© Micaela Bauks, 2007,lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317
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01-2007
Ausgabe 01/2007
Micaela Bauks Traditionsgeschichtliche Erwägungen zur Namenlosigkeit von Jiftachs Tochter (Ri 11,29-40)
Abstract:
The namelessness of Jephthah’s daughter is an often discussed theme of feminist exegesis. The author tries to give traditional-historical explanations for this phenomen and compares the pattern with traditions from Ancient Greece (Iphigeneia and Korès-tradition). Thus, the pattern does not describe the reduction of the daughter to a submissive victim, but gives a rare indication of an initiation rite for girls in the Old Testament.
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Ein theologisch äußerst relevanter, aber exegetisch lange Zeit vernachlässigter Text ist die Erzählung von Jiftachs Tochter. Es ist vor allem einigen feministischen Theologinnen zu verdanken, dass dieser schwierige Text in das Bewusstsein der Exegeten und Exegetinnen gerückt worden ist, so in besonderer Weise von Phyllis Trible (1984) in dem Aufsatzband „Texts of Terror” und in Form von einigen Einzelbeiträgen verschiedener Autorinnen in dem von Athalya Brenner herausgegebenen Feminist Companion to Judges. Dem literarhistorischen Befund nach[1] lassen die meisten Auslegungen die Perikope erst mit V. 30 beginnen. Der allgemeinen Prämisse zum Trotz möchte ich den Textabschnitt hingegen mit V. 29 beginnen lassen. Denn zum einen ist dieser Vers syntaktisch als Erzähleinstieg durchaus möglich und zum anderen ist er von leitendem Interesse für das Textvorverständnis. Denn dieser Vers impliziert, dass Jiftachs Akt, die Tochter zu opfern, nicht einfach ignorant oder heidnisch ist.[2] Anstoß nahmen besonders die Exegetinnen auch an dem Faktum der Namenlosigkeit der Tochter. Das Fehlen des Namens wurde mit ihrer ausschließlich funktionalen Bedeutung gleichgesetzt und somit dem skrupellosen Vater eine unterworfene Tochter an die Seite gestellt.[3]
29. Der Geist JHWHs war über Jiftach, als er Gilead und Manasse durchquerte. Er durchquerte (auch) Mizpe-Gilead und von Mizpe-Gilead stieß er vor[4] zu den Ammonitern.
30. Jiftach schwur einen Eid zu JHWH und sprach: Wenn Du mir tatsächlich die Ammoniter in meine Hand gibst,
31. wird der Ausziehende, der aus den Türen meines Hauses (als erster)[5] mir entgegen herauszieht, wenn ich im Frieden von den Ammonitern zurückkehre, dieser wird sein für JHWH und ich werde ihn als Brandopfer opfern.
32. Jiftach durchquerte (das Land) bei den Ammonitern, um gegen sie zu kämpfen. Und JHWH gab sie in seine Hand.
33. Er schlug sie von Aroër bis Minnit, zwanzig Städte, und bis Abel Keramim. (Es war) eine sehr große Niederlage. Und die Ammoniter waren von den Israeliten erniedrigt.
34. Jiftach kam nach Mizpe zu seinem Haus, und siehe da, seine Tochter zog heraus ihm entgegen mit Tamburin und Tänzen. Doch sie war die einzige. Er hatte keinen anderen Sohn oder Tochter.[6]
35. Es geschah, als er sie sah, dass er seine Kleider zerriss und sprach: Oh, meine Tochter, du zwingst mich in der Tat danieder, du bereitest mir Unglück. Aber ich, ich habe den Mund vor JHWH aufgetan. Und kann nicht dahinter zurück.
36. Sie sprach zu ihm: Mein Vater, du hast deinen Mund zu JHWH aufgetan. Tu an mir, wie es aus deinem Mund herausging, nachdem JHWH Rache an deinen Feinden geübt hat, den Ammonitern.
37. Und sie sprach zu ihrem Vater: Es sei mir dieses Wort gegeben: Lass mir zwei Monate, damit ich gehe und „auf die Berge herabsteige”[7] und meine Jugendlichkeit[8] beweine, ich und meine Vertrauten[9].
38. Er sprach: Geh, und er schickte sie zwei Monate fort und sie ging, sie und ihre Vertrauten, und beweinte ihre Jugendlichkeit auf den Bergen.
39. Und es geschah am Ende der zwei Monate, da kehrte sie zu ihrem Vater zurück, und er erfüllte an ihr den Eid, den er geschworen hatte. Aber sie hatte keinen Mann gekannt. Und es wurde eine Regel in Israel:
40. Jahr für Jahr gehen die Töchter Israels, um der Tochter Jiftachs, des Gileaditers, zu gedenken, vier Tage im Jahr.
Nun hat dieser sehr dichte Text, der von Jiftachs Eid und daraus resultierend der Opferung seiner Tochter handelt, nicht erst in der feministischen Exegese viel Aufmerksamkeit gefunden. Zum einen ist er ein beliebtes Motiv in der abendländischen Musik- und Literaturgeschichte,[10] zum anderen seit dem Mittelalter auch in der jüdischen Schriftauslegung schwer umstritten.[11]
1. Eine unterdrückte Tochter und ihr skrupelloser Vater?
Am markantesten dürfte die Arbeit von Phyllis Trible „The daughter of Jephthah – an inhuman sacrifice” die moderne Auslegung des Textes geprägt haben. Sie geht davon aus, dass der Jiftach-Zyklus zwei Krisen parallel setzt. Die Jiftacherzählung (Buch der Richter [= Ri] 10,6-12,6) folgt dem klassischen Schema vieler Richtererzählungen: 1) der religiöse Abfall Israels, auf den 2) die von Gott zugelassene Unterdrückung durch fremde Völker erfolgt. Darauf reagiert Israel mit Hilferufen zu Gott (3) Und Gott beruft (4) seinerseits einen Richter, der das Volk retten soll.[12]
Tribles Lektüreansatz betont die Fremdheit und Unmoral von Jiftachs Verhalten. Diese sei bereits am Erzählanfang angelegt durch die Auskunft, dass er ein Bastard sei, der Sohn einer Hure mit Gilead bzw. eines Gileaditer (11,1ff.),[13] der – von der Familie verstoßen – ein militärischer Aufsteiger wird, um schließlich über Leichen zu gehen, ja sogar über solche in der eigenen Familie, um soziale Legitimation zu erlangen.[14]
