© Ilse Müllner, 2005, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317
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02-2005
Ilse Müllner Dialogische Autorität. Feministisch-theologische Überlegungen zur kanonischen Schriftauslegung.
Abstract:
The canonical approach can be seen as a challenge for feminist theology. This paper tries to find a positive way of looking at the canon in concentrating on the space within the canonical boundaries as a dialogic and polyphonic room. In laying emphasis on the link between text and community the canonical approach cannot suspend the issue of power concerning both text and community.
Die kanonische Schriftauslegung lenkt die Aufmerksamkeit der AuslegerInnen auf textuelle Zusammenhänge, die der historischen Kritik oft aus dem Blick geraten waren. Sie setzt den Kanon als privilegierten Intertext voraus und betont die Beziehung zwischen Kanon und jeweiliger Gemeinschaft.
Für feministische Exegetinnen wirft dieser Ansatz auf neue und vielleicht zugespitzte Weise altbekannte Themen wieder auf: die Fragen nach Autorität des biblischen Texts, nach der theologischen Relevanz außerbiblischer Artefakte, nach dem Ort der Kritik, nach dem Zusammenhang von Bibel und Gemeinschaft etc. Die Machtfrage bündelt diese Themen wie in einem Brennglas. Dabei geht es um die Macht in Texten, die Macht von Texten und die Macht, die von Gemeinschaften durch Texte ausgeübt wird. Was das relevante Textkorpus betrifft, geht es auch um die Macht der Grenzziehung zwischen innerhalb und außerhalb.
Mir scheint die Position der feministischen Exegetin als Teil einer Tradition, der gegenüber sie sich gleichzeitig kritisch verhält, eine besonders verletzliche zu sein. Mit den folgenden Überlegungen hoffe ich, einen Diskussionsbeitrag zu leisten.
1. Kanon und kanonische Auslegung
Noch vor einigen Jahren galt das Paradigma der historischen Kritik in der Theologie als Garant für die Wissenschaftlichkeit im Umgang mit den biblischen Schriften. Die Auslegung richtet sich vor allem auf den „Autorsinn“ eines Texts. Methodisch bringt diese Ausrichtung eine Konzentration auf die Textarchäologie mit ihren immer kleiner werdenden Einheiten mit sich. Demgegenüber findet der textuelle Kontext einzelner Abschnitte kaum Beachtung.
Da der Kanon in der historischen Kritik als ein dem Text nachträgliches Konstrukt gilt, wurde seine Erforschung dem Bereich der Kirchengeschichte und der Dogmatik zugeschlagen, der Exeget, die Exegetin habe damit nichts zu tun.[1]
Eine Infragestellung dieser Sicht auf den Kanon lässt sich sporadisch immer wieder in der Exegese des 20. Jahrhunderts beobachten. Zu einer breiteren Strömung, die sich hermeneutisch, methodologisch und methodisch entwickelt, wurde der canonical approach erst seit den ausgehenden 80er und beginnenden 90er Jahren.[2] Die kanonische Auslegung ist ein bibelwissenschaftlicher Ansatz, der den literaturtheoretischen Aspekt des Kanons wahr und ernst nimmt. Der Kanon gilt als literarisches Phänomen, dessen Architektur sich als sinnvoller Zusammenhang beschreiben lässt. Der Weg führt weg von der Fixierung auf den Einzeltext in seinem Entstehungsprozess und hin zum synchron wahrnehmbaren Netz intertextueller kanonischer Bezüge. Dabei ist Auslegung dem Prinzip des Kanons inhärent. Während heilige Texte die Rezitation erfordern, stehen kanonische Texte für ihre Auslegbarkeit.
„Der heilige Text verlangt keine Deutung, sondern rituell geschützte Rezitation unter sorgfältiger Beobachtung der Vorschriften hinsichtlich Ort, Zeit, Reinheit usw. Ein kanonischer Text dagegen verkörpert die normativen und formativen Werte einer Gemeinschaft, die ‚Wahrheit’. Diese Texte wollen beherzigt, befolgt und in gelebte Wirklichkeit umgesetzt werden. Dafür bedarf es aber weniger der Rezitation als der Deutung.“[3]
Kanonische Texte müssen nicht nur sinngemäß bewahrt werden. Auch die mit der Buchstabentreue verbundene Sprachtreue kann zum Kanonprinzip gehören und wird in der jüdischen und muslimischen Tradition höher gehalten als in der christlichen. Während in der christlichen Praxis die Übersetzung ebenfalls als Bibel gilt, weil ihr eine Treue zum Urtext zugeschrieben wird, ist eine jüdische Bibel in jedem Fall hebräisch (und aramäisch), der Koran arabisch. Über die Bewahrung der Texte hinaus gilt es aber, die Plausibilitätsstrukturen kanonischer Texte mit zu überliefern, was nicht ohne Auslegung denkbar ist.
