Luzia Sutter Rehmann, 2013, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317
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01-2013
Luzia Sutter Rehmann Olivenöl als Zündstoff: Die vier Salbungsgeschichten der Evangelien im Kontext des Judentums des Zweiten Tempels
Abstract:
This article places olive oil in the anointing accounts (Matthew 26:6-13; Mark 14:3-9; Luke 7:36-50 and John 12:1-8) at the centre of the discussions in order to allow for more justice to all parties involved. That all Gospels pass down an anointing account shows the relevance of the act as well as of the controversies involved. The highly sophisticated vocabulary in these accounts shows how it is rooted in the discussions about the quality of olive oil, its price, its relation to the Land and to the Temple. The questions about tithing of perfumed oil can be taken as starting point for a new reading of the anointing accounts. Whether in the pharisaic household, or in the house of the sisters Martha and Mary, or in the house of Simon the Leper – the olive oil arouses questions of belonging and solidarity, which are found in some accounts of Josephus (Vita, BJ) as well as in debates of the rabbis (Mishna). In the house of a Pharisee, the olive oil seems to qualify as „doubtful“ (Luke 7:37 et seq.), whereas the spike nard in Mark 14:3 and John 12:3 explicitly stems from a “trustworthy source.” This analysis bases on a new understanding of the term pistikos as “trustworthy” according to the tithing rules of a ne’aman instead of translating it with “pure, genuine.”
1. Stimmen in einer Diskussion
Jede der vier Salbungsgeschichten der Evangelien setzt eigene Schwerpunkte. Allen gemeinsam ist, dass die Salbung durch eine Frau geschieht und kritische Fragen der Anwesenden auslöst.
In der Auslegung wurde die Gemeinschaft, in der die Salbung geschah, mehrheitlich als Männergesellschaft verstanden, in die diese Frau eindringe.[1] Damit wurde ein Geschlechter-Antagonismus ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt, an dem sich die AuslegerInnen abarbeiteten. Die feministische Exegese bewertete den Auftritt der Frau als positiven Tabu-Bruch, als mutige, solidarische, prophetische Tat, die einer Königssalbung nahe kam.[2] In der androzentrischen Auslegung wurde die Salbung meist als Liebestat, als liebender Akt einer hingebungsvollen Frau entsprechend damals vorherrschender Vorstellungen der Geschlechterrollen verstanden.[3]
Für die lukanische Salbungsgeschichte kommt hinzu, dass Lukas die Frau als Sünderin bezeichnete. Die Mehrheit der AuslegerInnen vermutete immer wieder, dass die Frau deshalb eine Prostituierte gewesen sein musste.[4] Feministische Interpretationen zeigten auf, was androzentrische Auslegung mit der salbenden Frau machte[5] und bemühte sich, diese Frau aufzuwerten.[6]
Doch auch die jüdischen Dialogpartner Jesu, die Fragen zur Salbung stellten (Lukas 7,36; Matthäus 26,8; Markus 14,3-9; Johannes 12,1-8), wurden in der Auslegungsgeschichte oft als Gegner und Unverständige bezeichnet. Die Abwertung und Kritik der jüdischen Dialogpartner Jesu gehört historisch in einen Abgrenzungsdiskurs aus einer Zeit, in der sich das Christentum formierte und nach Legitimation suchte.[7] Eine Auslegung, die immer noch in diesen antagonistischen (sexistischen oder/und antijudaistischen) Abwertungs- und Abgrenzungsmustern funktioniert, bleibt in überholten Diskussionsspuren und sucht nicht mehr nach einer Lektüre, die uns in der Gegenwart etwas zu sagen hat.
In den vier Salbungsgeschichten finden sich unterschiedliche GesprächspartnerInnen Jesu:
- die Schüler und Schülerinnen (mathetai, Matthäus 26,8),
- diejenigen in Bethanien (tines, Markus 14,3-9),
- der Pharisäer Simon (Lukas 7,36f),
- Judas (Johannes 12,1-8).
Ich möchte von der antagonistischen Interpretation wegkommen und schlage deshalb vor, die unterschiedlichen Gesprächspartner genauer zu Wort kommen zu lassen und sie als Stimmen in einer zeitgenössischen Diskussion zu hören. An ihnen zeigen sich Brennpunkte von Diskussionen um Zugehörigkeit und gemeinschaftliche Praxis. Sie gehören zum Judentum des ersten Jahrhunderts, das durch große Diversität gekennzeichnet war. Diversität ist auch im Nebeneinander der vier Evangelien verbrieft.[8] Auch deshalb sollten wir nicht versuchen, die einzige umfassende Interpretation der Salbungsberichte herauszudestillieren. Vielmehr können wir gerade dadurch, dass vier Überlieferungen vorhanden sind, ein Abwägen verschiedener Antworten erkennen, die alle ihre Berechtigung haben.
Die verschiedenen Stimmen eröffnen ein Diskussionsfeld und zeichnen Situationen, in denen Tora gelehrt und interpretiert wurde. Um die Diversität der Salbungsberichte zu verstehen, ist es notwendig, sie in das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels einzubetten. Erst dann können wir erkennen, was in den unterschiedlichen Salbungsberichten wie akzentuiert wird.
2. Das Öl-Vokabular
In allen vier Salbungsberichten löst das Salben Jesu bei den Anwesenden keinen Beifall aus. In einer christlichen Gemeinschaft müsste die Salbung des Christus doch eigentlich Zustimmung erhalten. Warum ist dies nicht der Fall? Wir müssen verstehen, welche Diskussionen und Konflikte sich damals an dieser Salbung entzündeten.
Im Brennpunkt der Diskussionen steht nicht die salbende Frau,[9] sondern das Öl. Ein Vergleich der vier Berichte zeigt, wie unterschiedlich und differenziert das Salbungsöl bezeichnet wird:
- Markus 14,3: alabastron myrou nardou pistikes polytelous
- Johannes 12,3: litran myrou nardou pistikes polytimou
- Matthäus 26,7: alabastron myrou barytimou
- Lukas 7,37: alabastron myrou
In allen vier Texten geht es um myron, ein süßes Parfum, das auf der Basis von Olivenöl hergestellt wurde.[10] Doch damit sind die Gemeinsamkeiten im Öl-Vokabular bereits erschöpft. Jeder Bericht setzt andere Akzente in seiner Erzählung und nimmt damit verbunden eine andere Qualifizierung des Olivenöls vor.
Das Öl wurde in einem Alabastergefäß gebracht – außer in Johannes 12,3, wo anstelle des Alabastergefäßes eine Mengenangabe steht.[11] Es fällt auf, dass Lukas das Öl nicht weiter spezifiziert. In Lukas 7,37 bringt die Frau einfach Parfümöl, welche Sorte auch immer. Diese unspezifische Erwähnung könnte im Kontext der lukanischen Erzählung aber von Bedeutung sein, auf die wir noch zurückkommen werden. Bei Matthäus wird dieses Parfümöl nicht als Nardenöl bezeichnet, doch mit dem Attribut barytimos versehen. Markus und Johannes bezeichnen das Öl explizit als Nardenöl und fügen noch zwei weitere Attribute hinzu. Johannes 12,3 erklärt das Öl für sehr teuer (myrou polytimou). Markus 14,3 bezieht hingegen das Adjektiv polytelous auf die Narde, nicht auf das Öl. Beide sind sich aber darin einig, dass die Narde pistikes ist.[12]
Auf die Frage, um welches Öl es sich hier handelt, geben die Texte also sehr differenziert Antwort. Ich glaube nicht, dass diese verschiedenen Antworten nur dieses eine sagen wollen: Es war sehr teures Öl. Warum wird es bei Lukas weder als Nardenöl noch als pistikes bezeichnet? Brachte die lukanische Sünderin kein teures Öl? Warum ist es bei Matthäus kein Nardenöl? Warum wird in Markus und Matthäus der Kopf Jesu gesalbt, in Johannes und Lukas seine Füße? Wie verläuft die Diskussion um das Salbungsöl im pharisäischen Haus bei Lukas und wie in Bethanien?
Beginnen wir beim Olivenöl. Olivenöl gehörte zu den Grundnahrungsmitteln, die im Land Israel produziert wurden. Es wurde aber auch für die medizinische Pflege[13], für die Kosmetik[14] und den Kult,[15] wie auch als Brennstoff für Leuchten verwendet.[16] Palästina produzierte große Mengen Olivenöl, was durch zahlreiche archäologische Funde,[17] wie auch von Berichten von Flavius Josephus bestätigt wird (Bellum Judaicum II, 21,2).
