sichtweite der Horste, fliegen etwa um 9 Uhr auf Nahrungssuche weg, kommen ab 10-11h zurück und beziehen nach der Fütterung wieder ihre Ruheplätze“. (Hablizl, Gyps fulvus, 257)
[112] Vgl. Ginsberg, Letters 19, Anmerkung 11; Johann Jakob Stamm, Ein ugaritisch-hebräisches Verbum und seine Ableitungen, in: Theologische Zeitschrift 35 (1979), 5-9, hier 7.
[113] Wüste, Gottesbild, 181; mit Rückverweis auf ausführliche Literarturangaben bei Peels, Wings, 301, Anmerkung 9 und Stamm, Verbum, 7; vgl. Eckart Otto, Art. עיר, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 6, Kohlhammer: Stuttgart 1989, 56-74, hier 60.
[114] So anscheinend auch nicht die AutorInnen des Ges18, die „sie in die Neuauflage […] nicht übernommen hat, sondern […] weiterhin von der Wurzel עור III hif ‚aufstören, in Bewegung bringen‘ ausgehen“ (Wüste, Gottesbild, 181, Anmerkung 781 [Hervorhebung im Original]). Hatte „die Wurzel עיר mit der Übersetzung ‚schützen/behüten‘ auch Eingang in HALAT [i.e. Ludwig Köhler/Walter Baumgartner, Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament, Brill: Leiden u.a. 31967-1996, 776] gefunden“ (Wüste, Gottesbild, 181), so doch nicht mehr in Walter Dietrich/Samuel Arnet (Hg.), Konzise und aktualisierte Ausgabe des Hebräischen und Aramäischen Lexikons zum Alten Testament, Brill: Leiden 2013, 404. Anders Eckhart Otto, Deuteronomium 12 – 34, Zweiter Teilband: 23,16 – 34,12, Herder: Freiburg i. Br. 2017, 2148 (Hervorhebung im Original): Otto räumt zwar eine Wurzelverbindung zu „den Wurzeln ʻwr (akkadisch êru[m] ‚wach‘/ugaritisch ʻrr ‚erregen‘)“ ein, plädiert dann aber trotz der akkadischen und ugaritischen Wurzelnähe für „ʻjr ‚schützen/bewachen‘“ – mit Rückbezug auf HALAT – und folgert: „Auch bei einer Ableitung von der Wurzel ʻwr ist nicht die semantische Konnotation eines Aufstörens der Jungen zum Fliegen als pädagogische Maßnahme der Vogeleltern im Blick, sondern ein Bewachen“. Eine Nähe zum aramäischen Nomen ‚עיר/Wächter‘ (vgl. Peels, Misunderstanding, 301) kann ebenso wenig als Beleg für die Lesart ‚schützen‘ herangezogen werden, insofern der Wächter im urbanen [!] Textfeld begegnet, wenn es etwa darum geht, Städte zu ‚bewachen‘ [!], nicht aber in Bezug auf das ‚Beschützen‘ [!] von Kindern (vgl. Ges18, 958-960; KAHAL, 404). Das diplomatische Ansinnen von Julia Brümmer, Art. ﬠור, in: Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten 3, Kohlhammer: Stuttgart 2016, 72-76, hier 74, die 4Q504(DibHama)6,7 als einen Beleg anführt, in dem „[i]n poetischer Weise […] beide Bedeutungsvarianten von ‚(er)wachen‘“, nämlich der „Schutz- und Aktivierungsaspekt“ verdeutlicht würden, wird keinesfalls vom Text selbst gedeckt. Was, wenn überhaupt, vom fragmentarischen Text in Bezug auf den in Zeile 7-8 zitierten Vers Deuteronomium 32,11 gesagt werden kann, ist ein Bezug auf נשׂא (Deuteronomium 32,11b) in Zeile 6: „[ -- Ge]denke doch, daß Dein Volk wir alle, und trage [!] uns wunde[rbar (?)]“ (Maier, Johann: Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer. Band II: Die Texte der Höhle 4, Ernst Reinhardt Verlag: München 1995, 612). Zeile 9 bezieht sich auf das Wohnen des Volkes in der Höhe des Nestes und zitiert Numeri 23,9: „[…]seine [W]ohnung ist abseits und unter die Völker wird es nicht gerechnet und [ -- ]“ (Maier, Höhle 4, 613).