Dem gegenüber scheint der vorliegende Textlaut den Sachverhalt so nicht darzustellen.[15] Denn trotz des sozialen Makels seiner Geburt liegt Gottes Geist über Jiftach (V.29).[16] So ist es dem Text nach JHWH, der die Ammoniter in Jiftachs Hand gibt und damit das Kriegsgeschehen so lenkt, dass das Opfer erst nötig wird (V.32). Ob abwartendes Vertrauen in den Geist Gottes für das militärische Gelingen ausgereicht hätte (wie es z.B. Jesaja dem Ahas in Jes 7,9 „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht” anzuraten scheint) und Jiftach nicht so vorschnell das Leben eines Familienglieds in die Waagschale hätte werfen müssen, wie Phyllis Trible unterstreicht,[17] ist auf der Grundlage der vorliegenden Textüberlieferung nicht zu beurteilen. Wie die positive Beurteilung des Richters Jiftach in 1 Samuel 12,11 (vgl. Hebräer 11,32-34), so gibt auch der Kontext von Ri 10-12 keinen expliziten Anlass zu einer eindeutig negativen Beurteilung des Richters.[18] Ich habe vorgeschlagen, Jiftach als einen Mann zu charakterisieren, der in großer militärischer Not vom Volk berufen wird (11,5-8), und sich in seinem Amt als Richter im Falle eines Sieges von JHWH bestätigt sieht (so auch Ehud, Gideon, Simson). Infolge stockender Verhandlungen mit den umliegenden Volksgruppen, die einen Mehrfrontenkrieg bedeuten könnten, greift Jiftach zu einem auch anderweitig belegten Kriegsmittel, welches ich als Selbstentäußerung in Form eines Opfergelübdes umschreiben möchte. Als verantwortlicher Richter gibt er sich selbst in seinem einzigen Kind preis, um Gott zum Eingreifen zu zwingen. Mit der Form des offenen Gelübdes gibt er Gott die Möglichkeit, sich das zu nehmen, was ihm seines Erachtens zusteht.[19] Die Erzählung berichtet von seiner Verzweiflung, als er vernimmt, wen das Gelübde trifft, während die Tochter das „Gottesurteil” weitaus gelassener hinzunehmen scheint.[20] Dass nach orientalischem Verständnis in schweren Fällen der Not auch das Leben von Menschen nicht ausgespart ist, wissen wir z.B. aus der kleinen Notiz in 2 Könige 3,27, der gemäß der moabitische König relativ selbstverständlich zum Brandopfer seines einzigen Sohnes greift, um in das Kriegsgeschehen einzugreifen. Dass dieses Mittel ambivalent und umstritten ist, zeigt der Erzählverlauf des Jiftachzyklus.[21] Jiftach steht nämlich in seinem Kriegsglück als tragische Richtergestalt da. Trible beobachtet richtig, dass „the vocabulary of the vow returns us to the beginning of the entire scene (11:30), thereby interlocking public and private crises in a composition of circularity.” Sie resümiert aber ideologisch vorbelastet, wenn sie fortfährt:
„A vow led to victory; victory produced a victim; the victim died by violence; violence has, in turn, fulfilled the vow. From beginning to end, the faithless and foolish vow has been the subject. It controls both father and daughter, though in different ways. Moreover, in its presence even the deity to whom it was adressed remains silent. Under the power of the vow, the daughter has breathed her last. My God, my God, why hast thou forsaken her?”[22]
2. Anzeichen von „Stärke” in der Figur der Tochter Jiftachs
Doch ist Jiftachs namenlose Tochter in der Erzählung keineswegs vergessen, wie Phyllis Trible vermutet.[23] Im Gegenteil. Am Ende der Erzählung findet sich eine kleine Festätiologie. Diese Jungfrau verewigt sich nicht in ihren Kindern, sie wird verewigt in einem Ritual, das zu ihrer Erinnerung alljährlich begangen wird. Der Aufschub, den sie erbittet, um in die Berge hinab zu steigen und ihre Jugend zu beweinen, lässt sich aufgrund des sprachlich zum Ausdruck gebrachten Paradoxons[24] an einen Theophaniekontext binden,[25] welcher zu einer gewaltigen Aufwertung ihrer Person zu führen scheint.[26] In diesem Text ist es bezeichnenderweise das Mädchen, das als die eigentliche Heldin im Vordergrund steht. Während ihr Vater seines ewigen Fortbestandes durch die Preisgabe der einzigen Tochter beraubt ist und – zumal als Sohn einer Dirne[27] – sich seine Ewigkeit auch nicht über die Familienbande zu sichern vermag, wird seine Tochter zum Paradigma der gottgeweihten Jungfrau. Dem sich tragisch auswirkenden Erfolg des Vaters steht der ohnmächtige Sieg der Tochter entgegen.
Schon jetzt wird deutlich: Diese Erzählung sprengt unsere Denkkategorien bei weitem. In unserer modernen, individualistisch ausgerichteten Mentalität scheint es wenig überzeugend, dass ein Individuum stirbt, um ein Volk zu retten, und sein Tod gewissermaßen durch ein Festritual kompensiert wird. So ist es durchaus verständlich, dass Exegeten wie David Marcus[28] zwar das Gelübde und die Geistbegabung des Richters nebeneinander stehen lassen, ohne auf redaktionsgeschichtlichem Wege den Text zu korrigieren. Indes schlägt er vor, in alter jüdischer Tradition die erzählerisch allzu knapp gehaltene Ausführung des Eides (V.39) als Hinweis darauf zu verstehen, dass ähnlich wie in Genesis 22 die Opferhandlung substituiert worden sei durch das Faktum der ewigen Jungfräulichkeit der Tochter, die den Vater von weiterer Nachkommenschaft ausschließt und somit sich und ihm Entbehrung zufügt.[29] Ob es möglich ist, das Opfer in eine Weihehandlung umzudeuten (vgl. 1 Samuel 1),[30] bleibt zu untersuchen. Einen weiteren Stein des Anstoßes bildet das Faktum der Namenlosigkeit der Tochter. Jiftach, der Richter, ist benannt. Doch seine Tochter existiert nur in ihrer Relation zum Vater.
Ich möchte im folgenden drei Aspekte der Erzählung aufgreifen, die strategische Bedeutung für das Gesamtverständnis haben. Daraus resultieren folgende Fragestellungen: 1. nach der Namenlosigkeit der Protagonistin, 2. nach Beziehung von Kinderopfer oder -weihe und biologischem Geschlecht, und 3. nach Hinweisen auf einen Jungfrauenritus im alten Israel.
2.1. Traditionsgeschichtliche Überlegungen zur Namenlosigkeit der Tochter Jiftachs
Ein Stein des Anstoßes ist immer wieder das Faktum der Namenlosigkeit des Opfers gewesen. Zwar ist Jiftachs Tochter weder klagend noch indifferent schweigend gegenüber dem Handeln des Vaters dargestellt. Vielmehr ist sie es, die seinen Eid aufnimmt und seine Irreversibilität dem zögerlichen Vater gegenüber noch unterstreicht. Sie scheint ihr Schicksal selbstbewusst anzunehmen und erbittet lediglich eine zweimonatige Frist, mithilfe derer sie ihre Identität neu zu bedenken scheint. Doch zeichnen eine Vielzahl der Exegeten und Exegetinnen sie zumeist als „ganz Tochter” und „der väterlichen Autorität total untergeben”. Gemäß diesem Schema erklärt J. Cheryl Exum auch die Erinnerung an sie nicht als persönliche Würdigung: „she is commemorated not for herself but as a daughter”.[31] Die Rolle der Tochter scheint funktional bestimmt. Belohnt wird ihre Folgsamkeit gegenüber dem Vater.
Nun kommt in Ri 11 der Tochter als Tochter aber große Autorität zu. Sie ist als die eigentliche Heldin der Erzählung gezeichnet.[32] Die Anonymität interpretiert Exum als den Verzicht, von dem persönlichen Schicksal eines Mädchens zu sprechen zugunsten des strukturell hervorgehobenen Gehorsams der Tochter.
Indes finden wir in der griechischen Literatur mindestens zwei Beispiele, die uns die Namenlosigkeit etwas anders zu verstehen lehren.