Über die Qualität dieser Öle wurde intensiv diskutiert. Das können wir z.B. in Menachot 8,3-5; Talmud Bavli Menachot 85b-86b; Tosefta Menachot 9,5-8 sehen. Die Diskussion beschäftigt sich mit den verschiedenen Faktoren, welche die Qualität des Öls ausmachen. So waren z.B. die Produktionsorte sehr wichtig,[18] wie auch die Arten von Oliven, die wiederum entsprechend der Behandlung, die sie vor dem Verquetschen erhielten, klassifiziert wurden. Zudem wurden die Öl-Sorten nach ihrer Press-Methode eingeordnet. Daraus resultierten neun unterschiedliche Qualitäten von Olivenöl (drei Methoden der Öl-Extraktion, drei Sorten von Oliven).
Zahlreiche archäologische Funde belegen die Parfümproduktion in Palästina, so z.B. in En-Boqeq, südlich von Massada, in En-Gedi, an der westlichen Küste des Totenmeeres, in Tel Goren und in Jerusalem.[19] Narde als Aromatiseur von Olivenöl wurde aus unterschiedlichen Ländern bezogen oder nach unterschiedlicher Tradition hergestellt, was die verschiedenen Beinamen von nardos deutlich machen: n. Indike; n. stachys; n. Keltike; n. oreine oder oreia (mountain nard); n. Syriake; nardou rhiza (ginger grass); n. Babyloniake.[20]
Von den unterschiedlichen Bezeichnungen von Öl-Typen im Hebräischen lassen einige nach Raffael Frankel auch auf ihre Produktionsweise schließen.[21] So z.B. das „gewaschene Öl“ (smn rhs), ein Ausdruck, der zusammen mit Wein auf Tonscherben aus Samaria zu finden ist. Die Wurzel rhs ist mit ‚waschen’ verbunden. Sasson[22] legte dar, dass die grammatikalische Konstruktion des Begriffs smn rhs nicht auf seine Funktion und Bedeutung hinweisen kann, also dass das Öl etwa für Waschungen verwendet worden wäre, sondern die Art und Weise bezeichnen muss, wie es produziert wurde. Damit enthält sie auch eine qualifizierende Aussage. Stager[23] schlägt sogar vor, den Ausdruck „gewaschenes Öl“ so zu verstehen, dass es durch das Beifügen von heißem Wasser produziert wurde.
Eine andere Produktionsmethode zeigt sich im Ausdruck smn ktyt, der in der hebräischen Bibel zweimal zu finden ist als Öl, das für die Leuchte im Tabernakel verwendet wird (Exodus 27,20; Levitikus 24,2), zweimal als Öl, das rituell gespendet wird (Exodus 29,40; Numeri 28,5) und einmal als Öl, das König Salomon dem König Hiram von Tyros bezahlte (1 Könige 5,25). Frankel weist darauf hin, dass die Wurzel ktt mit kts verwandt ist und ‚schlagen, stoßen’ bedeutet, der Mörser z.B. ist mkts. So scheint es sehr wahrscheinlich, dass smn ktyt und smn rhs zwei unterschiedliche Herstellungsarten aufweisen. Das eine Öl brauchte für seine Herstellung nur einen Mörser, das andere einen Mörser und die Beifügung von heißem Wasser.[24]
Als feinstes Öl galt dasjenige, das nach dem Zerstampfen der Oliven aus ihnen herausfloss (Menachot 8,4; Talmud Bavli Menachot 86a). Während die Hinzufügung von heißem Wasser als eine Qualitätsverminderung galt, erst recht, wenn die zerstampften und gekochten Oliven (der Tresen und die Kerne) ein weiteres Mal gepresst wurden.[25] In Talmud Bavli Menachot 86a wird Myrrhen-Öl ausdrücklich stacte genannt. Wobei staktos elaion Öl bezeichnet, das aus erster Pressung aus den Oliven herausfließt, also extra virgine.[26]
Auch die vier Salbungsstellen der Evangelien partizipieren an diesem Gespräch über das Öl, seine Qualität, seine Herkunft und seinen Preis. Jede Textstelle akzentuiert das verwendete Öl etwas anders.
Während polytimos (Johannes) und polyteles (Markus) vergleichbare Bedeutung haben, – beide Attribute sind Komposita und enthalten pollys für ‚viel, groß’ – spricht Matthäus von parfümierten Öl, aber nicht von Nardenöl. Parfümierte Öle dürften billiger gewesen sein als echte Nardenöle. Er bezeichnet das parfümierte Öl als barytimos.[27] Auch dies ist ein Kompositum, ähnlich dem polytimos des Johannes, jedoch mit anderem Akzent.
Jedenfalls sollten wir den Unterschied in den Komposita beachten, um so mehr als auch andere Erzählzüge divergieren: Zweimal werden die Füße beträufelt (aleiphein) – einmal mit kostbarem Nardenöl (Johannes 12), einmal mit völlig undefinierbarem Öl (Lukas 7); zweimal geht es um das Ausgießen (kateechein) auf den Kopf, aber einmal wird parfümiertes Öl ausgegossen (Matthäus 26), das andere Mal kostbares Nardenöl (Markus 14).
3. Öl und Geld
Die vier Texte sprechen vom Öl und vom Preis: Man hätte es für viel Geld verkaufen können (Markus 14,5: für mehr als 300 Denare; Johannes 12,5: für 300 Denare; Matthäus 26,9: für viel). In Lukas wird kein Preis für das Öl genannt, jedoch erzählt Jesus ein Gleichnis, wo es um viel Geld (500 und 50 Denare; Lukas 7,41) geht.
Der Beitrag von Martin Goodman[28] zu koscherem Olivenöl in der Antike liefert zum Thema Öl und Geld einige wichtige Hinweise. Goodman hat aufgezeigt, dass einige Juden in der hellenistischen Periode kein Olivenöl brauchen wollten, das nicht durch Juden produziert worden war. Später, im dritten Jahrhundert (Abodah Zarah 2.6), wurde das Verbot von nicht-jüdischem Öl nicht mehr aufrechterhalten.
Josephus berichtet, dass in Antiochia um 281 V. Chr. diejenigen Juden, die kein fremdes Öl brauchen wollten, eine bestimmte Geldsumme vom Gymnasiarch erhielten, um ihre Art von Öl zu kaufen (Antiquitates 12,119-120). Goodman macht darauf aufmerksam, dass dies nicht heißen muss, dass alle Juden von Antiochia von diesem Privileg Gebrauch machten. Es gab vielleicht solche, die nicht-jüdisches Öl brauchten, und andere, die dies nicht tun wollten.
Josephus erwähnt diese Zurückweisung von fremdem Olivenöl ein weiteres Mal zu einer späteren Zeit. Während des jüdisch-römischen Krieges genoss Johannes von Gischala ein Monopol, das ihm erlaubte, große Mengen von Öl aus dem Land Israel an verschiedene Orte zu senden und damit riesige Summen von Geld zu verdienen. So lieferte er z.B. Öl nach Syrien, „protecting all the Jews of Syria from the use of oil not supplied by their own countrymen“ (Bellum Judaicum 2.591-592)[29]. In der Vita (74-76) gibt Josephus eine leicht abweichende Variante desselben Ereignisses wieder: „The Jewish inhabitants of Caesarea Philippi... having no pure oil (elaion katharon) with which to anoint themselves [...][30] lest they should be driven to violate their legal ordinances by resort to Grecian oil.“
Wir erfahren von Josephus von der Bedeutung des Olivenöls als Handelsgut, von Handelspolitik, Monopolen, Bürgerprivilegien und von der finanziellen Bedeutung des Öls.[31] Für die jüdische Bevölkerung in der Diaspora war es teuer, Olivenöl aus dem Land Israel zu beziehen. Auch wenn einige jüdische Bürger in Antiochia die nötigen Mittel zur Verfügung standen, heißt dies noch lange nicht, dass es für alle Juden in Antiochia oder Syrien möglich gewesen war, Öl aus Israel zu kaufen. Dass während des jüdisch-römischen Krieges in Cäsarea Philippi einige Juden Öl, das aus Israel kam, vorzogen, ist verständlich, erstaunlich ist aber, dass überhaupt noch ausgedehnte Handelsbeziehungen während des Krieges funktionierten. Johannes von Gischala hatte großes Interesse, seine Vorräte in diesen schwierigen Jahren bei sinkender Kaufkraft im Land im Ausland abzusetzen.