[115] Vgl. Koenen, Vergleiche, 180: „Das singularische Suffix, das bei diesem Verb wie schon viermal in V.10 in der archaischen Langform erscheint, bezieht sich nicht auf die Jungen (Plural!) des Adlers, sondern wie in V.10 auf Israel (Singular).“
[116] Schreiner, ,עור1185, (Hervorhebung im Original): „Überblickt man die Belege von ‘wr, so legt sich als allgemeine Grundbedeutung nahe: ‚erregen‘, im Sinn von ‚aktiv werden bzw. machen, so daß jemand oder etwas in Tätigkeit kommt und darin verbleibt‘. Die Aktivierung setzt im Inneren der betreffenden Person an. Sie selber wird aktiv oder wird veranlaßt, es zu sein. Letzteres überwiegt (vgl. pil, hiph; im qal steht weniger als ein Drittel der Stellen). Meist ist es JHWH, der jemand (oder etwas) tätig werden läßt“; vgl. Thöne, Bärin, 246-247: „Typischerweise ist Gott das Subjekt von עור im Hifil“.
[117] Thöne, Bärin, 247.
[118] Ebd.
[119] Wüste, Gottesbild, 188.
[120] Wüste nennt als Belegstellen für דאה Deuteronomium 28,49; Jeremia 48,40; 49,22; für עוף Sprüche 23,5; Habakuk 1,8; für סושׂ Ijob 9,26 (vgl. ebd., 187-188).
[121] Ebd., 188.
[122] Thöne, Bärin, 247;
[123] Wüste, Gottesbild, 188.
[124] Ebd., 186 (Hervorhebung im Original).
[125] Vgl. zu Genesis 1,2רוּחַ אֱלׄחׅ֔ים) ) Wüste, Gottesbild, 186 (Hervorhebung im Original): „Somit sind die Lesarten als ‚Wind/Geist Gottes‘ wahrscheinlich, so dass Gott als Initiator dieses Windes/Geistes anzusehen ist. Durch das Partizip מְרַחֶפֶת (רחף pi) wird der Geist/ Wind Gottes näher definiert. מְרַחֶפֶת drückt als Schweben oder Hin- und Herfliegen Aktivität und Bewegung [!] aus“.
[126] Hablizl, Gyps fulvus, 249.
[127] Ebd., 252.
[128] Ebd., 257.
[129] Thöne, Bärin, 247.
[130] Vgl. Anm. 4.
[131] Elisabeth Moltmann-Wendel, Gott als Hebamme. Wie neue Gottesbilder das Gottesbild verändern, in: Zeitzeichen 6 (12/2005), 26-28, hier 28; vgl. z.B. das Bild JHWHs als Moab angreifender Greifvogel in Jeremia 49, 40-41 in Kontrast zum elterlichen נֶשֶׁר in Deuteronomium 32,11: „Auffallend ist […] die ambivalente Verwendungsweise von Flügeln. Sie können je nach Kontext entweder Drohung oder Schutz, aber auch Flug- oder Flugunfähigkeit ausdrücken.“ (Martin, Tiergestaltigkeit, 94).
[132] Frettlöh, Gott, 280; Hervorhebung im Original.
[133] Michaela Geiger/Stefanie Schäfer-Bossert, Körperkonzepte im Ersten Testament – Aspekte einer feministischen Anthropologie. Eine Einführung, in: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer Feministischen Anthropologie, Kohlhammer: Stuttgart 2003, 10-28, hier 23.
[134] Ebd.
[135] Thöne, Bärin, 264.
[136] Maier, Genderperspektive, 188.
[137] Vgl. Häusl, Leib, 159: „Im Alten Testament wird der Körper grundsätzlich in seiner Beziehungsfunktion wahrgenommen und ist deshalb auch als eine gesellschaftliche, sozial und historisch bedingte ‚Konstruktion‘ vorausgesetzt und als solche inszeniert. Die Körperteile stellen Beziehung her, sie sind Ausdrucksmedium in der Gesellschaft, ihnen ist soziales Ergehen (immer schon) eingeschrieben.“
[138] Ebd.
[139] Deuteronomium 32,18: An den Fels, der dich gezeugt (ילד) hat, dachtest du nicht mehr, du vergaßest den Gott, der dich geboren (חיל) hat.
[140] Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt, Mohr Siebeck: Tübingen 2001, 706.
[141] Maier, Genderperspektive, 187.
[142] Ebd., 187-188.
[143] Frettlöh, Gott, 234.
[144] Ebd., Gott, 238-239; Hervorhebung im Original.
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Friederike Eichhorn-Remmel Dipl. theol.,
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Bibeldidaktik an der Universität Koblenz-Landau. Sie studierte in Marburg, Jerusalem, Rom, Fulda und Frankfurt und promoviert im Bereich des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät Fulda.
© Friederike Eichhorn-Remmel, 2020, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317