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02-2002
Angela Standhartinger Die Frau muss Vollmacht haben auf ihrem Haupt (1 Korinther 11,10). Zur Geschichte und Gegenwart feministischer Paulusauslegungen.
Abstract:
Focusing on the exegesis of 1 Corinthians 11,2-16 and Galatians 3, 28, the essay traces the history of feminist exegesis of the Epistles of Paul. It will become evident that contemporary exegesis of Paul participates in the discussion of feminist theory and history in different ways. With the help of textual examples it will be shown how in an increasing plurality of approaches feminist research perceives the diversity of women who throughout history until today have interpreted and discussed Pauline theology.
Das neutestamentliche Wort, das ich als Überschrift gewählt habe, entstammt 1 Kor 11,10 – und damit einem Text, der feministischer Auslegung des Paulus vielfacher Anstoss ist. Auf der einen Seite zeigt dieser Text, dass Frauen in gleicher Weise wie Männer in der von Paulus gegründeten Gemeinde in Korinth im Gottesdienst prophetisch redeten. Auf der anderen Seite enthält dieser Text in Vers 3 eine klare hierarchische Überordnung des Mannes über die Frau und in Vers 14 den seltsamen Schluss aus einem Naturgesetz, nach dem lange Haare für einen Mann schändlich, für eine Frau aber ehrenhaft seien. Was Paulus überhaupt sagen will, ist darüber hinaus alles andere als klar. Will er, dass Frauen einen Schleier tragen – und wenn ja, warum kommt das Wort „Schleier“ nicht vor? Oder ordnet er eine bestimmte Haartracht während des Gottesdienstes an und wenn ja, welche? Was ist eigentlich die biblische Grundlage der Ausführungen – der erste oder zweite Schöpfungsbericht, oder geht es in Wirklichkeit um die sexuellen Begierden männlicher Engel nach Genesis 6,1-4? Und schliesslich fragt sich, wie dieser Text zur paulinischen Theologie in Beziehung zu setzen ist. Denn während 1 Kor 11,7 gegen den Text von Genesis 1,27 den Mann allein und im Gegensatz zur Frau als ei)kw\n qeou~ bezeichnet, spricht Paulus sonst von Christus als ei)kw\n qeou~ (2 Kor 4,4) und hofft auf die Verwandlung aller in jenes Bild (1 Kor 15,49; 2 Kor 3,18; Römer 8,29). [1]
Ich werde diese Fragen nicht beantworten können. Vielmehr möchte ich im Folgenden eine kleine Geschichte feministischer Paulusexegese nachzeichnen. [2] Dabei soll 1 Kor 11,2-16 als Leittext im Hintergrund stehen. Ich möchte zeigen, wie dieser Text in der Geschichte feministischer Paulusexegese immer wieder Anstoss gegeben und zum Weiterdenken geführt hat.
Von der ersten Frauenbewegung bis zur Frauenordination
Feministische Auslegung der paulinischen Schriften wurzelt in den Kämpfen von Frauen um gesellschaftliche und kirchliche Gleichberechtigung und die Anerkennung ihrer Menschenwürde in allen Jahrhunderten.
Ein wichtiger Meilenstein in diesem Kampf war die 1895-98 von Elizabeth Cady Stanton (1815-1902) herausgegebene Woman's Bible. Die in der Suffragettenbewegung engagierte Amerikanerin und ihr Team schufen mit der Woman's Bible einen Kommentar zu den meisten Stellen, an denen Frauen in der Bibel genannt sind. Gegen die kirchliche Orthodoxie nutzte Cady Stanton die Einsichten der historisch-kritischen Forschung und radikalisierte sie: „The only points in which I differ from all ecclesiastical teaching is that I do not believe that any man ever saw or talked with God.“ [3] Die Bibel ist für sie also ein Buch, das von Männern für Männer verfasst wurde und „as long as woman accepts the position that they assign her, her emancipation is impossible“. [4] Aber, so Cady Stanton weiter, in allen heiligen Büchern aller Religionen gebe es grundsätzliche Prinzipien von Liebe, Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Menschen. In der Bibel findet sie diese in Genesis 1,27 und Galater 3,28: Bereits das Alte Testament verkündige im Anfang die gleichzeitige Schöpfung von Mann und Frau und damit die Gleichheit der Geschlechter und das Neue Testament nehme dies im „nicht männlich noch weiblich“ aus Galater 3,28 auf. [5] Zu 1 Kor 11 bemerkt sie, dass Jesus in bildlichen Darstellungen stets mit langen Locken dargestellt werde, was aber niemand als unnatürlich empfinde. [6]
Cady Stanton formulierte zwei Einsichten, die immer noch gültig sind: Die Bibel wurde weitgehend von Männern geschrieben, und die Bibel enthält in sich selbst Kriterien der Kritik. Ihre politischen Forderungen wurden in Westdeutschland aber erst knapp 80 Jahre später und längst nicht überall erfüllt. Dabei ist die Durchsetzung der Frauenordination 1972 in den meisten protestantischen Landeskirchen auch einer dritten Argumentationsstrategie zu verdanken. Gegen die Frauenordination sprach nämlich ein paulinisches Verbot in 1 Kor 14,33b-36: „Die Frauen sollen in der Gemeinde schweigen.“ Dieser Text war in den sechziger Jahren von den führenden Exegeten als nachträglich in die Paulusbriefe eingefügte Glosse erkannt worden. [7] Neben textkritischen, sprachlichen, stilistischen und inhaltlichen Eigenheiten und nicht zu nivellierenden Widersprüchen im Kontext war dabei der Widerspruch zu 1 Kor 11,2-16, wo Paulus von prophetischem Reden der Frauen im Gottesdienst ausgeht, das Hauptargument. [8] Der Text wurde damit als ein Text der dritten nachpaulinischen Generation erkannt. War er aber nicht von Paulus, so war er in der protestantischen Diskussion weniger relevant. [9]
Gegen die androzentrische Rekonstruktion frühchristlicher Geschichte
Mit der zweiten Frauenbewegung fasste der Feminismus Fuss in Kirche und theologischer Wissenschaft. Neutestamentlerinnen wie Elisabeth Schüssler Fiorenza, Luise Schottroff und andere begannen, androzentrische Denkschemata in der Geschichtsrekonstruktion des Frühchristentums aufzudecken. [10] Ausgangspunkt war die Entdeckung von Frauengestalten z.B. im Empfehlungsschreiben für Phöbe in Römer 16,1-3:
(1) Ich empfehle euch aber Phöbe, unsere Schwester, die Diakonin der Gemeinde in Kenchrea ist, (2) dass ihr sie aufnehmt im Herrn, wie es würdig ist für die Heiligen, und ihr beisteht, bei welcher Tat auch immer sie euch nötig hat. Denn auch sie ist Vorsteherin vieler geworden und auch mir selbst. |
Obgleich sie im Griechischen als dia/konoj bezeichnet wird, hielten die meisten Exegeten Phöbe bis dahin für eine Diakonisse, die sich mit den karitativen Aufgaben beschäftigte. Dagegen zeigte Schüssler Fiorenza, dass Phöbe [11] mit zwei Titeln versehen ist. Da Paulus nicht nur sich selbst, sondern auch Apollos und andere als dia/konoj (1 Kor 3,5; 2 Kor 6,4 u.ö.) bezeichnet, werde der Begriff dia/konoj überall sonst mit „Gesandter“ oder „Missionar“ übersetzt. [12] Prosta/tij bedeutet eigentlich Vorsteherin, Präsidentin oder Patronin und ist ein in der zeitgenössischen Umwelt häufig gebrauchter Titel. [13] Paulus beziehe sich auf diesen Titel, wenn er sich Phöbe verpflichtet zeige. Phöbe habe also nicht nur einen guten Leumund; die Gemeinde, in die sie vermutlich unter Mitnahme des Briefes reist, wird darüber hinaus aufgefordert, sie bei ihren Taten zu unterstützen. [14]
Man kann Phöbe also als Amtsträgerin bezeichnen. In der feministischen Diskussion wurde aber zugleich der Begriff „Amt“ problematisiert. Luise Schottroff betonte, dass diakonei~n ursprünglich das Dienen bei Tisch und damit Hausarbeit meine. Dies sei in der Jesusbewegung zunächst nicht von der Wortverkündigung getrennt gewesen (vgl. Markus 10,42). Die Trennung habe sich erst in späterer Zeit durchgesetzt, als Männer die „Versorgungsarbeit für sich nach einiger Zeit abgelehnt“ hätten (vgl. Apostelgeschichte 6,1-7). [15] Mit diesen Thesen nahm auch die Exegese Teil an der feministischen Hausarbeitsdebatte.
Phöbe ist nicht die einzige Missionarin und Gemeindeleiterin, die in den Paulusbriefen genannt wird. Die Grussliste aus Römer 16 enthält unter fünfundzwanzig Genannten zehn Frauen, von denen viele als Mitarbeiterinnen (sunergo/j, kopia~n) näher charakterisiert werden. Bernadette Brooten zeigte, dass der fälschlich als Junias bezeichnete Apostel in Römer 16,7 die Apostelin Junia ist, denn der Name Junias hat bis zum 13. Jahrhundert gar nicht existiert und alle Kirchenväter halten Junia für eine Apostelin. [16] Die Liste liesse sich mit Euodia und Syntyche (Philemon 4,2f), Priska (1 Kor 16,19; Römer 16,3 u.ö.), Cloe (1 Kor 1,11) u.a. fortsetzen.