Kanonische Exegese reflektiert also auch die sinnkonstituierenden Prozesse, die sich in der Beziehung von Text, kanonischem Kontext und auslegender Gemeinschaft ereignen. Da die kanonischen Schriften Gruppenidentität begründen, „ergibt sich die Notwendigkeit eines von der Rezeptionsgemeinschaft akzeptierten Verfahrens der Sinnbegrenzung und Sinneröffnung. Damit aber ist, neben der vermeintlichen Eindeutigkeit des Textes, eine weitere Prämisse historisch-kritischer Exegese tangiert: die Ablösung der Auslegung von der Rezeptionsgemeinschaft.“[4] Kanonische Schriftauslegung ist dabei allerdings weder a-historisch noch frönt sie einer – als Gespenst immer gerne beschworenen postmodernen – Beliebigkeit.[5] Auch wenn die intertextuelle Analyse einen zentralen Ansatz für die Erforschung der kanonischen Zusammenhänge bildet, so ist doch nicht von einem weiten Intertextualitätsbegriff auszugehen, der einen universellen Intertext propagiert.[6] Kanonisch-intertextuelle Lektüre arbeitet mit einem privilegierten Set von Texten – dem Kanon. Mit der Orientierung am Kanon ist ein erster Akt der Sinnbegrenzung gegeben.[7]
„Kanonische Texte sind gegenüber einer radikal dekonstruktivistischen Interpretation insofern gefeit, als sie in einem doppelt abgegrenzten Kontext überliefert sind, dem literarischen (sprachlichen) Kontext des Kanons und dem lebensweltlichen (kulturellen) Kontext der Rezeptions- und Interpretationsgemeinschaft.“[8]
Die exegetische Arbeit kann und muss sich auf den ersten von Schwienhorst-Schönberger benannten Bezugsrahmen konzentrieren – ihre primäre Aufgabe ist die Erforschung der literarischen Bezüge im sprachlichen Kontext des Einzeltexts. Diese Bezüge ermöglichen den lesenden Gemeinschaften jeweils Aktualisierungen der Sinnpotenziale, die biblische Texte transportieren. Die Bibel als Gesamt fungiert dabei als Hypertext. „Als Hyptertext befähigt die Bibel die Rezipierenden zu einem interaktiven Aufbau von Textensembles in nicht-linearer multi-sequenzieller Form, nicht anders, als es bereits im Entstehungsprozess der Bibel geschehen ist.“[9] Die vielzitierte Rede vom Früher und Später in der Tora, das es für die jüdische Auslegung gerade nicht gibt, findet im Hypertextkonzept eine Analogie.
Der zweite Kontext bzw. die Vielfalt der lebensweltlichen Kontexte muss allerdings auch Berücksichtigung finden, will die rezeptionsästhetisch orientierte Bibelwissenschaft nicht die Frage nach konkreten RezipientInnen zu Gunsten der ModellleserInnen ganz ausblenden. So hat Norbert Lohfink bereits 1995 die der Bibel als Kanon entsprechende Fragestellung benannt als „Erschließung des synchronen Textsinns der in gesellschaftlichen Gruppen wie den christliche Kirchen als Bibel akzeptierten kanonischen Schriften in ihrem festliegenden Text.“[10]
Für feministische Schriftauslegung stellt sich die Frage nach dem Kanon auch als Machtfrage. Sie wirft die Frage nach der in Texten dargestellten Macht ebenso auf wie die Frage nach Macht, die mit Hilfe von Texten in gesellschaftlichen und kirchlichen Zusammenhängen ausgeübt wird. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass bereits in den Anfängen feministischen Umgangs mit biblischen Texten Anfragen an die kanonische Autorität biblischer Texte formuliert wurden.
2. Infragestellung der kanonischen Autorität
„… I do not believe that any man ever saw or talked with God, I do not believe that God inspired the Mosaic code, or told the historians what they say he did about woman …“[11]
1895 beschrieb Elisabeth Cady Stanton die hermeneutische Vorgabe der von ihr und anderen Frauen, die sich für die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter einsetzten, herausgegebenen Woman’s Bible: „Kein Mann hat Gott je gesehen oder mit ihm gesprochen.“ Die Konsequenz aus dieser Einsicht war eine radikale Infragestellung des autoritativen Charakters der biblischen Schriften in Bezug auf Stellung und Rollen von Frauen.
Mit dieser Distanzierung von der Schrift als Autorität befindet sich die Woman’s Bible in guter Gesellschaft. Etwa zur selben Zeit, 1897, schrieb William Wrede „Über Aufgabe und Methode der sogenannten neutestamentlichen Theologie“:
„Der Satz: ‚eine Schrift ist kanonisch’ bedeutet zunächst nur: sie ist nachträglich von den maßgebenden Faktoren der Kirche des 2. bis 4. Jahrhunderts – vielleicht erst nach allerlei Schwankungen im Urteil – für kanonisch erklärt worden. Wer also den Begriff des Kanons als feststehend betrachtet, unterwirft sich damit der Autorität von Bischöfen und Theologen jener Jahrhunderte.“[12]
Sowohl der/die inspirierte AutorIn als auch der/die inspirierte KanonisiererIn (merkwürdig, dass es dafür keinen Begriff gibt) stehen seitdem unter vielfältiger (historischer) Kritik.
Der canonical approach wird von manchen als Rückfall vor die historische Kritik beurteilt. Freundlicher betrachtet ermöglicht er einen neuen Blick auf die alte Frage nach der Sonderstellung der kanonischen Schriften und vielleicht einen Brückenschlag zwischen theologischer und historischer Auslegung.
3. Überschreiten der Kanongrenzen – wohin?
Auf dem weiten Feld der vom kanonischen Ansatz aufgeworfenen hermeneutischen Fragen werde ich mich im Folgenden auf einen Aspekt konzentrieren. Thematisiert werden die Relevanz und die Autorität biblischer Texte. Dazu ist im ersten Schritt der Bereich näher zu bestimmen, für den diese Frage überhaupt virulent wird. Denn nicht immer, wenn es um biblische Texte geht, steht auch die Bibel als kanonischer Text im Mittelpunkt.