Zum einen lässt sich der Textbestand der Iphigenie-Tradition anführen. Die Textlage ist komplex. Erst Euripides schuf die klassische Fassung der Tragödie – übrigens ebenfalls in zweifacher Gestalt –, deren Heldin erst hier definitiv an den Namen Iphigenie gebunden wird, deren Schicksal aber von ihm in zwei verschiedenen Werken unterschiedlich beschrieben wird: In Iphigenie in Aulis (405 v. Chr., = Iph. in. Aul.) wird die Tochter zwar für die Umstehenden sichtbar durch eine Hirschkuh ausgelöst (1590), gilt aber um den Preis der Unsterblichkeit als zu den Göttern entrückt (1610). In Iphigenie bei den Taurern wird sie von Artemis durch eine Hirschkuh ausgelöst (18f), nachdem Agamemnon in Folge eines Eides, die schönste Frucht des Jahres zu opfern, zum Kindopfer gezwungen ist, als Kalchas ihm offenbart, dass Artemis sich für Iphigenie entschied (21ff.). Als Priesterin der Artemis ist es Iphigenie selber, die ihrem Bruder Orest im Nachhinein von der Substitution durch die Hirschkuh berichtet (782ff.). In beiden Versionen ist Iphigenie in Erwartung ihrer Hochzeit mit Achill, die von Agamemnon vorgetäuscht ist, um sie ihrer Mutter unauffälliger entreißen zu können. Das Motiv der bevorstehenden Hochzeit findet sich bereits in der Ilias bei Homer (IX, 145), hier allerdings ohne dass das Opfermotiv eingeführt wäre. In einer Vielzahl der Traditionen um diesen Stoff tragen Agamemnons Töchter andere Namen, Iphigenie heißt z.B. Iphianassa, ein Name der sich auch in anderen Fragmenten findet, die vom Opfer der Agamemnontochter berichten.[33] Das Namenschaos weist zum einen auf ursprünglich voneinander unabhängige Traditionen hin, zum anderen auf die große Beliebtheit des Themas. Es scheint aber schwierig zu sein, das Faktum im Sinne von Beliebigkeit deuten zu wollen, wie wir es zumeist auch der Namenlosigkeit von Jiftachs Tochter unterstellen. In keinem Text ist nämlich in Frage gestellt, dass es sich um eine bestimmte Tochter des Agamemnon handelt. Auch wenn nicht einmal die Art des Opfers in den verschiedenen Traditionen übereinstimmt – wird es von ihr erlitten oder ist das Opfer substituiert und das Mädchen der Göttin geweiht? –, so ist die Figurenkonstellation doch eindeutig vorgegeben. Und man könnte den Namen der Iphigenie austauschen gegen den der Liebsten, Teuersten bzw. Schönsten (Tochter), die – aus tragischen Umständen heraus – jungfräulich zum Opfer bestimmt wird. Bemerkenswert ist auch in den griechischen Traditionen die Verknüpfung mit dem Heiratsmotiv. Da ein Fest bekannt ist, welches in Brauron und einigen anderen griechischen Orten von heranwachsenden Mädchen begangen wurde (s. unten),[34] wo Iphigenie als Priesterin der Artemis gedient haben soll, kann die Iphigenie-Überlieferung in den Kontext eines Initiationsritus gerückt werden.[35] Hierzu passt, dass auch Iphigenie ihrem Vater gegenüber einwilligt, geopfert zu werden (Iph. in Aul., 1369ff.). Sie stimmt dem Übergang in eine neue Identität zu, die sie von der Mehrheit der Altersgenossinnen unterscheiden wird, und akzeptiert das Weiterleben in der Erinnerung ihres Volkes (Iph. in Aul. 1399).
Ein ganz anderer motivlicher Zugang zum Problem der Namenlosigkeit findet sich in der Kore-Tradition.[36] Die Göttin Kore, Tochter der Demeter und des Zeus, später Persephone genannt, ist vor der Entführung durch Hades in den meisten Überlieferungstraditionen namenlos.[37] Sie wird einfach Kore, das „Mädchen”, genannt. Sie erinnert so an die kulturgeschichtliche häufig zu beobachtende Tatsache, dass Mädchen vor der Initiation bzw. Defloration[38] nicht als Individuum wahrgenommen wurden, was sich in der Namenlosigkeit widerspiegelt. Der Namenswechsel, der ja eigentlich eine erste Benennung darstellt, erfolgt erst, nachdem Hades sie mit Zeus’ Zustimmung zu sich in das Totenreich genommen und entjungfert hat.[39] So kann noch Euripides in Helena, 1307 in Anspielung auf Persephone von arretos kore, dem namenlosen Mädchen, sprechen.[40]
In Analogie zu den griechischen Belegen ließe sich auch die Namenlosigkeit der Tochter Jiftachs zweifach deuten. Zum einen war angesichts der Tatsache ihres Einzelkinddaseins weder ein Missverständnis noch eine Verwechslung der Person möglich (vgl. Meschas Opferung des ebenfalls namenlosen Erstgeborenen in 2 Könige 3,27). Zum anderen war aufgrund ihres jugendlichen Alters die Festlegung ihrer Person durch einen Namen sozialgeschichtlich noch gar nicht erforderlich. Nach antiker Anschauung war sie noch ein Kind, wenn sie auch in ihren Reaktionen erstaunlich reif erscheint. Die große Nähe einzelner Erzählzüge in Ri 11 zur sehr divergent überlieferten griechischen Iphigenietradition könnte ein weiterer Grund sein, sie unbenannt belassen zu haben. Erwägenswert ist, dass das literarische Vorbild der Iphigenie, unter welchem Namen es in Palästina auch bekannt gewesen sein mag, kulturelles Allgemeingut war. So könnte die Namenlosigkeit in der biblischen Erzählung auf die Vielgestaltigkeit der griechischen Ursprungstradition verweisen, die man nicht eigens zitierte, sondern einfach als bekannt voraussetzte und als Erzählstoff neu verwertete.[41]
2.2. Die Beziehung von Kinderopfer oder -weihe und biologischem Geschlecht
Die Weihe eines Menschen für JHWH infolge eines Gelübdes begegnet an verschiedenen Stellen im Alten Testament. In Numeri 6,2ff. (Nasiräer-Regel[42]) und in Leviticus 27,2-8 (Auslösetarife[43]) erscheint es in Form einer Selbstverpflichtung, in der Geburtserzählung Samuels als Weihe des Kindes durch die Mutter im Falle der Erhörung ihres Kinderwunsches (1 Samuel 1,11). Die Nasiräerregel und die Liste der Auslösungstarife erwähnen Männer wie Frauen als mögliche Weihegaben oder Opfer im Zuge eines Gelübdes.[44] Es ist immer wieder vorgeschlagen worden, auch in der Jiftacherzählung nicht von einem Kinderopfer auszugehen, sondern von einer Weihung. Karen Engelken schlägt vor, in der Wendung wehayah laYHWH wehâʿalytihû ʿolah das maskuline Suffix als Glosse zu streichen und in Analogie zu Psalm 66,13-15 von zwei unterschiedlichen Handlungen auszugehen: der Weihung der Person für JHWH gefolgt von einem regulären Brandopfer.[45] Der Vorzug dieser Deutung liegt darin, dass das Beharren der Erzählung auf das Thema der Jungfräulichkeit (betulim) des Mädchens und der abschließend erwähnte Brauch, der sich um das Mädchen etabliert, kein totes Motiv bleiben, sondern – vergleichbar mit dem Artemiskult in Brauron im Rahmen der Iphigenietradition – sich als ein weiblicher Initiationsritus erweisen.[46] Die tiefe Bestürzung des Vaters darüber, dass seine Tochter aus dem Haus tritt, könnte damit erklärt werden, dass der Vater mit diesem einzigen Kind die Hoffnung auf Nachfahren und somit auf den Fortbestand seiner Linie betrauert. Die Metapher, dass die Tochter ihre Jugendlichkeit beweint, verstünde sich daraus, dass mit der Weihe an einen Tempel nicht nur ihre Kindheit und der Bruch mit dem Vaterhaus besiegelt ist, sondern sie im Vollzug der Weihehandlung ihre Jungfräulichkeit verliert. Ihre Rückkehr zum Vater und die Akzeptanz ihres Schicksals wird in dem viertägigen Brauch festlich begangen. In die gleiche Sinnrichtung könnte das nur ein weiteres Mal belegte Verb tnh II pi verweisen, das an dieser Stelle oft mit „beklagen“ übersetzt ist, in der anderen Belegstelle Ri 5,11 aber eindeutig positiv konnotiert ist und „besingen“[47] meint. Erst die LXX (= Septuaginta) fügt hier die eindeutige Bedeutung des Beklagens ein. Zuletzt gibt auch die generalisierende Rede von den Töchtern Israels einen weiteren Hinweis auf einen Initiationsritus.[48]
2.3. Ri 11,39f als Hinweis auf einen Jungfrauenritus im alten Israel
Die Erzählung mündet in einer – übrigens anhand biblischer oder rabbinischer Textbelege – nicht weiter identifizierbaren Festätiologie.[49]
Es handelt sich somit um einen historisch nicht zu verortenden Brauch in Erinnerung an ein geopfertes (oder geweihtes?) Mädchen. Das Fest hat mit Jugend, verlorener Jugend und Jungfernschaft zu tun. So liegt es nahe, an einen rite de passage zu denken.