Die paulinischen Briefe lassen sich, so wurde schnell deutlich, als Quelle von Frauengeschichte nutzbar machen, wenn man sie kritisch gegenüber ihrer Auslegungsgeschichte liest. Elisabeth Schüssler Fiorenza entwickelte eine „feministische Befreiungshermeneutik“, um „die von biblischer Tradition und Religion inspirierte Unterdrückungs- und Befreiungshermeneutik namhaft“ zu machen. Sie besteht erstens aus der „Hermeneutik des Verdachts“ [17] , die zum einen die gegenwärtigen Interpretationen des Textes, zum anderen aber auch die Texte selbst wie ihre Traditions-, Redaktions- und Kanonsgeschichte betrifft. Zweitens sucht die „Hermeneutik des historischen Erinnerns“ in „methodischer Rekonstruktion alle biblischen Texte kritisch zu verstehen..., um nicht nur die Erfolge, sondern auch die Leiden und Unterdrückungserfahrungen unserer Vorschwestern historisch zu rekonstruieren und als das Erbe von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen wiederzugewinnen“. Sie achtet drittens in der „Hermeneutik der Verkündigung“ darauf, „dass patriarchal-oppressive Texte nicht weiter als Wort Gottes verkündigt werden“. Vielmehr entwickelt sie viertens die „kreative Hermeneutik“, die durch Neu-Erzählung und Neuschöpfung biblischer Gestalten in kreativer „Vorstellungskraft die bisher unerfüllten Befreiungspotentiale und Visionen der Bibel als Inspiration und Motivation für den Befreiungskampf“ entwickelt.
Wie kann eine solche Hermeneutik mit Texten wie 1 Kor 11 umgehen? In ihrer Rekonstruktion urchristlicher Frauengeschichte „In Memory of Her...“ (1983; deutsch „Zu ihrem Gedächtnis...“) hat Schüssler Fiorenza diesen Text im Zusammenhang interpretiert. Nach ihrer Rekonstruktion war die frühchristliche Missionsbewegung eine Gemeinschaft von gleichgestellten Frauen und Männern, die sich in der Erfahrung des Geistes als Söhne und Töchter der göttlichen Weisheit verstanden. Das Selbstverständnis dieser „discipleship of equals“ kommt nach Schüssler Fiorenza am deutlichsten in dem vorpaulinischen Taufbekenntnis aus Galater 3,27f zum Ausdruck:
Denn wieviele ihr auf Christus getauft seid, habt ihr Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann und Frau. Denn alle seid ihr einer in Christus Jesus. |
Galater 3,28 preise, so Schüssler Fiorenza, „das Einssein des Leibes Christi..., wo alle sozialen, kulturellen, religiösen, nationalen und biologischen Trennungen und Unterschiede der Geschlechter überwunden und alle Herrschaftsstrukturen zurückgewiesen“ seien. [18] Dieses egalitäre Ethos und die aus ihm folgende Praxis hätten aber in der Aussenwelt Anstoss erregt, den Paulus mit 1 Kor 11,2-16 zu beseitigen suchte. Die Korintherinnen hätten wie die Verehrerinnen der Isis ihr aufgestecktes Haar im Gottesdienst gelöst, um ihrer Geistbegabung Ausdruck zu verleihen. Paulus argumentiere nicht für eine „‚schöpfungsgemässe' oder ‚symbolische' Differenz“, sondern allein gegen die seiner Meinung nach anstössige, weil mit orgiastischen Kulten verwechselbare Praxis der korinthischen Frauen, die ihm missionarisch wenig geeignet erschienen sei.
Für feministische Hermeneutik bedeute dies, so Schüssler Fiorenza, den Ausgangspunkt nicht bei der Meinung des Paulus, sondern beim Selbstverständnis der Gemeinschaft der Gleichgestellten aus Galater 3,28 zu sehen.
Frauen ins Zentrum stellen
In einem programmatischen Aufsatz hat Bernadette Brooten bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen von „Zu ihrem Gedächtnis...“ feministische Exegese in die historische Frauenforschung eingeordnet. „Wer etwas über das Leben frühchristlicher Frauen erfahren will, wer ihren Alltag, ihre Tätigkeiten, ihre Überzeugungen und ihren Glauben zu rekonstruieren versucht, sollte die Geschichte dieser Frauen zum Forschungsschwerpunkt machen. ...(F)ür die Rekonstruktion der Lebenswirklichkeit der Frauen selbst ist eine Akzentverschiebung erforderlich. Frauen müssen ins Zentrum gestellt werden.“ [19]
Die Akzentverschiebung – Frauen ins Zentrum zu stellen – hat für Brooten weitreichende Folgen. Es könne nicht mehr darum gehen, die Ansichten des Paulus über Frauen und die seiner männlichen jüdischen Zeitgenossen zu vergleichen. Vielmehr müssten Frauen wie Priska und Junia in ihrem jüdischen und römischen Kontext betrachtet werden. Würden bisher biblische Aussagen über Frauen von der neutestamentlichen Wissenschaft für kulturbedingt und theologisch irrelevant gehalten – zumindest in Bezug auf zentrale Offenbarungswahrheit – so ergebe sich, sobald Frauen ins Zentrum gestellt würden, eine andere Theologie. [20]
Brooten legt damit das Gewicht auf die Beobachtung, dass Frauen, obgleich sie z.B. in Römer 16 deutlich anwesend sind, in den theologischen Partien der meisten Paulusbriefe vollkommen abwesend scheinen. Aus Römer 16 und den wenigen übrigen Nachrichten über Frauen lassen sich die theologischen Überzeugungen und sozialen Wirklichkeiten dieser Frauen nur schwer rekonstruieren. Man muss, so Brooten, nach neuen Quellen für Frauengeschichte suchen und sich mit den verfügbaren Quellen kritisch auseinandersetzen. Präskriptive Gesetze für Frauen dürften nicht mit deskriptiven Beschreibungen ihrer Lebenswirklichkeit verwechselt werden. Für die Auslegung von 1 Kor 11 bedeutet dies, in kritischer Distanz gegenüber dem Text die Lebenswirklichkeit korinthischer Frauen zu rekonstruieren. [21] Die Frage, ob die korinthischen Frauen einen Schleier trugen oder nicht, muss auch anhand archäologischer Zeugnisse geprüft werden. Cynthia L. Thompson zeigte, dass die meisten in Korinth gefundenen Frauenbildnisse, z.B. in Form von Statuen, unverschleierte Köpfe zeigen. Mode waren aufwendige Steckfrisuren aus langen Haaren. [22] Dass korinthische Frauen – jüdisch oder andersgläubig einen Schleier oder eine bestimmte Frisur in ihren Gottesdiensten trugen, lässt sich angesichts dieser Quellenlage kaum generell behaupten. [23]
Tendenzen gegenwärtiger Paulusauslegungen
Dekonstruktion und Kulturkritik
Feministische Auslegung liest gegen den Strich herkömmlicher Interpretationsstrategien. So stand von Anfang an auch die in den christlichen Auslegungsgemeinschaften unterstellte Autorität des Paulus selbst auf dem Prüfstand. Lone Fatum war eine der ersten feministischen Auslegerinnen, die den offensichtlichen Kontrast zwischen Galater 3,28 und 1 Kor 11,2-16 betonte. Die Tatsache, dass Paulus in 1 Kor 11,3-9 ohne Galater 3,28 argumentiere, zeige, dass die Behauptung der Zentralität der galatischen Taufformel allein durch apologetischen Eifer gespeist sei. In Galater 3,28 gehe es ausserdem überhaupt nicht um soziale Gleichheit der Geschlechter, sondern „nicht männlich und weiblich“ sei vielmehr ein Zitat aus Genesis 1,27a und beziehe sich allein auf die sexuell-biologischen Kategorien. [24] Galater 3,28 handle also von der Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit der Menschen als Mann. Abgeschafft seien nicht die sozialen Rollen, sondern die geschlechtliche Dualität und damit die Identität von Frauen als Frauen. „(S)exual liberation is in fact liberation from sexuality“. [25] Wenn Paulus in 1 Kor 11 schöpfungstheologisch und nicht christologisch argumentiere, zeige dies, dass er die Frauen nicht als Christinnen behandle. Frauen als sexuelle Wesen seien für Paulus nicht Bild Gottes, sondern hätten sich ihrem Haupt, nämlich dem Mann, unterzuordnen. [26]
Seit Mitte der achtziger Jahre wurde in feministischer Theorie zunehmend die universale Kategorie Frau auf Grund der differenten Erfahrungen in verschiedenen Gesellschaften und aus den Perspektiven unterschiedlicher sozialer Schichten und Ethnien in Frage gestellt. Stimmen verschiedener kultureller und sozialer Herkunft machten darauf aufmerksam, „dass die blosse Zugehörigkeit zur Genus-Gruppe ‚Frauen' weder mit gleichen Erfahrungen noch mit identischen Problemlagen verbunden sein muss“. [27] Die Geschlechterdifferenz erwies sich damit als kulturelles Konstrukt, das es zu dekonstruieren gilt.