Im feministischen Kontext wurde die Frage nach der Überschreitung der Kanongrenzen laut, als die ersten „Kompendien feministischer Auslegung“ erschienen. Etwa zur Hundertjahrfeier der Woman’s Bible brachte Elisabeth Schüssler Fiorenza ihr zweibändiges Werk Searching the Scriptures heraus. Dass die Schriften des Ersten Testaments deshalb nicht kommentiert werden, weil die jüdische Mitherausgeberin nach einer ursprünglichen Zusage nicht mitgearbeitet habe, ist merkwürdig. Noch merkwürdiger ist allerdings die von der Herausgeberin gegebene Begründung, die mit einer scheinbar pragmatischen Entscheidung theologisch höchst fragwürdige Positionen transportiert:
„Because of limitation of space and resources, it includes neither the books of the Hebrew Bible nor the canon of the rabbis. Rather, it focuses on the reigning canon of Christian Scriptures, the so-called New Testament, but is not limited to this works.” [13]
Die beiden Teile des christlichen Kanons werden hier mit unterschiedlichem Maß gemessen. Das Neue Testament erscheint als das eigentlich christliche; die Hebräische Bibel wird in der Zusammenstellung mit „the canon of the rabbis“ dem Judentum zugeordnet. Diese Position gehört zu den Ausläufern eines uralten Markionismus. Sie ist weder historisch noch theologisch haltbar. Historisch hat es einen christlichen Kanon des Neuen Testaments ohne die jüdischen Schriften – das später so genannte Alte Testament – nie gegeben. Theologisch ist diese Gewichtung nicht zu verantworten, da sie weder die Einheit der beiden Testamente noch die kanonisch vorgegebene Leserichtung ernst nimmt.
Im Kontext dieses Kompendiums diskutiert die Herausgeberin auch die Frage der Kanongrenzen, womit sie de facto die neutestamentlichen meint. Das Vorwort zum zweiten Band ist überschrieben mit „Transgressing Canonical Boundaries“. Ziel der Überschreitung ist es, apokryphe Schriften, die ansonsten nur einem theologischen Fachpublikum vertraut wären, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen „to expand our historical-critical imagination and religious-communal vision.“[14]
Ähnlich argumentiert Beate Wehn:
„Eine Gegenposition [zu den Pastoralbriefen und den Haustafeln], wie die Thekla-Erzählung sie als Möglichkeit alternativer Lebensformen und Gemeindestrukturen für Frauen im frühen Christentum entwirft, kommt nicht in den Blick, wenn die patriarchalen und von machtpolitischen Interessen geleiteten Selektionsprinzipien der Aten Kirche unreflektiert übernommen werden und das Forschungsinteresse an den Kanongrenzen endet.“[15]
Zu Recht weist die Autorin auf zweierlei hin:
- Im Prozess von Kanonisierung und Kanonschließung geht es um Selektion
- Diese Selektion hat etwas mit Macht zu tun und geschieht in einem patriarchalen System
Wenn das Forschungsinteresse jedoch primär historisch ist, dann ist die Infragestellung der Kanongrenzen eigentlich selbstverständlich. Zur Rekonstruktion der frühchristlichen Frauengeschichte müssen die Kanongrenzen überschritten werden, da historische Rekonstruktion immer auf die Fülle der Quellen angewiesen ist, die ihr zur Verfügung steht. Wenn die Rekonstruktion von Geschichte das Ziel der exegetischen Arbeit ist, die Exegetin sich also primär als Historikerin versteht, dann ist ein Ausschluss von Quellenmaterial aus dogmatischen Gründen absurd. Kein/e vernünftige/r HistorikerIn verzichtet auf die Analyse bestimmter Quellen aus ideologischen Gründen.
Was aber, wenn es nicht um historische Rekonstruktion geht, sondern um theologische und ethische Orientierung für gegenwärtige lesende Gemeinschaften? Wenn nicht die Frage nach dem Damals im Zentrum steht, sondern die nach dem Heute? Wie leben die höchst pluralen Gemeinschaften, die sich auf die christliche Bibel in ihren zwei Teilen berufen, in je ihrer Gegenwart mit diesen Texten? Welche praktische Priorität kommt diesen Schriften gegenüber anderen Texten zu? Wie steht es etwa um die liturgische Funktion von biblischen Texten? Diese Differenzierungen sind bereits in den Anfängen feministischer Exegese wahrgenommen und beschrieben worden. Sie sind etwa in Elisabeth Schüssler Fiorenzas „Vier-Schritt“ als „Hermeneutik der Verkündigung“ und „Hermeneutik der kreativen Aktualisierung/Ritualisierung“ im Unterschied zur „Hermeneutik des Verdachts“ und zur „Hermeneutik der Erinnerung“ repräsentiert.[16]
In unserem Kontext nehmen wir wahr, dass etwa im Rahmen von Kasualien häufig die liturgische Präsenz biblischer Texte zurückgesetzt wird zu Gunsten von Schriften, zu denen die Feiernden eine innigere Beziehung haben als zu noch so aussagekräftigen biblischen Texten. Unter dem Titel „Moses, Jesus und der kleine Prinz“ reflektiert Joachim Kügler dieses Phänomen und nimmt zwei Konzepte von Heiligkeit wahr, die sich in gegenwärtiger kirchlicher Praxis aussprechen. Ein kanonisches Konzept von Heiligkeit legt ein Set von Texten als gemeinschaftsbestimmend fest. Im Rahmen subjektgeleiteter Religiosität erfahren dieses Konzept und seine Inhalte aber nicht nur Zustimmung. „Kinder unserer Zeit wollen und müssen selbst definieren, was ihnen heilig ist, was ihrem Leben Sinn gibt, was die Wahrheit ist, mit der sie leben und dann auch sterben können.“[17] Ein zweites, personales Konzept von Heiligkeit lässt das Leben sagen, was heilig ist.