Mieke Bal hat die verschiedenen Stadien des Frauwerdens bis zur Geburt des ersten Kindes anhand der Begriffe naʿarah, betulah und ʿalmah zu klären versucht, da man an ihnen den Übergang vom Mädchen zur heiratsfähigen und dann jung verheirateten Frau nachzeichnen kann. Die Termini beschreiben nicht nur verschiedene Lebensstadien, sondern zugleich auch den gesellschaftlichen Einschnitt, den der Übergang von betulah zu ʿalmah auszeichnet: Während das unverheiratete Mädchen dem Vater untersteht, obliegt die jung verheiratete Frau rechtlich ihrem Ehemann. Die gefährdetste Zeit ist das Zwischenstadium der betulah, denn in ihr ist das Mädchen gebärfähig, aber noch nicht verheiratet, untersteht zwar noch dem Vater, hält aber nach einem Mann (und somit einem neuen Herrn) Ausschau. Auf sie folgt die Lebensphase der ʿalmah, in der die Frau ihre Gebärfähigkeit unter Beweis stellen muss, um daraufhin erst ihre gesellschaftliche Rolle als vollwertige Frau zu erhalten. Das Motiv der Jungfräulichkeit im eigentlichen Sinne wird in der Erzählung in V. 39b explizit ergänzt.[50]
Nun ist ein solcher Ritus einmalig im Alten Testament. Andere Feste und Bräuche gedenken JHWHs selbst (Ri 21,19ff), eines Heilsereignisses in der Geschichte Israels (z.B. Passa) oder der an den Ernteablauf gebundenen Feste (Schavuot). Die Exegeten und Exegetinnen sind wiederum auf außerbiblische und nicht-israelitische Parallelen verwiesen.[51] Auffällig ist, dass Tochter und Freundinnen nicht zu einem Heiligtum, sondern in die Berge ziehen, eine Beobachtung, die Renate Jost dazu führt, den Vorgang an das Nasiräertum (Numeri 6,2) und nicht an einen Tempeldienst rückbinden zu wollen, wobei die Nasiräerin als Eigentum Gottes nicht gleichzeitig einem Mann angehören bzw. unterstehen kann, was den Zusatz des Zölibats, der nicht in der Nasiräerregel vermerkt ist, hier erklären könnte.[52]
Die einschlägigsten Parallelen für einen Übergangsritus stammen wiederum aus dem griechischen Kulturkreis. Jan Bremmer nennt in seiner Studie[53] eine Reihe von Orten, an denen weibliche Initiation in der archaischen Zeit wohl ausschließlich für Mädchen der Oberschicht erfolgte, die durch die Trennung von den Familien, gemeinsamen Tanz, körperliche Übung und Sorge um die Schönheit geprägt waren. Auch Sexualität ist thematisiert, aber in Form der Einübung lesbischer Beziehungen, deren renommiertestes Zeugnis in den Texten Sapphos vorliegen dürfte. Der Historiker Kratos (4. Jh.)[54] bezeugt einen Beschluss der Polis, dass alle Mädchen eine tanzende (verkleidete) Bärin in Brauron sein mussten und auch Nichtadelige anfingen, auf der Akropolis in Athen Statuen ihrer Töchter (Koren) zu weihen.[55]
Um dieses Heiligtum in Brauron soll es hier wegen des expliziten Iphigeniebezugs besonders gehen. Das 37 km von Athen entfernte, an der Ostküste Attikas liegende Artemisheiligtum[56] wurde im 6./5. Jh. v. Chr. mit einem Tempel versehen. Es befand sich in unmittelbarer Nähe zu einer Quelle. In dieser hat man zahlreiche Votivgaben versenkt, die eindeutig von Frauen stammen und in die Zeit zwischen 700-480 v. Chr. datiert werden. Ein zweites Heiligtum befand sich auf der Akropolis in Athen. Die seit 416 v. Chr. geführten Schatzverzeichnisse lassen vermuten, dass dem Kult in der Polis hohe Bedeutung zukam. Auf ihn spielt literarisch Aristophanes, Lysistrate an, insbesondere auf die Bärin an den Brauronia, die in den Scholien zum Drama, Q 33,[57] dahingehend gedeutet wird, dass Bärin an den Brauronia zu sein soviel bedeutet wie eine Bärin nachzuahmen und im Dienst der Artemis von Brauron zu stehen.[58] Was sich im Zuge des Festes, das alle fünf Jahre stattfand, vollzog, und ob es alle heiratsfähigen Mädchen Athens betraf oder lediglich eine Auswahl, ist unklar. Auch der Vollzug ist ein Mysterium und unsicher überliefert.[59] Aristophanes begründet den Tanz der „Bärinnen“ als eine mythische Ersatzhandlung: der Dienst der Mädchen sei Sühne, um den Zorn der Artemis zu besänftigen, nachdem die Athener die heilige Bärin der Artemis getötet hatten, woraufhin diese die Polis mit Hungersnot und Krankheit strafte.
Für Walter Burkert steht ein Zusammenhang zwischen Mythos und Ritual fest, ohne dass der Mythos eindeutig zu bestimmen wäre. Lediglich die Iphigenietradition weist auf ihn hin, indem sie die Themen des „Gotteszorns“ und „Ersatzopfers“ (für die von Agamemnon erjagte Artemis-Rehkuh) einführt und als erzählerischen Ausgangspunkt der Tragödie nimmt. „Dabei muß überhaupt auffallen, dass derselbe Mythos auf Initiation ebenso gut wie auf Opfer verweisen kann, auf natürliches Reifen oder aber auf unnatürliche Gewalttat“[60] – mit diesem Fazit führt auch Burkert an dieser Stelle über zu dem analogen Ablauf in Ri 11. Denn der Brauch, der hier darin besteht, dass die Mädchen im Gedenken an Jiftachs Tochter wie sie damals – wenn auch auf vier Tage beschränkt – in die Berge ziehen und ihre Jugendlichkeit beweinen, trägt seines Erachtens deutlichen Initiationscharakter: „Die Mädchen verlassen ihre Familie, verbringen Tage in einer fremden und wilden, vielleicht auf idyllischen Umgebung, sie spielen ihre Instrumente, tanzen und klagen. Der Mythos erklärt und widerspiegelt das Ritual mit einer Opfer-Geschichte. Die mythische Heroine [...] erscheint als extremes Gegenbild zu dem, was Mädchen gewöhnlich erleben werden.“[61] Er betont die Ambivalenz, die dem Persephone-Kore-Thema, der Iphigenie-Tradition und der Geschichte von Jiftachs Tochter gemeinsam ist. Sie besteht darin, dass „die an sich optimistische, ‚natürliche’ Sequenz, die von der einsetzenden Reife zu Hochzeit und Geburt führt [...] einen Weg zum Opfer“ nimmt. Dass der Tod keinesfalls symbolisch gemeint sein kann, sondern real zu denken ist, ersieht Burkert daraus, dass die Gewänder, die man der Artemis in Brauron darbrachte, von realen jungen Frauen stammten, die im Kindbett gestorben waren. Hier schließt sich der thematische Kreis wieder.[62] Die frühzeitig verstorbene und als Artemispriesterin dienende Iphigenie war dazu ausersehen, die Gefahren abzuwehren, die die Geister von im ersten Wochenbett verstorbenen Frauen über die Polis zu bringen vermochten.[63] Burkert charakterisiert diese Mädchentragödie als „eine kulturelle Schöpfung, die sich bemüht, die Stufen natürlicher Entwicklung nachzuvollziehen mit jener sprachlichen Bewusstheit, die der Erzählung eignet.“ Er schließt: „Solche Erzählungen konnten aber auch die Kluft zwischen den Geschlechtern überspannen und eine gemeinsame Phantasie- und Gefühlswelt aufbauen; ist doch beiden Geschlechtern die Basis des Lebens letztlich gemeinsam.“[64]
