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02-2002
Adele Reinhartz Die „Glückliche Heilige Familie“ in den Jesus-Filmen
Abstract:
As a mode of cultural expression, film provides a fertile ground for the hermeneutics of suspicion, for paying attention to the ways in which contemporary concerns and sensibilities shape exegesis, and for considering the cultural afterlife of biblical women and their menfolk. In this paper, I will look at the depictions of Jesus' family relationships in film. In doing so, I will concentrate primarily on the cinematic expansions of and additions to the canonical texts. Most of the family-related expansions in the Jesus films express a theme that we might call “The Happy Holy Family”, in which emphasis is placed on the love and harmony among Jesus, Mary and Joseph. I will argue that these additions serve two functions. One is to resolve the tensions inherent in the Gospel accounts. The second is to convey, indirectly and implicitly, the film-makers' christologies, that is, their understanding of Jesus as the Messiah whose nature is both human and divine. Fundamental to both of these functions is a set of commonplace assumptions regarding family life, human development and social relationships.
Familiäre Beziehungen sind seit den Anfängen der Filmindustrie ein beliebtes Thema von Spielfilmen. Oft konzentrieren sie sich auf nicht intakte Familien, viele Filme jedoch vermitteln auch auf ergreifende und emotionale Art die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Ein Beispiel ist eine Szene aus einem italienischen Schwarz-Weiss-Film aus dem Jahre 1966. In dieser Szene implizieren die Kamera-Arbeit sowie Mimik und Gestik der drei Darstellenden ihre familiäre Verbindung als Mutter, Vater und Sohn. Die Musik wirkt beruhigend, es findet kein Dialog statt. Die Szene ist alltäglich, aber sie vermittelt die Stärke ihrer Liebe zueinander und die Freude an ihrem Zusammensein. Besonders das Bild des Kindes, das sich in der Wärme der Familie, der Sonne und des Strandes sonnt, berührt. Die Toga des Kindes, getragen über kurzen Hosen und Windeln, ist der einzige Hinweis, dass die Szene in der fernen Vergangenheit spielt. Abgesehen davon ist die Szene ein zeitloser Tribut an familiäre Liebe und Hingabe.
Die Sequenz wirkt berührend. Aber die Szene bekommt eine neue Bedeutungsebene, sobald wir erfahren, dass es sich bei dem Film um Pier Paolo Pasolinis Das Evangelium nach Matthäus handelt. Das Kind ist Jesus, die Erwachsenen sind Maria und Josef. Wie der Name sagt, ist der Film eine Umsetzung des ersten Evangeliums; die Erzählstruktur und die Dialoge stammen ausschliesslich aus dem Evangelium nach Matthäus. In diesem Zusammenhang ist die beschriebene Szene um so auffälliger, als sie eine Situation darstellt, die weder bei Matthäus noch in einem anderen kanonischen oder ausserkanonischen Evangelium vorkommt. Ihr Zweck ist es, die Hingabe und Liebe, die Jesus mit Maria und Josef verband, und das Glück, das Jesus als Kind in seiner Familie erlebte, darzustellen. Dadurch bezeugt die Szene – ausdrucksstärker als Worte es vermögen – das menschliche Element in Jesu messianischer Identität.
Pasolini weitet die Berichte der Evangelien aus, um Jesu Familienleben darzustellen. Viele andere Filme entwerfen ganze Szenen, um die Wärme und Liebe von Jesu Beziehung zu Maria und Josef zu vermitteln. Tatsächlich findet sich dieses Thema, das ich das „Glückliche-Heilige-Familie“-Motiv nenne, in fast allen Spielfilmen über Jesu Leben sowohl aus Nordamerika wie aus Europa. Wie in Pasolinis Strandszene betonen solche Ausweitungen und Ergänzungen die Liebe und Harmonie innerhalb der Heiligen Familie. Aber sie legen – ob absichtlich oder nicht – auch ein starkes Zeugnis für die Theologie, speziell die Christologie, der Filmemachenden ab. Bevor ich diese aber beschreibe und analysiere, ist es hilfreich, die kanonische Darstellung der familiären Beziehungen Jesu zu sichten. Bei diesem Überblick soll es nicht um die historische Fragestellung gehen, wie Jesu Familie „wirklich“ war, sondern um eine Betrachtung der Texte, welche die Primärquellen für die cineastische Nacherzählung von Jesu Geschichte bilden. Die meisten Filmemachenden, sogar jene, die sich vorwiegend auf ein Evangelium konzentrieren, beginnen mit einer Evangelienharmonie als Ausgangspunkt. Deshalb ist es hilfreich, diese zusammengesetzte Geschichte mit ihren Geschehnissen und emotionalen Untertönen zu betrachten.
Jesus und seine Familie in den Evangelien und in der Apostelgeschichte
Jesu Kindheit
Die Evangelien unterscheiden sich in der „Sendezeit“, die sie Jesu Familienleben widmen. Die Evangelien nach Markus und Johannes haben kein Interesse an Jesu frühem Leben. Sie führen Jesus als erwachsenen Mann ein, kurz vor seiner Taufe durch Johannes den Täufer. Matthäus und Lukas geben uns längere Kindheitserzählungen, die in fast allen Punkten voneinander abweichen. Die Kindheitserzählung des Matthäus (Matthäus 1-2) beginnt mit einem Stammbaum, der Jesu Ahnen bis zu Abraham zurückverfolgt und fährt mit der Ankündigung des Engels fort, dass Maria einen Sohn gebären werde. Die Familie wird von weisen Männern besucht, dann von einem Engel, der sie warnt, sie müssten nach Ägypten fliehen, weil Herodes alle Kleinkinder zu töten plant. Nach dem Tod des Herodes kehrt die Familie nach Nazaret zurück. Die Erzählung springt dann zur Taufe Jesu durch Johannes und Jesu folgender Predigttätigkeit (Matthäus 3). Die Version des Lukasevangeliums (Lukas 1-2) beginnt nicht mit Maria und Josef, sondern mit einem anderen Paar, Zacharias und Elisabeth, und mit der Empfängnis Johannes des Täufers. Maria und Josef reisen nach Bethlehem, um in der Volkszählung registriert zu werden. Dort wird Jesus in einem Stall geboren und empfängt die Huldigung der Hirten, die von den Engeln dorthin geleitet werden.