Zusammenfassend ist es die Frage nach der Bedeutung der biblischen Texte für die Gemeinschaften und ihre Mitglieder, die das Thema der Kanongrenzen theologisch virulent macht. In diesem Horizont erhalten viele religionsgeschichtliche Forschungsergebnisse neue Relevanz. Wie steht es um die aktuelle religiöse Orientierungsfunktion von Schriften, die zeitnah zu den biblischen Texten entstanden sind? Warum sollte es nur um schriftkonstituierte Texte gehen? Müssen wir nicht auch andere Artefakte jener Gemeinschaften berücksichtigen, in deren Tradition stehend wir uns als ChristInnen begreifen? Da kommen Bilder in den Blick, Darstellungen von männlichen und weiblichen Gottheiten, rekonstruierbare Frömmigkeiten, die nicht dem entsprechen, was innerbiblisch als angemessener JHWH-Glaube beschrieben wird. Die religionsgeschichtliche Forschung der letzten zwanzig Jahre hat gezeigt, dass wir von den biblischen Texten nur ausgesprochen kritisch und vorsichtig, nur unter Heranziehung allen zur Verfügung stehenden Materials auf die religiösen Praktiken des alten Israel schließen dürfen. Vergleichbares gilt für das entstehende Christentum. Soziale und religiöse Praktiken, die in den neutestamentlichen Texten als angemessen dargestellt werden, entsprechen nur zum Teil frühchristlichem Handeln.
Mit Blick auf die Grenzen des Kanons müssen zwei Bereiche analysiert werden:
- außerhalb der Kanongrenzen und
- innerhalb der Kanongrenzen
Ohne nähere Analyse des Raums innerhalb der Kanongrenzen lässt sich meines Erachtens kaum sinnvoll über das Außen debattieren. In Bezug auf das Außen schließen sich noch viele Fragen an, die den Umfang dieser Ausführungen sprengen. Sie seien hier nur angedeutet:
1. Auch außerhalb der Kanongrenzen existieren Texte, die „gut und nützlich zu lesen sind“ (so lautet das bekannte Dictum Martin Luthers zu den Apokryphen). Sie können sogar das Leben der Gemeinschaft maßgeblich prägen, wie etwa die zum Teil in den griechischen Makkabäerbüchern, zum Teil im Talmud erzählten Ereignisse, die das jüdische Chanukkahfest begeht – im TaNaK wird kein Bezug auf diese Ereignisse genommen. Andererseits gibt es kanonische Texte, die auch in ihrer jeweiligen Gemeinschaft verwurzelten Menschen kaum bekannt sind. Wie steht es um das Verhältnis von Kanonizität und lebensweltlicher Relevanz?
2. Das Außen und das Innen sind für die christlichen Gemeinschaften unterschiedlich. Zwar ist ein Kernbestand undiskutiert festgeschrieben – über die Tora am Anfang der jüdischen wie auch der christlichen Bibel ist nicht zu debattieren, ebenso wenig wie über die Evangelien des Neuen Testaments. Hat aber etwa das Buch Judit für katholische ChristInnen theologisch eine andere Bedeutung als für evangelische?
3. Außerhalb der Kanongrenzen finden sich Texte und andere Zeugnisse religiöser Praktiken, die aber auch explizit von Texten im Kanon abgelehnt werden. In welches Verhältnis setzen sich ChristInnen der Gegenwart zu diesen Formen? Von der Zweiggöttin bis zu den Theklaakten – welche theologische Relevanz haben nichtkanonisierte (oder sogar in kanonischen Texten abgelehnte) Diskurse der Gemeinschaften, in deren Nachfolge sich christliche Gemeinden verstehen?
In diesem Beitrag gilt das Hauptaugenmerk dem weiten Feld innerhalb der Kanongrenzen. Dabei stellt sich zunächst die Frage nach dem Verhältnis von Einzeltext und Kanon.
4. Prozesse der Kanonisierung
Historisch gehen Autorschaft, Redaktionstätigkeit und Kanonisierungsprozesse oft Hand in Hand. Die Kanondebatte der letzten Jahre hat neben anderen wichtigen Einsichten auch die Erkenntnis mit sich gebracht, „dass der Redaktionsprozess koextensiv zum Kanonprozess ist. […] Die Bindung an die jüdische bzw. christliche Glaubensgemeinschaft tritt nicht nachträglich zur Bibel als Heiliger Schrift hinzu (etwa erst mit einem synodalen Kanonentscheid), die biblischen Schriften werden nicht erst zum Kanon, sondern sie entstehen als Kanon.“[18]
Damit findet nicht nur das Verfassen der Schriften, sondern auch die Redaktion, Kanonisierung und Interpretation im Rahmen patriarchaler Ordnungen und androzentrischer Symbolwelten statt. Die TrägerInnengruppen wählen bestimmte Äußerungen von in Israel praktizierter Religiosität aus, werten andere Formen ab und grenzen diese als für den JHWH-Glauben Israels illegitime Randerscheinungen aus. Das Deuteronomium und später die Tora stehen an der Wiege des Kanons, lange noch bevor im 4. Jhdt. n.u.Z. der Begriff auf eine Sammlung von Schriften angewendet wurde.
Von daher ergibt sich die Frage, inwieweit es hermeneutisch legitim ist, zwischen Autortätigkeit und Kanonisierungstätigkeit zu unterscheiden. Der Kanon ist nicht erst das, was bei der Kanonschließung fixiert wird. Der Kanonisierungsprozess ist als zum Kanon gehörig historisch und theologisch ernst zu nehmen. Er beginnt lange vor der Definition des Umfangs der für die jeweilige Gemeinschaft gültigen Büchersammlung und endet nicht mit diesem Augenblick, sondern ereignet „sich bis in die Gegenwart bei der Kommentierung und Auslegung.“[19] Martin Buber hat schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts formuliert: „Die Kompositionsarbeit war bereits ‚biblisch’, ehe die erste Vorstellung einer bibelartigen Struktur erwachte“.[20]
Auf dieser Basis kann auch die Bibelwissenschaft als solche zur Erforschung des Kanons (nicht nur einzelner kanonischer Texte) beitragen. Es ist eine exegetische Aufgabe herauszuarbeiten, welcher Begriff von Kanon sich aus den Schriften selbst ableiten lässt. Schon in den biblischen Schriften zeigen sich Tradierungs-, Fortschreibungs-, Kommentierungs- und Kanonisierungsprozesse. Nicht nur die in biblischen Texten kommunizierten Inhalte, sondern auch die sich in ihnen abzeichnenden Strukturen sind Maßstab für christliche Theologie.