Die Unsicherheit in der Überlieferung von Vita 74-76 ist zudem interessant. Einmal ist die Rede von Olivenöl, das in Cäsarea Philippi in jüdischen Häusern zur Körperpflege verwendet wurde (chrisein) – in einer anderen Version ist das Verb aber nicht chrisein, sondern chresthai (Nutzen haben). Der Unterschied ist nicht nur semantischer Art. Offenbar konnten sich die Überlieferer beides vorstellen, resp. waren unsicher, welches Verb zu bevorzugen war. Diese Problem wird dann in der Mischna (um 200) gelöst: Heidnisches Olivenöl sollte nicht zum Eigengebrauch verwendet werden. Aber es war erlaubt, von heidnischem Öl Nutzen zu haben, es zu verkaufen und Profit zu machen (Abodah Zarah 2.6).[32]
Rabbi (oder sogar erst sein Enkel[33]) hielten das Verbot nicht länger für sinnvoll. Doch die Begründungen für dessen Aufhebung divergieren oder sind vage. Es lässt sich auch keine biblische Begründung für das Verbot finden. Goodman macht in diesem Zusammenhang auf mögliche ökonomische Gründe aufmerksam, das Verbot aufzuheben: „such as the possibility that high quality Galilean oil might be exported at a sufficiently high price to pay for imports of low grade foreign (gentile) oil, while leaving a surplus for other purchases.“[34]
Die Mischna fand es notwendig, darüber zu entscheiden, wann Olivenöl rein war, also essbar und für die Körperpflege erlaubt. Mit dem Aufheben des Verbotes von nicht-jüdischem Öl konnte hochkarätiges Öl weiterhin exportiert, billiges Öl aber auch verwendet werden. Diese Entscheidung war also eine Erleichterung für ärmere Haushalte, resp. eine Anpassung an die Realität ärmerer Diaspora Haushalte, die sich koscheres Öl aus Israel nicht leisten konnten.
Die hier vorgestellten Texte geben uns Einblick in den Zusammenhang von Öl und Geld. Hochkarätiges Olivenöl aus Israel war ein teures Exportprodukt und ein bedeutender Handelsfaktor. Auch in den Salbungsgeschichten geht es um die Fragen nach Verkaufen und Geld. Wir werden später noch genauer untersuchen, wie diese Frage gestellt wird. Wie steht es aber mit dem zweiten Bereich, der Reinheit von Olivenöl? Kommt diese in den Salbungsgeschichten auch vor?
4. Öl aus vertrauenswürdiger Quelle
Markus 14,3 und Johannes 12,3 sprechen von Nardenöl als pistikes. Die meisten Übersetzungen geben dieses Adjektiv mit ‚rein, echt, unverfälscht’ wieder.[35] Joachim Gnilka gibt zu, dass die Bestimmung des Wortes pistikes unsicher sei. „Pistikos bedeutet wörtlich: zum Glauben oder zur Treue gehörig, treu. Im Papyrus-Griechisch bezeichnet es den Vertrauensmann. Darum übersetzte man es in 14,3 mit ‚echt.’“ Er bezieht die Echtheit dann ohne weitere Grundangabe auf eine Ingredienz.[36] Klaus Wengst weist darauf hin, dass Nardensalbe aus sehr vielen Zutaten gemischt wurde. Für diese Zutaten habe es auch Ersatzstoffe gegeben, also solche, die der indischen Narde nur glichen.[37]
Beide Erklärungen beziehen sich auf die Zutaten, die nicht gefälscht sein sollen. Dennoch überzeugen mich diese Erklärungen nicht. Denn sie zielen allein auf den Preis des Öls, dessen Höhe durch die Echtheit der Narde begründet wird. Doch pistikos wird vom Stamm pist- gebildet, von Vertrauen, Glauben[38]. In diesem Sinn bezeichnet pistikos nicht so sehr eine objektive Tatsache (wie „unechte“ Ersatzprodukte), sondern ein Vertrauensverhältnis. Wenn Parfümöl oder Nardenöl pistikos war, dann stammte es aus vertrauenswürdiger Quelle.
Um zu verstehen, in welcher Hinsicht ‚vertrauenswürdig’ verstanden werden konnte, werfen wir einen Blick in den Mischna Traktat Demai. Dieses enthält Vorschriften, die zu beobachten sind, wenn man etwas Essbares von einem Menschen gekauft hat, der oder die es wahrscheinlich mit den Gesetzen nicht so genau nahmen wie die PharisäerInnen. Wenn zum Beispiel der Verdacht besteht, dass die Priester- und Levitenabgaben nicht abgesondert wurden, gilt das gekaufte Essbare bezüglich der Speisegebote als zweifelhaft. Der Käufer muss dann verschiedene Zehnten absondern, um den Zweifel auszuräumen. Wenn etwas ‚vertrauenswürdig’ ist, heißt das, es ist aus vertrauenswürdiger, sicherer Quelle erworben, die Abgaben sind ordnungsgemäß abgesondert worden. Das Verzehnten[39] ist denn auch der einzige Aspekt der Speisegebote, der auf Olivenöl anwendbar war.
Für Olivenöl, das für den Verzehr bestimmt war, musste man im Zweifelsfall demai absondern, nicht aber, wenn es für Lampen-Brennstoff bestimmt war und man es nicht aß. Myrrhenöl hingegen war für die Körperpflege bestimmt und daher bezüglich demai-Pflicht kontrovers eingestuft: „Wer etwas zur Saat oder für das Vieh kauft, Mehl zum Bearbeiten der Felle, Öl für die Lampe, oder Öl, um damit Geräte zu schmieren, ist frei von Demai [...] Myrrhenöl unterwirft Beth Shamai gleichfalls dem Demai-Gesetz. Beth Hillel dagegen befreit es davon.“ (M. Demai 1,3)
Auf dem Hintergrund der Verzehntungsregeln eines ne'eman (eines Vertrauensmannes oder einer Vertrauensfrau),[40] gewinnen wir über pistikos einen neuen Einstieg in die Texte. Das Salböl in Markus 14,3 und Johannes 12,3 stammt explizit aus vertrauenswürdiger Quelle, es war pistikos. An ihm haftete kein Zweifel bezüglich seiner Verzehntung. Es war sehr teuer (polytimos, polytelos) und vertrauenswürdig. Damit bildete auch die Körpersalbung selbst keinen Anstoß. Die Frage war aber, ob dieses hochkarätige Öl nicht besser hätte verwendet werden können.
5. Zweifelhaftes Öl
In Lukas 7,36f bringt eine Sünderin parfümiertes Öl in ein pharisäisches Haus. Dieses wird nicht weiter spezifiziert, V. 37 nennt es nur: alabastron myrou. Nur in dieser Salbungsgeschichte geht es um Öl in einem pharisäischen Haus und nur hier bei Lukas wird das Öl mit keinem Wort weiter definiert.
Auf dem Hintergrund der markinischen und johanneischen Salbungsgeschichten, die davon ausgehen, dass das Öl aus einer sicheren Quelle stammt, fällt uns auf, dass hier die Herkunft der Frau im Zusammenhang mit dem Öl, das sie bringt, zweifelhaft ist:
Der Gastgeber Simon weiß, dass die Frau, die dieses Öl bringt, in der Stadt als Sünderin bekannt war. Darum fragt er sich: „Wer und woher (potape) ist diese Frau?“ (Lukas 7,39).
Den Zusammenhang zwischen der Herkunft der Person und dem Olivenöl finden wir auch in Talmud Bavli Menachot 85b: „And Joab sent to Tekoa and fetched thence a wise woman. Why to Tekoa? R. Jochanan said, Because they were accustomed to olive oil, wisdom could be found among them.“[41] Aus Tekoa kam bekanntlich das beste Öl des Landes. Die Frauen aus Tekoa besitzen Weisheit bezüglich der Produktion von Olivenöl – und galten darum als weise. In Lukas 7,36f finden wir die umgekehrte Argumentation: Die Frau ist keine vertrauenswürdige Person, sondern eine hamartolos. Dies fällt auch auf ihr Öl zurück: Es ist zweifelhaft.[42]
Simon überlegt sich, ob Jesus ein guter Lehrer sei (V. 39), d.h. was Jesus zu dieser Salbung mit zweifelhaftem Öl zu sagen hat. Damit erhält Jesus Gelegenheit, sich bezüglich des Teilens von Gütern in der Gemeinde zu äußern. Simon teilt sein Haus und sein Essen mit Jesus (und denen, die mit ihm unterwegs waren), wobei in seinem pharisäischen Haushalt die Regeln des Verzehntens sicher eingehalten wurden.