Das Interesse des Matthäus am jungen Jesus endet mit der Rückkehr der Familie nach Galiläa. Lukas aber fährt fort mit der Beschneidung Jesu und der Namengebung nach der jüdischen Tradition (2,21), sowie der Reise der Familie nach Jerusalem für Marias Reinigung nach der Geburt und der Präsentation Jesu vor Gott, wie sie vom jüdischen Gesetz verlangt wird (2,22-23). Die Erzählung springt dann zu einer anderen Reise zum Tempel, zwölf Jahre später, diesmal zu Pessach, und, obwohl davon nichts gesagt wird, eventuell auch anlässlich Jesu Erwachsenwerden (2,40-42). Lukas will nicht nur diese rites de passage in Jesu frühem Leben betonen, sondern widmet sich auch den Gefühlen von Maria und Josef. Maria bewahrt alles, was sie über ihren Sohn hört, in ihrem Herzen (2,19). Das zukünftige Leid ihres Sohnes wird von Simeon bildhaft angedeutet, der ihr prophezeit, ein Schwert werde ihr Herz durchbohren (2,33-35). Als Jesus von seinem Bar-Mitzvah-Ausflug zum Tempel nicht zurückkommt, erleben Maria und Josef die natürliche elterliche Besorgnis. Lukas beschreibt ihre Erleichterung, aber auch ihre Verärgerung, als sie ihn schliesslich im Tempel unter den Lehrern finden. Jesus meint jedoch, sie hätten wissen müssen, dass er im Hause seines Vaters sein würde. Doch Maria und Josef erfassen die Bedeutung seiner Worte nicht. Jesus kehrt mit ihnen nach Nazaret zurück (2,51).
Diese Geschichten betonen die Einzigartigkeit dieses einen Kindes, der Umstände seiner Empfängnis und seiner Geburt, deuten seine zukünftige Bedeutung für die Menschheit an, und implizieren die natürliche Freude seiner Eltern über seine Geburt und ihre Sorge um sein Wohlergehen. Aber das Schweigen der Evangelien und der Apostelgeschichte über Jesu junge Jahre, zwischen seiner Geburt, seiner Bar-Mitzvah und seiner Taufe, reizt die Phantasie.
Jesu Erwachsenenleben
Noch weniger wird über das Verhältnis des erwachsenen Jesus zu seinen Eltern gesagt. Nie wird erwähnt, dass er seine Eltern besucht, obwohl er nach Nazaret kommt, um in der Synagoge zu lehren (Matthäus 13,54). Einige Andeutungen lassen sich jedoch bei Johannes und in der synoptischen Tradition finden. Im vierten Evangelium nehmen Jesus und seine Mutter an einer Hochzeit in Kana teil. Als sie darauf hinweist, dass der Wein zur Neige geht, sagt er zu ihr: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Johannes 2,4) Obwohl der Bedeutungsinhalt von Jesu Aussage in Johannes 2,4 schwer zu fassen ist, verwundert der Ton Jesu seiner Mutter gegenüber. Seine Worte deuten Distanz an. Beunruhigend ist auch die Beziehung zwischen Jesus und seinen Brüdern (Johannes 7,3-8). Seine Brüder drängen ihn, nach Judäa hinaufzugehen, „so dass deine JüngerInnen die Werke sehen, die du tust“. Hier bemerkt der Erzähler: „Auch seine Brüder glaubten nämlich nicht an ihn.“ Hier wird wiederum eine Distanz zwischen Jesus und seiner Familie deutlich, die wohl daher rührt, dass sie nicht verstehen, wer er wirklich ist.
Eine andere Stelle, die Spannungen nahelegt, findet sich in Markus 3,31-35 und den Parallelen. Diese Abschnitte erzählen uns, dass, als Jesu Mutter und seine Brüder kamen und nach ihm fragten, Jesus antwortete: „Wer sind meine Mutter und meine Brüder?“ Er schaute diejenigen an, die um ihn herumsassen und sagte: „Das sind meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen Gottes tut, ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“ Jesus bricht nicht eigentlich die Verbindung zu seiner Familie ab, er definiert vielmehr den Begriff Familie neu. Familiäre Bande beruhen nicht länger auf Biologie oder Abstammung, sondern gründen auf einer gemeinsamen Beziehung mit Gott. Die Evangelien berichten die Reaktionen von Jesu Familie nicht, aber wir können uns gut vorstellen, dass sie durch seine Worte und sein Verhalten nicht nur verwirrt, sondern auch verletzt waren.
Beide Geschichten legen einen Bruch oder zumindest Spannungen in der Beziehung des erwachsenen Jesus zu seiner Mutter und seinen Brüdern nahe. Aber die Gegenwart der Mutter Jesu am Fuss des Kreuzes, gemäss dem Johannesevangelium (19,25) und eventuell auch nach den Synoptikern (vgl. Markus 15,40; Matthäus 27,56; Lukas 23,49) setzt eine andauernde Beziehung oder doch wenigstens eine gewisse Kenntnis ihrerseits über seine Aktivitäten und sein Schicksal voraus.
Das Bild, das aus den kanonischen Evangelien entsteht, zeigt Jesus als einen Mann, der sein Leben im engen Kreis seiner Familie beginnt. Als Erwachsener verlässt er seine Familie, er erhält in gewissem Masse den Kontakt mit einigen Familienmitgliedern aufrecht, oder vielleicht nur mit seiner Mutter. Sie ihrerseits verfolgen seine Aktivitäten aus der Ferne, sind aber nicht direkt involviert. Apostelgeschichte 1,14 erzählt, dass Jesu Mutter und seine Geschwister in der Gruppe waren, die nach Jesu Tod zusammenblieb und beständig betete. Das mag ein gewisses Mass an eigener Aktivität im Zusammenhang mit der Tätigkeit Jesu andeuten.
Das zusammengesetzte Bild, das ich an Hand der Evangelien gezeichnet habe, mag historisch korrekt sein oder auch nicht, wenngleich es nicht unglaubwürdig ist. Es bezeugt aber, auf welche Art die ersten Gläubigen Jesu Familienleben und die Spannungen, die sie als seiner gleichzeitig menschlichen und göttlichen Identität inhärent wahrnahmen, zusammendachten. Als Mensch ist er in eine Familie hineingeboren und sozial mit ihr verbunden. Als ein jüdischer Sohn schuldet er seinen Eltern Ehrerweisung und Respekt. Als Messias und Sohn Gottes (vgl. Johannes 20,30-31) jedoch muss seine alles er-füllende Beziehung aber mit Gott sein und daher mindestens potenziell seine Verpflichtungen und Verbindungen mit seiner biologischen Familie an Wichtigkeit übertreffen.