3. Jiftachs Tochter und ihr literarischer Ursprung
Die Erzählung in Ri 11 kennzeichnet ein unpolemischer und resignativer Ton. Schließlich befand sich Jiftach in seiner Funktion als Richter in Abhängigkeit und Not. Aus der kollektiven Not Israels wurde Jiftachs persönliche Not. Doch in keinem Satz vermerkt der Text, dass Jiftach sich dieser Not und der damit verbundenen Aufgabe hätte entziehen können oder dürfen. Er ist dargestellt als ein Mann, der seine Pflicht getan und sich als Richter den Aufgaben gestellt hat bis zum Selbstverzicht in der Hingabe seiner Tochter. Meines Erachtens läuft die Erzählung darauf hinaus, dass Jiftach gar nicht anders handeln konnte. Sie schildert ein Dilemma: während der Richter ein Gelübde ablegt, um die Not des ihm anvertrauten Volkes erfolgreich zu wenden, erlebt der Vater den Erfolg und, daran anschließend, die folgerichtige Erfüllung als persönlichen Schicksalsschlag. Und dieses Paradoxon von Erfolg und Grauen, dem der Protagonist sich nicht zu entziehen vermag, kennzeichnet auch die griechischen Tragödien. [65]
Schon Thomas Römer vertrat die These, dass die Gelübde- und Opfererzählung[66] – angesichts des ansonsten polemischen Umgangs mit dem Thema Kinderopfer – für nach-deuteronomistisch zu halten ist.[67] Die große Nähe des Texts zu Genesis 22, einem Text, der spätestens seit Timo Veijola ebenfalls zu den großen theologischen Texten der nachexilischen Zeit gezählt wird,[68] verleitet jedoch dazu, beide Texte in eine Relation der mise en abyme, eines Spiegels im Spiegel zueinander, zu rücken und ungefähr in dieselbe Zeit zu datieren.
Traditionsgeschichtlich scheint mir dieser post-deuteronomistische Einschub mit den griechischen Vorbildern aufs Engste verwandt zu sein. Er entstammt diesem kulturellen Kontext vielleicht sogar unmittelbar,[69] ohne dass es möglich wäre, den genauen Überlieferungsweg aufzuzeigen. Theologisch relevant ist der Stoff aufgrund seiner tragischen Züge. Denn diese bringen den Aufweis, wie schwierig feste rituelle Formen und aus der Realität entsprungene Zwänge miteinander zu koordinieren sind, ohne unheilvoll zu werden. Traditionsgeschichtlich gesprochen scheint es aber wenig überzeugend, mit Thomas Römer[70] die Festätiologie von dem Gelübde abzutrennen, da das Motivensemble von der Initiation eines Mädchens, dem Gelübde des Vaters und der Opferung der Tochter im Kriegsfall bereits in der griechischen Literatur seit dem 7. Jh. v. Chr. belegt ist.[71] Seit dem 5. Jh. (Euripides) ist der Plot Iphigenie zugewiesen, ebenfalls seit dem 5. Jh. ist ein Iphigenie-Kult nachweisbar, in dem diese als Priesterin der Artemis oder gar als mit ihr identifiziert[72] verehrt ist.
Weiter oben wurde bereits auf das im mehrjährigen Turnus stattfindende Bärenritual, einen Initiationsritus für athenische Mädchen, hingewiesen. Am Artemisheiligtum vollzogen, ist es auf den Iphigeniestoff übertragen worden[73] und von Euripides in Iphigenie in Tauris zumindest als Anspielung erwähnt: In dieser Version wird Iphigenie im Anschluss an die Substitution durch eine Hirschkuh (V. 26ff.) zur Priesterin der Artemis und das Gedenken an ihre substituierte Opferung in einem Ritus begangen:
„Du Iphigenie, werde Priesterin (der Göttin Artemis) an Braurons Felsenstieg. An deinem Grabe wird manches schöne Kleid dir dargebracht aus der verstorbnen Wöchnerinnen Gut” (1462-1465).[74]
Sie bleibt somit anders als in der älteren Fassung, Iph. in Aul., vom Opfertod verschont und ist der Göttin zu Lebzeiten geweiht.
Beide Textvarianten des Euripides zeigen eine große Anzahl gemeinsamer Motive mit Ri 11 auf:[75] Iph. bei den Taurern setzt ein mit dem Bericht eines Gelübdes durch Agamemnon in militärischer Notlage (18f.), in dessen Folge dieser gezwungen ist, auf die Forderungen der Artemis einzugehen und das Gelübde, seine Tochter zu opfern, einzulösen.
Weitere Parallelen bestehen mit Iph. in Aul.: Nicht nur läuft die Tochter ihrem Vater entgegen, um ihn zu begrüßen (und dann die Nachricht von der bevorstehenden Heirat und damit implizit verbunden, die der Opferung, zu erhalten; 631-632; vgl. Ri 11,34). Auch verfällt der Vater angesichts des expliziten bzw. im biblischen Text impliziten Gottesurteils in eine Depression (Ri 11,35; Iph. in Aul., 536) und wird erst von der Tochter, die indes ihr Schicksal heroisch hinzunehmen scheint, zum Gehorsam gemahnt (Ri 11,36; Iph. in Aul., 1375-1376 und 1551f.). Auf beide Opferhandlungen folgt ein Kult des Erinnerns (Iph. in Aul. 1398f. und 1490f.; Ri 11,40), der nach Iph. bei den Taurern, 1462-65 zudem mit dem Mädchenkult von Brauron identifiziert wird.
Unabhängig davon, ob man die Version 1 oder 2 der Euripidesdichtung zur Grundlage für den Vergleich mit Ri 11 nimmt, also das Weiterleben von Iphigenie als Priesterin voraussetzt oder aber nach dem vollzogenen Opfer ihre Existenz in Unsterblichkeit unter den Göttern vertritt, ist den Versionen gemeinsam, dass die Tochter für den Vater in jedem Fall verloren ist und dass die Trennung von ihm zum Zeitpunkt des Opfers längst vollzogen ist. Anders als Isaak in Genesis 22, der gerettet wird, um in der genealogischen Folge verbleiben zu können und seinen Zweck, das Volk Gottes mitzubegründen, erfüllt, sind Iphigenie und die Tochter des Jiftach der Genealogie enthoben und einer höheren Bestimmung zugeführt. Diese höhere Bestimmung könnte in Ri 11,37 in der Wendung „herabsteigen in die Berge“ bereits angedeutet sein.[76] In der Opferung ist sie heilig gemacht, eine Etymologie, die z.B. dem lateinischen Verb für opfern „sacrificare“ (frz. „sacrifier“) zugrunde liegt. Jiftachs Tochter wird dem menschlichen Bereich entzogen, um in die göttliche Sphäre überzugehen. Und dieses Schicksal – um den Preis der ewigen Jugendlichkeit (betulim) – nimmt sie ohne Klagen an.