In vielen Auslegungen findet sich eine unreflektierte Polemik gegen Simon als Pharisäer.[43] Andere fixieren sich auf die Sünderin und ihren unmoralischen Lebenswandel.[44] Dabei stellt der Text beide Personen in ein positives Licht: Die pharisäische Gast- und Tischgemeinschaft bildet den Hintergrund für die folgende Diskussion. Die Tränen dieser Frau machen auf ihre Not aufmerksam – nicht auf ihre „Sünde“.[45]
Wir brauchen einen Zugang, der es uns möglich macht, die Frage Simons auf dem Hintergrund der damaligen Diskussionen zu verstehen, die sich für kultische und moralische Unreinheit interessierten, d.h. für Zugehörigkeit zum Tempel und Identität, wie es auch im lukanischen Text zu sehen ist. Diese Fragen spielen in die Tischgemeinschaft hinein, weil eine Sünderin Öl brachte, dessen Herkunft bezüglich des Zehnten zweifelhaft ist. Wie ist ihr Geschenk zu verstehen? Als bekannte ‚Sünderin’ wird sie sich kaum an den Speise- und Verzehntungsgeboten orientiert haben. Auch wenn das Öl nicht auf den Tisch kam, sondern für die Körperpflege verwendet wurde, wird die Tischgemeinschaft mit der Frage konfrontiert, ob dieses Öl verzehntet war. Hier im pharisäischen Haus wird diese Frage aufgeworfen, die in M. Demai 1,3 dann beantwortet wird.
Jesus antwortet als Lehrer mit einem Gleichnis. Er opponiert nicht gegen pharisäische Regeln für das Verzehnten, sowenig wie er behauptet, die Frau sei keine Sünderin. Auch ohne eine ausführliche Deutung des Gleichnisses wird schnell einsichtig, dass das Gleichnis im Schuldenwesen seiner Zeit zu verorten ist, das viele arme Menschen in die Verarmung oder in Schuldsklaverei trieb.[46] Damit schafft Jesus einen Zusammenhang zwischen kultischer und moralischer Unreinheit: Armut machte es Menschen oft unmöglich, die Abgaben zu bezahlen. Sie trieb Frauen und Männer in Not und Schuldsklaverei, die ihnen kein moralisch integres Leben mehr erlaubten.
Damit lehnte Jesus nicht das System des Verzehntens per se ab, aber ein Verzehnten, das die Armen belastete.[47] Jesus attackierte damit keineswegs den Gastgeber. Diesem müssen wir nichts unterstellen als das Interesse an Fragen der Reinheit, an denen sich die Diskussionen über Ethik, Armenfürsorge, Zugehörigkeit zur Gemeinschaft etc. entzündeten. Simon wäre vielleicht sogar bereit gewesen, den demai für dieses Öl selbst zu entrichten. Doch Jesus findet es nicht nötig, dass er sich noch mehr belastet. Das Öl der Frau ist ihr Beitrag zur Tischgemeinschaft, damit ist das Öl „sozialisiert,“ akzeptabel und die Frau gehört zur Gemeinschaft dazu.
Das offene Haus Simons, die pharisäische Tischgemeinschaft, verortet die Erzählung. Simon gab von dem Seinen (Verzehntetes), die Frau gab von dem Ihrem (Zweifelhaftes). Beides ist ein Beitrag für die Gemeinschaft ‚nach ihrem/seinem Vermögen’ (vgl. Lukas 8,3). Aus der Antwort Jesu können wir schließen, dass diejenigen, welche die Mittel dazu haben, verzehnten sollen, diejenigen, denen es aber an den Mitteln fehlt, sollten davon ausgenommen werden. Wie die arme Witwe, die dem Tempel gibt, was sie hat (Lukas 21,1-4), so schenkt die Sünderin, was sie hat, der Gemeinschaft. Sie kommt nicht mit leeren Händen ins Haus des Pharisäers. Das Gemeinschaftsgefüge sollte für die Armen da sein – nicht die Armen für das Gemeinschaftsgefüge.[48]
Im Licht von Apostelgeschichte 2,42-47 wird deutlich, dass (der lukanische) Jesus die Idee ablehnte, dass die Armen verpflichtet sein sollten, das Gemeinschaftsgefüge zu finanzieren. Jesus hielt den Demai-Zehnten für dieses parfümierte Körperöl für eine Bürde für die Armen.[49] Darum sollte er erlassen werden, ohne dass die Frau deswegen vom Tisch und der Gemeinschaft in diesem Haus ausgeschlossen werden musste.
6. In Bethanien
Die Salbungsgeschichten in Markus, Matthäus und Johannes haben Bethanien als gemeinsamen Ort. Jesus befindet sich in der Gemeinschaft von Bethanien zum Zeitpunkt, als er den Hohepriestern und Ältesten preisgegeben wird (Markus 14,1-2; Matthäus 26,1-5; Johannes 11,57). Das Haus, in dem die Salbung stattfand, wird als Haus der Geschwister Martha, Maria und Lazarus (Johannes), resp. als Haus Simons (Markus und Matthäus) bezeichnet. Wobei Simon nicht als pharisäisch (wie in Lukas), sondern als Aussätziger (Markus 14,3; Matthäus 26,6) charakterisiert wird. Der Kontext von Krankheit gilt dennoch für die drei Salbungsberichte: denn auch Lazarus war krank (Johannes 11,1-3.6), starb (Johannes 11,14) und auferstand (Johannes 12,1). Diese Verortung der Salbung bereitet uns darauf vor, dass eine ganz andere Frage als in Luk 7,36f. im Mittelpunkt stehen wird: In Bethanien geht es um die Gefährdung des Lebens, hier wurde gelitten und um Genesung gekämpft, hier wurde auch geheilt und auferstanden. Damit wird Öl auch unter medizinisch-therapeutischem Aspekt wichtig (vgl. Markus 6,13).
Die johanneische Gemeinschaft bereitete Jesus explizit ein Mahl aus Freude über die Auferstehung des Lazarus (Johannes 12,1-2). Doch ist fraglich, ob die markinische und matthäische Salbung im Kontext eines Mahles stattfand. Wohl nimmt die Auslegung einstimmig den Mahlkontext für gegeben, doch ist es schwierig, diesen im Text festzumachen. Der markinische wie der matthäische Salbungsbericht enthält keine Hinweise auf Mahl, Lebensmittel, Essen. Meistens werden die Partizipien anakeimenos (Matthäus 26,7) und katakeimenos (Markus 14,3) mit „zu Tische liegen“ wiedergegeben,[50] doch außer diesen Partizipien weist nichts auf einen Tisch hin.[51] Zum Tischkontext würde zudem besser eine Fußwaschung (siehe Johannes 13,1-10; Lukas 7,38-50) passen.
Im weiteren Kontext der Evangelien wird Bethanien als Zufluchtsort Jesu greifbar. In Matthäus 21,17-19; Markus 11,11-13 übernachtete Jesus in Bethanien. Doch wird eindrücklich festgehalten, dass der Gast am Morgen großen Hunger hatte. Die Übernachtung beinhaltete also nicht Verköstigung. Dies ist nur erstaunlich, wenn man vergisst, dass Arme oft nichts zum Teilen (Matthäus 7,7-11; Lukas 11,5-10; Markus 6,31- 44par; Markus 8,1-3; Matthäus 15,32-39) oder auch für sich selbst nicht genug hatten (Markus 2,23-28par; Markus 8,14).
Deshalb sollten wir uns davon lösen, die Salbung bei Markus und Matthäus im Kontext eines Mahles, Gastmahls oder gar Symposions zu denken, da dies einen festlichen, freudigen, sättigenden Kontext darstellt. Während im Haus der johanneischen Geschwister ausdrücklich ein Mahl stattfand, weist nichts darauf hin, dass im Haus des Aussätzigen Brot geteilt wurde. Dass einige beieinander ruhen, ausruhen, heißt nicht, dass ein Gastmahl stattfand. Im Gegenteil: wir könnten uns die Anwesenden krank und hungrig vorstellen. Es gab nichts zu feiern und nichts zu teilen. Diese düstere Stimmung wird von den vorhergehenden Versen bestimmt, wo die Hohenpriester und Ältesten übereinkommen (Markus 14,1-2; Matthäus 26,3-5), Jesus zu Fall zu bringen.
Das parfümierte Öl im Haus des Aussätzigen wird in Markus 14,3 kostbar und vertrauenswürdig genannt. Wir erfahren den Namen der Frau nicht, die hier auftritt, ebensowenig den Namen derjenigen, die sich noch im Haus aufhielten (Markus 14,4 nennt sie tines, „einige“). Sie bleiben im Schatten der politischen Fallstricke anonym. Doch ist es fraglich, ob sie sich als Gemeinschaft verstanden haben, resp. ob Markus sie als Gemeinschaft verstanden haben möchte. Waren sie nicht eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Kranken und Bedürftigen?