Mit Hilfe der theoretischen Konzepte von Michel Foucault und Jacques Derrida haben in Folge dieser Überlegungen einige feministische Theologinnen die paulinischen Briefe als Teile des kulturell hegemonialen Diskurses verstanden, die hierarchische Machtbeziehungen in die Entstehung frühchristlicher Gemeinden einschreiben. [28] Elizabeth Castelli formulierte das Programm folgendermassen: „Although some will argue that ‘texts must speak for themselves', I argue… that texts, in fact, never do (only) that – that they also speak for others, they speak for history and ideology…“ [29] Dekonstruktivistisches und kulturkritisches Lesen dieser Texte bedeutet daher die „Demontage der (Argumentations)Struktur eines Textes, um das darin Marginalisierte und Verdrängte zu identifizieren“. [30]
In Auslegung von 1 Kor 11 stellt Elizabeth Castelli heraus, dass hier Schande und Ehre für Männer und Frauen etwas sehr Unterschiedliches bedeute. Die Verse 3-5 betonten, für Frauen sei Beten und Prophezeien mit unverhülltem Haupt schändlich, wogegen dasselbe für Männer ehrenvoll sei. Damit rede Paulus einer Geschlechterdifferenz das Wort, die durch den angeborenen physischen Körper gesetzt sei. „Das Verwischen der Unterschiede zwischen männlich und weiblich... verletzt für Paulus essentielle Differenzen, überschreitet die Grenze zwischen Ehre und Schande und ficht die Autorität an, die – so Paulus – durch die theologische Gestaltung der Schöpfungsordnung aufgerichtet ist.“ [31]
Daher stellt sich auch in Bezug auf Galater 3,28 für Castelli die Frage nach den Auswirkungen des mit dem Sprechakt des Bekenntnisses bewirkten Rituals auf das tatsächliche Leben der Frauen. [32] Die Argumentationsstruktur des Galaterbriefes sei geleitet von der Gegenüberstellung scheinbar unüberwindlicher binärer Oppositionen, Gesetz und Verheissung, Sklaverei und Freiheit, Fleisch und Geist. Damit schreibe der Kontext des Galaterbriefs, so Castelli, die binären Oppositionen zwischen Beschneidung und Unbeschnittenheit, Sklaverei und Freiheit, die im Ritual scheinbar aufgehoben werden, fest. Galater 3,28 propagiere also nicht die Aufhebung der gesellschaftlichen Bewertung von Geschlechterrollen, sondern wolle die Leserinnen und Leser davon überzeugen, sich der von Paulus propagierten neuen Einheit der Beschneidungslosigkeit und Gesetzesfreiheit anzuschliessen. Ziel sei also die Konstruktion einer das Differente ausschliessenden Gleichheit, eine „economy of sameness“ und „hegemony of the identical“, die alles Nicht-Christliche, -Weisse und -Männliche ausschliesse und damit unterdrücke. [33]
Entzauberung paulinischer Rhetorik
Bereits Cady Stanton stellte heraus, dass die biblischen Texte von Männern verfasst wurden. Antoinette Clark Wire entwickelte 1990 die Methodik rhetorischer Analyse, die Verhalten und Ansichten der Adressatinnen zu rekonstruieren sucht, soweit sie sich in den Argumenten des Paulus spiegeln. [34] Das Problem kanonischer Texte sei, dass RezipientInnen leicht die Stimme des Autors mit der Stimme Gottes verwechselten. Sehe man aber die Autorität des Textes in der Fülle der Stimmen, die in und durch sie sprechen, könne man Menschen, die durch die „götzendienerische“ Verehrung des Autors ausgeblendet wurden, wieder zu Gehör bringen. [35]
Da Briefe in der Antike vorgelesen und theoretisch als „halber Dialog“ verstanden wurden, haben Exegeten auch ausserhalb feministischer Theologie begonnen, Briefe mit Hilfe antiker rhetorischer Theorie zu analysieren. Was Wires Ansatz aber von diesen unterscheidet, ist, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Stimmen lenkt, die mit Paulus sprechen. [36] Sie sucht also die Stimmen auf der anderen Seite der paulinischen Argumentationsstrukturen und Überzeugungsstrategien. Da Argumente für eine spezifische Hörer- und Leserinnenschaft entwickelt und an sie angepasst werden müssten, um zu überzeugen, könnten sie als eine Art Matrize benutzt werden, die Denken und Handeln der intendierten HörerInnen zeigten. [37]
Die Adressatinnen und damit verborgenen Stimmen im Text des 1. Korintherbriefs sind für Wire die Prophetinnen, die sich gelehrt und inspiriert von Gottes Weisheit als Geistträgerinnen verstanden (1 Kor 1f). Die paulinischen Anweisungen zum Gottesdienst in 1 Kor 11,2-16 zeigten, dass das Auftreten der Prophetinnen von den korinthischen Männern als machtvoll erlebt wurde (vgl. 1 Kor 13,2). [38] Die korinthischen Prophetinnen hätten sich in der Tradition des Taufbekenntnisses aus Galater 3,28 als neue Kreatur verstanden, „made in God's image ‚not male and female'“. [39] Christus hätten sie als Mittler zwischen Gott und Menschen interpretiert, als Kanal menschlicher Kommunikation mit Gott. Wie Christus seien auch die korinthischen Prophetinnen als Mittlerinnen aufgetreten, hätten Gottes Worte prophezeit und im Gebet die Anliegen und Fragen ihrer Schwestern und Brüder vor Gott gebracht. [40] Vermutlich stamme daher die Formulierung „Vollmacht auf ihrem Haupt“ von den Korintherinnen selbst. Paulus drehe aber das Argument um, indem er in 1 Kor 11,3-5 seine dreifache Definition von Haupt/Kopf voranstelle. Die Vollmacht auf dem Haupt sei nun die geforderte Bedeckung des sich in den Frauen widerspiegelnden männlichen Glanzes und symbolisiere „male headship“. [41]
Feministische Konstruktionen paulinischer Theologie
Die bisher vorgestellten Auslegungen kritisieren Paulus und die in seinen Briefen vorgetragene Meinung als frauenunterdrückend. [42] Im Folgenden sollen drei neuere Ansätze vorgestellt werden, die Kritik an hierarchischer Geschlechterkonstruktion in den paulinischen Briefen selbst entdecken. [43]
Paulus – ein AutorInnenkollektiv
Die in Costa Rica lehrende mexikanische Theologin Elsa Tamez hat die Vorstellung des einzelnen Autors der Paulusbriefe kritisiert. Paulus stehe nicht als isoliertes Individuum in seiner Welt, sondern sei ein „transindividuelles Individuum“, ein „kollektives Subjekt mit einem kollektiven Bewusstsein und Gewissen“. [44] Dieser Ansatz wurden von Luise Schottroff weiterentwickelt. „Die Texte des Neuen Testaments sind nicht Produkte des Schreibens einzelner Männer (oder Frauen), sie sind Ergebnisse eines langen gemeinsamen Kampfes von Frauen und Männern für das Leben, das Gott gegeben hat und das Gott will.“ [45] Paulus verstehe sich als „Glied in einer Kette – derer, die ihn die Hoffnung lehrten und derer, die mit ihm zusammen und zum Teil auch in Kritik an ihm und seinesgleichen das neue Leben von Gott gestalten“. [46] Die Briefe des Paulus seien eher ein „Liederbuch der Armen“ als das Produkt eines einzelnen Mannes. [47]
In ihrer feministischen Lektüre betrachtet Schottroff Paulus konsequent als jüdischen Theologen. Es gehe ihm nicht um beschneidungsfreie Christusmission, eine für Frauen ohnehin irrelevante Kategorie, sondern um eine falsche Lebenspraxis, die das vom Gesetz gottgewollte Leben zerstöre. Diese falsche Lebenspraxis entstehe aus der strukturellen Sünde, deren Macht allgegenwärtig sei, die aber durch Gottes Eingreifen in der Auferstehung des gekreuzigten Messias Jesus überwunden sei. [48] „Jetzt hat Gott die Menschheit mit einem Neuanfang beschenkt.“ [49] Die Briefe des Paulus, wie etwa der Römerbrief, bestünden weitgehend aus Klage- und Lobliedern der Befreiten.