[1] So Wolfgang Richter, Die Überlieferungen um Jephtah. Ri 10,17-12,6, Biblica 47 (1966) 485-556, bes. 503; Thomas Römer, Why would the Deuteronomist tell us?, Journal of Biblical Literature 77 (1998) 27-38, bes. 28f., welche für einen Einsatz der Opfererzählung in V.30 plädieren, während V. 29.33 zum Kriegsbericht gehören, und 39b.40 eine weitere, sekundäre Ergänzung (so Römer) darstellen; kritisch zur literarkritischen Zuweisung Heinz-Dieter Neef, Jephta und seine Tochter (Jdc 11,29-40), Vetus Testamentum 49 (1999) 206-217, bes. 211 (mit Hinweis auf die Petucha im Masoretischen Text). Zur umfassenden Kritik an dem redaktionsgeschichtlichen Zusammenschluss von V. 29.32bf., vgl. Rüdiger Bartelmus, Jephta – Anmerkungen eines Exegeten zu G.F. Händels musikalisch-theologischer Deutung einer ‚entlegenen’ alttestamentlichen Tradition, Theologische Zeitschrift 51 (1995) 106-127, bes. 115ff.
[2] An dieser Stelle setzt übrigens auch die jüdische Lesung ein. Vgl. Alexandra Rottzoll/Dirk Rottzoll, Die Erzählung von Jiftach und seiner Tochter (Jdc 11,30-40) in der mittelalterlich-jüdischen und historisch-kritischen Bibelexegese, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 115 (2003) 210-230; Phyllis Silverman Kramer, Jephtah’s Daughter: A thematic approach to the narrative as seen in selected rabbinic exegesis and in artwork, in: Athalya Brenner, A Feminist Companion to Judges, Second Series (Feminist Companion to the Bible 4), Sheffield 1999, 67-92; Shulamit Valler, The story of Jephtah’s Daughter in the Midrash, in: Athalya Brenner, A Feminist Companion to Judges, 48-66.
[3] So z.B. Phyllis Trible, Texts of Terror. Literary-Feminist Readings of Biblical Narratives, Fortress 1984, 102ff.; Mieke Bal, Death & Dissymmetrie. The Politics of Coherence in the Book of Judges, Chicago/London 1988, 43ff. und J. Cheryl Exum, On Judges 11, in: Athalya Brenner, A Feminist Companion to Judges (Feminist Companion to the Bible 4), Sheffield 1993, 131-144, bes. 139, die ihre Ansicht aber revidiert (J. Cheryl Exum, Was sagt das Richterbuch den Frauen? [Stuttgarter Bibelstudien 169], Stuttgart 1997, 41f.). Kritisch auch Renate Jost, Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament 164), Stuttgart u.a. 2006, 191-193.
[4] Die schwerverständliche Qatalform (vgl. auch Ri 3,10; 6,34; 14,6.19; 15,14) ist von der LXX in anderer Vokalisierung als ʿebaer „auf der anderen Seite“ gelesen worden. Ich bewahre den Masoretischen Text als lectio difficilior bei.
[5] Ergänzt durch Vulgata; vgl. Josephus, Antiquitates V § 263.
[6] Die Präposition min + Suffix masculinum Singular ist problematisch. Deshalb vereinheitlichen LXX, Syriaca und Targum in ein Suffix feminum.
[7] Diese Wendung weist Thomas Römer, La fille de Jephté entre Jérusalem et Athènes. Réflexions à partir d’une triple intertextualité en Juges 11, in: Daniel Marguerat, Adrian Curtis (éditeurs), Intertextualités. La Bible en échos (Le Monde de la Bible 40), Genève 2000, 30-42, 41 als festen Ausdruck der Theophaniesprache aus (vgl. Exodus 19,18.20). S. unten Anm. 76.
[8] Die Wörterbücher vermerken neben der allgemeineren Bedeutung „Jugendlichkeit“ auch die Spezialbedeutung der Jungfräulichkeit im Rechtskontext. Clemens Locher, Die Ehre einer Frau in Israel. Exegetische und rechtsvergleichende Studien zu Deuteronomium 22,13-21 (Orbis biblicus et orientalis 70), Fribourg/Göttingen1986, 186f. plädiert an dieser Stelle für die Spezialbedeutung, während Peggy L. Day, From the child is born the woman. Story of Jephtah’s Daughter, in: dies., Gender and Difference in Ancient Israel, Minneapolis 1989, 58-74, 59f. wegen des Beisatzes in V.39 (vgl. Genesis 24,16, Leviticus 21,3; Numeri 31,18; Ri 21,12) von der allgemeineren Altersbezeichnung „Jugendlichkeit/Pubertät“ ausgeht, zumal die Feststellung der Jungfräulichkeit noch eigens folgt; vgl. zuletzt auch Jost, Gender, 186ff. s. oben 2.2..
[9] Einige Manuskripte haben den mißverständlichen maskulinen Plural in ein Femininum umpunktiert.
[10] Von Racine bis zu Lion Feuchtwanger finden sich eine Reihe von Adaptationen. Händel hat dem Stoff ein Oratorium gewidmet – dazu Bartelmus, Jephta.
[11] Vgl. in diesem Kontext ausführlicher zuletzt Rottzoll/Rottzoll, Erzählung.
[12] Vgl. Tony W. Cartledge, Vows in the Hebrew Bible and the Ancient Near East (Journal for the Study of the Old Testament Supplement Series 147), Sheffield 1992, 175 mit Anm. 1 unter Hinweis auf Andrew D.H. Mayes, Judges, Sheffield 1985, 18f. Vgl. auch Römer, La fille, 35.
[13] Vgl. Lilian R. Klein, The Triumph of Irony in the Book of Judges (Journal for the Study of the Old Testament Supplement Series 68/14), Sheffield 1989, 86f.
[14] In diesem Sinne die ausführliche Analyse der Sprechakte in Ri 11 durch Kenneth M. Craig Jr., Bargaining in Tov (Judges 11,4-11), Biblica 79 (1998) 77-85; J. Cheryl Exum, The Tragic Vision and Biblical Narrative: The Case of Jephtah, in: dies., Signs and Wonders: Biblical Texts in Literary Focus, Leiden 1989, 59-83; vgl. zuletzt auch wieder André Wénin, A quoi Jephté sacriefie-t-il sa fille?, in: Daniel Marguerat (éditeur), Quand la bible se raconte (Lire la Bible), Paris 2003, 85-103, der Jephta als ein Symbol fortschreitender Dekadenz im Richterbuch beschreibt, zumal er nach der Rettung Israels mit dem Gemetzel noch fortfährt, indem er erst seine Tochter und dann 42.000 Ephraimiten tötet.
[15] Zu Einzelheiten vgl. Michaela Bauks, ‚Sakrale Sprache’ und ‚Heilige Worte’. Die Erzählung von Jephtas Tochter (Ri 11,29-40) ein ‚text of terror’?, Annali di Studi Religiosi 6 (2005) 417-428. S. zuletzt auch Jost, Gender, 190f. zur Zuordnung der Position in die älteren und neueren feministischen Debatten.
[16] Klein, Triumph, 87: „He assumes no power, not even in battle; he understands that Yahweh, not man, determines whether battles are won or lost. [...] Jephthah seeks compliance with Yahweh’s will.“ Aber als vaterloser, d.h. im JHWH-Glauben nicht instruierter Mensch habe er einen Negativzug: „basic ignorance of his belief and of his people[...]. Jephthah ist not only untutored in his belief but does not recognize his own blindness He does not know that he does not know“ (89f.).
[17] „If Jephthah suffered for the sins of his parents, how much more shall this child bear because of the machinations of her father. Unfaithfullness reaches into the third generation to bring forth a despicable fruit“; so lautet etwas moralistisch die Schlussfolgerung von Trible, Texts, 100.
[18] André Caquot/Philippe de Robert, Les livres de Samuel (Commentaire de’l Ancien Testament), Genève 1994, 149; Römer, La fille, 33f. Die ein Negativbild von Jephta entwerfenden Untersuchungen basieren auf Beoachtungen von rhetorischen Stilmitteln wie Ironie und Auslassung in der Erzählung (vgl. Craig et al.; s.o. Anm. 14).