In Matthäus 26,8 werden die Gesprächspartner mathetai genannt. Somit können wir eine Jesus vertraute Gemeinschaft annehmen, die hier Unterschlupf fand. Die Frau wird weder in Markus noch in Matthäus problematisiert. Sie wird bei beiden als gyne echousa, eine Habende, eingeführt. Darin könnte durchaus eine Spannung zur Gruppe im Haus des Aussätzigen gesehen werden. Über ihre Herkunft wird im Gegensatz zu Lukas 7,39 nicht gemutmaßt. Sie wird nicht hamartolos genannt, doch nur Markus und Johannes bezeichnen ihr Öl ausdrücklich als pistikes.[52] Matthäus setzt noch einmal einen anderen Akzent, wenn er ihr Öl barytimos nennt, ohne es als vertrauenswürdig zu bezeichnen.
Im Folgenden werde ich den markinischen Bericht genauer untersuchen.
7. Nardenöl im Haus des Aussätzigen
Die Leute im Haus des Aussätzigen sahen keinen Anlass, eine demai-Frage zu stellen. Das Öl stammte offenbar aus vertrauenswürdiger Hand. So klingt die kritische Äußerung hier ganz anders als in Lukas 7,39: „Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Verschwendung des Salböls? Dieses Salböl hätte für mehr als dreihundert Denare verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können“ (Markus 14,4-5).
Der Text zeichnet eine Spannung zwischen dem hochkarätigen Nardenöl, polytelous und pistikes, und dem „Haus des Aussätzigen.“ Der Graben zwischen den Armen, die „erschöpft oder krank darniederliegen“ (katakeimenos, V. 3, vgl. Markus 1,30) und auf ihrem Weg nach Jerusalem nicht einmal Brot zum Teilen haben, und der Frau, die mit einem Alabastergefäß kommt, es zerbricht und seinen edlen Inhalt ausleert – kateechein wirkt hier beinahe despektierlich: edle Narde gälte es doch sparsam zu träufeln! (Johannes 12,3) – wird durch die beiden Attribute des Nardöls weitest möglich aufgerissen.
Dreihundert Denare waren mehr als der Jahreslohn eines Tagelöhners,[53] also eine stattliche Summe. Ist das Salböl verschwendet, weil es ausgeleert wurde? Oder weil es nicht in Münzen umgewandelt wurde und die Armen mit dem Erlös etwas zu Essen erhielten? Wie kommen „einige“ auf diese Idee, dass das Salböl hätte versilbert werden können? Welchen Anspruch machen sie hier geltend?
Markus 14,1 weist auf das Wallfahrtsfest Pessach hin, zu dem Hunderttausende nach Jerusalem zogen,[54] um den Zehnten im Tempel abzugeben (vgl. Numeri 18,27, wo von Korn, Most und Öl die Rede ist), zu opfern und zu feiern. Damit verband sich die Möglichkeit der Wohltätigkeit in Form von Gaben an die Armen, wie auch in Form von gemeinsamen Mahlzeiten.
Die Argumentation der Hausgemeinschaft – „dieses Salböl hätte für mehr als 300 Denare versilbert und den Armen gegeben werden können“ – zielt auf Deuteronomium 14,25: Der Zehnte kann in Münzen umgewandelt, also verkauft werden, wenn der Weg zu weit ist und er nicht nach Jerusalem geschafft werden kann. Zudem kann ein Teil vom umgemünzten Zehnten für die Verpflegung der Wallfahrenden ausgegeben werden.[55] Denn die Weggefährten auf der Reise nach Jerusalem sollen nicht hungern müssen, sondern sich freuen können und satt werden.
Mit dem Zehnten war aber nicht nur die Wallfahrt und die Verpflegung auf dieser Reise[56] verbunden, sondern auch eine Sozial- oder Armenabgabe (der Zweite Zehnte), von der alle drei Jahre nicht nur die Leviten, sondern auch die Armen profitieren sollten (Numeri 18,27).[57]
Der Erlös des Zweiten Zehnten (maaser scheni) konnte also für die Weggemeinschaft aufgewendet werden und wurde jedes dritte Jahr den Armen gegeben. In der Mischna sind Diskussionen aus der Zeit um 70 darüber überliefert, ob diese Aufwendungen auch das Salben enthielten oder nicht: „R. Simeon sagt: Man darf sich nicht mit Öl vom zweiten Zehnt in Jerusalem salben; die Weisen erlauben es.“ (M. Maaser Scheni II,2) R. Simeon[58] ging davon aus, dass das Öl, das als maaser scheni vom ersten Zehnt (terumah gedolah) abgesondert worden war, nur zum Essen und nicht zum Salben benutzt werden durfte. Die Weisen aber beurteilten dies anders. Salben gehörte zu dem, was die Weggemeinschaft benötigte. Darum war es erlaubt, Geld des Zweiten Zehnten zum Salben aufzuwenden (M. Maaser Scheni II,1).
Die Einbettung der Kritik an der Salbung Jesu in diese Diskussion bedeutet, die Gesprächspartner Jesu ernst zu nehmen. Jesus und die Leute im Haus Simons des Aussätzigen diskutierten gemeinsam – so wie Rabbi Simeon ein hochgeschätzter Lehrer war und die Weisen dennoch anderer Meinung blieben, so macht es durchaus Sinn, erst einmal die Diskussion auszubreiten, ohne schon zu entscheiden, dass die „Gegner“ Jesu natürlich Unrecht haben.
„Einige“ im Haus des Aussätzigen stellten die Frage nach dem Zweiten Zehnten. Wir können nur versuchen, diese einmal zu formulieren: Wenn die Frau dieses hochkarätige Nardenöl verzehntet hat, wo bleibt denn der Zweite Zehnte? Wie kann sie ins Armenhaus (beth ani heißt „Haus des Armen“) kommen, ohne etwas davon zu bringen? Hätte sie beim Absondern des Zehnten für diese hochkarätige Alabasterflasche nicht den Zehnten für die Armen auch absondern müssen? Was heißt denn pistikes, wenn den Armen davon nichts zugute kommt? In welchem Verhältnis steht denn dieser Zehnte zu den Bedürftigen? Wie kann Öl pistikes sein und die Armen gehen leer aus?
Im Haus des Aussätzigen wird die Tora aus der Perspektive der Bedürftigen ausgelegt. Die Armengesetzgebung Deuteronomium 15,4: „Es darf keine Armut unter euch geben“ klingt denn auch in der Antwort Jesu an (vgl. Markus 14,7), wie auch in seiner Interpretation der Handlung als ‚gute Tat’ (V.6).[59] Der markinische Jesus nimmt also positiven Bezug auf die Armengesetzgebung und die Armenfürsorge. Er setzt sich mit keinem Wort von der Praxis des Verzehntens ab. Darum ist es unabdingbar, dass wir die Verknüpfung von Sozial- und Armengesetzen mit der Verzehntungspraxis erinnern und der gestellten Frage ihr Recht einräumen.
Diese Fragen nach der Integration der Armen, ihrer Zugehörigkeit zu Israel und dem Tempel, auch wenn sie nichts zu verzehnten haben, aber auch nach dem Recht der Reichen, ihren Reichtum zu genießen, wurden auch in der tempellosen Zeit gestellt.[60]
8. Der Olivenölfaktor: Ergebnisse
Statt uns auf die Person Jesu oder die salbende Frau zu konzentrieren, haben wir beim Olivenöl angesetzt, um dem differenzierten Vokabular der Salbungsberichten gerecht zu werden. An ihm haben sich komplexe Diskussionen entzündet.
Im Judentum des Zweiten Tempels spielte Olivenöl eine große wirtschaftliche Rolle, reines Olivenöl gehörte zu den wichtigen Exportgütern Israels. Olivenöl wurde verschieden qualifiziert und je nach Herkunft, Olivensorte und Pressmethode unterschiedlich eingestuft. Als Produkt des Landes musste Olivenöl natürlich verzehntet werden. Die vier Salbungsberichte verbinden die Diskussion über das Öl mit großen Geldbeträgen. Auch ein Blick in Flavius Josephus zeigt, dass mit dem Export von Öl aus dem Land Israel große Geldsummen verbunden sein konnten. Die doppelte Überlieferung von Josephus’ Vita (74-76) zeigt, dass es unklar war, ob die jüdische Einwohnerschaft von Cäsarea Philippi sich mit fremdem Öl salben oder nur vom Öl Gebrauch machen wollte, sprich: mit ihm Handel treiben wollte. Bis zur klärenden Entscheidung in Abodah Zarah 2,6 blieb dies offenbar kontrovers.