Wir sind da sehr nahe an einer Verschränkung von Schrift und Tradition. AutorInnen, RedaktorInnen und KanonisiererInnen sind wohl gemäß dem Konzilsdokument Dei Verbum 11 als „echte Verfasser“(Innen) zu bezeichnen. Die Schrift ist in Entstehung, Sammlung und Auslegung an konkrete Personen und damit an historisch gewachsene Gemeinschaften gebunden (Israel und Kirche). Damit stellt sich der gender-bewussten kanonischen Exegese wiederum eine vertraute Frage, nämlich die nach der Macht des Wortes.
5. Kanon und Zensur
„Die Zensoren sind die ‚Grenzposten’ der Überlieferung.“[21]
In jedem Kanonisierungsprozess spielt Zensur eine Rolle, jeder Kanonisierungsprozess ist in doppeltem Sinn ein Ausschließungsprozess:
- Er schließt manche Texte und – sofern der Kanon schriftkonstituiert ist[22] – alle anderen kulturellen Artefakte aus.
- Er schließt – durch die Begrenzung der privilegierten intertextuellen Bezüge – mögliche Bedeutungen der kanonischen Texte aus
Begrenzungsprozesse haben immer etwas mit gesellschaftlicher Macht zu tun. Im Formulieren der Frage nach der Macht der Darstellung ist feministische Exegese geübt. Sie hat in den letzten Jahren gelernt, die Stimmen zu analysieren, die die biblischen Texte zu hören geben. Und jene Stimmen, die sie nicht zu hören geben. Die von Mieke Bal formulierten drei Fragen an erzählende Texte weisen in die Richtung eines Instrumentariums, das am Einzeltext erprobt ist, nun aber an den Kanon in seiner Gesamtheit zu richten sein wird:
- Wer spricht (nicht)? Wem wird der Zugang zur Sprache verwehrt?
- Wer schaut (nicht)? Wem wird der eigene Blick nicht zugestanden
- Wer handelt (nicht)? Wem wird die Handlungsfähigkeit genommen?[23]
Diese simplen Fragen der Erzähltextanalyse sind entlarvend, wenn es um Machtausübung geht.
Auch die Betonung der kanoninternen Vielstimmigkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Stimmen gibt, denen die Repräsentation im Kanon verwehrt ist. Um diesen Strömungen und Gruppen näher zu kommen, bedarf es der religionsgeschichtlichen Analyse. Sie fördert Göttinnenfigurinen zu Tage, Segensformeln, in denen „JHWH und seine Aschera“ genannt sind, Gemeinden, die sich auf Thekla beriefen etc. Die Ergebnisse der religionsgeschichtlichen Analyse sind aber noch keine theologische Antwort. Theologische Antworten müssen von den Gemeinschaften im Gespräch mit den kanonischen Texten und auch den Bedeutungsträgern außerhalb des Kanons erarbeitet werden.
6. Kanon, Gemeinschaft und Macht
„Bei der kanonisierten Wahrheit handelt es sich immer um eine Wahrheit-für-eine-Gruppe.“[24]
„Ohne Angabe einer bestimmten Bezugsgruppe kann nicht über den Kanon gesprochen werden.“[25]
Es macht keinen Sinn, über den Kanon als abstrakte Größe nachzudenken. Kanon gibt es nur im Verhältnis zu konkreten Gemeinschaften. Wenngleich wir über Prinzipien der Kanonbildung kulturvergleichend forschen und dabei im mimetischen Blick von außen manches über uns selbst gelernt haben, so zeigen sich doch immer wieder Spezifika, die in der Geschichte der Gemeinschaft mit ihrem jeweiligen Textkorpus begründet liegen. Wenn an der historischen Wiege der christlichen Kanonschließung die Funktionalisierung der Schriften „als Grundgesetz des sich entwickelnden Staatskirchentums“ und ihr Einsatz „als Waffe im Kampf gegen Ketzer und Juden“[26] gestanden hat, dann ist die machtförmig ausschließende und sogar lebensbedrohliche Realisierung dieses Verhältnisses von Text und Gemeinschaft ein schuldbeladener und schmerzlicher Teil des kanonischen Prozesses, den es zu reflektieren und als potenzielle Gefahr bewusst zu halten gilt. „Umso wichtiger ist es, den Sinn des Kanonbegriffs nicht als gegeben vorauszusetzen (und dann etwa exegetisch bestätigen oder widerlegen zu wollen), sondern allererst aus den biblischen Quellen zu erarbeiten.“[27]
Im Zuge der „kanonischen Wende“ in der Theologie ist uns vielleicht noch einmal deutlicher ins Bewusstsein geraten, dass die Bibel als Bibel Produkt dieser Gemeinschaften ist, in deren Tradition wir leben. Diesen Aspekt anzuerkennen kann aber nicht bedeuten, den kritischen Impuls, den die biblischen Schriften für die Gemeinschaft haben, wieder zurückzustellen. Auch wenn die Schriften gemeinschaftsabhängig entstanden, überliefert, kanonisiert und ausgelegt wurden und werden, bewahren sie den ihnen verbundenen Gemeinschaften gefährliche Erinnerungen. Kanonische Exegese ist kein Verfahren, das sich innerhalb des elfenbeinernen Turms bewerkstelligen lässt; sie ist Teil kirchen- und gesellschaftspolitischer Arbeit.