Diese Spannung wird nicht nur in den Erzählungen über Jesu Leben angedeutet, sondern auch explizit in einigen der Worte ausgesagt, welche die synoptischen Evangelien Jesus zuschreiben. In seinen Diskussionen des jüdischen Gesetzes fordert Jesus seine ZuhöherInnen oft auf, das fünfte Gebot, Vater und Mutter zu ehren, zu beachten. Markus 7,10-13 erklärt Jesus, dass jede Handlung, die das fünfte Gebot verletzt, das Wort Gottes nichtig macht: „Denn Mose hat gesagt: ‘Ehre deinen Vater und deine Mutter.' Und: ‘Wer Vater oder Mutter verflucht, der sei des Todes.'“ Man könnte aber argumentieren, dass Jesus selbst das fünfte Gebot verletzt, wenn er familiäre Beziehungen neu entlang dem Massstab der Treue zu Gott definiert, und dabei impliziert, dass die Notwendigkeit, Gott die Ehre zu geben sogar über der grundlegendsten aller menschlichen Beziehungen steht. Einige Passagen stellen sogar noch ausdrücklicher fest, dass, wer Jesus folgt, Familienbande zerschneiden kann oder sogar muss. „Ich bin gekommen, um zu entzweien: den Menschen und seinen Vater, die Tochter und ihre Mutter, die junge Frau und ihre Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden die eigenen Hausgenossen.“ (Matthäus 10,35-36) Lukas' Jesus donnert: „Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein sage ich euch, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden in einem Haus fünf entzweit sein, drei mit zweien und zwei mit dreien; entzweit sein werden Vater und Sohn, und Sohn und Vater, Mutter und Tochter, und Tochter und Mutter, Schwiegermutter und Schwiegertochter, und Schwiegertochter und Schwiegermutter.“ (Lukas 12,51-53) Sogar Hass ist von Nöten. Der lukanische Jesus sagt: „Wenn einer zu mir kommt und nicht seinen Vater und die Mutter und die Frau und die Kinder und die Brüder und die Schwestern hasst, und noch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Lukas 14,26)
Jesu Umgebung fährt hingegen fort, ihn über seine Familienbeziehungen zu definieren, so auch in Matthäus 13,55, als die Menge in Nazaret sich fragt: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Heisst seine Mutter nicht Maria, und sind nicht Jakobus, Josef, Simon und Judas seine Brüder?“
Die „Glückliche Heilige Familie“ im Film
Filmemachende, die die Erzählungen der Evangelien umsetzen wollen, müssen einige strategische Entscheidungen fällen. Eine Option ist, die Ambivalenz der kanonischen Darstellung von Jesu Familienleben zu erhalten. Für diese entschied sich Pasolini, der nicht nur die „Glückliche Heilige Familie“ am Strand darstellt, sondern auch beim Schmerz von Jesu Mutter verweilt, als Jesus seine Verbindung zu ihr verwirft.
Andere Filmemachende mögen sich entscheiden, die Widersprüche zu lösen, indem sie Material hinzufügen, oder Elemente, die sie als disharmonisch wahrnehmen, auslassen, und/oder indem sie alle Familienszenen zu einem zusammenhängenden Bild fügen. Im Folgenden werde ich mich auf Ergänzungen zu den Evangelientexten konzentrieren, die sich in drei Hauptbereichen häufen: Jesu Kindheit, die Beziehung des erwachsenen Jesus zu seiner Mutter, Jesu Mutter als seine Jüngerin und/oder Helferin, Ausweitung oder Konzentration auf Marias Rolle am Fuss des Kreuzes. Ich will zeigen, dass die Filmemachenden durch diese Hinzufügungen, die das „Glückliche Heilige Familie“ Motiv zu Geltung bringen, nicht nur menschliches Interesse einbringen, sondern auch die erzählerischen und theologischen Spannungen lösen, die Bestandteil der Evangeliendarstellung von Jesus als zugleich menschlich und göttlich sind.
Jesu Kindheit
Pasolinis Strandszene ist unter den grossen Jesus-Filmen darin einmalig, dass sie die „Glückliche Heilige Familie“ beim Spiel zeigt. Die meisten anderen Ergänzungen zum frühen Leben Jesu konzentrieren sich auf Jesu Eltern als seine Lehrenden. Der frühe Stummfilm From the Manger to the Cross aus dem Jahre 1912 hat einen Abschnitt, der mit „Jugend“ betitelt ist und tatsächlich eine Anzahl Szenen in Lukas 2,40-45 hineinfügt. Auf einen Zwischen-Untertitel, der besagt, dass Jesus an Weisheit wuchs (vgl. Lukas 2,40), folgt eine längere Sequenz, die ihre Reise nach Jerusalem zum Pessach darstellt. Wie in der lukanischen Erzählung sind Jesu Eltern ausser sich, als sie feststellen, dass er nicht mitgekommen ist. Umso grösser ist die Freude, als sie ihn am Tempel wieder finden. Die „Glückliche Heilige Familie“ ist wieder vereint. Maria hält ihren Sohn im Arm, er schaut ihr liebevoll ins Gesicht, während Josef an Jesu anderer Seite geht. In der letzten Szene dieser Sequenz hat das Bild von Jesus, der ein Brett auf seinen Schultern trägt, eine doppelte Wirkung. Zum Einen wird sein Gehorsam gegenüber seinen Eltern an deutet; der junge Jesus folgt seinem Vater in den Beruf als Zimmermann. Zum Anderen weist die Szene auf sein Leiden voraus, wo er das Kreuz auf die gleiche Art tragen wird. Die gesamte „Jugend“-Sequenz betont die Liebe innerhalb der Heiligen Familie. Sie lebt von Konventionen und Stereotypen, die wir auch in anderen Filmen dieser Zeit sehen: Die Verbindung von Mutter und Kind wird stark betont, während die Rolle des Vaters die des Ernährers ist. Die Darstellung ist von Zärtlichkeit geprägt.