Auch die vier Salbungsstellen der Evangelien partizipieren an diesem Gespräch über das Öl, seine Qualität, seine Herkunft und seinen Preis. Jede Textstelle akzentuiert das verwendete Öl etwas anders. Das Attribut pistikes fällt auf, das Markus nur mit Johannes teilt. Damit ist pistikes fast ein hapax legomenon, da es im Neuen Testament nur an dieser Stelle vom Öl ausgesagt vorkommt. Ich schlage vor, es statt mit „rein, echt, unverfälscht“ auf dem Hintergrund der Zehntenpraxis eines ne’aman zu verstehen und mit „vertrauenswürdig“ zu übersetzen. Wenn Öl aus vertrauenswürdiger Quelle stammte, war es für jüdische Menschen in jeder Hinsicht benutzbar, d.h. verzehntet.
Demgegenüber fällt auf, dass Lukas offen lässt, welche Qualität das Öl in der Hand der salbenden Frau hatte. Dafür bezeichnet der lukanische Simon die Frau als Sünderin. Somit taucht die demai Frage auf: Was ist mit diesem Öl, ist es korrekt verzehntet? Im 1. Jahrhundert wurde Myrrhenöl für die Körperpflege bezüglich demai-Pflicht noch kontrovers diskutiert. Erst in M. Demai I,3 wird die Kontroverse zwischen Beth Shammai und Beth Hillel geklärt.
Die Einbettung in die Diskussionen um den Zehnten, den zweiten, resp. dritten Zehnten, führt zu der Frage nach Zugehörigkeit: Wer verzehntet, gehört zu Israel und hat Anteil am Tempel in Jerusalem. Wer dazugehört, muss auch für die Armen Israels Verantwortung übernehmen. Der Armenzehnt bindet die Bedürftigen in die Tempelgemeinschaft ein und bildet ein Solidaritätspakt zwischen arm und reich.
Die GesprächspartnerInnen (tines in Markus 14; Simon in Lukas 7) werfen Fragen auf, die auf diesem Hintergrund verständlich werden. Der christliche Abgrenzungsdiskurs, der die jüdischen Gesprächspartner als Gegner Jesu versteht, die seine Messianität nicht erkennen oder ablehnen, ist tendenziell antijudaistisch und historisch nicht angemessen. Vielmehr sprechen die Evangelien aus der tempellosen Zeit kurz nach 70, in der kein Zehnter, auch der zweite und dritte Zehnte (der Armenzehnte), mehr abgesondert werden konnte. Wallfahrtsfeste fielen aus. Pessachfeiern außerhalb von Jerusalem waren wahrscheinlich noch längere Zeit undenkbar. Was geschah nun mit den Armen? Wer feierte mit ihnen in dieser Zeit (Markus 14,7)? Zu welcher Gemeinschaft gehörten sie, wenn es keine Tempel- und Zehntengemeinschaft mehr gab, resp. Israel in alle Winde zerstreut war?
Die Gemeinschaft in Bethanien sollten wir uns nicht als Männergemeinschaft denken. Die tines (Markus 14,4) sind geschlechtlich nicht auf eine Gruppe festlegbar. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass nur Männer im Haus des Aussätzigen aufgenommen wurden. Die Frau dringt auch keineswegs in ein Männergastmahl ein, wie die Auslegung vielfach behauptet hat, sondern kommt zu den Bedürftigen ins Haus des Aussätzigen in Bethanien (beth ani als „Haus des Armen“ verstärkt diese Bedürftigkeit), die erschöpft am Boden darnieder liegen (katakeisthai, vgl. Markus 1,30). Damit fällt der Kontrast zum hochkarätigen Nardenöl im Alabastergefäß sehr groß aus. Die Empörung über die Verschwendung des Öls muss auf diesem Hintergrund verstanden werden. Wie kann Öl als moralisch rein, koscher, verzehntet gelten, wenn daneben die Armen leer ausgehen?
Die Diskussionen um das Öl verstummten mit der Zerstörung des Tempels nicht. Denn die Fragen nach Zugehörigkeit und Solidarität blieben für die nachfolgenden Generationen relevant – dies wird deutlich in den unterschiedlichen Stimmen der GesprächspartnerInnen Jesu, die als die pharisäische Stimme (Lukas 7,36f), die Stimme des Judas im Haus der Geschwister (Johannes 12,4), die Stimmen von unspezifischen „einigen“ (Markus 14,4) oder von SchülerInnen (Matthäus 26,8) im Haus des Aussätzigen erkennbar gemacht werden. Ihnen genau zuzuhören, ermöglicht eine detaillierte Interpretation des jeweiligen Salbungsberichts. Sie gemeinsam auf dem Hintergrund der Diskussionen des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels zu lesen zeigt, dass es nicht darum gehen kann, die GesprächspartnerInnen Jesu als unverständig abzutun. Jesus suchte mit ihnen zusammen nach Antworten, auf brennende Fragen im Bezug auf die Gemeinschaft mit den Armen in tempelloser Zeit.
Das Öl wurde über Jahrhunderte als gemeinschaftsbildender, nährender, tröstender und heilender Reichtum erlebt. Es war nicht nur ein kostbares materielles Gut, sondern auch ein Stoff, an dem sich Diskussionen um Kernfragen der Gemeinschaft entfachten.
[1] Z.B. Rudolf Schnackenburg, Matthäusevangelium. Kommentar zum Neuen Testament der Einheitsübersetzung. Bd. 2. Würzburg 1987, 255; Monika Fander, Das Evangelium nach Markus. Frauen als wahre Nachfolgerinnen Jesu. In: Kompendium Feministische Bibelauslegung, hg. von Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker, Gütersloh 1998, 499-512 (508).
[2] Elaine Wainwright, Towards a Feminist Critical Reading of the Gospel according to Matthew. BZNW 60, Berlin 1991,136; Elisabeth Schüssler Fiorenza, In Memory of Her. New York 1983, 14. Susan Miller, The Woman who Anoints Jesus (Mk 14.3-9): A Prophetic Sign of the New Creation. Feminist Theology 14, 2006/2 (221-236).
[3] Luz fasst die Auslegungsgeschichte zusammen mit: „Die Deutung der Salbung der Frau als Akt einer ganzheitlichen und grenzenlosen Zuwendung zur Person Christi [...] Vielmehr geht es um die Beziehung dieser Frau zu Jesus, um ein ganzheitliches Sich-Hingeben an ihn, der in den Tod geht.“ Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28), Bd. 4. Neukirchen-Vluyn 2002, 66-67.
[4] Siehe dazu: Teresa J. Hornsby, The Woman is a Sinner/ The Sinner is a Woman. In: A.J. Levine (ed.), A Feminist Companion to Luke. London/New York 2002, 121-132, 121.
[5] Barbara E. Reid, ‚Do you see this woman?’: A Liberative Look at Luke 7,36-50 and Strategies for Reading other Lukan Stories against the Grain. In: A.J. Levine (ed.), 2002, 106-120.
[6] „The sexualization of the anointing woman along with its negative valuation may have been the best strategy for disarming a potentially powerful biblical figure.“ Teresa J. Hornsby, The Woman is a Sinner/ The Sinner is a Woman. In: A.J. Levine (ed.), 2002, 121-132, 132.
[7] Damit gehört dieser Diskurs nicht in die neutestamentliche Zeit des 1. Jahrhunderts, sondern erst in die folgenden Jahrhunderte. Siehe dazu: Adam H. Becker and Annette Yoshiko Reed (eds.), The Ways that Never Parted. Tübingen 2003; Daniel Boyarin, Border Lines. The Partition of Judaeo-Christianity. Philadelphia 2004.
[8] So ist es z.B. möglich, Jesus zuzuschreiben, dass „von der Tora nicht der kleinste Buchstabe und kein einziges Häkchen vergehen“ sollen (Matthäus 5,18) und auf der anderen Seite zu konstatieren, dass Jesus alle Speisen für rein erklärte (Markus 7,19b) und somit die Speisegebote von Levitikus 11 und Deuteronomium 14 aufhob. Diese Widersprüche verwickeln Jesus in Kontroversen über die Substanz und die Praxis der Tora. Jesus nahm als Tora-Lehrer an der breiten jüdischen Debatte darüber teil, wie kultische und moralische (Un-)Reinheit miteinander in Beziehung gesetzt werden müssten. Vgl. dazu Jonathan Klawans, Impurity and Sin in Ancient Judaism. Oxford 2000, 144-145.