Wo Paulus aber anscheinend menschengemachte Herrschaftsverhältnisse und Hierarchien nicht erkennt, wie etwa in 1 Kor 11,2-16, attestiert Schottroff ihm ein „gespaltenes Bewusstsein“. [50] Auf der einen Seite unterstütze er die Ehelosigkeit und Eheverweigerung der Frauen (vgl. 1 Kor 7), auf der anderen Seite lehne er aber grundsätzliche Patriarchatskritik im Sinne von Galater 3,28 ab. Stattdessen versuche er in 1 Kor 11, Geschlechterhierarchie mit allen Mitteln zu verteidigen. Er definiere Männlichkeit als Herrschaft über Frauen, Weiblichkeit „über Unterordnung und Sexualität, die durch Männerherrschaft kontrolliert werden muss“. [51] Diese Argumentationsmuster würden gerade in den Versen 11f „im Herrn“ verstärkt. [52] Vers 16 zeige aber auch, dass Paulus Widerspruch von „streitliebenden“ Frauen erwarte. [53]
Gendertroubles und Politiken der Differenz
Eine grundsätzliche Revision von Galater 3,28 im Kontext des Galaterbriefs hat die ostdeutsche, heute in den USA lehrende Neutestamentlerin Brigitte Kahl vorgelegt. Sie bestreitet zwei bisher oft vertretene Thesen zu diesem Text. Galater 3,26-28 sei weder ein von Paulus zufällig zitierter und in seinen Aussagen zu Frauen und Männern den Kontext überschreitender Belegtext, noch behaupte die Formel eine Einheit, die Unterschiede und Differenzen ausradiert. [54] Vielmehr sei der gesamte Galaterbrief ein Diskurs über Geschlechterpraxen. Und dies gerade, weil man den Galaterbrief als „das ‚phallozentristischste' Dokument des Neuen Testaments bezeichnen (könne, denn) (n)irgendwo sonst steht ‚nackte Männlichkeit' so exponiert im Zentrum“ (Galater 5,12 vgl. auch 2,7f u.ö.). [55] Die Hauptlinie der Auseinandersetzung sei schliesslich die Frage, „ob jüdische Männer, die im Zeichen des jüdischen Messias Jesus in das Gottesvolk Israel Aufnahme finden ... das spezifisch jüdisch-männliche Identitätszeichen der Beschneidung (ihrer Vorhaut) erhalten“ sollen oder nicht. [56] Der Galaterbrief sei also tatsächlich der Brief eines Mannes für Männer, aber gerade dadurch gewinne er feministische Brisanz. Denn die Wahrheit des Evangeliums, die für Paulus auf dem Spiel stehe, sei die „Einheit-in-Verschiedenheit“: „Das Evangelium des Messias Jesus ist nur in der Zweiheit von Beschneidungs- und Vorhautsevangelium (Galater 2,7) eines“. [57] Paulus bekämpfe den Wunsch der galatischen Männer, sich beschneiden zu lassen, weil sie damit versuchten, eine „Einheit-in-Gleichheit“ zu schaffen, anstatt „ihre Andersheit ‚anders' und neu im Miteinander mit den Beschnittenen zu praktizieren“. [58] Diese Aufforderung zum Miteinander in Verschiedenheit werde in Galater 3 durch Schriftauslegung der Abrahamsgeschichte gestützt. Die Bibel definiere die Abstammung von Abraham nicht nur aus dem Glauben (3,6f), sondern behaupte auch, dass ein Same Abrahams – in Paulus' Deutung Christus – der legitime Erbe sei (3,16). „Alle, die in der Taufe mit Christus bekleidet bzw. identifiziert sind (3,27), werden zu Abrahams Samen transformiert.“ Damit aber bilde „in Christus“ (Galater 3,28) einen Ort der körperlichen Zugehörigkeit zu Abrahams Kindern/Erben, d.h. zu Israel, der nicht mehr von physischer Vaterschaft definiert werde. [59] Dieses „Konzept von inklusivem Jüdischsein“ entziehe den biologischen Vätern nicht nur jede Funktion, sie sei auch „eine grundlegende Unterminierung der Männlichkeit.“ [60] Denn von hier ab dominierten die Mutterbilder in Galater 4, nicht zuletzt die „Provokation eines Paulus, der sich selbst als kreissende Gebärarbeiterin schildert“ (Galater 4,19 vgl. 4,4.24-31). Hier ebenso wie „in der provozierenden Deuterojesaja-Zitation von den ‚unschwangeren', unfruchtbaren und männerlosen Müttern (4,27) werden Frauen- und Männerbilder ‚ent-fixiert' und geöffnet, von biologisch definierten Rollenzwängen, Geschlechter- und Ehemustern befreit“. [61]
Kahl liest also den Galaterbrief als Kritik an einer universalistischen Männlichkeitskonzeption. Meines Erachtens lassen sich noch weitere Spuren dieser Kritik in paulinischen Briefen finden.
Wandlungen im paulinischen Denken
Dass im paulinischen Denken Wandlungen zu beobachten sind, ist inzwischen häufig festgestellt worden. Im Folgenden möchte ich einige Indizien für die These sammeln, dass Mitarbeiterinnen und andere Frauen unter den Heiligen Einfluss auf das Um- und Weiterdenken des Paulus ausübten. Ein Beispiel soll die Aufnahme eines Gedankens aus 1 Kor 7,39f in Römer 7,1-6 sein. 1 Kor 7,39f formuliert eine Maxime aus dem antiken Eherecht für Frauen: [62] „Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt. Wenn der Mann aber gestorben ist, ist sie frei, sich zu vermählen, mit wem sie will, allein (sie entscheide oder es geschehe) im Herrn“. Dieser allgemeine Grundsatz, lediglich kurz durch „allein im Herrn“ erweitert, wird im nächsten Vers durch einen Rat des Paulus und des seiner Meinung nach in ihm wirkenden Geistes ergänzt: „Glücklicher aber ist sie, wenn sie so (d.h. ungebunden) bleibt“ (1 Kor 7,40).
Wie ich andernorts gezeigt habe, zitiert Paulus einmal gefundene Formulierungen in neuen Zusammenhängen. [63] Eben dies ist auch in Römer 7,1-6 zu beobachten. Römer 7,1-6 schliesst dabei nicht nur Römer 5-6 zusammenfassend ab, sondern nennt in Wiederaufnahme von Römer 1,18-2,29 die grundlegende These von Römer 7-8. [64] Mit einer diatribischen Einleitung erinnert Paulus die Geschwister in Rom. Da sie das Gesetz kennen, wissen sie, dass es seine Herrschaft über den Menschen nur ausübt, solange der Mensch lebt. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz wird im Folgenden durch die speziellen Auswirkungen des antiken Eherechts auf Frauen konkretisiert. Dazu zitiert der Text die Regel aus 1 Kor 7,39: [65] „Die verheiratete Frau [66] ist vom Gesetz nur an den lebenden Mann gebunden. Wenn er aber gestorben ist, ist sie befreit vom Gesetz des Mannes.“ (7,2) Die Erweiterung benennt das die Frau betreffende Recht als no/moj tou~ a)ndro/j, als Gesetz, das der Mann besitzt oder verursacht. Nach seinem Tode hat das zum Mann gehörige Gesetz keine Wirksamkeit mehr über die Frau, so dass die in Vers 3a beschriebene Folge, nämlich dass sie öffentlich als Ehebrecherin, also als Gesetzesübertreterin auftreten würde, [67] wenn sie sich mit einem anderen Mann verbindet, ausser Kraft gesetzt ist. [68] Die Frau ist nicht Ehebrecherin an sich, sie ist es unter den Kategorien des zum Mann gehörenden Gesetzes, solange es gilt.
Vers 4 bringt schlussfolgernd die Übertragung. Aber die Ausleger sind ratlos, denn der Vergleich scheint hoffnungslos zu hinken. [69] Sucht man nach einem Vergleichspunkt, einem tertium comparationis, so gerät man tatsächlich in Verwirrung. Wenn die angesprochenen Geschwister in Rom in der Taufe dem Gesetz gestorben sind, so lässt sich diese Aussage relativ leicht mit Vers 1 – das Gesetz beherrscht nur die lebenden Menschen – in Übereinstimmung bringen. Aber die Konkretisierung am Beispiel macht Mühe. Identifiziert man den Menschen aus Vers 1 als männlich, und bezieht die Aussage: „auch ihr, die ihr dem Gesetz gestorben seid“ (7,4a) auf ihn, so wären in Vers 2f die Gestorbenen die Ehemänner, die nun aber nicht frei, sondern tot sind. Die Übertragung auf die Frau gelingt besser. Sie ist auch intendiert, denn die Fortführung „damit ihr einem anderen gehört, dem, der von den Toten auferweckt wurde“ nimmt das zweimalige „wenn sie einem anderen gehört“ aus Vers 3 wörtlich auf. Bevor man Paulus aber unbekümmertes Ineinanderschieben zweier sich störender Bildreihen [70] oder „inkommensurabler Anwendungsfälle“ [71] attestiert, muss geklärt werden, welche Analogien das Beispiel aus der Lebenswelt der verheirateten bzw. verwitweten Frau zur Aussageintention des Abschnitts enthält. [72]
Das Beispiel bringt eine persönliche und zugleich gesetzte Beziehung zum Ausdruck, in der die Frau zum Gehorsam verpflichtet ist. Damit wird die in Römer 6,16-23 beschriebene Gehorsamsbeziehung entweder zur Sünde und zum Tod oder zur Gerechtigkeit aufgenommen. Ausserdem ist der Tod nicht erst in 7,2f, sondern als Tod Christi bereits seit Römer 5f der entscheidende Wendepunkt, der Freiheit und zugleich die neue Beziehung zur Gerechtigkeit ermöglicht. Das Beispiel der Frau, die zuerst unter dem Gesetz des Mannes lebt und dann von ihm befreit ist, steht also paradigmatisch für alle Menschen in Römer 5-6. Es ist keineswegs überflüssig. [73] Aber auch das Beispiel des Mannes, dessen Tod die Freiheit der Frau überhaupt erst bewirkt, lässt sich auf die Adressatinnen übertragen. Der seit Adam auf der Menschheit liegende Fluch hat sich für sie nach Römer 6,4.6 mit Christus erfüllt. Sie sind mit Christus in der Taufe gestorben. Das heisst aber, der Mensch von Vers 1 ist tatsächlich beides zugleich. Der Mensch ist Mann, sofern er in Christus gestorben ist, und Frau, insofern er durch Christi Tod die Freiheit zu einer neuen Beziehung erhält. Oder, um es mit Vers 6 zu sagen: Die in Christus gestorbenen Männer sind als Frauen befreit vom Gesetz des alten Äons. Die von den Auslegern konstatierte Verwirrung besteht also tatsächlich in der Unordnung der Geschlechter zwischen einstmals und jetzt (7,5f).