Diese Elemente sind nicht auf amerikanische Filme der Stummfilmzeit beschränkt. Weit ausführlicher finden sie sich in Der Messias, einem italienischen Film von Roberto Rossellini, der rund sechzig Jahre später entstand. Der Film stellt Maria als Jesu Lehrerin dar und zeichnet Josef als seinen Mentor in den praktischen Dingen des Lebens. Er weitet die Reise der Familie zum Tempel an Passah aus und verknüpft sie mit Jesu Erwachsenwerden, wie es in Lukas 2,40-45 angedeutet wird. In einer Szene treffen wir Jesu Mutter direkt vor dem Zelt an, das die Familie auf dem Tempelgelände aufgestellt hat. Maria zieht den jungen Jesus an, zärtlich aber rasch. Währenddessen redet sie mit ihm über die Bedeutung dieses Tages, und über den tallit (Gebetsschal), den er heute zum ersten Mal tragen wird. Der Schal symbolisiert seinen neuen Status als jüdischer Mann, dessen Leben sich um die Heilige Schrift drehen wird. Sie umarmt und küsst ihn. Dies ist eindeutig ein Moment von grosser Bedeutung für die Familie und insbesondere für Jesus. Nun erscheint Josef. Er nimmt Jesus mit, um ein Lamm für das Pessachopfer auszusuchen. Jesus schaut konzentriert zu, während das Lamm geschlachtet, aufgehängt und ausgeweidet wird. Die ganze Szene weist voraus auf das Opfer von Jesu eigenem Leben als zukünftigem Pessachmahl. Darauf wird Jesu Lehrtätigkeit im Tempel, die Suche der Eltern und ihre freudige Wiedervereinigung dargestellt. Diese Abschnitte stellen das Unterrichten von Jesus über sein Erbe und seine Vorbereitung auf den Platz innerhalb der traditionellen jüdischen Welt, in der er geboren ist, als die Hauptaufgabe von Josef und Maria dar. Darüber hinaus unterrichten die Szenen die Zuschauer über die jüdische Umwelt Jesu und seinen Platz in ihr.
From the Manger to the Cross und The Messiah stammen aus unterschiedlichen Zeiten und Filmtraditionen, doch in beiden Filmen ist die Darstellung von Jesu Verhältnis zu seinen Eltern ähnlich. Beide betonen die Lehrerrolle der Eltern, räumen Maria und Josef annähernd gleich viel Platz ein und weisen sie jeweils spezifischen Lebensräumen zu. Diese Muster mögen die Auffassung von Geschlechterrollen der Filmemachenden wiedergeben und/oder die Hartnäckigkeit dieser Rollenbilder über die Jahre reflektieren.
Der Unterricht ist auch eine herausragende Aufgabe der Eltern in Zeffirellis Fernsehserie Jesus von Nazareth (1977). Im Gegensatz zum Stummfilm From the Manger to the Cross und Rossellinis Der Messias ist die Darstellung von Jesu Mutter und Vater jedoch hierarchisch, patriarchal und stereotyp. Die „Glückliche Heilige Familie“ wird beim gemeinsamen Beten gezeigt, was das Klischee, dass die Familie, die zusammen betet, auch zusammen bleibt, dramatisch umsetzt. Maria hat während des Gebets die Hand auf der Schulter des Kindes. Wie auch in anderen Szenen anderer Jesus-Filme scheint Jesus hier eine engere Beziehung zu Maria als zu Josef zu haben. In einer weiteren Einstellung sehen wir Maria in der Synagoge beim Anlass von Jesu bar mitzvah. Sie beobachtet ihren Sohn durch die mehitzah hindurch, während er aus der Tora liest. Maria ist während des gesamten Films präsent und prominent, besonders in den Szenen der Verlobung, Verkündigung und Kindheit Jesu. Aber sie tritt nicht aus der Rolle der reinen und passiven spirituellen Schönheit heraus, die buchstäblich und bildlich hinter der die Geschlechter trennenden mehitzah bleibt.
Diese unterschiedlichen Hinzufügungen zur kanonischen Darstellung von Jesu frühem Leben betonen die Wärme und Liebe zwischen Jesus und seinen Eltern, besonders Maria, und die wichtigen, aber unterschiedlichen Rollen von Vater und Mutter. Es ist Aufgabe des Vaters, seinem Kind ein Handwerk und die Durchführung der rituellen Opfer, Aufgabe der Mutter, ihm Lesen und die Feinheiten seiner Tradition beizubringen. Jesus wird als gehorsames, liebevolles und hilfsbereites Kind gezeigt. Dies trifft in allen Punkten zu, ausser wenn seine Treue zu seinem „richtigen“ Vater, das heisst Gott, Kummer bereitet und vorübergehend die Harmonie seiner irdischen Familie stört.
Diese Darstellung hat christologische Implikationen. Die Tatsache, dass Jesus seiner Mutter näher steht als seinem Vater, passt zu der Ansicht, dass, während Maria seine biologische Mutter ist, Gott und nicht Josef sein „wirklicher“ Vater ist. Darüber hinaus unterstreichen diese Hinzufügungen nicht nur seine Menschlichkeit – er ist wie jedes andere glückliche und gut angepasste Kind – sondern drücken auch das Ideal der Kleinfamilie des zwanzigsten Jahrhunderts aus, die durch intensive Liebe miteinander verbunden ist, und in der es Aufgabe der Eltern ist, die Kinder in ihren je unterschiedlichen Einflussbereichen (Beruf versus Wertmassstäbe/Kultur) zu unterrichten, während es Pflicht der Kinder ist, zu gehorchen, zu ehren und die liebevolle Besorgnis der Eltern zu erwidern. Folglich wird in der „christology of Hollywood“ schon in der Darstellung von Jesu frühem Leben seine zukünftige Rolle und sein göttlicher Vater angedeutet, dies jedoch in Bezug auf den Alltag, in dem er wie jedes andere Kind ist, das von Eltern erzogen wird, deren einziges Lebensziel es ist, ihn zu lieben, zu unterrichten und sein Wohlergehen sicherzustellen.
Der erwachsene Jesus und seine Beziehung zu seiner Mutter
In Szenen, die hinzugefügt wurden, um die Beziehung des erwachsenen Jesus zu seiner Mutter auszumalen, schlägt das christologische Pendel in eine andere Richtung aus. Als Erwachsener hat Jesus nun seine wichtigste Beziehung mit Gott, dessen Willen er gehorcht und in dessen Dienst er umherzieht, Anhänger sammelt, heilt und lehrt. Aber welche Wirkung hat Jesu Rolle als Gottes Sohn auf seine menschlichen Beziehungen? Die kanonischen Evangelien legen nahe, dass die Familie zunächst alles zusammenhält, sie jedoch in die Bedeutungslosigkeit absinkt, als Jesus seine göttliche Mission ausführt. Dieses Muster ist in einigen Jesus-Filmen offensichtlich. So zum Beispiel in dem oben erwähnten Film The Gospel According to Saint Matthew von Pasolini, in dem Maria ihre Enttäuschung und Trauer über Die Verleugnung der Familienbande durch Jesus klar ausdrückt. Martin Scorseses The Last Temptation of Christ stellt die beunruhigenden Worte Jesu nicht nur dar, sondern verweilt bei dieser Szene. Nachdem Maria Jesus bittet, mit ihr zu kommen, fragt er sie, wer sie ist. Sie reagiert schockiert und antwortet: „Deine Mutter.“ Darauf sagt Jesus: „Ich habe keine Mutter. Ich habe keine Familie, aber ich habe einen Vater im Himmel.“ Maria bricht darauf zusammen. Diese Szene stellt die Frage, warum sie weint, doch sie wird nicht beantwortet. Auf den ersten Blick scheint der Grund in Jesu Zurückweisung zu liegen, oder vielleicht in seiner Unfähigkeit, sie zu erkennen. Doch tatsächlich liegt es nahe, anzunehmen, dass Maria im Wissen um das Schicksal ihres Sohnes weint.