[9] In Johannes 12,3 ist die salbende Frau Maria von Bethanien, eine aus dem engsten Jüngerkreis, die nirgendwo sonst kritisiert wird. Bei Matthäus und Markus ist die Frau als gyne echousa beschrieben, eine ‚Habende,’ eine, die ein Alabastergefäss besitzt. Einzig bei Lukas wird die Frau als Sünderin bezeichnet, womit sie eine Problematisierung erfährt.
[10] Frankel hält den Gebrauch von Olivenöl als Salbe oder als Basis für die Parfumproduktion für seine Hauptverwendung in der Antike (Rafael Frankel, Wine and Oil Production in Antiquity in Israel and Other Mediterranean Countries. Sheffield 1999, 43-44). Jedoch ist davon auszugehen, dass Olivenöl im Mittelmeerraum in der Küche breite Verwendung fand und somit ein Grundnahrungsmittel war. „Die Verwendung des Öls entspricht etwa derjenigen der Butter in der mitteleuropäischen Küche.“ (Thomas Staubli, „Nahrung, pflanzliche.“ In: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel. Gütersloh 2009, 410-412, hier 412). Zum Ölbaum und zur Ölherstellung vgl. Ronja Jacob, Kosmetik im antiken Palästina (Alter Orient und Altes Testament, Bd. 389), Münster 2011, 22-27.
[11] Eine litra entsprach ungefähr 340g (oder 12 ounces) bis 450g (a pound). Siehe: Liddel and Scott, A Greek-English Lexicon, Oxford 1968, 1054.
[12] Die Übersetzungen NIV und NIRV geben pistikes nardou mit „pure nard“ wieder. KJV unterschlägt eine Wiedergabe von pistikes bei Markus 14,3 und Johannes 12,3. Luther 1984 und ‚Neue Zürcher Übersetzung 2007’ haben in Markus 14,2: „unverfälschtes, kostbares Nardenöl,“ die ‚Gute Nachricht Bibel’ und die ‚Bibel in gerechter Sprache 2006’: „reines, kostbares Nardenöl.“ Für Johannes 12,3: übersetzen ‚Bibel in gerechter Sprache 2006’ und ‚Neue Zürcher Übersetzung 2007’ mit „echtes kostbares“ Nardenöl, während ‚Gute Nachricht Bibel’ mit „reines kostbares Nardenöl“ und Luther 1984 „unverfälschte, kostbare Narde“ übersetzen.
[13] Jesaja 1,6; Markus 6,13; Lukas 10.34; Jakobusbrief 5,14.
[14] Ester 2,12; Kohelet 9,7-8.
[15] Exodus 29,21; 30,22-25; 40,9-14; Levitikus 8,12.
[16] Exodus 27,20; Levitikus 24,2; Matthäus 25,3; vgl. R. Tarfon in Shabb. 2.2, über die Sabbat Lichter.
[17] Vgl. Jean-Pierre Brun, Archéologie du vin et de l’huile dans l’ Empire romain. Paris 2004, 124f.
[18] In Ester 2,12 wird das Myrrhenöl als smyrnios elaios (Olivenöl aus Smyrna) bezeichnet. In Talmud Bavli Menachot 85b heißt es, dass das beste Olivenöl in Tekoa (Galiläa) produziert wurde. Auch die Produkte von Netafa, Sifkhom, Scythopolis und Gischala waren sehr geschätzt, danach diejenigen von Paraea und von Jerusalem. Jean-Pierre Brun, 2004, 125-126.
[19] Jean-Pierre Brun, Le vin et l’ huile dans la Méditerranée antique. Viticulture, oléiculture et procédés de fabrication. Paris 2003, 171. Zu En-Boqeq und En-Gedi vgl. auch Ronja Jacob, Kosmetik im antiken Palästina, 214-266.
[20] Siehe: Liddel and Scott, he nardos, 1160.
[21] Rafael Frankel, Wine and Oil Production in Antiquity in Israel and Other Mediterranean Countries. Sheffield 1999, 186.
[22] Victor Sasson, „sms rhs in the Samaria Ostraca,“ Journal of Semitic Studies 26 (1981), 1-5.
[23] Lawrence E. Stager, „The finest olive oil in Samaria“, Journal of Semitic Studies 28 (1983), 241-245.
[24] Rafael Frankel, ebd. 186.
[25] Rafael Frankel, ebd. 47.
[26] Liddel and Scott, zu staktos, 1633.
[27] Zu barytimos wird in Liddel and Scott angegeben: „punished severely by the gods below.“ Doch nach dem Wörterbuch von Liddel and Scott bezeichnete baros ein Gewürz, während to bary als aromatischer Duft in Räucherwaren verwendet wurde.
[28] Martin Goodman, Kosher Olive Oil in Antiquity. In: Judaism in the Roman World. Collected Essays. Leiden/Boston 2007, 187-203 (Erstpublikation des Aufsatzes in: Philip R. Davies and Richard T. White (eds.), A Tribute to Geza Vermes. Sheffield 1990, 227-245).
[29] Flavius Josephus, trans. by Henry St. John Thackeray. Loeb Classical Library. London 1997.
[30] Goodman zieht die Lesart chrisontai der Minderheitsmanuskripte dem auch belegten chresontai vor. Also: „with which they anointed themselves“ statt: „from which they could derive any benefit.“
[31] In Cäsarea wurden zwei Maß Öl für eine Drachme verkauft, während in Gischala für vier Drachmen 80 Maß erstanden werden konnten (Vita 74-76). In Bellum Judaicum 2,591-2 kaufte Johannes vier Amphoren in Galiläa für vier Drachmen, an der Grenze konnte er jedoch eine halbe Amphore zum selben Preis verkaufen.
[32] Erst nach Rabbi (3. Jahrhundert) wurde das Verbot von nicht-jüdischem Öl aufgehoben: “These things of gentiles are forbidden, but it is not prohibited to derive any benefit from them: milk that a gentile milked but no Israelite watched him, and their bread and their oil – Rabbi and his court permitted the oil [...]” (Abodah Zarah 2.6).
[33] “Rabbi and his court permitted the oil”: Goodman hält diesen Satz für eine spätere Einfügung. Und bezüglich der Begründung eines Verbotes sagt er: „The widespread custom among Jews of avoiding gentile oil may have been based neither on biblical exegesis nor on a decision by an accepted authority but on a pervasive religious instinct which was all the more powerful for its lack of rationale.“ (ebd., 199).
[34] Martin Goodman, State and Society in Roman Galilee, AD 132-212. Totowa 1983, 276.
[35] Außer an diesen beiden Stellen kommt pistikes im NT nicht mehr vor, auch nicht in der LXX.
[36] Joachim Gnilka, Das Evangelium nach Markus, II/ 2. Neukirchen-Vluyn 1979, 221 (Anm. 1).
[37] Klaus Wengst, Das Johannesevangelium, 2. Teilband. Stuttgart 1993, 47.
[38] So finden wir im Wörterbuch zu pistikos ‚faithful’, zu pistos ‚to be trusted or believed, trustworthy, sure’ (Liddel and Scott, ebd. 1408).
[39] Zu tevel, unverzehntetes Produkt, erklären Werblowsky and Wigoder: „i.e., the ban on eating produce until the tithe has been set aside, applicable only in Erets Yisra’el.“ In: R.J. Zwi Werblowsky and Geoffrey Wigoder (ed.), The Oxford Dictionary of the Jewish Religion. New York/Oxford 1997, 200-202 (200).
[40] Im bTalmud findet sich der Ausdruck shetar passim für shetar emuna (bKet 19a; bGit 19b). Die griechische pistis stand dafür offensichtlich Pate. (Diesen Hinweis verdanke ich Tal Ilan.)
[41] The Babylonian Talmud, ed. by Rabbi I. Epstein, London Socino Press 1978.
[42] Obwohl der Text nichts darüber aussagt, welche Sünde die Frau begangen haben soll, interessiert sich die Auslegung sehr dafür. Gewöhnlich wird angenommen, dass die Frau eine Prostituierte gewesen sein soll (siehe dazu: Barbara E. Reid, ‚Do You See This Woman?’: A Liberative Look at Luke 7.36-50 and Strategies for Reading Other Lukan Stories against the Grain. In: Amy Jill Levine (ed.), A Feminist Companion to Luke. London/ New York 2002, 106-120, 113; Teresa J. Hornsby, The Woman is a Sinner/ the Sinner is a Woman. In: A. J. Levine (ed.), 2002, 121-132).