Wenn sich nun die Frau erneut bindet, verpflichtet sie sich mit dem neuen Mann einem neuen Gesetz. Auch diese Auswirkung des Beispiels ist im Blick. Die als Gestorbene vom Gesetz befreiten Frauen und Männer gehen tatsächlich eine neue, verpflichtende Beziehung ein, allerdings eine vom alten Äon grundsätzlich verschiedene Beziehung in der Neuheit des Geistes.
Römer 7,1-6 durchdenkt also die Wirklichkeit der verheirateten und der nicht mehr verheirateten Frauen theologisch und macht beide zum Paradigma der Menschen überhaupt. Die Verheiratete ist Paradigma der Menschen im alten Zeitalter Adams, die unter dem durch das Gesetz verstärkten Fluch des Todes litten (5,13.20; 6,14). Die gestorbenen Männer und nicht mehr verheirateten Frauen sind Paradigma der Menschen im neuen, in Christus begonnenen Äon. Die Herrschaftsbeziehungen von Männern über Frauen, verstärkt durch den „chaotischen Erfolg des Gesetzes“ [74] (vgl. Römer 5,20), ist in der Wirklichkeit des Geistes überwunden, in der das Gesetz seine heilvollen Verheissungen entfalten kann.
Wir können nur vermuten, dass es die korinthischen Frauen waren, die ihre Ehelosigkeit im Interesse des auferstandenen Christus lebten (1 Kor 7,34), die Paulus diese theologische Erschliessung der Wirklichkeit lehrten. Eines aber wird auf jeden Fall in diesem Abschnitt deutlich: Aus der Perspektive von Frauen gelesen werden noch andere Anspielungen auf ihre Wirklichkeit sichtbar. Spricht Vers 1 vom Herrsein des Gesetzes über den Menschen, so erinnert dies vielleicht nicht zufällig an die Rechtswirklichkeit antiker Frauen, die einen Kyrios oder Tutor brauchten, um ihre Rechtsfragen zu regeln. In Vers 5 werden die einstmaligen „Leiden der Sünden“ angesprochen, „die durch das Gesetz wirkten in unseren Körpern“. Die Ausleger wundern sich über den Ausdruck paqh/mata und sind geneigt, hier anders als überall sonst in den paulinischen Briefen mit „Leidenschaften“ zu übersetzen. [75] Aber ist das Leiden angesichts von Gewaltverhältnissen und den Gefahren von Schwangerschaft und Geburt wirklich undenkbar?
Ich breche hier ab. Ich denke es ist deutlich geworden, dass Frauen in den Briefen, die uns unter dem Namen des Paulus und anderer überliefert sind, keineswegs nur Bilder oder Symbole sind, [76] die eine höhere theologische Wirklichkeit demonstrieren, sondern dass der Einfluss ihrer Lebenskenntnis sichtbar gemacht werden kann. Vielleicht lässt sich sogar der Einfluss ihrer theologischen Deutung des Christusereignisses in 1 Kor 11 entdecken. [77] Möglicherweise haben sie darauf insistiert, dass Frauen durchaus nicht von Männern, sondern wie alle Menschen von Gott geschaffen werden (11,12), und dass die ursprüngliche Ebenbildlichkeit Gottes durch die Ausgiessung des Geistes nun allen zugesagt sei (11,11). „In Christus“, so könnte ihre Argumentation gelautet haben, seien schliesslich alle und alles „eine neue Kreatur“, ein neues Ganzes in Differenzen geschaffen von Gott. [78] So wäre jedenfalls zu erklären, dass der Autor dieses Textes die in Vers 7-9 entwickelte Argumentationsstrategie mit dem ausweichenden „jedoch“ (plh/n) verlässt und in Vers 13 mit einer ganz neuen Argumentationsstrategie einsetzt.
Ausblick: Die Vielfalt der Theologi(nn)en
Feministische Geschichtswissenschaft „hat ein doppeltes Ziel: der Geschichte die Frauen und den Frauen die Geschichte wiederzugeben“. [79] Unterschiedliche Frauen tun dies, wie ich zu zeigen suchte, in vielgestaltiger und oft differenter Weise. Elizabeth Castelli hat in Aufnahme eines Diktums der schwarzen Literaturwissenschaftlerin Mae Gwendolyn Henderson von feministischer „Fremdstimmigkeit“ (Heteroglossia) gesprochen. [80] Aber, so Castelli weiter, Harmonie sei gar nicht wünschenswert. Vielmehr hoffe sie, dass feministische Diskurse fortfahren, „die Fremdstimmigkeit in all ihren Auseinandersetzungen, ihrer Fülle, ihrer Erfindungsgabe und ihrer Kühnheit zu umschliessen, um die Hegemonien, die sowohl dem Gegenstand wie den ihn untersuchenden Wissenschaften inhärent seien, ... herauszufordern“. [81]
Die wichtigsten gegenwärtigen Herausforderungen sind meines Erachtens zwei: Jüdische Feministinnen haben die Konstruktion der frühen Reich-Gottes-Bewegung als Gemeinschaft von Gleichgestellten nach Galater 3,28 kritisiert, denn sie erkläre nicht, warum sich Jüdinnen ebenso wie Frauen der Isis-, Demeter- oder Dionysosreligion nicht dieser Bewegung angeschlossen haben. [82] Alle diese Religionen lassen sich ebenso wie das entstehende Christentum als für Frauen emanzipatorische wie einschränkende Religionen beschreiben. [83] Das heisst die These, Frauen hätten sich den Jesus- und Osterbewegungen vor allem deshalb angeschlossen, weil sie nur hier ihre emanzipatorischen Interessen verwirklicht sahen, kann sowohl aus historischen wie aus theologischen Gründen nicht länger Bestand haben. [84] Wir müssen uns vielmehr mit der Vielfalt von Fraueninteressen beschäftigen, die sie zu der Wahl dieser oder jener Religion bewegte.
Die im postkolonialen Diskurs engagierte südafrikanische Theologin Musa Dube, hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass das Projekt jedes feministischen Kanons – schliesst er nun die Stimme des Paulus aus – an sich eine kolonialistische Strategie sei, die den kolonialisierten Völkern ihre eigenen Stimmen raube. Vielmehr seien postkoloniale Feministinnen verpflichtet, die Existenz anderer heiliger Texte nicht nur wahrzunehmen, sondern sie auch als solche zu lesen. Diese Texte seien aber zumeist mündliche Überlieferungen, d.h. Überlieferungen in einem „Geist-Raum“. Dube verlangt daher von Feministinnen „(v)erantwortliche Kreativität, die den vielen unterdrückten Stimmen aufmerksam zuhört und Empathie empfinde“. Durch „aktive Prophezeiungen... und inbrünstiges Beten, das Partnerschaft mit dem Göttlichen sucht (solle sie beginnen) im Mündlich/Geist-Raum... neue Worte des Lebens und der Gerechtigkeit zu hören, zu sprechen und zu schreiben“. [85] Ich möchte daher mit einem Hinweis auf die pakistanische Christin Christine Amjad-Ali und ihre Auslegung von 1 Kor 11,2-16 schliessen. [86] Amjad-Ali parallelisiert die Strategie des Paulus in diesem Text mit der Strategie der pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto. Obgleich sie mit der Annahme des Amtes die traditionelle Unterordnung der Frau in Pakistan untergrub, erkannte sie doch in ihrer konservativen Kleiderordnung symbolisch die traditionelle Ansicht der Unterordnung der Frauen an. Ebenso laviere auch Paulus in vielfachen Formulierungen mit der Schleierfrage (vgl. 11,4-6.9.14), um schliesslich – obgleich eigentlich theologisch dagegen – nichts anderes zu tun, als die konservative Praxis anzuerkennen. Die Aufforderung, die „Vollmacht“ auf dem eigenen Haupt wahrzunehmen, bleibt daher für Frauen aller Kulturen bestehen.
[1] Nicht allein aus diesem Grund ist die paulinische Verfasserschaft von 1 Kor 11,2-16 überhaupt nicht sicher. Zur These einer Glosse vgl. u.a. Winsome Munro, Authority in Paul and Peter. The Identification of a Pastoral Stratum in the Pauline Corpus and 1. Peter (Society for New Testament Studies; Monograph Series 45), Cambridge 1983, 69-75.