[19] Vgl. Bauks, Sakrale Sprache, 423f. mit weiterer Literatur.
[20] Die Unterstellung, dass sie von dem Gelübde bereits wußte und, um den Vater herauszufordern, ihm als erste entgegenging, scheint mir weit über den Horizont des Textes hinaus interpretiert (so Wénin, À quoi, 97).
[21] So Bauks, Heilige Worte, 427f. und zuletzt auch Jost, Gender, 190ff.
[22] Trible, Texts, 106.
[23] Dem hingegen sieht Trible V. 39d als zynisch an: „In a dramatic way this sentence alters, though it does not eliminate, the finality of Jephtha’s faithless vow. The alteration comes through the faithfullness of the women of Israel“ (vgl. V. 40); dies., Texts, 106.
[24] Wénin, À quoi, 98 interpretiert die Redefigur als Anspielung auf das Faktum, dass für sie der Bergaufstieg mit dem Abstieg in das Totenreich gleichbedeutend ist.
[25] Römer, La fille, 41; s. oben Anm. 7.
[26] Vgl. dazu Gerstein, die trotz des eindeutigen Vorranges Jephtas im Erzählgeschehen die charakterliche Stärke des Opfers unterstreicht (A Ritual Processed: A Look at Judges 11.40, in: Mieke Bal [ed.], Anti-Covenant: Counter Readings Women’s Lives in the Hebrew Bible [Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series 81 = Bible and Literature Series, 22], Sheffield 1989, 175-193, 181).
[27] Seit der Untersuchung von Hannelis Schulte, Beobachtungen zum Problem der Zônâh im Alten Testament, Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 104 (1992) 255-262, ist vielfach unterstrichen worden, dass die Übersetzung durch „Hure, Dirne“ die Sachlage verfälscht, da der Terminus lediglich die von einem Mann unabhängige Frau – so selten diese Lebensform in antiken Kulturen auch belegt ist – bezeichnen kann; vgl. dazu zuletzt, Jost, Gender, 184f.
[28] David Marcus, Jephthah and his vow, Texas 1986.
[29] Marcus, Jephthah, xxx; vgl. Bartelmus, Jephta, 116f.; die Position findet sich bereits bei dem mittelalterlichen Gelehrten David Kimchi (ca. 1105-1170) u.a.; dazu ausführlicher Rottzoll/Rottzoll, Erzählung, 213ff. Siehe unten die Position von Karen Engelken, Frauen im alten Israel. Eine begriffsgeschichtliche und sozialrechtliche Studie zur Stellung der Frau im Alten Testament (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament 130), Stuttgart u.a. 1990.
[30] So z.B. Marcus, Jephthah, 50f.; Engelken, Frauen, 33-35. Eine Zusammenstellung der Diskussion findet sich bei Jost, Gender, 198-202.
[31] On Judges 11, 139. Zu dieser Auslegung scheint auch Pseudo-Philos Namensgebung zu passen, wenn dieser sie (vgl. die Volksetymologie des Samuelnamens in 1 Samuel 1,20) Shaila „die sich bitten lässt“ nennt (Ant. Bib. XL,1); vgl. Bauks, Sakrale Sprache, 419.
[32] Vgl. Exum, On Judges 11, 143; wenn auch Gerstein richtig zeigt, dass auf der Erzählebene Jiftach weitaus aktiver zu sein scheint (A Ritual, 181ff.).
[33] Namen sind zum Beispiel: Iphianissa (Lucretius, de rerum natura 1,85), Iphigone (Euripides, Electra 1023), Iphimede (Hesiod cat. fr. 23,17-26). Vgl. dazu Jan Bremmer, Sacrificing a child in Ancient Greece. The case of Iphigeneia, in: Ed Noort, Eibert J.C. Tigchelaar, The sacrifice of Isaac. The Aqedah (Genesis 22) and its Interpretations (Themes in Biblical Narrative 4), Leiden u.a. 2002, 21-43, bes. 21-35 und Day, From the child, 60ff.
[34] Von einer Art Gedenkritus an die nicht vollzogene Opferung Iphigenies in Brauron, wo sie als Priesterin dient, ist in Iph. in Taur. 1461ff. die Rede.
[35] Bremmer, Sacrificing, 36ff. und Katharina Waldner, Kulträume von Frauen in Athen: Das Beispiel der Artemis Brauronia’, in: Thomas Späth / Beate Wagner Hasel (Hg.), Frauenwelten in der Antike, Stuttgart und Weimar 2000, 53-81 und Day, From the child, 64ff.
[36] Homer, Hymnus der Demeter, 1ff. „I begin to sing of rich-haired Demeter, awful goddess – of her and her trim-ankled daughter whom Aidoneus rapt away, given to him by all-seeing Zeus the loud-thunderer. / Apart from Demeter, lady of the golden sword and glorious fruits, she ... was playing with the deep-bosomed daughters of Oceanus and gathering flowers over a soft meadow …“ (Übersetzung von H.G. Evelyn-White, Hesiod. The Homeric Hymns and Homerica [Loeb Classic Library], London 1982, 289), zu dem rituellen Blumenpflücken als einer typischen Beschäftigung heiratsfähiger Mädchen, vgl. Bruce Lincoln, The Rape of Persephone: A Greek Scenario of Women’s Initiation, Harvard Theological Review 72 (1979) 223-235, bes. 224f.
[37] Vgl. dazu Lincoln, Rape, 228f.; Day, From the child, 62ff. mit Anm. 43.
[38] Homer, Demeter Hymn, Z. 343f.: „She was sitting in bed with Hades, her bedmate,/ Much against her will, and yearning for her mother“ (Übersetzung Lincoln, Rape, 228).
[39] Vgl. Homer, Demeter Hymnus, 337 und dazu Lincoln, Rape, 223.229 mit Verweis auf Henri Jeanmaire, Couroi et Courètes, Lille 1939, 269-279 bezüglich der Lesart als Initiationsritus.
[40] „Vom Gebirge mit eilendem Fuß / Lief einst die Mutter der Götter / Hinab zu den waldigen Tälern, / Zu den Fluten der Ströme, / Zur donnernden Brandung des Meers, / Die entschwundene Tochter zu suchen, / Die keiner benannt hat.“ (Euripides, Helena, in: ders., Ausgewählte Tragödien, übersetzt von Ernst Buschor, hg. von Bernhard Zimmermann [Tusculum], Darmstadt 1996, 483. Weitere Beispiele bei Lincoln, Rape, 230ff.
[41] Vgl. dazu Römer, La fille, 40ff. und Albert de Pury, Le canon de l’Ancien Testament. Ecritures juives, littérature grecque et identité européenne, in: Protestantisme et construction européenne. Actes du colloque des Facultés de théologie protestante des pays latins d’Europe, Bruxelles 1991, 25-46, bes. 37-39 zum Phänomen der Intertextualität griechischer und biblischer Texte im Allgemeinen.
[42] Vgl. Martin Noth, Das vierte Buch Mose. Numeri (Das Alte Testament Deutsch 7), Göttingen 1982, 48ff.
[43] Vgl. Erhard Gerstenberger, Das dritte Buch Mose. Leviticus (Das Alte Testament Deutsch 6); Göttingen 1993, 400ff.
[44] Vgl. hierzu auch Engelken, Frauen, 32f.
[45] So schon die rabbinische Tradition des Ben Kimchi, s. dazu Rottzoll/Rottzoll, Jiftach, 213.
[46] Verschiedene Modelle der Ableitung dieses Ritus bietet Jost, Gender, 199-201.
[47] Ludwig Köhler, Walter Baumgartner, Johann Jakob Stamm: Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 3. Aufl. Leiden u.a. 1990, Band IV, 1620
[48] Vgl. Engelken, Frauen, 33ff.