Die meisten anderen Jesus-Filme streichen diese Szene und stellen statt dessen eine andauernde liebevolle Beziehung zwischen Jesus und seiner Mutter dar. Damit kritisieren sie nicht eine hohe Christologie, die sich auf Jesus als Gottes Sohn konzentriert, sondern versuchen eher, Maria dauerhaft in das Bild einzuschliessen, und gleichzeitig die Priorität von Jesu Beziehung mit Gott anzuerkennen. Josef verschwindet unbemerkt, ausser in Zeffirellis Magnum Opus, das eine längere Sterbeszene enthält.
Drei Grundtendenzen werden in der cineastischen Behandlung der Beziehung der Erwachsenen sichtbar. Eine sieht Maria als Anhängerin oder Jüngerin Jesu, vielleicht angeregt durch Apostelgeschichte 1,14. Diese Sicht ist auch plausibel im Licht der Information über Jesu Identität, von der Maria ab dem Zeitpunkt weiss, als der Engel ihr in den Verkündigungsszenen bei Matthäus und Lukas erscheint. Auch in Nicholas Rays The King of Kings folgt Maria Jesus nach Jerusalem. Ihre Motivation ist unklar. In Rossellinis Film Der Messias wird Maria eine Jüngerin Jesu, als Jesus aus der Synagoge von Nazaret vertrieben wird (vgl. Matthäus 13,57). Rosselini lässt Maria nicht nur zur Jüngerin werden, sondern sie ist auch eine eigenständige Lehrerin, oder gar eine Apostelin. In einer Szene erklärt sie einem Kind das Reich Gottes, während sie und die anderen in ihrem Lager arbeiten. Obwohl es nicht klar ist, ob Maria in erster Linie aus Glauben oder aus mütterlicher Liebe handelt, ist ihr Wunsch, ihn zu beschützen, oder, auch nur sein Schicksal zu teilen offenbar.
Ein zweites weit verbreitetes Element ist die Angst der Mutter um ihren Sohn, deutlich sichtbar in der oben beschriebenen Szene aus Scorseses Film: das Schwert, das ihre Seele durchbohrt (Lukas 2,35). Im Stummfilm INRI (1923), irrt Maria in der Wüste umher und sucht ihren erwachsenen Sohn, der nach Jerusalem gegangen ist. Spät nachts stösst sie auf eine Gruppe Hirten an einem Feuer. Sie erzählt ihnen ihre Geschichte und sie laden sie ein, sich zu ihnen zu setzen und zu essen. „Ich suche Jesus von Nazaret,“ sagt sie. „Wisst ihr etwas über ihn?“ Sie erzählen ihr, dass „er zu gerade dieser Zeit innerhalb der Stadttore wohnt“. Einer fügt hinzu: „Er kommt von Gott, er ist der Messias.“
Obwohl es spät ist, und trotz des Protests der Hirten, bricht sie sofort auf, um ihre Suche fortzusetzen, denn, wie sie sagt, wird sie keine Ruhe finden, ehe sie ihn nicht gefunden hat. Einige Zeit später findet sie ihn in Jerusalem. Sie steht in der Menge, die ihn beobachtet und hört zu, als er seine Jünger lehrt. Sie nähert sich unbeobachtet, lehnt sich gegen einen Pfeiler, beobachtet und lauscht. Schnitt um Schnitt zeigt der Film abwechselnd sie und ihn, bis er sie bemerkt. Sie blicken sich an, sie streckt ihre Arme aus, er steht langsam auf und geht zu ihr, es folgt eine warme Umarmung. Er legt seine Arme nicht um sie, sondern lehnt sich an ihre Brust, wie es ein kleines Kind tut. Sie fasst seine Hand und sagt: „Alle die, die jetzt an dir hangen, werden dich in der Stunde der Not verlassen. Doch ich werde bei dir sein.“ In diesem Beispiel ist die Hingabe der Mutter nicht so sehr eine Folge ihres Glaubens an seine messianische Identität, die als selbstverständlich vorausgesetzt wird, sondern sie gründet vielmehr in ihrem verzweifelten Bedürfnis, in der Stunde seiner Not bei ihm zu sein und dadurch ihre Rolle als seine Mutter zu erfüllen.
Eine ähnliche Szene erscheint in De Milles King of Kings. Maria wartet nach dem letzten Abendmahl auf Jesus und versucht erneut, ihn davon zu überzeugen, mit ihr nach Nazaret zurückzukehren. Jesus umarmt seine Mutter und lässt sie im leeren Raum zurück. Auch hier wird ihr Glaube vorausgesetzt oder angenommen, aber sie gehört nicht eigentlich zu denen, die Jesus begleiten. Ihre Motivation liegt vielmehr in der natürlichen Angst um sein Schicksal.
Ein letzter tragischer Moment im Zusammensein der Familie ist die Kreuzigung. In den meisten Jesus-Filmen taucht Maria beim Kreuz wieder auf. Oft verweilt die Kamera auf ihrem leidenden Gesicht, während sie ihn am Kreuz sterben sieht, und dann wieder in der „Pietà“-Szene, in der sie den toten Jesus in den Armen hält, nachdem er vom Kreuz abgenommen wird. Die Rolle der Mutter wird auch in Rays King of Kings betont. Diese Szene basiert auf Johannes 19,25, wo Jesus seine Mutter der Fürsorge des geliebten Jüngers mit den Worten „Frau, sieh, dein Sohn.“ übergibt. In Scorseses The Last Temptation of Christ ruft Jesus vom Kreuz nach seiner Mutter und nach Maria Magdalena. Wiederum interessant ist die Darstellung in Rosselinis The Messiah. Der Film lässt die Prozession Jesu mit dem Kreuz aus, nimmt dafür Maria ins Bild, die auf dem Weg nach Golgotha durch die Strassen Jerusalems irrt. Dadurch wird Marias tiefe Anteilnahme an der Mission und am Tod ihres Sohnes impliziert.