[2] Einen Überblick bietet auch Luzia Sutter Rehmann, Die aktuelle feministische Exegese der paulinischen Briefe. Ein Überblick, in: Claudia Janssen/Luise Schottroff/Beate Wehn (Hgg.), Paulus. Umstrittene Tradition – lebendige Theologie. Eine feministische Lektüre, Gütersloh 2001,10-22, sowie Die paulinischen Briefe in der feministischen Exegese – ein Überblick, in: lectio difficilior 2:1 (2001), http://www.lectio.unibe.ch
[3] Elizabeth Cady Stanton, The Woman's Bible, New York 1898 (Nachdruck Amherst 1999), 12.
[4] (ebd.).
[5] „With this recognition of the feminine element in the Godhead of the Old Testament, and this declaration of equality of the sexes in the New, we may well wonder at the contemptible status woman occupies in the Christian Church today.“ (ebd. 21).
[6] (ebd. 158).
[7] So z.B. Hans Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther (Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament; Abteilung 5), Göttingen 111969, 289f. Vgl. bereits ausführlich Gottfried Fitzer, Das Weib schweige in der Gemeinde. Über den unpaulinischen Charakter der mulier-taceat-Verse in 1 Korinther 14, Theologische Existenz heute NF 110, München 1963.
[8] Die meisten feministischen Auslegerinnen votierten zunächst vorsichtig für eine paulinische Verfasserschaft von 1 Kor 14,33b-36. Vgl. aber Munro, Authority, 67-69 und Women, Text and Canon. The Strange Case of 1 Corinthians 14,33-35, Biblical Theology Bulletin 18 (1988), 26-31. Inzwischen hat sich das Bild verändert. Zur ausführlichen Bewertung der Diskussion und ihren oft antijüdischen Argumentationslinien, vgl. Marlene Crüsemann, Unrettbar frauenfeindlich? Der Kampf um das Wort von Frauen in 1 Kor 14, (33b)34-35 im Spiegel antijudaistischer Elemente der Auslegung, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hgg.), Von der Wurzel getragen. Christlich-feministische Exegese in Auseinandersetzung mit Antijudaismus (Biblical Interpretation Series 17), Leiden 1996, 199-223.
[9] Eine detaillierte Darstellung von Cady Stantons Woman's Bible und der Geschichte der Bibelauslegung von Frauen im 20. Jahrhundert bietet Marie-Theres Wacker, Geschichtliche, hermeneutische und methodologische Grundlagen, in: Luise Schottroff/Silvia Schroer/Marie-Theres Wacker (Hgg.), Feministische Exegese. Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen, Darmstadt 1995, 3-79, 3-33.
[10] Luise Schottroff, Wie berechtigt ist die feministische Kritik an Paulus? Paulus und die Frauen in den ersten christlichen Gemeinden im Römischen Reich, Einwürfe 2 (1985), 94-111; abgedruckt in: Befreiungserfahrungen. Studien zur Sozialgeschichte des Neuen Testaments, München 1990, 229-246.
[11] Phöbe ist die einzige Person in den paulinischen Briefen, die einen Empfehlungsbrief erhält.
[12] Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis... Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München 1988 (Original 1983), 219-221.
[13] Schüssler Fiorenza, Gedächtnis, 232f. Zum Titel prosta/tij vgl. Hans Schaefer, prosta/tij, Paulys Real-Encyclopädie; Supplement 9 (1962), 1287-1304.
[14] Zur neueren Diskussion um Phöbe und die anderen Missionarinnen und Gemeindeleiterinnen im Umkreis des Paulus vgl. Margaret Y. MacDonald, Reading Real Women through the undisputed Letters of Paul, in: Ross S. Kraemer/Marie Rose D'Angelo (Hgg.), Women & Christian Origins, New York/Oxford 1999, 199-220, 207-209.
[15] Luise Schottroff, Auf dem Weg zu einer feministischen Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums, in: dies./Silvia Schroer/Marie-Theres Wacker (Hgg.), Feministische Exegese. Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen, Darmstadt 1995, 193f und 223-226.
[16] Bernadette Brooten, „Junia ... hervorragend unter den Aposteln“ (Röm 16,7), in: Elisabeth Moltmann-Wendel (Hg.), Frauenbefreiung. Biblische und theologische Argumente, München 31982, 148-151. Der erste Ausleger, bei dem der Name Junias auftaucht, ist Aegidius von Rom (1245-1316).
[17] Alle folgenden Zitate aus Schüssler Fiorenza, Biblische Grundlegung, in: Maria Kassel (Hg.), Feministische Theologie. Perspektiven zur Orientierung, Stuttgart 21988, 25f. Vgl. auch dies., Brot statt Steine. Die Herausforderung einer feministischen Interpretation der Bibel, Freiburg 1988 (Original 1984).
[18] Schüssler Fiorenza, Gedächtnis, 272.
[19] Bernadette J. Brooten, Frühchristliche Frauen und ihr kultureller Kontext, Einwürfe 2 (1985), 62-93, 62.
[20] Brooten, ebd, 63: „Wenn Frauen nicht mehr nur als sozio-kultureller Hintergrund der theologischen Offenbarungsmitte angesehen werden, sind Änderungen auf dem Gebiet historischer Forschung wie im Bereich der systematischen Theologie gleichermassen unerlässlich.“
[21] Christine Amjad-Ali, The Equality of Women: Form or Substance (1 Corinthians 11.2-16), in: Rasiah S. Sugirtharajah (Hg.), Voices from the Margin. Interpreting the Bible in the Third World, London 21995 (1991), 185-193, hat aus der Erfahrung einer pakistanischen Frau der Gegenwart darauf hingewiesen, dass Schleier sich für arbeitende Frauen der unteren Schichten oft aus praktischen Gründen als unpraktikabel erweisen.
[22] Cynthia Thompson, Portraits from Roman Corinth: Hairstyles, Headcoverings and St. Paul, Biblical Archaeologist 51 (1988), 99-115.
[23] Marlis Gielen, Beten und Prophezeien mit unverhülltem Kopf. Die Kontroverse zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde um die Wahrung der Geschlechtsrollensymbolik in 1 Kor 11,2-16, ZNW 90 (1999), 22-249, vermutet, die Korintherinnen hätten Kurzhaarfrisuren getragen und damit die weibliche Geschlechtsrolle negiert. Siehe auch unten Anmerkung 41.
[24] Lone Fatum, Image of God and Glory of Man: Women in the Pauline Congregations, in: Kari Elisabeth Børresen (Hg.), The Image of God, Gender Models in Judaeo-Christian Tradition, Minneapolis/Oslo 1991, 50-133, 63. Vgl. auch Women, Symbolic Universe and Structures of Silence. Challenges and Possibilities in Androcentric Texts, Studies in Theology 43 (1989), 61-80.
[25] Fatum, Image, 76.
[26] In genau umgekehrter Richtung hat neuerdings Brigitte Graakjær Hjort, ST 55 (2001), 55-80 argumentiert. In 1 Kor 11,2-16 verteidige Paulus eine durch die Schöpfung gesetzte Polarität der Geschlechter gegen ihre in der Tradition von Galater 3,28 vertretene Aufhebung in Korinth. Die explizit auf Christus bezogene Kephale-Struktur in 11,3 und die Argumentation aus der Schöpfung in 11,7-12 zeige, dass „what is ordained by creation is not hierarchy or patriarchy but the polarity of sexes and their consequent mutual inter-dependence” (66). Die Einbettung des Abschnitts in die Diskussion um das Götzenopferfleisch und den Gottesdienst zeige, dass Paulus hier gegen eine protognostische Religiosität und einen durch die Dionysosreligion inspirierten Synkretismus protestiere, „whose hallmark is an emancipatory equalization of gender polarity and possible ritual intoxication” (75).
[27] Gudrun-Axeli Knapp, Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht, in: Regina Becker-Schmidt/Gudrun-Axeli Knapp, Feministische Theorien zur Einführung, Hamburg 2000, 63-102, 63.
[28] Vgl. Elizabeth A. Castelli, Imitating Paul. Discourse of Power, Louisville, Kentucky 1991.
[29] Castelli, Paul on Women and Gender, in: Ross Shepard Kraemer/Mary Rose D'Angelo (Hgg.), Women & Christan Origins, New York/Oxford 1999, 221-235, 222.
[30] Caroline Vander Stichele, Der zweite Brief an die Gemeinde in Korinth. Einheit auf Kosten des Unterschieds, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hgg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1998, 593-602, 594.
[31] Castelli, Paul on Women and Gender, 229: „To blur the lines between male and female … violates some more essential set of differentiations, crosses the line from honor to shame, and challenges the authority that has been established through Paul's theological rendering of the order of creation.“ (Übersetzung A.S.)
[32] Die ritualtheoretischen Überlegungen stammen von Wayne A. Meeks, The Image of the Androgyne. Some Uses of a Symbol in Earliest Christianity, History of Religion 13 (1974), 165-208.
[33] Castelli, Imitating Paul, 117.124 u.ö. Vgl. hierzu auch Daniel Boyarin, A Radical Jew. Paul and the Politics of Identity, Berkeley u.a. 1994.