Sich mit dem Kanon als Kanon zu befassen, enthält auch immer ein affirmatives Moment. Markierte Grenzen werden zwar analysiert und bewertet, letztlich aber nicht mehr in Frage gestellt. Das unterscheidet den religiösen Kanonbegriff von anderen (etwa dem philosophischen oder literaturwissenschaftlichen). Wenn Philosophinnen ihren „Kanon“ kritisch sichten, dann stoßen sie – nicht anders als TheologInnen auch – auf ein komplexes System von Machtverhältnissen:
„Although I do not accept the position that the current canon has been formed exclusively by power relations, I do believe that this canon represents only a selective history of the tradition.”[28]
Ihre Konsequenz, nämlich dass die „kanonischen“ Texte – von Platon bis Wittgenstein – nicht nur aus feministischer Sicht zu reinterpretieren, sondern auch eine Dekonstruktion des Kanons zu leisten sei, wird so im Sprachspiel Theologie nicht einfach mitzutragen zu sein. Christliche Theologie sieht sich einem bestimmten Bestand von Texten stärker verpflichtet als anderen kulturellen Produkten. Das, was feministische Analyse im Umgang mit einzelnen Texten gelernt hat, nämlich die Machtfrage zu stellen, wird sie auch im Thematisieren der kanonischen Prozesse nicht aufgeben können. Das bedeutet aber auch, dass die Relationen der Macht, die die historischen und gegenwärtigen interpretierenden Gemeinschaften prägen, Gegenstand einer hermeneutisch verantworteten Schriftauslegung sein müssen. Dass feministische Auslegung gegenüber der Machtfrage in der Kirche nicht abstinent ist und sein kann, zeigt auch der letzte Absatz des Abschnitts über den feministischen Zugang zur Bibel des Dokuments der päpstlichen Bibelkommission über die Interpretation der Bibel in der Kirche (1993). Dieser letzte Abschnitt ruft den Frauen die jesuanische Lehre von der Macht als Dienst in Erinnerung und warnt davor, dass feministische Ansätze ihrerseits dem angeklagten Übel erliegen könnten. Diese Passage war mit einem Abstimmungsverhältnis von 11 zu 8 Stimmen (4 dagegen und 4 Enthaltungen) in das Dokument aufgenommen worden. Die Minorität in der Bibelkommission „hielt eine solche Kritik von Seiten von Männern für wenig angebracht“ (so heißt es in der Anmerkung zu diesem Abschnitt) und bestand darauf, dass dieses Abstimmungsverhältnis im Dokument selbst Erwähnung findet.
Feministische Schriftauslegung ist aber wie jede biblische Wissenschaft auch affirmativ gegenüber der Gemeinschaft und dem Kanon.
„Andererseits ist auf Seiten der Bibeltheologie [und das gilt auch für kanonische Schriftauslegung] – auch wenn man sich dessen oft nicht genügend bewusst ist – mit der Entscheidung für den Kanon als Basis der eigenen bibeltheologischen Arbeit schon längst eine Entscheidung für die selektive Sinnfestlegung der kanonschaffenden Interpretationsgemeinschaft gefallen.“[29]
Wenn Elisabeth Schüssler Fiorenza immer wieder die Bedeutung der „Frauenkirche“ oder der „ekklesia der Gleichgestellten“ betont, damit also ekklesiologische Kategorien in die exegetische Diskussion hineinnimmt, dann hat sie die Bindung von kanonischem Text und auslegender Gemeinschaft in ihr hermeneutisches Konzept integriert. Es wird vielfältige Formen dieser Integration geben, die ihrerseits das Verhältnis von Affirmation und kritischer Distanz immer wieder auszubalancieren haben. Ein Dispens von der Ekklesiologie wird jedenfalls von Seiten kanonischer Schriftauslegung nicht zu geben sein.
7. Dialogische Autorität
„Where does the locus for determining canonical authority truly lie – with the text, with the community or between the two?”[30]
„Closed Canon – Open Text“[31]. Mit dem Beharren auf dem geschlossenen Kanon ist – weder philosophisch hermeneutisch noch empirisch – die Festlegung auf eine Bedeutung verbunden. Das beginnt schon bei der Frage nach dem kanonischen Text. Zwar ist der Umfang der jeweiligen Kanones festgelegt. Anordnung[32] und Textform liegen aber historisch in unterschiedlichen Variationen vor. In der katholischen Tradition liegt keine klare Festlegung auf einen der Texte vor. Wenn die Konzilskonstitution Dei Verbum (22) den Vorrang des Urtexts bei der Übersetzung festschreibt, ist damit eher eine exegetische Aufgabe als eine definitive Festschreibung erfolgt.
„As more and more alternative texts become known, such as the majority biblical text of Qumran, the text of the Septuagint, the text of the Old latin, and so forth, the more the single authority of one biblical text can be put to the test.”[33]
Die Pluralität der Textversionen kann nicht einfach übergangen werden. Sie gibt Aufschluss über unterschiedliche Interessen, die in unterschiedlichen Gemeinden relevant waren und immer noch sind. Dass das Projekt einer von den großen Kirchen im deutschen Sprachraum (zumindest in Teilen) gemeinsam getragenen Bibelübersetzung dabei ist, verabschiedet zu werden, zeigt, dass die Verknüpfung von text- und übersetzungskritischen Fragen mit konkreten Gemeinschaften und ihren Machtstrukturen nicht zu vernachlässigen ist.
Aber nicht nur die Pluralität der Textversionen, sondern auch und gerade das Prinzip Kanon erfordert Interpretation und setzt diese in seiner Realisierung auch frei. Dabei sind vor allem zwei Beziehungskonstellationen für die Vielfalt der Interpretationen maßgeblich:
1. Der Text steht in immer neuen Beziehungen zu interpretierenden Gemeinschaften. Zwischen Text und Interpretationsgemeinschaften entsteht ein kontinuierlicher Dialog, in dessen Verlauf beide Seiten sich verändern.