Im Erwachsensein hat sich die „Glückliche Heilige Familie“ verändert; Josef ist verschwunden, um Gott als Vater Raum zu geben. Auch ist sie nicht durch und durch glücklich im Sinne von sorglos. Aber sie bleibt eine liebevolle Familie, die sich auf Jesus konzentriert. Sie ist nach wie vor von hierarchischen Beziehungen geprägt, stellt aber die Beziehungen der Kindheit auf den Kopf. Elisabeth Schüssler Fiorenza nannte diese Form von Hierarchie „Kyriarchat“. Während der junge Jesus von seinen Eltern abhängig ist und ihnen gehorcht, kontrolliert der erwachsene Jesus die Treue seiner Mutter, die ihn als Messias und Sohn Gottes anerkennt. Indem sie seine Jüngerin wird, ordnet sie sich ihm unter. Auf diese Art lösen die Filmemachenden die christologischen Spannungen, die der Ansicht, dass Jesus gleichzeitig menschlich und göttlich ist, inhärent sind.
Insgesamt erhalten die Jesus-Filme den theologischen Status quo aufrecht. Daher rührt die Tendenz, Jesu Identität als Sohn Gottes und die seiner Mutter als seiner Nachfolgerin abzubilden. Viele Faktoren tragen zu diesem theologischen Konservativismus bei: Oft besteht bei den Filmemachenden der fromme Wunsch, Glaubensbilder zu transportieren und zu bestätigen. Aber es gibt auch einige Filme, die den status quo untergraben, verspotten und herausfordern.
In The Milky Way von Luis Bunuel wird die Heilige Familie in ihrer Beschaulichkeit ins Lächerliche gezogen, als Maria den schönen Bart ihres Sohnes bewundert. In diesem Film wie auch in den Werken einiger klassischer Künstler altert Maria weder physisch noch emotional, was durch ihr eher unreifes Verhalten impliziert wird. Der Regisseur hat hier die Klischees und Konventionen der Kunst- und Filmgeschichte wie auch die Mariologie in der Katholischen Kirche im Visier.
Auch wenn sie nicht mehr so glücklich ist, bleibt die Heilige Familie dennoch heilig, zum mindesten für die meisten Filmemachenden. Dass Jesu Mutter eine Jungfrau war, die von Gott oder dem Heiligen Geist schwanger wurde, wird in den meisten Jesusfilmen akzeptiert, von denen viele die Ankündigung des Engels an Maria und/oder Josef auf die eine oder andere Art darstellen. Diese Ansicht wird allerdings vom kanadischen Film Jesus of Montreal (1989) von Denys Arcand kritisiert. Der Film folgt einer kleinen Schauspieltruppe, die ein Passionsspiel auf dem Gelände von St. Joseph's Oratory, einem katholischen Schrein auf dem Mount Royal in Montreal vorbereitet. Das Passionsspiel enthält eine dokumentarfilmartige Erzählung, in der Arcand eine Sicht von Jesu Leben vorstellt, die weder mit den Evangelienerzählungen noch mit der historischen Jesus-Forschung übereinstimmt. Arcand nimmt die rabbinische Herabsetzung des christlichen Glaubens an Marias Jungfräulichkeit auf. Deren Leugnung fügt sich in die allgemeine Absicht des Films, Jesu Einmaligkeit und seine Göttlichkeit in Frage zu stellen.
Die Umstände, unter denen der Messias geboren wurde, rücken auch in Monty Python's Life of Brian in den Vordergrund. Selbstverständlich ist der Film als solcher kein Jesusfilm. Die Figur Jesus tritt einmal kurz auf, aber seine Darstellung ist immer sehr distanziert, respektvoll und klischiert. Das Leben der Hauptfigur, Brian, verläuft in ungewöhnlich hohem Masse parallel zu demjenigen Jesu, aber auf eine viel buntere, komische Art. Weil es eher ein „Brian-Film“ als ein „Jesusfilm“ ist, kann sich der Streifen durch die Art der Darstellung von Brians Leben über die Jesustradition und ihre kinematographische Darstellung lustig machen. Brian ist sehr besorgt über seine Abstammung und jüdische Identität. Eines Tages kommt er zu der Unterkunft, die er mit seiner Mutter teilt, und stellt fest, dass sie sich darauf vorbereitet, einen römischen Soldaten zu „unterhalten“. Als antirömischer Revolutionär ist Brian darüber natürlich sehr verärgert. Diese Szene darf nicht als ernsthafte Infragestellung von Jesu göttlichem Vater verstanden werden. Der Witz der Szene entsteht mindestens teilweise durch Brians Art, die ganze Liste aller existierenden antisemitischen Aussagen mit Nachdruck auf sich selbst zu beziehen. Aber in diesem Punkt, wie auch sonst, stellt der Film eine Alternativbiografie vor, die nicht nur auf Phantasie und einem schrägen Sinn für Humor basiert, sondern auch auf antiken Quellen und zeitgenössischer Leben-Jesu-Forschung.[2]
Schliesslich wird das Thema der Christologie und die Möglichkeit, dass Jesu Identität als Gottes Sohn weder für ihn selbst noch für seine Umgebung klar war, in Scorseses Last Temptation of Christ angedeutet. Wie im Monty Python-Film bemüht sich Scorsese zu Beginn klarzustellen, dass der Film nicht als eine historische Studie oder als Adaptation der Evangelien zu sehen ist. Vielmehr basiert er auf dem Roman The Last Temptation von Nikos Kazantzakis. Dieser Widerruf scheint ihm die gewünschte Freiheit zu garantieren, heikle Themen anzuschneiden, ohne den Zorn konservativer Christen auf sich zu ziehen. Mit dieser Strategie scheiterte Scorsese.[3] Wie Monty Pythons Brian lebt auch Scorseses Jesus bis weit ins Erwachsenenalter bei seiner Mutter. Sie sorgt sich um ihn, namentlich wegen der Gefahren, die mit seiner Zusammenarbeit mit den Römern verbunden sind, für die er Kreuze für Kreuzigungen herstellt und aufrichtet. Eines Tages, als Jesus mit einem besonders tragischen Fall beschäftigt ist, kommt sie auf das Kreuzigungsfeld und fordert ihn auf, mit ihr nach Hause zu kommen. In dieser Nacht hat Jesus einen Albtraum, und am Morgen entscheidet er sich, das Haus zu verlassen. Während des ganzen Films ist Jesus nie sicher, ob die Impulse, die ihn antreiben und sein Leben lenken, von Gott oder vom Teufel sind. Als er in der Wüste versucht wird, weiss er nicht, ob die Erscheinungen, die er sieht, von Gott oder vom Teufel stammen. Ähnlich geschieht dies auch in der Traumszene am Schluss, als Jesus von einem rothaarigen Mädchen vom Kreuz genommen wird, das behauptet, sein Schutzengel zu sein. Er merkt erst, als es beinahe zu spät ist, dass auch sie eine Manifestation des Teufels ist, der sie benutzt hat, um Gottes Rettungsplan zu durchkreuzen.