[34] Antoinette Clark Wire, Corinthian Women Prophets. A Reconstruction through Paul's Rhetoric, Minneapolis 21995 (1990), 6.
[35] Wire, 1 Corinthians, in: Elisabeth Schüssler Fiorenza (Hg.), Searching the Scriptures II, New York 1994, 151-195, 157.
[36] Zu feministischer rhetorischer Kritik an paulinischen Briefen vgl. auch Schüssler Fiorenza, Rhetorical Situation and Historical Reconstruction in 1 Corinthians, New Testament Studies 33 (1987), 386-402 und dies., But She Said: Feminist Practices of Biblical Interpretation, Boston 1992.
[37] Wire, 1 Corinthians, 158: „Because arguments develop by a speaker's adapting to a specific audience in order to persuade them, the arguments can be used as a kind of mold to learn the way the intended hearers think and act.“
[38] In 1 Kor 11,7-10 geht es nach Wire gar nicht um ein Problem der korinthischen Frauen, sondern um Männer, die ihr eigenes Abbild in den unverhüllten Frauen erblickten und sich selbst anstatt Gott verehrten. Wire, Corinthian Women Prophets, 118-122, führt dies auf eine jüdische Tradition zurück, nach der die Engel Adam anbeteten, weil er Abbild Gottes sei. Dies aber sei nach Paulus fehlgeleiteter Gottesdienst. Die korinthischen Männer liefen nun Gefahr, ebenso wie die Engel von der Verehrung Gottes weggezogen zu werden hin zur Verehrung ihres eigenen Abglanzes im unverhüllten Haupt der Frauen.
[39] Wire, Corinthian Women Prophets, 126f.
[40] Wire, Corinthian Women Prophets, 134.
[41] Wire, 1 Corinthians, 179.
[42] Schüssler Fiorenza, Gleichheit und Differenz. Gal 3,28 im Brennpunkt feministischer Hermeneutik, Berliner Theologische Zeitschrift 16 (1999), 212-231 meint, feministische Pauluskritik müsse immer die mittradierten Gegenstimmen hörbar machen. Die folgenden Auslegungen werden von ihr als Rettungsversuch des Paulus disqualifiziert.
[43] Diese Hermeneutik ist grundsätzlich von einer Bejahung traditioneller Auslegungsmodelle zu unterscheiden, wie sie etwa Gielen, Beten, oder Judith M. Gundry-Volf, Gender and Creation in 1 Corinthians 11:2-16. A Study in Paul Theological Method, in: Jostein Ådna u.a. (Hg.), Evangelium, Schriftauslegung, Kirche. Festschrift für Peter Stuhlmacher zum 65. Geburtstag, Göttingen 1997, 151-171, vertreten: Nach Gielen liegt der Fehler der Korintherinnen in der Negierung der Geschlechterdifferenz und ihres symbolisch-kulturell kodierten Ausdrucks in einer nur Männern zukommenden Kurzhaarfrisur. Paulus greife (in 1 Kor 11,2-16) auf Genesis 2 zurück, um „die schöpfungsmässige Unterschiedenheit der Geschlechter und die schöpfungsmässige Vorordnung des Mannes zu begründen, die wiederum in der entsprechenden Geschlechtsrollensymbolik ihren angemessenen Ausdruck finden“ (241). Die hier für 1 Kor 11,2-16 behauptete Schöpfungstheologie widerspricht aber allen übrigen Behandlungen des Schöpfungsthemas bei Paulus (vgl. 1 Kor 15,35-49; 2 Kor 5,17f/Galater 6,15; Römer 5,12-21). Diese Spannungen verbieten es meines Erachtens 1 Kor 11,2-16 als Schlüsseltext paulinischer Schöpfungstheologie zu interpretieren, zumal ihr Verhältnis zur Christologie in diesem Abschnitt kaum entwickelt wird. Siehe auch unten Anm. 77 .
[44] Elsa Tamez, Gegen die Verurteilung zum Tod. Paulus oder die Rechtfertigung durch den Glauben aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgeschlossenen, Luzern 1998 (Originalausgabe Costa Rica 1991), 52f.
[45] Schottroff, Auf dem Weg, 207.
[46] (ebd.).
[47] Ebd. Vgl. auch dies., Die Lieder und das Geschrei der Glaubenden. Rechtfertigung bei Paulus, in: Claudia Janssen u.a. (Hg.), Paulus. Umstrittene Tradition – lebendige Theologie. Eine feministische Lektüre, Gütersloh 2001, 44-66.
[48] Zum Konzept struktureller Sünde vgl. auch: Schottroff, Die befreite Eva. Schuld und Macht der Mächtigen und Ohnmächtigen nach dem Neuen Testament, in: Christine Schaumberger/Luise Schottroff, Schuld und Macht. Studien zu einer feministischen Befreiungstheologie, München 1988, 15-151.
[49] Schottroff, Lieder, 50f; Zitat 51.
[50] Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern. Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums, München 1994, 195-197.
[51] Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinden in Korinth. Wie Befreiung entsteht, in: Schottroff/Wacker (Hgg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1998, 586.
[52] So Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, 586. In Lydias ungeduldige Schwestern, 68, Anm. 155, meint Schottroff noch: „In 1 Kor 11,11 geht es um die Aufhebung der Herrschaft von Männern über Frauen im Sinne von Gal 3,28“. Ebd. 197 vermutet sie aber bereits, dass Paulus Galater 3,28 „nicht als Erklärung der Aufhebung der Herrschaft von Männern über Frauen..., sondern nur als Befreiung von der Sklaverei der Ehe“ verstanden habe.
[53] Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, 586. Vgl. auch dies., Feministische Hermeneutik des ersten Briefes an die korinthische Gemeinde, in: Erhard S. Gerstenberger/Ulrich Schoenborn (Hgg.), Hermeneutik – sozialgeschichtlich (Exegese in unserer Zeit 1), Münster 1999, 152: „Die Vorstellung, dass Paulus immer recht hat, existierte weder in seinem eigenen Kopf noch in dem seiner AdressatInnen, wie er sehr wohl weiss. Er kämpft, er argumentiert..., wohl um die Begrenztheit seiner Autorität wissend... (Die) paulinischen Briefe (sind eine) Momentaufnahme in einem vielstimmigen Diskussionsprozess um die Auslegung der Tora im eigenen Leben.“
[54] Brigitte Kahl, Gender trouble in Galatia? Paul and the rethinking of difference, in: Deborah F. Sawyer (Hg.), Is There a Future of Feminist Theology (Studies in Theology and Sexuality 4), Sheffield 1999, 57-63.
[55] Kahl, Der Brief an die Gemeinden in Galatien. Vom Unbehagen der Geschlechter und anderen Problemen des Andersseins, in: Schottroff/Wacker (Hgg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1998, 604.
[56] (ebd.).
[57] (ebd. 606).
[58] (ebd.).
[59] Kahl, Nicht mehr männlich? Gal 3,28 und das Streitfeld Maskulinität, in: Janssen u.a. (Hg.), Paulus, 129-145, 133f.
[60] Kahl, Nicht mehr männlich?, 135.
[61] Kahl, Der Brief an die Gemeinden in Galatien, 607f.
[62] Eine Eingrenzung auf jüdische Halachot, wie sie Peter J. Tomson, Paul and the Jewish Law: Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, Assen/Maastrich/Minneapolis 1990, 120-124) versucht, lässt sich meines Erachtens nicht halten. mKid 1.1 formuliert allgemeines antikes Eherecht als Spruchweisheit, die Formulierung aus der Scheidungsurkunde mGit 9,3 findet sich auch in hellenistischen Scheidungsurkunden. Allein die Formulierung mo/non e)n kuri/w| hat in dem unter den Rabbinen diskutierten Verbot der Heirat einer Geschiedenen mit einem Nichtjuden eine möglicherweise im Judentum besonders betonte Parallele.
[63] Vgl. Angela Standhartinger, Studien zur Entstehungsgeschichte und Intention des Kolosserbriefs (NT.S 94), Leiden u.a. 1999, 102-117.
[64] Vgl. Römer 2,29 mit 7,6; sowie Otto Michel, Der Brief an die Römer (Kritisch-exegetischer Kommentar 4), Göttingen 121963, 165; Ernst Käsemann, An die Römer (Handbuch zum Neuen Testament 8a), Tübingen 2 1974, 182f.
[65] Anders Luzia Sutter Rehmann, Vom Ende der Eifersucht. Der Fall der „verdächtigen Ehefrau“ in Röm 7,1-6, in: Claudia Janssen u.a. (Hg.), Paulus, 67-82, die „das Gesetz des Mannes“ (7,2) als Sotabestimmungen (Numeri 5,11-31) identifiziert und Paulus im Einklang mit den meisten Rabbinen als Kritiker dieser Praxis versteht. Sein Argument sei die Wirklichkeit der Sünde, die die Anwendung der Tora an diesem Punkte unmenschlich mache. Abgesehen von der Frage nach der Aktualität der Sotabestimmungen in der jüdischen Diaspora und unter den Frauen der rabbinischen Bewegung nach der Zerstörung des Tempels lassen ihre Beschreibungen der vom Ehebruchsverdacht bedrängten Frauen diese allein passiv erscheinen. Aber die Frau ist meines Erachtens nicht nur in Römer 7,2f, sondern in allen Versen des Abschnitts die Handelnde.