2. Im Kanon finden Dialoge zwischen unterschiedlichen Texten statt. Darin eröffnen sich insofern immer neue Bedeutungspotentiale, als sich immer wieder neue Kontextualisierungen von Einzeltexten ereignen. Der Kanon gibt als privilegierter intertextueller Raum Strukturen der Rezeption vor, schreibt aber dennoch keine Einzelbedeutungen fest.
„Wenn Rezeption mehr ist als das Erheben einer fixierten, immanenten Textbedeutung, also eine Art Textarchäologie, sondern als Rekontextualisierung ein je neu zu vollziehender Vorgang, ist das Potential des Kanons genau hier festzumachen: Der Kanon stellt einen Spielraum von Kontextualisierungsmöglichkeiten bereit. Er leitet an zu einer kreativen Lektüre und erfordert diese, um das Potential auszuschöpfen.“[34]
Beide dialogischen Bewegungen sind spannungsreich. Der biblische Text kann als Partitur unterschiedlicher Stimmen gelesen werden, ohne dass eine einzelne Stimme dabei das Privileg der Deutungshoheit genießt. Was der russische Literaturtheoretiker Mikhail Bakhtin für die Romane Dostojewskis festgestellt hat, kann modifiziert auch für die biblischen Schriften ausgesagt werden (eine starke Modifikation gilt allein der Tatsache, dass es sich nicht um Autorenliteratur, schon gar nicht um das Werk eines Autors handelt[35]). Bakhtin spricht von der Dialogizität im Werk Dostojewskis als einer Qualität, die die unterschiedlichen Perspektiven, ihre Stimmen und Werte nicht zu Gunsten einer übergeordneten Erzählerstimme aufhebt. Dialogizität ist also zunächst ein intratextueller Begriff, der aber in die Intertextualitätsdiskussion eingeflossen ist.[36] Mit dem Begriff der Dialogizität ist also keine – falsch verstandenes – Harmonisierung, sondern sind gerade die Reibungspunkte zwischen Positionen und Wertungen benannt. Dialogische Texte sind solche, in denen nicht eine privilegierte Stimme die Kontrolle über die anderen hält, sondern freie Charaktere ihre Stimme entfalten können. Eine Konzeption Biblischer Theologie, die sich an diesem Konzept orientiert, wird die Theologie insgesamt prägen:
„Since polyphonic texts by their nature draw the reader into engagement with the content of their ideas, this way of reading the Bible might also lead to nonmonological forms of biblical theology that could provide a way around the impasse that frequently develops between biblical studies and theology.”[37]
Als Beispiel sei hier auf die Tora hingewiesen. In diesem Textkomplex sind so unterschiedliche theologische Konzepte miteinander in einen Zusammenhang gestellt, dass der/die LeserIn immer wieder in Widersprüche verwickelt wird. Werden diese nicht diachron aufgelöst, sondern als Hinweis auf spannungsreiche theologische und politische Verhältnisse ernst genommen, dann erweist sich allein dieser Textbereich als durchkomponierte Symphonie, die einige Dissonanzen verträgt. Wenn wir wiederum nicht nur die Inhalte, sondern auch die Strukturen als „kanonisch“, d.h. als inspirierend für gegenwärtige Lese- und Lebenszusammenhänge ernst nehmen, dann gelangen wir zur Erkenntnis, dass der positionelle Streit Teil des kanonischen Prinzips ist. Vielstimmigkeit ist dann nicht nur ein Prinzip der Schrift, sondern auch eine Lebensform der Kirchen, die sich von dieser Schrift inspirieren lassen.
[1] Vgl. die Position von Wolfgang Richter, Exegese als Literaturwissenschaft. Entwurf einer alttestamentlichen Literaturtheorie und Methodologie, Göttingen 1971, 40f, zit.n. Georg Steins, Der Bibelkanon als Denkmal und Text. Zu einigen methodologischen Aspekten kanonischer Schriftauslegung, in: Jean-Marie Auwers / Henk Jan de Jonge (Hg.), The Biblical Canons (Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium 163), Leuven 2003, S. 177–198, S. 179f.
[2] S. dazu z.B. Christoph Dohmen / Manfred Oeming, Biblischer Kanon, warum und wozu? Eine Kanontheologie (Quaestiones disputatae 137), Freiburg/Br. 1992.
[3] Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, S. 94f.
[4] Ludger Schwienhorst-Schönberger, Einheit statt Eindeutigkeit. Paradigmenwechsel in der Bibelwissenschaft?, in: Herder Korrespondenz 57 (2003), S. 412–417, S. 413f.
[5] Dass kanonisch-intertextuelle Lektüre auch zu klassisch historischen Fragen wie der nach der Datierung des Texts etwas beizutragen hat, zeigt eindrücklich Georg Steins, Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre (Herders biblische Studien 20), Freiburg/Br. 1999.
[6] Unter der Frage nach engem und weitem Begriff der Intertextualität diskutiert Katrin Brockmöller drei Ansätze aus den 90er Jahren, um anschließend ein eigenes Konzept vorzustellen (Ulrike Bail, Georg Steins und Birgit Trimpe). Katrin Brockmöller, „Eine Frau der Stärke – wer findet sie?“ Exegetische Analysen und intertextuelle Lektüren zu Spr 31,10–31 (Bonner biblische Beiträge 147), Bonn 2004, S. 17–54.
[7] Norbert Lohfink, Alttestamentliche Wissenschaft als Theologie? 44 Thesen, in: Frank-Lothar Hossfeld (Hg.), Wieviel Systematik erlaubt die Schrift? Auf der Suche nach einer gesamtbiblischen Theologie (Quaestiones disputatae 185), Freiburg/Br. 2001, S. 13–47, S. 21; Ludger Schwienhorst-Schönberger, Einheit (s. Anm. 4), S. 413.