Fazit
Die Jesus-Filme sind keine strengen Adaptationen ihrer Quellen, noch sind sie theologische Abhandlungen. Die Stücke, die sie zu den Evangelienberichten hinzufügen, legen aber Zeugnis ab von der grundlegenden Spannung zwischen Jesu menschlichen und göttlichen Dimensionen. Die menschlichen Aspekte werden im „Glückliche-Heilige-Familie“-Motiv, in den Szenen von Jesu zufriedener Kindheit in seiner Familie, und in seiner liebevollen Beziehung als Erwachsener zu seiner Mutter herausgestrichen. In dieser Behandlung werden eine Anzahl von konventionellen Annahmen der modernen westlichen Gesellschaft impliziert: die Verbindung zwischen Kindheitserfahrungen und erwachsener Identität, und die Ansicht, dass eines der Zeichen von guten und reifen Erwachsenen die Qualität ihrer Beziehung zu den Eltern und anderen Familienmitgliedern ist. Als ein perfekter Mensch muss Jesus eine glückliche Kindheit gehabt haben, und er muss eine lebenslange liebevolle Beziehung mit seiner Mutter aufrecht erhalten haben.
Vom Standpunkt der christlichen Schriften und des späteren Christentums ist Jesus selbstverständlich nicht in erster Linie der menschliche Sohn Marias, und ganz sicher nicht derjenige Josefs, sondern der göttliche Sohn Gottes. Daher muss seine Beziehung mit Gott sich über alle menschlichen Beziehungen hinwegsetzen. Dieser Aspekt der Identität Jesu ist im Film extrem schwierig zu fassen, er kann nur hier und dort angedeutet werden. Die meisten Jesusfilme nennen Jesus Sohn Gottes, doch es gelingt ihnen nicht, Jesu göttliche Verbindungen – zum teil bis auf die letzten Szenen von Kreuzigung und Auferstehung – überzeugend darzustellen, wenn überhaupt.
Das Motiv der „Glücklichen Heiligen Familie“ trägt daher in erster Linie zu dem bei, was wir eine niedrige Christologie nennen, da es impliziert, dass Jesus, wie alle Menschen, das Produkt eines Familienlebens ist. Jesu Mutter spielt in dieser Beziehung eine besonders wichtige Rolle. Man könnte sich vorstellen, dass das Interesse des Kinos an Maria auf Grund ihrer wichtigen Rolle in der christlichen Theologie, Kunst und dem Volksglauben erklärt werden könnte. Doch insgesamt dient ihre Filmpräsenz einem christologischen Zweck. Jesu Person und Erfahrungen werden mit Leben erfüllt, um gleichzeitig in ein Vorbild und einen Konzentrationspunkt des Glaubens verwandelt zu werden.
Es ist offensichtlich, dass RegisseurInnen und ProduzentInnen von Jesusfilmen keine NeutestamentlerInnen sind, ebenso wie sie keine TheologInnen sind. Die meisten Jesusfilme reflektieren also auch nicht eine kritische Haltung zu den Evangelien, sondern rufen moderne westliche Konventionen, Ansichten und Haltungen ab. Gleichzeitig weist ihre Kreativität aber auf echte Spannungen und Zweideutigkeiten innerhalb des Neuen Testament und der christlichen Theologie. Ausserdem lenkt das „Glückliche Heilige Familie“ Motiv die Aufmerksamkeit auf den beherrschenden Einfluss der Populärpsychologie auf unsere Versuche, eine der wichtigsten Figuren der westlichen Religion, Geschichte und Kultur zu verstehen. Aber die stereotype Darstellung von Jesu Familienbeziehungen sollte meiner Meinung nach die reine Macht und lange Geschichte dieser Bilder nicht verdunkeln. Wenn ein zeitgenössischer Filmemacher wie Franco Zeffirelli in Jesus of Nazareth uns das Baby Jesus in den Armen seiner Mutter zeigt und die tragische Parallele, den toten Jesus, der von seiner trauernden Mutter als Pietà in den Armen gehalten wird, sehen wir schlicht eine weitere Version der Madonna mit dem Kind und der Pietà. Diese Bilder haben Macht, weil sie an universale menschliche Erfahrungen und Emotionen appellieren. Das „Glückliche Heilige Familie“-Motiv verbindet Jesus nicht nur mit der grundlegenden und sehr menschlichen Institution der Familie, sondern bietet auch einen Ansatzpunkt, an dem wir alle, was auch immer unsere Glaubensüberzeugungen sind, wenigstens einen Aspekt seines Lebens verstehen mögen.
[1] Dieser Essay ist Elisabeth Schüssler Fiorenza gewidmet. Er wird in englischer Sprache in einer ihr gewidmeten Festschrift erscheinen: Alice Bach/Jane Schaberg, Wisdom on the Cutting Edge, (New York: Continuum, 2004). Die vorliegende Übersetzung wurde von Irène Schwyn und Alison Sauer angefertigt.
[2] Vgl. frühe christliche Quellen: Origenes und Epiphanius wie auch Pilatusakten II.3-6 bestätigen, dass die Juden Panthera für Jesu Vater hielten. Origenes, Gegen Celsus, Buch 1, xxviii, xxii. Frank Williams, The Panarion of Epiphanius of Salamis, Books II and III. (vol. 2), Leiden: Brill, 1994. p. 605. Section VII. Gegen Antidicomarianer. Nag Hammadi und Manichaean Studies 36. Vgl. auch Jane Schaberg, The Illegitimacy of Jesus: A Feminist Theological Interpretation of the Infancy Narratives (San Francisco: Harper and Row, 1987). Rabbinische Quellen für diese Behauptung finden sich in Talmud Bavli Shabbath 104b, Talmud Bavli Sanhedrin 67a, Talmud Bavli Gittin 90a, Tosefta Chullin ii. 22-23, Talmud Bavli Sanhedrin 43a, Midrash Jevamot iv 13 (cf. Talmud Bavli Gemara, Jevamot 49b), Talmut Bavli Sanhedrin 106a, Talmud Jerushalmi Shabbat 14:4, 14d, Talmud Jerushalmi Avoda Zara 2:2, 40d, Tosefta Chullin 2:24; Tosefta Avoda Zara 17a; Kohelet Rabba 1:8, no. 3.