[43] So wird die Selbstgerechtigkeit des Pharisäers kritisiert, seine fehlende Achtung Jesus gegenüber wird ‚überführt,’ sein ‚Pseudowissen’ wird entlarvt und er muss ‚tief herabsteigen,’ um zu begreifen. Z.B. Jakob Kremer, Lukasevangelium. Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung. Würzburg 1988, 86. François Bovon, Das Evangelium nach Lukas, III/1. Neukirchen-Vluyn 1988, 392. Walter Schmithals, Das Evangelium nach Lukas. Zürich 1980, 99.
[44] Zusammenfassend dazu: Teresa J. Hornsby, The Woman is a Sinner/ The Sinner is a Woman. In: A.J. Levine (ed.), A Feminist Companion to Luke. London/ New York 2002, 121- 132.
[45] Auch wenn die Frau eine Prostituierte gewesen war, sollte darin nicht nur ein moralischer Makel gesehen werden, sondern auch die Versklavungsform, welche z.B. die Prostitution darstellte. Siehe dazu: Luise Schottroff, Let the Oppressed Go Free: Feminist Perspectives on the New Testament. Louisville (KY) 1993, 138-157.
[46] Rainer Kessler, Armenfürsorge als Aufgabe der Gemeinde. Die Anfänge in Tempel und Synagoge. In: Frank Crüsemann et al. (Hgg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel. Gütersloh 2004, 91-102. Luise Schottroff, Die große Liebende und der Pharisäer Simon (Lk 7,36-50). In: Dies., Befreiungserfahrungen. Studien zur Sozialgeschichte des Neuen Testaments. München 1990, 310-323.
[47] Auf diese Weise deutet Klawans die sog. Tempelreinigung (Markus 11,15-17). Jonathan Klawans, Purity, Sacrifice, and the Temple Symbolism and Supersessionism in the Study of Ancient Judaism. Oxford 2006, 239.
[48] Eine solche Analyse passt zu der lukanischen Reichtumskritik und Parteilichkeit für die Armen. Die Gemeinde in der Nachfolge Jesu pflegte eine Gemeinschaftsethik, indem sie untereinander alles Notwendige teilten. Gütergemeinschaft als Gemeinschaftsideal wird häufig in Apostelgeschichte 2,44-45; 4, 32-35 gesehen.
[49] Mit dieser Einschätzung, dass parfümiertes Körperöl nicht demai-pflichtig war, bewegte sich der lukanische Jesus innerhalb der damaligen Diskussion, siehe M. Demai 1,3.
[50] Anakeisthai wird in der Vulgata mit discumbere oder recumbere wiedergegeben, also mit ‚sich niederlegen’ oder ‚niedersinken, sich anlehnen.’ Dies ist aber nicht notwendigerweise ein Liegen am Tisch, d.h. ein Essen. Katakeisthai bezeichnet in der LXX oft ein erschöpftes Hinsinken im Krankheitsfall, Ohnmacht, Trunkenheit, Müdigkeit (Judit 13,15; Proverbien 6,9; 23,34; Buch der Weisheit 17,7).
[51] Auch bei Josephus bezeichnet katakeimenos ‚to be confined to bed, lie (sick, feeble),’ wenn es nicht durch weitere Zufügungen als ‚to recline at table’ erkenntlich ist. A complete Concordance to Flavius Josephus, ed. by Karl Heinrich Rengstorf. Leiden 1973, vol. I and II.
[52] Pistikes kommt nur an diesen beiden Stellen im NT vor und weist damit darauf hin, dass Johannes den markinischen Salbungsbericht gekannt haben muss. (Diesen Hinweis verdanke ich Rudolf Brändle.)
[53] Siehe dazu: Luise Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern. Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums. Gütersloh 1994, 140.
[54] Zur großen Bedeutung der Wallfahrtsfeste für Jerusalems Wirtschaft, siehe: Martin Goodman, „The Pilgrimage Economy of Jerusalem in the Second Temple Period“ wie auch „The Temple in First-Century CE Judaism.“ In: Martin Goodman, Judaism in the Roman World. Collected Essays. Leiden/Boston 2007, 59-67, und 47-58. Josephus spricht von 2'700’000 Männern (ohne Frauen und Kindern) für das Pessachfest von 65 in Jerusalem (Bellum Judaicum 6,420-427).
[55] In Deuteronomium 14,24-25 findet sich die Auslegung, dass der Zehnte, falls der Weg zu weit gewesen war, verkauft werden konnte. Er konnte also umgemünzt und das Geld für Essen mit anderen Wallfahrern verwendet werden: „24 Für den Fall, dass dir der Weg zu viel wird, und du all das nicht tragen kannst, weil der Ort zu weit entfernt ist [...] 25 dann verkaufe all das für Geld [...] Gib das Geld für alles aus, was dein Gaumen begeht: für Rinder, Schafe und Ziegen, für Wein und Bier und alles, was dein Gaumen verlangt. Veranstalte vor Adonaj, deiner Gottheit, ein Essen und freue dich, du und die deinen...“ So auch Tobit 1,7-8: „7 Den Leviten, die am Tempel in Jerusalem Dienst tun, brachte ich den zehnten Teil von Getreide, Wein und Öl, Granatäpfeln, Feigen und anderen Früchten. Den zweiten Zehnten, der ebenfalls in sechs von sieben Jahren fällig wird, tauschte ich in Geld um und gab es alljährlich für das Fest in Jerusalem aus. 8 Jedes dritte Jahr entrichtete ich den dritten Zehnten und gab ihn den Witwen und Waisen und den Fremden, die sich unserem Glauben angeschlossen hatten. Wir verzehrten ihn gemeinsam, wie es das Gesetz Moses vorschreibt und wie es mich Debora, die Mutter meines Vaters, gelehrt hatte.“
[56] bSota 48a: „Vom ersten Zehnten sondere er dann aus die Zehnthebe und gebe sie einem Priester, mit dem zweiten Zehnten aber ziehe er hinauf und verzehre ihn in Jerusalem [...]“ Siehe auch Josephus: „Außer den beiden Zehnten, welche ihr jährlich abgeben sollt, und zwar einen für die Leviten, den anderen für die Gastmahle [...]“ (AJ IV, 240-242)
[57] „Der Zehnte wird in jedem dritten Jahr zur ersten bekannten Sozialsteuer umfunktioniert, von der neben den Leviten auch die Fremden, Waisen und Witwen profitieren können sollten. In den beiden anderen Jahren ist es seine Steuer, die von den Besitzern selber im Gemeinschaftsmahl im Tempel verzehrt wird.“ Thomas Staubli, Die Bücher Levitikus. Stuttgart 1996, 272.
[58] Rabbi Simeon, Sohn des Rabban Gamliels des Alten, lebte zur Zeit des jüdisch-römischen Krieges und wurde Opfer desselben.
[59] Wohltätigkeit war stark auf die Stillung des Hungers ausgerichtet. Krauss betont, dass die Wohltätigkeit sich insbesondere auf die Stillung des Hungers gerichtet habe und die Armenpflege zu gutem Teile in der Verabreichung von Speisen bestanden habe. „Es werden Fälle erzählt, dass hungernde Arme starben, wenn man auch nur ein wenig zögerte, ihnen Speise zu reichen.“ Samuel Krauss, Talmudische Archäologie, Bd. III. Leipzig 1912, 64. Vgl. auch: Exodus Rabba 31,12: „Es gibt nichts Ärgeres auf der Welt als Armut, sie allein wiegt alle Leiden auf.“
[60] Martin Goodman („Sadducees and Essenes after 70 CE.“ In: Derselbe, Judaism in the Roman World. Collected Essays. Leiden/Boston 2007,153-162) weist darauf hin, dass niemand vorhersehen konnte, dass der Tempel nie mehr aufgebaut werden würde, da dies eigentlich nicht der römischen Praxis entsprach. Darum haben die Diskussionen um das ‚richtige’ Opfern, Verzehnten etc. unter den verschiedenen jüdischen Schulrichtungen nach 70 nicht aufgehört (157).
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Prof. Dr. Luzia Sutter Rehmann,
ist Titularprofessorin an der theologischen Fakultät der Universität Basel und Studienleiterin des Arbeitskreises für Zeitfragen, Biel. Sie leitete von 2008-2011 das SNF-Projekt "Gemeinsame Mahlzeiten. Ort der religiösen Praxis und Identität zur Zeit des Judentums des Zweiten Tempels und des frühen Christentums." Sie übersetzte das Lukasevangelium für die Bibel in gerechter Sprache (Gütersloh 2006) und ist Autorin von mehreren Büchern, u.a. Decisive Meals: Table Politics in Biblical Literature, ed. by Kathy Ehrensperger, Nathan MacDonald, Luzia Sutter Rehmann. London 2012.