[8] Ludger Schwienhorst-Schönberger, Einheit und Vielfalt. Gibt es eine sinnvolle Suche nach der Mitte des Alten Testaments?, in: Frank-Lothar Hossfeld (Hg.), Wieviel Systematik erlaubt die Schrift? Auf der Suche nach einer gesamtbiblischen Theologie (Quaestiones disputatae 185), Freiburg/Br. 2001, S. 48–87, S. 67.
[9] Georg Steins, Bibelkanon (s. Anm. 1), S. 189.
[10] Norbert Lohfink, Eine Bibel – zwei Testamente, in: Christoph Dohmen / Thomas Söding (Hg.), Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen biblischer Theologie, Paderborn 1995, S. 71–81, S. 79.
[11] Elizabeth Cady Stanton, Introduction, in: dies., The Woman’s Bible, Boston 1993 (1895), S. 7–13, S. 12.
[12] Zit.n. Thomas Söding, Der Kanon des Alten und Neuen Testaments. Zur Frage nach seinem theologischen Anspruch, in: Jean-Marie Auwers / Henk Jan de Jonge (Hg.), The Biblical Canons (Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium 163), Leuven 2003, S. XLVII–LXXXVIII, S. XLVIII.
[13] Elisabeth Schüssler Fiorenza, Searching the Scriptures. Bd. 2: A Feminist Commentary, New York 1994, S. 5.
[14] A.a.O., S. 5.
[15] Beate Wehn, Art.: Bibel / Kanon / Apokryphe Literatur / b) Neues Testament, in: Elisabeth Gössmann u.a. (Hg.), Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloh 22002, S. 69–72, S. 69f.
[16] S. dazu Elisabeth Schüssler Fiorenza, Brot statt Steine. Die Herausforderung einer feministischen Interpretation der Bibel, Freiburg/Schweiz 21988, S. 49–58 („Vier-Schritt“); dies., Entscheiden aus freier Wahl. Wir setzen unsere kritische Arbeit fort, in: Letty M. Russel (Hg.), Befreien wir das Wort. Feministische Bibelauslegung, München, 1989, S. 148–161, bes. S. 154–161 („Fünf-Schritt“).
[17] Joachim Kügler, Moses, Jesus und der kleine Prinz? Die Bibel als Heilige Schrift des Gottesvolkes, in: Bibel und Kirche 57 (2003), S. 188–192, S. 191.
[18] Georg Steins, Bibelkanon (s. Anm. 1), S. 180.185.
[19] Thomas Söding, Kanon (s. Anm. 12), S. LVIII.
[20] Zit.n. Georg Steins, Bibelkanon (s. Anm. 1), S. 183.
[21] Aleida Assmann / Jan Assmann (Hg.), Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, München 1987, S. 11.
[22] Das ist nicht selbstverständlich. Auch Bauwerke können kanonische Struktur haben. „Der Tempel ist nichts anderes als die dreidimensionale und monumentale Umsetzung eines Buchs, das alle Kennzeichen eines Kanons aufweist“. Jan Assmann, Gedächtnis (s. Anm. 2), S. 177.
[23] Mieke Bal / Fokkelien van Dijk Hemmes / Grietje van Ginneken, Und Sara lachte … Patriarchat und Widerstand in biblischen Geschichten, Münster 1988, S. 11f.
[24] Assmann, Gedächtnis (s. Anm. 2), S. 21.
[25] Georg Steins, Die Chronik als kanonisches Abschlußphänomen. Studien zur Entstehung und Theologie von 1 / 2 Chronik (Bonner biblische Beiträge 93), Weinheim 1995, S. 517.
[26] Thomas Söding, Kanon (s. Anm. 12), S. LIIf.
[27] A.a.O., S. 53.
[28] Nancy Tuana, Feminist Interpretations of Plato (Re-Reading the Canon), University Park, Pennsylvania 1994, S. X.
[29] Norbert Lohfink, Wissenschaft (s. Anm. 7), S. 30.
[30] Johannes Nissen, Scripture and Community in Dialogue. Hermeneutical Reflections on the Authority of the Bible, in: Jean-Marie Auwers / Henk Jan de Jonge (Hg.), The Biblical Canons (Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium 163), Leuven 2003, S. 651.
[31] A.a.O., S. 654.
[32] Peter Brandt, Endgestalten des Kanons. Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel (Bonner biblische Beiträge 131), Berlin 2001.
[33] Kristin de Troyer, „And They Did So“: Following Orders Given by Old Joshua, in: Caroline Vander Stichele / Todd Penner (Hg.), Her Master’s Tools? Feminist and Postcolonial Engagements of Historical-Critical Discourse (Society of Biblical Literature, Global Perspectives on Biblical Scholarship 9), Atlanta 2005, S. 145–157, S. 156.
[34] Georg Steins, Bindung Isaaks (Anm. 5), S. 26.
[35] “Whatever the Bible is, it is not that, unless one wants to claim that the Holy Spirit is the polyphonic author of the Bible in the same way that Dostoevsky is the polyphonic author of Karamazov, then one has to admit that Bakhtin’s categories must be used only in a heuristic way.” Carol Newsom, Bakhtin, the Bible, and Dialogical Truth, in: Journal of religion 76 (1996), S. 290–306, S. 297.
[36] S. z.B. Adele Becker, Mikhail Bakhtin and Biblical Scholarship. An Introduction, in: Journal of the American Oriental Society 122 (2002), S. 130–131; Carol Newsom, Bakhtin (s. Anm. 35); Georg Steins, Bindung Isaaks (Anm. 5), S. 68ff.
[37] Carol Newsom, Bakhtin (s. Anm. 35), S. 296.
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Prof. Dr. Ilse Müllner,
lehrt Altes Testament an der Universität Kassel. Veröffentlichungen unter www.ilsemuellner.at