[66] U(/pandroj für verheiratete Frau auch Sprüche 6,24.29; Sirach 9,9; vgl. auch Numeri 5,20.29 sowie Polybios 10,23,6; Diodorus Siculus 32,10; Plutarch, Pelopidas 9; Artemidor, Oneirokritos 1,78; Aelian, De natura animalum 3,42; Athenaios, Deipnosophistai 388C; Heliodor 10,22 u.ö.
[67] Dies ist die Bedeutung von xrhmati/zein „sich mit einer Angelegenheit befassen,“ das in der hellenistischen Amts- und Geschäftssprache Ausdruck der Behörden- und Obrigkeitssprache ist. Das Wort bedeutet weiterhin „ein öffentliches Auftreten als Rechtssubjekt oder Unternehmer, ... d.h. öffentlich als etw(as) auftreten, offiziell heissen“. Bo Reicke, Art. xrhmati/zein, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 9 (1973), 469f.
[68] katargei~n eigentlich „ausser Wirksamkeit, Geltung setzten, entkräften, vernichten, vertilgen, beseitigen“ – Bauer, Wb 849f. Für katargei~scai a)/>po/ gibt Bauer „aus der Verbindung mit jem. oder mit etw. gelöst werden, nichts mehr zu schaffen haben“ an. Liddell/Scott „to be set free from“ und „to be parted“. Beide nennen als einzige Belegstellen Römer 7,2.6 und Galater 5,4.
[69] Käsemann, An die Römer, 179.
[70] Hans Lietzmann, Die Briefe des Apostels Paulus I: An die Römer (Handbuch zum Neuen Testament 3), Tübingen 21919, 71.
[71] Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer II (Evangelisch-Katholischer Kommentar VI/2), Zürich u.a. 1980, 66.
[72] Die Aufnahme zahlreicher Stichworte wie katargei~sqai (6,6; 7,6), kurieu/ein (6,9.14; 7,1), karpo/j, karpoforei~n (6,21f; 7,4f), dou~loj, douleu/ein (6,20.22; 7,6) ist bereits häufig aufgefallen. Vgl. Michel, 166. Zum Folgenden vgl. auch Arthur J. Dewey, Spirit and Letter in Paul, Lewiston, New York u.a. 1996, 165-172.
[73] Anders Käsemann, An die Römer, 182.
[74] Dieter Georgi, Gott auf den Kopf stellen: Überlegungen zu Tendenz und Kontext des Theokratiegedankens in paulinischer Praxis und Theologie, in: Jacob Taubes (Hg.), Theokratie (Religionstheorie und Politische Theologie 3), Paderborn u.a. 1987, 148-205,198.
[75] Vgl. Wilckens, Der Brief an die Römer, 67 und viele andere. Anders aber Römer 8,18; 2 Kor 1,5-7; Philemon 3,10 u.ö.
[76] Das Stichwort „Bild“ findet sich in zahlreichen Kommentaren. Elisabeth Castelli, Romans, in: Schüssler Fiorenza (Hg.), Searching the Scriptures II, New York 1994, 283f, vertritt die These: „Paul uses women to think with“ und unterstütze, indem er die sozialen Rollen der Geschlechter als Metapher und Analogie verwende, die Festschreibung der Frauenrollen und Geschlechterhierachien, auf die sein Argument sich stütze. Zur Kritik an der Deutung von Römer 7,2f als „Bild“ oder „Gleichnis“ vgl. auch Sutter Rehmann, Vom Ende der Eifersucht, 71-73.
[77] Mary Rose D'Angelo, The Garden: Once and not again. Traditional Interpretation of Genesis 1:26-27 in 1 Corinthians 11:7-12, in: Allen Robbins (Hg.), Genesis 1-3 in the History of Exegesis. Intrigue in the Garden, Lewiston, New York 1988, 1-41, hat gezeigt, dass die Formulierung „Weder ein Mann ohne die Frau noch eine Frau ohne den Mann“ auch in rabbinischen Diskussionen nachgewiesen werden kann, unter anderem in der Diskussion des Plurals von Gen 1,26 „lasset uns Menschen machen nach unserem Bild und Ähnlichkeit (kat) ei)ko/na h(mete(ran kai/ kaq o(moi/wsin)“. Die Rabbinen stellten dabei eine grundsätzliche Differenz zwischen der Schaffung Adams und Evas und der Erschaffung aller anderen Menschen heraus. Gerade dieser Unterschied werde in 1 Kor 11,11f gegen 11,7-9 betont. In 1 Kor 11,7-9 gehe es um die Schaffung von Adam und Eva. Diese sei für Paulus aber anders als für die Rabbinen nicht einmalig, sondern Zeichen des alten Äons (vgl. 1 Kor 15; Römer 5). Das e)>n kuri/w| aus Vers 11 beschreibe dagegen das eschatologische Präsens. Die Formulierung „Alles (oder das All) aber von Gott“ weise ausserdem auf die Neuschöpfung in 1 Kor 5,17f hin. Dieser Satz „does not merely assert that God as well as woman and man participate in procreation; it proclaims a new creation, in which the claim that „all things are from God“ abrogates the ancient arrangements of male and female, of women from and for man“ (26). Wenn Paulus beide Argumentationslinien nebeneinander stehen lasse, so zeige dies seine Ambivalenz gegenüber der „neuen Schöpfung“, die auch anderen Orts zu beobachten sei. So behaupte er einerseits „ich werde niemanden Macht über mich haben lassen“ (ou)k e)gw\ e)cousiasqh/somai u(po tinoj, 1 Kor 6,12), andererseits aber, dass verheiratete Frauen (und Männer) keine Macht über ihren eigenen Körper haben sollen (1 Kor 7,4).
[78] Vgl. 2 Kor 5,17-18a. Auch dies wird zweimal zitiert vgl. Galater 6,15.
[79] Joan Kelly, The Social Relation of Sexes: Methodical Implication of Women's History, Signs 1 (1975-76), 809-23, 809: „to restore women to history and to restore our history to women“.
[80] Castelli, Heteroglossia, Hermeneutics, and History. A Review Essay of Recent Feminist Studies of Early Christianity, Journal of Feminist Studies in Religion 10 (1994), 73-95.
[81] Castelli, Heteroglossia, 98: „... would hope that we would continue to embrace heteroglossia in all of its contentiousness, richness, evocativeness – in its audacity to engage and challenge the hegemonies that inhabit both the object of our study and the disciplines that shape our ongoing work.“
[82] Vgl. Ross S. Kraemer, Review of Elisabeth Schüssler Fiorenza, In Memory of Her, Recherches de Science Religieuse 11:1 (1985), 6-9. Die Kritik wurde von Schüssler Fiorenza in Jesus: Miriam's Child, Sophia's Prophet: Critical Issues in Feminist Christologie, New York 1994 (deutsch: Jesus – Miriams Kind, Sophias Prophet. Kritische Anfragen feministischer Christologie, Gütersloh 1997) aufgenommen.
[83] Vgl. u.a. Kraemer, Her Share of the Blessings. Women's Religions among Pagans, Jews, and Christians in the Greco-Roman World, New York/Oxford 1992.
[84] Nämlich auf Grund der problematischen Behauptung christlicher Überlegenheit.
[85] Musa W. Dube-Schomanah, Schrift, Feminismus und postkoloniale Kontexte, Concilium 34 (1998), 278-287.
[86] Christine Amjad-Ali, The Equality of Women: Form or Substance (1 Corinthians 11.2-16), in: Rasiah S. Sugirtharajah (Hg.), Voices from the Margin. Interpreting the Bible in the Third World, London 21995 (1991), 185-193. Eine Lektüre des Paulus aus vier Frauenperspektiven hat Loretta Dornisch, Paul and Third World Women Theologians, Collegeville, Minnesota 1999, vorgelegt. In ihrem kleinen Kommentar der paulinischen Briefe liest sie Paulus aus der Perspektive der Paula, “co-thinker with Paul” (VII), den vielen Frauen, die als “co-workers” mit Paulus arbeiteten, den Frauen des 1. Jahrhunderts, an die die Briefe gerichtet sind, und der Perspekive der heutigen Frauen aller Kontinente, insbesondere der sogenannten Zweidrittelwelt.
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Angela Standhartinger,
wurde 1964 in Tübingen geboren. Studium der Evangelischen Theologie in Frankfurt a.M., München und Heidelberg, Nach dem ersten Theologischen Examen Arbeit an einer Dissertation mit dem Titel „Der Beitrag von ‘Joseph und Aseneth' zur Diskussion um das Frauenbild in jüdisch-hellenistischer Zeit“. Von 1993-1998 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Martin-Buber-Stiftungsgastprofessur am Fachbereich Evangelische Theologie der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt a.M. 1998 Habilitation: „Studien zur Entstehungsgeschichte und Intention des Kolosserbriefs“. Seit dem Wintersemester 2000/01 Professorin für Neues Testament an der Philipps-Universität in Marburg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: paulinische und nachpaulinische Literatur, hellenistisches Judentum, antike Frauengeschichte und feministische Exegese des Neuen Testaments.
© Angela Standhartinger, 2002, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317