[49] Vgl. dazu Richter, Überlieferungen, 514 Anm. 2. Anders zuletzt Renate Egger-Wenzel, Jiftachs Tochter (Ri 11,29-40) – die Töchter von Schilo (Ri 21,19-25). Ursprung und Ausführung einer kultischen Feier durch Frauen, Biblische Notizen 129 (2006) 5-15, bes. 8ff., die aus semantischen und inhaltlichen Parallelen heraus in dem JHWH-Fest in Schilo (Ri 21,19-23) einen mit Ri 11,38ff. eng verwandten Brauch vermutet.
[50] Bal, Death, 48; Day, From the child, 59; Jost, Gender, 186-188 mit weiteren Textbelegen.
[51] Vgl. Day, From the child, 60; Jost, Gender, 199ff.
[52] Jost, Gender, 200f.
[53] Vgl. Jan N. Bremmer, Götter, Mythen und Heiligtümer im antiken Griechenland, Darmstadt 1996, 78f. mit weiteren Ausführungen.
[54] Fragmente der griechischen Historiker (= FgrHist) 342 F 9.
[55] Vgl. Brenner, Götter, 80.
[56] Für die archäologische Zuordnung s. Waldner, Kulträume, 61.
[57] Übersetzung von Waldner, nach: Scholia in Aristophanem Pars II,4: Scholia in Vespas, Pacem, Aves et Lysistratam, Fasc. IV, continens Scholia in Aristophanis Lysistratam, edidit Johan Hangard, Groningen 1996.
[58] Vgl. dazu ausführlich Waldner, Kulträume, 64.
[59] Hinzuweisen ist auf ikonographische Befunde auf einigen, allerdings schlecht erhaltenen Keramikgefäßen; vgl. dazu Lily Kahil, Autour de l’Artémis Antique, Antike Kunst 8 (1965) 20-33, bes. 24; vgl. zur Auswertung der Befunde Waldner, Kulträume, 65-68.
[60] Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998, 96.
[61] Burkert, Kulte, 97.
[62] Burkert, Kulte, 99f. Er betont übrigens, dass sich solche Tragödien keineswegs ausschließlich auf Mädchen und Frauen beziehen, sondern sich ähnliche Traditionen auch für Jünglinge auffinden lassen (ritualisierte Homosexualität, Kaineus-Mythos u.a.).
[63] Dazu Waldner, Kulträume, 74ff.
[64] Burkert, Kulte, 100.
[65] Vgl. dazu ausführlicher Bauks, Heilige Worte, 427f.
[66] Für Richter ist die gesamte Passage ab der zweiten Rede der Tochter (V. 37-40) sekundär und der Jiftachtradition ursprünglich fremd (Überlieferungen, 504.554; noch detailierter Römer, Why would the Deuteronomists tell?, 28-30; s.u. Anm. 69).
[67] Was nicht bedeuten muss, dass die Erzählung an sich nicht alt sein kann, so Uwe Becker, Richterzeit und Königtum: Redaktionsgeschichtliche Studien zum Richterbuch (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 19), Berlin / New York 1992, 221; anders denkt Römer, La fille, 31f., dass wegen der großen Nähe der Eidesformel zu Num 21,2; Jos 2,19a mit einer späten Textfassung zu rechnen ist. Schon Richter vertrat unter Annahme einer frühen Datierung, dass beide Berichte aus der gleichen Zeit stammen (Genesis 22 E; Ri 11,30f.34-40 Paralleltradition) wobei der Richtertext, wenn auch anders „eine zu Gen 22 analoge Tendenz der Eindämmung des Menschenopfers“ anstrebt (Überlieferungen, 516). Eine frühere Datierung befürwortet zuletzt auch Jost, Gender, 203, die für eine exilische, königskritische Lesart eintritt.
[68] Timo Veijola. Das Opfer des Abraham – Paradigma des Glaubens aus dem postexilischen Zeitalter, Zeitschrift für Theologie und Kirche 85 (1988) 129-164.
[69] Thomas Römer vermutet, dass der eigentliche Bericht des Opfers in Ri 11 deshalb so gerafft sein konnte, weil das Ereignis hinlänglich bekannt war, was die These der post-deuteronomistische Datierung ebenfalls stützte (La fille, 36f. unter Hinweis auf A. Graeme Auld, Joshua, Judges and Ruth [The Daily Study Bible], Edinburgh/Philadelphia 1984, 200).
[70] Diese halten die den Eid betreffenden Verse (V.30f.34-40) für einen Einschub in den ursprünglichen Kriegsbericht (11,29.[32].33; 12,1-6), von dem der Folgetext auch nicht weiter handelt. Die Festätiologie (V.39b-40) hält Römer für einen noch jüngeren sekundären Einschub (Why, 28-30).
[71] Vgl. Cypria des Stasinos (650 v. Chr.) und dazu Bremmer, Sacrificing, 22.
[72] Hesychius zitiert bei Bremmer, Sacrificing, 41.
[73] Vgl. dazu Bremmer, Sacrificing, 36ff., bes. 37f. zu den Details des Kultablaufs: Die Athener töten einen weiblichen Bären; Artemis erzürnt; sie fordert, dass athenische Mädchen den Bären spielen; Instauration des Mysteriums, eines Bärenrituals. Gewissermaßen ist in diesem Plot die Rehkuh, die Iphigenie im Mythos auslöst, gegen einen Bären ausgetauscht. Vgl. Bremmer, Götter, 87ff.
[74] David Kovacs in Loeb Library übersetzt den griechischen Text treffender: „When you die, you will lie buried here, and they will dedicate for you delight the finely woven garments which women who die in childbirth leave behind in their houses”; vgl. Bremmer, Götter, 40. S. auch Iph. bei den Taurern, 783-787: Im Dialog mit Orest und Pylades trägt sie dem Bruder auf: „Sag: ‘eine Hirschkuh schob die Göttin ein, Ihr Blut vergoß der Vater in dem Wahn, Sein spitzes Schwert durchstoße meinen Hals. Mich selbst hat sie in dieses Land gebracht.’ – Das ist’s was in der Schrift verzeichnet steht”; zitiert nach: Euripides, Iphigenie im Taurerlande, in: Ausgewählte Tragödien Bd. II, übersetzt von Ernst Buschor, hg. von Bernhard Zimmermann (Tusculum), Darmstadt 1996, 567 und 613.
[75] Vgl. hierzu auch Römer, La fille, 36-39.
[76] Römer, La fille, 41 vgl. Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament II, 900f. (ohne Hinzuziehung dieser Stelle); Septuaginta übersetzt durch katabaino, einem Verb, das im Neuen Testament in den johanneischen Texten des öfteren das Kommen Christi vom Himmel beschreibt, so in Johannes 3,16; 6,33 u.ö. (Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament I, 520).
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Michaela Bauks,
1995 Promotion an der Universität Heidelberg mit einer Schrift zum Thema: Die Welt am Anfang. Traditionsgeschichtliche Untersuchung von Vorweltschilderungen in der ägyptischen, assyriologischen und alttestamentlichen Literatur (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 74), Neukirchen-Vluyn 1997. Frisch promoviert erhielt sie einen Ruf auf die Professur für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule in Montpellier (Frankreich), wo sie 10 Jahre lang bis 2005 lehrte. 2004 Habilitation an der Universität Strasbourg mit einer wiederum traditionsgeschichtlichen Arbeit mit dem Titel: Die Feinde des Psalmisten und die Freunde Ijobs. Untersuchungen zur Freund-Klage im AT am Beispiel von Psalm 22 (Stuttgarter Bibelstudien 203; Stuttgart 2004). Seit dem Wintersemester 2005 ist sie Professorin für Bibelwissenschaft (Schwerpunkt Altes Testament) an der Universität Koblenz. Zusammen mit Klaus Koenen (Köln) gibt sie das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (Bereich: Altes Testament) heraus (www.wibilex.de).