[3] Für einen Bericht über den Aufschrei, den Scorseses Film auslöste vgl. Michael Medved,. Hollywood Vs. America: Popular Culture and the War on Traditional Values (San Francisco: Harper Collins, 1992).
Recent Publications
Books
Scripture on the Silver Screen: On the Uses and Misuses of the Bible in Contemporary Hollywood Films (Louisville, KY: Westminster John Knox Press, forthcoming, 2003).
Befriending the Beloved Disciple: A Jewish Reading of the Gospel of John (New York: Continuum, 2001) 180 pp. Finalist, National Jewish Book Awards, 2001.
„Why Ask My Name?“ Anonymity and Identity in Biblical Narrative (New York: Oxford University Press, 1998), 220 pp. Winner of 2000 Dorothy Shoichet President's Award in Feminist Literature (Canadian Jewish Book Award for Biblical Scholarship).
The Word in the World, SBL Monograph Series 45 (Atlanta: Scholars Press, 1992), 156 pp.
Jesus of Hollywood (New York: Oxford University Press). In preparation.
Edited Volumes:
Jesus, Judaism and Anti-Judaism: Reading the New Testament After the Holocaust. Co-edited with Paula Fredriksen. (Louisville, KY: Westminster John Knox Press, 2002).
God the Father in the Gospel of John. Semeia 85 (Atlanta: Society of Biblical Literature, 1999; appeared 2001). 160 pp.
Frye and the Afterlife of the Word. Semeia 89 (Atlanta: Society of Biblical Literature, 2002); Adele Reinhartz, Board Editor; James Kee, Guest Editor.
„Jewish Feminist Biblical Scholarship.“ The Jewish Study Bible, ed. Adele Berlin and Marc Brettler (New York: Oxford University Press, forthcoming 2003).
„The Happy Holy Family in the Jesus Film Genre“. In Wisdom on the Cutting Edge: The Study of Women in Biblical Worlds, ed. Alice Bach and Jane Schaberg (New York: Continuum, forthcoming).
„The Colonized as Colonizer: A Postcolonial Reading of the Gospel of John,“ in Postcolonialism and John, ed. Jeffrey Staley and R. S. Sugirtharajah (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2002), 170-92.
„The ‘Bride' in John 3:29: A Feminist Rereading,“ in The Lost Coin: Parables of Women Work and Wisdom, ed. Mary Ann Beavis (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2002), 230-41.
„The Book of Ruth“ (Introduction and annotations), The Jewish Study Bible, ed. Adele Berlin and Marc Brettler (New York: Oxford University Press, forthcoming 2003).
„Women in the Johannine Community: An Exercise in Historical Imagination,“ in A Feminist Companion to John, volume 2, ed. Amy-Jill Levine (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2002), 14-33.
„‘Jews' and Jews in the Fourth Gospel,“ in Anti-Judaism and the Fourth Gospel: Papers of the Leuven Colloquium, 2000. ed. R. Bieringer et al. (Assen, Netherlands: Van Gorcum, 2001), 341-356.
„John 8:31-59 from a Jewish Perspective,“ in Remembering for the Future 2000: The Holocaust in an Age of Genocides, vol. 2. ed. John K. Roth and Elisabeth Maxwell-Meynard (London: Palgrave, 2001), 787-97.
„The Greek Book of Esther,“ in The Oxford Bible Commentary, ed. John Barton et al (Oxford: Oxford University Press, 2001), 642-49.
„Jesus of Hollywood,“ in The Historical Jesus Through Catholic and Jewish Eyes, ed. Leonard Greenspoon (Valley Forge, PA: Trinity Press International, 2000), 131-146.
Journal Articles:
„Oscar Cullmann und sein Beitrag zur Johannes-Forschung.“ Translated by Esther Koebel. Theologische Zeitschrift 57/3 (2002), 221-231.
„‘And the Word was Begotten': Divine Epigenesis in the Gospel of John,“ Semeia 85 (1999), God the Father in the Gospel of John, ed. Adele Reinhartz, 83-103. (Appeared in 2001)
„Reflections on Table Fellowship and Community Identity,“ Semeia 86 (1999), Food and Drink in the Biblical Worlds, ed. Athalya Brenner and Jan Willem van Henten, 227-33. (Appeared in 2001)
„Margins, Methods, and Metaphors: Reflections on A Feminist Companion to the Hebrew Bible; Prooftexts 20 (2000), 47-66.
„Scripture on the Silver Screen,“ Journal of Religion and Film 33/1 (1999), 10 pp. (http://cid.unomaha.edu/~wwwjrf/scripture.htm)
„Jesus in Film: Hollywood Perspectives on the Jewishness of Jesus,“ The Journal of Religion and Film 2/2 (1998), 1-11 (http://cid.unomaha.edu/~wwwjrf/vol2no2.htm)
„Midrash She Wrote: Jewish Women's Writing on the Bible,“ Shofar 16/4 (1998), 6-27.
„A Nice Jewish Girl Reads the Gospel of John,“ Semeia 77 (1998), Ethics and Reading the Bible, ed. Gary Phillips and Danna Nolan Fewell, 177-193.
„Jewish Feminist Discourses,“ Concilium 263 (1996), 66-73.
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Adele Reinhartz,
is the Dean of Graduate Studies and Research, as well as Professor in the Department of Religion and Culture at Wilfrid Laurier University, in Waterloo, Ontario, Canada. She has also taught at the University of Toronto (1981-87) and at McMaster University (1987-2002). Her main research interests lie in the history and literature of early Judaism and Christianity, and particularly, in early Jewish Christian relations. Much of her work in this area has focused on the Gospel of John. Other interests include literary and narrative criticism, feminist biblical criticism, and the intersection between the Bible and film. Dr. Reinhartz has lectured extensively in these areas in Canada, the United States, Europe and Israel.
© Adele Reinhartz 2002, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317